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CORREOS/219: Venezuela/Kolumbien - «Also funktioniert unsere Politik»


Correos de las Américas - Nr. 190, 25. Februar 2018

«Also funktioniert unsere Politik»

von Dieter Drüssel


(3.2.18) Immer wieder setzen uns die Medien Sprüche wie diesen vor: «Obwohl Venezuela ein reiches Land mit den grössten Erdölreserven weltweit ist, stürzt die Bevölkerung wegen der verantwortungslosen Politik des Maduro-Regimes in Not und Elend.» Einheitsdiskurs der Medieninternationale. Die Washington Post erörtert gelegentlich die Frage(1), ob fürs Humane gescheiter militärisch oder, als wär's ein Gegensatz, eher mit verstärkten Sanktionen zu intervenieren sei. Intervenieren wofür? Ja doch, um Kinder vor dem Hungern zu retten. Die New York Times(2) hatte kürzlich, unterlegt mit Beispielen und ergreifenden Bildern, davon berichtet: «Venezuela hat die grössten Erdölreserven der Welt. Aber in den letzten drei Jahren ist seine Wirtschaft zusammengebrochen. Hunger hat die Nation seit Jahren bedrängt. Jetzt bringt er die Kinder um.» Der EX-FBI-Kader und heutige Vertreter im Repräsentantenhaus, Brian Fitzpatrick, stützte darauf seine Frage vom 11. Januar 2018 nach einer Antwort auf «die in den Nachrichten oft vergessene humanitäre Krise» Venezuelas, dessen «Wirtschaft am Zusammenbrechen» ist und wo «die Kinder sich zu Tode hungern»(3).

Es stimmt, bisher hat die venezolanische Regierung die Wirtschaft nicht in den Griff gekriegt. Wir haben eine künstlich herbeigeführte, aber reale Hyperinflation. Die chavistische Regierung kritisiert immer wieder Vorfälle, wo Nahrungsmittel oder Medikamente nicht oder erst nach grossem Zeitund Geldverlust importiert werden können. Da wäre etwa die tagelang blockierte Lieferung von 300.000-Insulindosen, die Maduro am letzten 7. September denunziert(4) hatte. Grund: Die Citibank hatte sich geweigert, venezolanisches Geld anzunehmen. Da wäre die Anschuldigung(5) des venezolanischen Vizepräsidenten Tarek El Assami von Anfang November, wonach der kolumbianische Präsident Santos die Lieferung von Präparaten gegen Malaria durch das kolumbianische Labor BNS Medical an das venezolanische Gesundheitsministerium verboten hatte. Die Regierung konnte dann Ersatz aus Indien besorgen - zwischenzeitlich fehlte das Chinin-Produkt. Maduro klagte vor einigen Wochen: «Jeden Tag plagt uns der Gedanke an die Schiffe mit Nahrungsmitteln aus aller Welt. Sie halten sie auf offener See auf, sie lösen unsere Bankkontos auf und beschlagnahmen das Geld, mit dem wir Medikamente bezahlen.» Letzten Dezember habe, so Maduro, «Kolumbien die Lieferung von Schweinefleisch für den Weihnachtsbraten sabotiert, das Venezuela importieren (...)wollte.» Das Fleisch sei «auf Befehl der kolumbianischen Regierung an der Grenze verfault. (...) Es gibt keinen Tag, an dem sie uns nicht eine Bankverbindung annullieren und nicht eine grosse Summe Dollardevisen auf irgendeinem Konto in der Welt beschlagnahmen.»(6)

Mike Pompeo, CIA-Chef, am Aspen Security Forum letzten Juli: «Aber es reicht zu sagen, dass wir grosse Hoffnung darauf setzen, dass in Venezuela eine Transition möglich ist. Und wir in der CIA tun unser Möglichstes, die Dynamik dort zu verstehen, um mit dem State Department und anderen kommunizieren zu können. Die Kolumbianer ... ich war gerade vorletzte Woche unten in Mexico-City und in Bogota und redete genau über dieses Thema; ich versuchte, ihnen die Dinge zu verstehen helfen, die sie tun können. »(7) Der gleiche Typ plauderte vor zehn Tagen vor dem American Enterprise Institute aus der Schule(8): «Die zweite oder dritte Serie von Sanktionen entsprach unseren [CIA] Empfehlungen.»

US-Aussenminister Rex Tillerson befindet sich gerade auf einem Trip nach Mexiko, Kolumbien, Argentinien, Peru und Jamaica. Er will den Südkontinent davon abhalten, auf das verlockende Angebot des chinesischen Aussenministers Wang Yi vom 22. Januar einzusteigen, nämlich auf den Einbezug Lateinamerikas in das Riesenprojekt der «neuen Seidenstrasse». Zu Beginn seiner Reise äusserte(9) Tillerson an der University of Austin: «China ist jetzt der grösste Handelspartner von Chile, Argentinien, Brasilien und Peru.» Ein zu behebender Missstand, denn China wirtschafte in diesen Ländern oft «ohne Achtung der Gesetze (...) und der Menschenrechte», nach der Logik «kurzfristige Gewinne gegen langfristige Abhängigkeit». Der frühere Exxon-CEO sagte tatsächlich auch: «Lateinamerika braucht keine neuen imperialen Mächte, die nur ihre eigenen Leute begünstigen wollen.» Der andere Schwerpunkt seiner Reise: Venezuela. Tillerson insistierte auf der Hoffnung auf einen Armeeputsch in Venezuela, mit Bezug auf eine historische Persektive: «In der Geschichte von Venezuela und südamerikanischen Ländern ist oft die Armee die Agentin der Veränderung, wenn die Verhältnisse so schlecht sind und die Führung ihrem Volk nicht mehr länger dienen kann.»(10)

Yeap!

Denn schliesslich weiss der Exxon-Mann: «Venezuela hat die grössten bewiesenen Ölreserven der Welt. Aber die Menschen sterben an Unterernährung und Krankheit.» Und mit ihm wissen «unsere» Medien, was mitteilenswert ist (Interventionspropaganda) und was nicht. No news ist auch eine Äusserung einer nur «Senior State Department Official 2» genannten Kaderperson des State Departments während einer Telefonkonferenz(11) mit ausgesuchten Presseleuten über Tillersons Reisepläne. «Nr. 2» entkräftete einen Vorwurf einer Journalistin von Radio Colombia, die Sanktionen gegen Venezuela seien «nicht wirklich wirksam», so: «Unsere Strategie zu Venezuela ist extrem effektiv gewesen. Die Lima-Gruppe [US-nahe Regierungen in Lateinamerika gegen Venezuela] hat sich diesem Effort [US-Sanktionen] angeschlossen [ebenso wie Kanada und gerade eben die EU]. Die von uns der venezolanischen Regierung auferlegten Finanzsanktionen haben sie in Zahlungsstopp (...) gezwungen. Und was wir wegen der schlechten Wahl des Maduro-Regimes sehen, ist ein völliger Wirtschaftskollaps in Venezuela. Also funktioniert unsere Politik, funktioniert unsere Strategie, und wir werden sie gegen Venezuela aufrecht halten.» Etwas gar freimütig die erboste Aussage, so dass «Nr. 2» am Schluss der Konferenz noch die Blase nachschob, die Sanktionen richteten sich nie gegen das venezolanische Volk.

Wir sollten es wissen: Wenn die von humanitär reden, wollen sie bomben.


Venezuela/Kolumbien: Der Angriff kommt ins Rollen

(11.2.18) Santos setzt den Marschbefehl von Rex Tillerson um. Am 8. Februar gab der kolumbianische Präsident auf Twitter(12) neben strengeren Grenzkontrollen bekannt, 3000 zusätzliche Militärs und Polizeiangehörige an die venezolanische Grenze zu verlegen. Der Präsident des Landes mit den weltweit meisten internen Vertriebenen (8 Millionen), die vom Staat (und seinen Paraorganen) verjagt wurden und danach null Hilfe erhielten, sorgt sich um die humanitäre Lage im Nachbarland. Weshalb er an der Konferenz mit Tillerson letzten Dienstag bekundete: «Es ist dringend notwendig, die demokratische Ausrichtung Venezuelas wieder herzustellen, denn es sind seine Bürger, die unter den Folgen einer gescheiterten Diktatur leiden.»(13) Mit der UNO zusammen werde an der Grenze ein Betreuungszentrum für anfangs 2000 Personen erstellt.(14) Was könnte dramatischer die verzweifelte Lage im Land der Maduro-Diktatur aufzeigen? Wie mit Flüchtlingen effizient umzugehen sei, hat letzten Sommer eine hochkarätige Regierungsdelegation um Sicherheitsberater Juan Carlos Restrepo in Erfahrung gebracht(15). In der Türkei nämlich. Der strategische NATO-Partner Kolumbien lernt von NATOMitglied Türkei. (Bestimmt von grösstem Interesse ist, wie die Türkei Afrin «entkurdisieren» will, um danach mutmasslich bald aus Idlib vertriebene Al-Kaidas und sonstige Verbündete dort anzusiedeln und in deren «moderates» Kalifat dann auch die in die Türkei Geflüchteten zu entsorgen.)

Die 3000 zusätzlichen Militärs an der Grenze haben Gesellschaft. Vorgestern schrieb Sergio Rodríguez Gelfenstein Folgendes(16):

«Die Vorbereitung des Kriegs [gegen Venezuela} hat schon begonnen. Im Catatumbo im Departement Norte de Santander an der Grenze zu Venezuela haben illegale bewaffnete Gruppen in den Ortschaften Tibú und Tarra die Sicherheitskontrolle übernommen, ohne dass Armee, Polizei oder andere staatliche Institutionen eingeschritten wären, wie sich aus den Anklagen der Opfer dieser Banden ergibt. Diese terroristischen Gruppen nutzen das Verschwinden der Front 33 der FARC aus, die in dieser Gegend operiert hat. In der 90.000-Seelen-Stadt Villa de Rosario im gleichen Departement kämpfen die bewaffnete Gruppe Los Pelusos und die sogenannten Autodefensas Gaitanistas de Colombia (AGC) um die Vorherrschaft in sechs Quartieren (Galán, La Palmita, Pueblito Español, Montevideo, Primero de Mayo und San José). Sie sind unter den Augen der Armee dorthin gegangen, um die Invasion von Venezuela vorzubereiten. Die Paramilitärs kontrollieren auch Los Patios, Villa de Rosario, San Cayetano, La Parada, Juan Frío, Uchema, Palo Gordo y Ragonvalia und Puerto Santander. Das Kommando führt Cochas alias Luis Jesús Escamilla Melo, Chef des Ejército Paramilitar del Norte de Santander (EPN). In der Grenzstadt operieren auch die paramilitärischen Rastrojos. In Venezuela haben sie schon Basen in Llano Jorge und San Antonio del Táchira. Trotz der massenhaften Appelle der BürgerInnen an die nationale Regierung und die regionalen und kommunalen Behörden drücken diese beide Augen zu.»

Es ist unzweifelhaft, dass tatsächlich mehr VenezolanerInnen (anscheinend in ihrer Mehrheit mit kolumbianischer Doppelbürgerschaft) nach Kolumbien ziehen. Dennoch ist bei den entsprechenden Angaben höchste Vorsicht am Platz, nicht nur, weil sich die jeweiligen Behörden entlang ihrer Parteilinie über die Zahlen streiten(17). Als am Freitag die kolumbianischen Behörden die Kontrollen beim Grenzübertritt in die Stadt Cúcuta verschärften, kam es zu einem medial die «humanitäre Katastrophe belegenden» Riesenstau. Denn einerseits versuchten viele VenezolanerInnen angesichts der angekündigten Massnahmen, sich in Kolumbien noch schnell mit Gütern des Alltagbedarfs inkl. Medikamenten einzudecken, die in Venezuela oft nur zu horrenden Schwarzmarktpreisen zu ergattern sind. Und andererseits erwischten die neuen Massnahmen viele VenezolanerInnen in Kolumbien auf dem falschen Fuss, die eiligst nach Venezuela zurück wollten. Nach Angaben(18) von Jonathan García, Chef des Parlaments des venezolanischen Gliedstaats Táchira, der an Kolumbien grenzt, überqueren täglich 35.000 Menschen, fast auschliesslich aus Venezuela, die Grenze in beiden Richtungen.

Die «Flüchtlingskatastrophe» an der Grenze, die von den Rechten in beiden Ländern originellerweise auch zum Anheizen von Xenophobie benutzt wird, ist Teil eines kontrollierten Prozesses. Ihre Ergänzung findet sie im realen wirtschaftlichen Desaster in Venezuela, dessen Ursachen einfach strikt ausgeblendet bzw. in ihr Gegenteil verdreht werden. Die Medien vergiessen widerliche Krokodilstränen über das Leid der Menschen in Venezuela und hecheln für die «grosse Aufräume». Das ist ihre Funktion, no fake.


Und Brasilien ...

Der brasilianische Verteidigungsminister Raul Jungmann gab parallel zur Ankündigung von Santos eine Aufstockung der brasilianischen Truppen an der Grenze zu Venezuela und die Verlegung von «zehntausenden» von venezolanischen Flüchtlingen bekannt(19). Das Gebiet grenzt auch an Kolumbien und ist traditionell eine Schmuggelzone, in der bewaffnete, an den Drogenhandel angebundene Strukturen den Ton angeben. Drei Tage später erklärte Jungmann in Guyana, Brasilien werde «eine gewalttätige Lösung» des Konflikts Venezuela/ Guyana «nicht zulassen»(20). Für das unter beiden Ländern liegende riesige Ölbecken hat die Regierung von Guyana 2015 Exxon die Förderlizenz erteilt, unter Bruch der einschlägigen Abkommen. Die brasilianischen Streitkräfte wollen nun Wind von einem venezolanischen Angriff auf Guyana erhalten haben - ein schlechter Witz. Beide Länder haben einer UNO-Vermittlung zugestimmt.

In Brasilien fand letzten November das «Militärmanöver» Amazonlog17 der Armee mit Spezialeinheiten aus den USA, Kolumbien und Peru statt, wofür das brasilianische Regime den US-Einheiten «vorübergehend » eine Base im Amazonas überliess. Eine Analyse(21) des Observatorio Latinoamericano de Geopolítica situiert das Manöver einerseits im geopolitischen Rahmen der US- und NATO-Umzingelung des ressourcenreichen Grossraums und andererseits als Teil des Aufmarschdispositivs gegen Venezuela. Bei Amazonlog17 ging es darum, schreiben Ana Esther Cedeña und David Barrios Rodríguez in ihrer Analyse, «Kriegsmaterialdepots anzulegen, die diskrete territoriale Einfälle, Rapid-Response-Operationen, durch US-Spezialeinheiten, lokale oder private Kräfte ausgeführt, oder dann viel sichtbarere massive Operationen als Antwort auf angebliche humanitäre Gefahren sehr wahrscheinlich aus Venezuela erleichtern».


Anmerkungen:

(1) WP, 7.1.18: Trump has been mostly silent on Latin America. That's probably a good thing.

(2) NYT, 17.12.17: As Venezuela Collapses, Children Are Dying of Hunger.

(3) www.congress.gov/crec/2018/01/11/CREC-2018-01-11-pt1-PgH163-4.pdf

(4) arsenalterapeutico.com, 7.9.17: Venezuela logró desbloquear 300 mil dosis de insulina

(5) Telesur, 3.11.17: Colombia bloquea venta de medicinas a Venezuela

(6) Ciudad CSS, 12.1.18: Gobierno Nacional denuncia que Colombia bloquea importación de alimentos y medicinas

(7) Aspen Security Forum, July 20, 2017: The View from Langley.

(8) AEI, January 23, 2018: Intelligence beyond 2018: A conversation with CIA Director Mike Pompeo

(9) https://www.state.gov/secretary/remarks/ 2018/02/277840.htm

(10) bbc.com, 2 February 2018: Tillerson says Venezuelan military may turn on Maduro

(11) https://www.state.gov/r/pa/prs/ps/2018/01/277739.htm

(12) https://twitter.com/JuanManSantos/status/961677647096025090

(13) El Tiempo, 6.2.18: Santos urge a EE. UU. 'restaurar el cauce democrático' en Venezuela

(14) https://twitter.com/JuanManSantos/status/961677966777384962

(15) El Colombiano, 28.8.17: Colombia alista campos de refugiados para venezolanos.

(16) rebelion.org, 9.2.18: La orden de combate fue dada: La guerra de Santos contra Venezuela.

(17) La Opinión, 6.2.18: »Cifras de venezolanos no concuerdan».

(18) Últimas Noticias, 10.2.18: Se normaliza el paso por la frontera con Colombia

(19) br.sputniknews.com, 8.2.18: Jungmann reconhece crise de refugiados anuncia reforço na frontera com a Venezuela.

(20) oantagonista.com, 11.2.18: Jungmann adverte a Venezuela sobre ameaça à Guiana: «O Brasil não admite o uso da força».

(21) http://geopolitica.iiec.unam.mx/sites/default/files/2017-11/Venezuelainvadidaocercada.pdf

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Quelle:
Correos de las Américas, Nr. 190, 25. Februar 2018, S. 6-8
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
E-Mail: zas11@sunrise.ch
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2018

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