Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

DA/406: Bei Kurzarbeit zu kurz gedacht


DA - Direkte Aktion Nr. 192, März/April 2009
anarchosyndikalistische Zeitung der Freien ArbeiterInnen Union (FAU-IAA)

Bei Kurzarbeit zu kurz gedacht
Wie durch Kurzarbeit die Gewinne erhöht und die Beschäftigten eingeschüchtert werden

Von Thersites / Konrad Armer


Eigentum verpflichtet. Dieser Satz aus dem Grundgesetz wird immer mehr ausgehebelt. Sowohl auf moralischer wie auch auf rechtlicher Ebene. Durch Paragraph 615 BGB sind die Firmen verpflichtet, ihre Beschäftigten auch dann zu bezahlen, wenn sie vorübergehend keine Arbeit für sie haben. Dies gilt auch für Zeitarbeitsfirmen, aber gerade dort wird es oftmals anders gehandhabt. Der aktuelle Hebel heißt Kurzarbeit.

Kurzarbeitergeld wird gewährt, wenn in Betrieben oder einzelnen Abteilungen die regelmäßige, betriebsübliche, wöchentliche Arbeitszeit infolge wirtschaftlicher Ursachen oder eines unabwendbaren Ereignisses vorübergehend verkürzt wird. Ob die sogenannte Finanzkrise ein unabwendbares Ereignis ist, und ob alle Unternehmen, die derzeit Kurzarbeit beantragt haben hierzu auch wirtschaftlich gezwungen sind, ist zu bezweifeln. Aber Kurzarbeit und Finanzkrise müssen nur oft genug in einem Atemzug genannt werden und schon ist die Notwendigkeit herbeigeredet. Anfang Oktober 2008 wurde die Finanzkrise erstmals durch ganzseitige Zeitungsartikel und ständiges Wiederholen in den Medien thematisiert und bereits zum Januar 2009 wurde - wegen angeblicher, außergewöhnlicher Verhältnisse - durch den Bundesarbeitsminister die Bezugsfrist für das Kurzarbeitergeld per Rechtsverordnung schnell mal von sechs auf Monate 18 Monate angehoben.

Und sind erst einmal die Tatsachen geschaffen, können dann auch unternehmerische Fehlleistungen und Risiken auf die Kostenseite der Beschäftigten und die Allgemeinheit abgeschoben werden. Zum Beispiel wenn UnternehmerInnen der Meinung sind, die Preise seien derzeit zu hoch und aus diesem wirtschaftlichen Zwang heraus keine Bestellungen aufgeben. Oder wenn beispielsweise modernisiert wird und die Produktion, bedingt durch die Umbaumaßnahmen, zeitweise eingeschränkt werden muss.

"Wir sind auf einen großen Ansturm auf die Kurzarbeit vorbereitet. Wir haben die finanziellen Möglichkeiten und den Willen, sie einzusetzen", betonte Bundesarbeitsminister Scholz. "Wir auch!", wird es darauf in den Vorstandsetagen geschallt haben, als Scholz seinen Ausführungen noch jenen Satz anhängte: "Jetzt entlasten wir die Betriebe in dieser Phase auch noch finanziell, indem der Staat die Hälfte der Beiträge zur Sozialversicherung übernimmt." Welchen Hintergrund hat diese Aussage? Für die Ausfallstunden der Beschäftigten, hätten die Unternehmen die Sozialversicherungsbeiträge eigentlich allein zu tragen, d.h. auch den Anteil der Beschäftigten. Doch den, würden wir nach dem Willen von Scholz und Rüttgers jetzt auch noch an die Unternehmen zurückzahlen - mit unserer Steuer.


Erst absahnen...

Viele Unternehmen flüchten derzeit in die Kurzarbeit. Und bei dieser Flucht aus der Verantwortung wiederholen sie gebetsmühlenartig, dass Kurzarbeit eine Möglichkeit für Unternehmen ist, bei schwieriger Wirtschaftslage Kündigungen zu vermeiden - und dabei die eigenen Schäfchen im Trockenen zu lassen, wäre noch hinzuzufügen. Dem arbeitenden Volk dagegen bietet sich die Gelegenheit, schon mal für die eventuell folgende Erwerbslosigkeit zu üben. So kann die Agentur für Arbeit, Leute die Kurzarbeitergeld beziehen, auffordern, sich an Tagen des Arbeitsausfalls persönlich bei der Agentur für Arbeit zu melden. Wer sich nicht meldet, dem wird das Kurzarbeitergeld für eine Woche gestrichen. Wer sich meldet, dem kann eine Nebentätigkeit zugewiesen werden. Der Verdienst aus dieser Nebentätigkeit mindert dann wieder den Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Wird diese Arbeit nicht angenommen, erfolgt eine Sperrzeit von 3 Monaten - Hartz IV light.

Welchen Nutzen können die Unternehmen nun aus der Kurzarbeit ziehen? Nehmen wir einmal Volkswagen: Hier hieß es in der letzten Februarwoche für rund 61.000 Beschäftigte: "Kurzarbeit". Ok, aber nur eine Woche? So einen Zeitraum sollte ein Unternehmen, das kurz zuvor einen erneuten Verkaufsrekord verkündet hat, doch locker wegstecken können? Und ist nicht die Rede davon, dass es auf den Automobilmärkten in Europa eine Überkapazität von vier bis fünf Millionen Fahrzeugen gäbe? Also da sollte dann doch mit mehr als einer Woche Kurzarbeit gerechnet werden - oder? Vielleicht steckt ja mehr dahinter, wenn VW schon bei einer Woche den Staat um Kurzarbeitergeld anbettelt? Stehen die vielleicht doch nicht so gut da, wie sie immer behaupten oder gibt es andere Gründe für dieses Verhalten? Rechnen wir doch mal:

61.000 Beschäftigte x 5 Tage = 305.000 Beschäftigungstage * 7 Stunden = 2.135.000 Arbeitsstunden. Diese Arbeitsstunden werden zu 60%-67% über die Arbeitsagentur vom Steuerzahlern bezahlt. Kosten für VW: 0,- Ersparnis für VW: geschätzte 60 - 80 Millionen Euro. Einfach mal so nebenbei mitgenommen. Ach ja, die Fließbänder stehen in dieser Zeit ja auch noch und in diesen kalten Wintertagen müssen die Hallen auch nicht geheizt werden. Die daraus resultierende Energieeinsparung bitte auch noch auf der Habenseite verbuchen.

Die Mehrheit der Belegschaften hält die aktuellen Kurzarbeitsmaßnahmen für notwendig, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten und das Unternehmen zu entlasten. So gehen die Berechnungen von Regierung und Unternehmen auf, mit Kurzarbeit Steuereinnahmen zu sichern, firmenspezifisch qualifizierte Arbeitskräfte bei gleichzeitiger Kostenentlastung zu binden, sowie das Sozialsystem nicht endgültig zum Zusammenbruch zu bringen. Die DGB-Gewerkschaften tun ihr Übriges dazu. Unter ihren Fittichen wurden in den letzten Jahren in vielen Betrieben der Metall- und Chemieindustrie Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen abgeschlossen, die dazu führen, dass die Arbeitszeitkonten, die 2007/2008 mit Sonderschichten aufgebaut wurden, nun zur Produktionsreduzierung benutzt werden können.


...dann weichkochen

Wundert es da noch, dass in diesen Branchen plötzlich alle jammern: BMW, BASF, Wacker Chemie, MAN, Opel, Bosch, Continental. Sie alle wollen teilhaben an dem politisch gewollten Manchesterkapitalismus. Hier haben sie die Möglichkeit, die Lohnstückkosten zu senken und gleichzeitig den Lohnabhängigen zu zeigen, wo der Hammer hängt. Dabei hilft die Arbeitsagentur. Sie hat zu überprüfen, ob die Kurzarbeit durch andere Maßnahmen verhindert werden kann (siehe "Kurzarbeit - was euch betrifft").

Dazu gehört auch der Verzicht auf LeiharbeitnehmerInnen. Wer traut sich da noch, Solidarität zu üben, wenn es heißt: "Um die Arbeitsplätze der Stammbelegschaft zu retten, müssen nun die Kolleginnen und Kollegen von den Leiharbeitsfirmen zurückgeschickt werden." Uff, gerade nochmal davon gekommen und entlassen wurde ja eigentlich auch niemand. Das ist der Zeitpunkt, an dem die Stammbelegschaft gebeten wird, ein wenig flexibler zu sein. Die Gewerkschaften und die Betriebsräte reagieren auf solche Forderungen nur noch mit der Aushandlung von abweichenden Arbeitszeiten, Einsatzorten und Lohnbedingungen. Letztere werden in der ausgehandelten Kurzarbeit widerspruchslos hingenommen. Auch das zwangsweise Tilgen von Rest-Urlaubstagen und positiven Arbeitszeitkonten wird nicht hinterfragt. Die Unternehmen bestimmen Freizeitgestaltung und Bio-Rhythmus der ArbeiterInnen und haben damit nahezu kompletten Einfluss auf deren Leben und das derer Familien.

Sind Arbeitszeiten und Arbeitsplätze erst einmal durcheinander gewirbelt und flexibel, fällt auf, dass die Produktivität höher wurde. Soll heißen, es werden nun für die gleiche Menge an Arbeit weniger Leute benötigt. Da kommt es den Firmen gerade recht, dass in den letzten Jahren nur noch Zeitverträge abgeschlossen wurden. Die Stammbelegschaft putzt sich derweil mal den Angstschweiß von der Stirn, schließlich werden ja lediglich die Zeitverträge nicht verlängert - es wurde ja niemandem gekündigt.

Wie lange noch? Bei all diesen Aktionen fällt in vielen Betrieben gar nicht auf, dass die Kurzarbeit ein Mittel war, einen Teil der Stammarbeitsplätze abzubauen und unliebsame Beschäftigte loszuwerden. Diese Stellen werden dann bei Bedarf wieder mit Leiharbeitskräften aufgefüllt. Von den Wenigen, denen es vielleicht doch aufgefallen ist, traut sich allerdings kaum jemand mehr, den Mund aufzumachen.

Dass die Arbeiterschaft in Deutschland den Entwicklungen nichts entgegenzusetzen hat, ist das Ergebnis des sozialpartnerschaftlichen Kuschelkurses zwischen Gewerkschaften und Betriebsräten auf der einen Seite und den Unternehmensleitungen auf der andern. Dass dies Augenwischerei ist, zeigt die BASF. Hat deren Vorstandsvorsitzender Hambrecht doch erst Mitte Februar durchblicken lassen, dass eine Lücke in einer Betriebsvereinbarung genutzt werden soll, um weitere 1.200 Menschen zu entlassen.

Am Beispiel von Spanien kann aufgezeigt werden, wie selbstbewusst Belegschaften zusammenhalten und Unternehmen sowie Regierung zeigen, womit sie nicht einverstanden sind. Streiks und Demonstrationen gegen die Kurzarbeitsmaßnahmen in Spanien, kolorieren viele Stadtbilder. Vielleicht sollten sich die ArbeiterInnen in Deutschland kritisch fragen, ob die Sozialpartnerschaft die richtige Antwort auf die weiter abwärts stürzende wirtschaftliche Entwicklung ist.


*


Kurzarbeitergeld

Wie setzt sich nun der Lohn von Beschäftigten, die kurz arbeiten, zusammen?


Zuerst bekommt ihr euren Stundenlohn ganz normal für die Zeit, die ihr in dem Abrechnungsmonat tatsächlich gearbeitet habt. Wer zum Beispiel nur die Hälfte des Monates voll arbeitet und die zweite Hälfte kurz - sprich gar nicht arbeitet - bekommt die Hälfte des bisherigen Bruttolohns und somit, wegen der Steuerprogression, etwas mehr als die Hälfte des bisherigen Nettolohns vom Arbeitgeber.

Als nächstes wird errechnet, was Ihr im Normalfall, also in einem Monat ohne Kurzarbeit als Nettogrundlohn verdient hättet. Grundlohn heißt, Überstunden und Bonuszahlungen werden nicht berücksichtigt. Jetzt wird von diesem fiktiven Monatsnettolohn das abgezogen, was ihr tatsächlich verdient habt. Also eure 50 % aus den Beispielen oben. Die Differenz(1), die sich daraus ergibt, wäre euer Lohnausfall. Hier kommt nun das Kurzarbeitergeld ins Spiel. Die Agentur für Arbeit gleicht diese Verdienstminderung zu 60 Prozent aus. Das Kurzarbeitergeld beträgt 60 Prozent des ausgefallenen Netto-Arbeitentgelt. Wer mindestens ein Kind auf der Lohnsteuerkarte eingetragen hat, erhält den erhöhten Leistungssatz von 67 Prozent.

In unserem Beispiel beträgt der gesamte, vom Arbeitgeber und der Agentur für Arbeit, ausgezahlte Nettolohn ca. 80 bis 85 Prozent eures bisherigen regulären Nettolohns. Somit ist der tatsächliche reale Nettolohnverlust, bei 50 Prozent weniger arbeiten, relativ gering obwohl er, je nach Verdiensthöhe, auch schmerzlich sein kann.

(1) Diese Differenz wird im Fachjargon als "pauschalierter Nettoentgeltausfall" bezeichnet.


Rechenbeispiel ohne Berücksichtigung der Steuerprogression:

Bisheriger normaler Nettolohn: 1500 Euro

Berechnung des gesamten Nettolohns bei 50% Kurzarbeit:
Halber Nettolohn: 750 Euro
Zusätzlich Kurzarbeitergeld: 450 Euro (bei 60% Kurzarbeitergeld)
Gesamtes Netto: 1200 Euro = 80 % vom normalen Netto
Zusätzlich Kurzarbeitergeld: 502,50 Euro (bei 67% Kurzarbeitergeld)
Gesamtes Netto: 1252,50 Euro = 83,5 % vom normalen Netto


Hinzu kommt noch eine Kröte die ihr schlucken müsst. Der Arbeitgeber muss zwar die anfallenden Sozialabgaben für das Kurzarbeitergeld komplett übernehmen. Sprich Arbeitgeber und Arbeitnehmeranteil für Renten- und Krankenversicherung, aber nicht zu 100 sondern nur zu 80% der tatsächlich anfallenden Kosten. Sprich, eure Rente wird ein wenig geringer ausfallen.


*


Kurzarbeit - was euch betrifft

Kann der Arbeitgeber durch andere Maßnahmen die Kurzarbeit vermeiden bzw. einschränken, muss er dies zuvor tun. Dies kann zum Beispiel bedeuten, dass er versucht, euch in einen Bereich zu versetzen, in dem es noch Arbeit gibt. Hier stellt sich die Frage, ob es zumutbar ist.


Arbeitszeitkonten

Besonders ärgerlich ist der Abbau von Arbeitszeit-Plus-Konten. Dies kann nach Paragraph 170 SGB III nur unter folgenden Voraussetzungen verhindert werden, wenn die angesammelte Zeit

laut einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung ausschließlich zur frühzeitigen Freistellung vor der regulären Altersrente oder zu eurer Qualifizierung dient.
länger als ein Jahr unverändert bestanden hat.
höher ist als zehn Prozent der ohne Mehrarbeit geschuldeten Jahresarbeitszeit (bei einem 8 Stunden Vertrag alles über ca. 170 Stunden)

Dies alles könnte verhindert werden, wenn eine Vereinbarung bestehen würde, die vorsieht, dass vor einer Kurzarbeit alle Konten ausgezahlt werden müssen.


Urlaub

Der Abbau von Urlaub kann verhindert werden, wenn vorrangige Urlaubswünsche der Arbeitnehmer geltend gemacht werden können. Führt also an, was alles schon verplant und gebucht ist.


Betriebsrat

Der hat bei der Einführung von Kurzarbeit volles Mitbestimmungsrecht nach dem Paragraph 87 Absatz 1, Ziffer 3 BetrVG. Tretet euren "VertreterInnen" also auf die Füße, um möglichst günstige Bedingungen für euch auszuhandeln oder setzt sie selber durch.


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die Regelungen zum Kurzarbeitergeld haben sich seit Erscheinen des Artikels wie folgt verändert:
Rückwirkend ab 1. Juli 2009 gilt, daß das Kurzarbeitergeld künftig bis zu 24 Monaten gezahlt wird. Außerdem wird die Bundesagentur für Arbeit den Arbeitgebern die Sozialversicherungsbeiträge bei Kurzarbeit künftig ab dem siebten Monat voll erstatten.

siehe:
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2009/04/2009-04-30-Kurzarbeitergeld-verbessert.html


*


Quelle:
DA - Direkte Aktion Nr. 192, März/April 2009, Seite 1 + 4
anarchosyndikalistische Zeitung der Freien ArbeiterInnen Union
(FAU-IAA)
Herausgeber: Direkte Aktion, c/o FAU München
Schwanthaler Str. 139 Rgb, 80339 München
Schlußredaktion: da-schlussredaktion@fau.org
Internet: http://www.direkteaktion.org

Die "DA" erscheint alle zwei Monate.
Abonnement: E-Mail: da-abo@fau.org
Einzelausgabe: 1,50 Euro
Jahresabo: 9,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2009