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CORREOS/223: Ecuador - «linkes» Rollback


Correos de las Américas - Nr. 190, 25. Februar 2018

Ecuador: «linkes» Rollback

von Dieter Drüssel


Vor bald einem Jahr gewann die linke Partei Alianza País die Präsidentschaftswahlen relativ knapp. Seither hat die Linke die Regierung verloren, die damaligen WahlverliererInnen geben den Takt an. Präsident Lenín Moreno, während vieler Jahre Vizepräsident von Rafael Correa, gab schon wenige Monate nach dem Wahlsieg einen gefährlichen Willen zur Annäherung an die Rechte bekannt. Letzten Sommer kritisierten Correa und Jorge Glas, der wiedergewählte Vizepräsident, dass Moreno als neuen Chef des staatlichen Stromkonzerns einen Mann des Clans um den erzreaktionären - und korrupten Ex-Präsidenten Abdulá Bucaram an die Schaltstelle des ertragreichsten Staatsunternehmens gehievt habe. Bucarams Sohn Dalo, der neue Star des Clans, hatte Moreno Dokumente betreffs der angeblichen Korruption von Vizepräsident Glas, Ziel von rechten Hasstiraden, übergeben.

Moreno enthob Glas, der sich unmittelbar zuvor öffentlich gegen den Rechtskurs der Regierung gewandt hatte, letzten August aller Funktionen; kurz darauf liess ihn die Staatsanwaltschaft in Sicherheitshaft setzen. Gegen Ende letztes Jahr wurde er aufgrund einer Aussage eines Managers des brasilianischen Baukonzerns Odebrecht wegen Korruption zu sechs Jahren Haft verurteilt. Glas spricht von einem Racheakt des übrigens straffrei gebliebenen Odebrecht-Kaders. Denn mit Correa zusammen war er 2008 die treibende Kraft hinter dem Rauswurf Odebrechts wegen Korruption aus Ecuador gewesen. Odebrecht war erst nach der öffentlichen Zahlung einer Millionenbusse 2010 wieder in Ecuador präsent (s. Correos 187).

Seit Amtsantritt hatte sich Moreno schon mehrmals mit alarmistischen Aussagen über die leere Staatskasse hervorgetan, die faktisch selbst vom IWF, den Moreno wieder ins Land holt, abgetan worden sind. So ernannte er ein «Notabeln-Gremium» zur Untersuchung von Correas Verschuldungspolitik. Ein Gruselkabinett, geleitet von Morenos neuem Rechnungsprüfer Pablo Celi, aus dem klassischen neoliberalen Hardcore-Segment. Da wären die ehemalige Generalstaatsanwältin, die unter den rechten Regimes Finanzbetrüge gedeckt hat; die Präsidenten der Handelskammer der Hauptstadt und des Ecuadorianischen Unternehmerkomitees; zwei ehemalige oberste staatliche Finanzkontrolleure, von denen der eine etwa einen Milliardenbetrug im Rentenwesen gedeckt hat; der Mann, der 1983 den entscheidenden Regierungsbericht für die Übernahme der Schulden der privaten Grossunternehmen durch die Notenbank verfasst hat, usw.ii Ironischerweise war es Correa, der es unter Applaus der Antischuldenbewegung geschafft hatte, ein Drittel der übernommenen Staatsschulden auch von den «Gläubigern» als illegitim und damit gestrichen deklarieren zu lassen.

Doch Moreno gibt sich weiter als links. Das erlaubt auch einem Teil von Partei und Fraktion von Alianza País das Überläufertum. Der Wahlrat unter der Leitung eines von Moreno eingesetzten Direktors erklärte die gegen Morenos Kurs opponierende Mehrheit der Partei für ausgeschlossen. Auftakt zum entscheidenden Streich: das Referendum vom 4. Februar. Moreno hatte nämlich angeblich aufgrund breiter Konsultationen sieben Fragen formulieren lassen, über die das Volk abstimmen sollte. Während einige der Punkte ziemlich unbestritten waren - etwa Besitzbeschlagnahmung und lebenslanges Amtsverbot für Korrupte oder Nicht-Verjährbarkeit für sexuelle Angriffe auf Kinder - kam es zum Eclat bei drei Fragen. Dies waren das klar gegen Correa gerichtete Verbot von Wiederwählbarkeit; die Abschaffung einer unter Correa eingeführten Steuer für Immobilien-Grossspekulanten, da diese das Wachstum bremse; und schliesslich bei der Frage zum CPCCS, dem «BürgerInnenrat für Beteiligung und Gesellschaftliche Kontrolle» (des Staatsapparates). Der Rat ernennt etwa das Verfassungsgericht, die Führung der Generalstaatsanwaltschaft, der Ombudsstelle, der sechs staatlichen Regulierungsinstanzen (Banken, Telekom etc.). Bisher wurde er mittels eines Konsultationsverfahrens zusammengesetzt, mit markanter Vertretung von Unterklassen, neu soll er gewählt werden - ausser die Mitglieder des nächsten Rats, die Moreno ernennt....

Es war fast surreal: Sämtliche berüchtigten Potentaten der Rechten (die Ex-Präsidenten, grossen Finanzbetrüger etc.) machten sich mit Begeisterung stark für das Referendum, im Boot der «verfeinerten» Linken Morenos und der Entourage um das Linksschickeria-Idol Alberto Acosta (s. Correos 187). Der morenistische Wahlrat schrieb 40 «Ja»-Organisationen und ganze drei für ein «Nein» ein - wichtig für Senderaum und andere gesetzliche Kampagnenunterstützung - verweigerte dies aber der alten Alianza País um Correa, der zentralen Kraft in der «Nein»-Kampagne. Sämtliche grossen Medien, auch jene der Regierung, die von Moreno ernannten Rechten geleitet werden, boykottierten die «Nein»-Kampagne. Correa zog von Basistreffen zu Basistreffen quer durchs Land und konnte ansonsten einzig in Lokalsendern zu Wort kommen. Rechte Schlägertrupps griffen wiederholt die «Nein»-Mobilisierungen an, in der Stadt Quininde kurz vor dem Referendum dokumentiert bewaffnet und unter Polizeischutz agierend, unter dem Kommando eines von Moreno eingesetzten Bürgermeisters (s. «Ecuador: Lawfare als Referendumsregulativ?» auf dem ZAS-Blog).

Das konstituionell zwingend vorgesehene Plazet des Verfassungsgerichts zu den Referendumsfragen mochte Moreno nicht einhalten, als klar war, dass das Tribunal die Frage 3 zum BürgerInnenrat kaum schlucken würde. Am 4. Februar kam das «Ja» auf 64% der Stimmen, das «Nein» auf 36 % (bei hoher Wahlbeteiligung). Moreno hat nur bedingt gewonnen. Denn die 36 % für das «Nein» liegen nur knapp unter dem Ergebnis von Moreno im ersten Wahlgang im Februar letztes Jahr. Der Grossteil der historischen Alianza País wandte sich offensichtlich von Moreno ab. Morenos aus dem alten AP-Lager stammende «Ja»-Stimmen sind im Vergleich zu jenen der Rechten minim. Moreno hat nach dem Bruch der AP-Fraktion keine eigene Mehrheit im Parlament. Er scheint jetzt weitgehend eine Geisel der Rechten, allerdings mit Exekutivgewalt für neue Ränke.

Glückwünsche zum Referendums-«Ja» kamen aus den USA, Kolumbien, Mexiko, Argentinien und Brasilien und von OAS-Generalsekretär Almagro. Moreno gebärt sich weiter links, sekundiert von widerlichen «dialektischen» Darlegungen von Kleinstparteien wie der KP und der SP, die manche Scholastiker des Mittelalters begeistern würden. Derweil hält das Schiff Kurs: Zwei Tage nach dem Referendum gab Handelsminister Pablo Campana bekannt, seine Regierung peile den Beitritt zur Freihandels-Pazifikallianz an.

Ist Moreno «nur» ein Verräter? Wie konnte dieser Mann so lange im linken Lager agieren? Was ist mit den ÜberläuferInnen aus Fraktion und Regierungsapparat? Welche Fehler wurden da gemacht? Wird sich das von Correa repräsentierte Lager - klar stärkste Einzelkraft im Land - ausweiten oder werden die Leute zermürbt? Werden auch Correa und MitstreiterInnen per US-geleiteter Justiz in den Knast kommen, ganz nach der imperialen nouvelle vague im Kontinent?

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Quelle:
Correos de las Américas, Nr. 190, 25. Februar 2018, S. 20-21
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
E-Mail: zas11@sunrise.ch
 
Correos erscheint viermal jährlich.
Abonnement: 45,-- CHF


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2018

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