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DAS BLÄTTCHEN/1217: Kritik linker Kapitalismuskritik


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
15. Jahrgang | Nummer 17 | 20. August 2012

Kritik linker Kapitalismuskritik

von Ulrich Busch



Radikale Kapitalismuskritik gehört von jeher zu den Essentials linker Politik. Mit der Herausbildung des Finanzkapitalismus verschiebt sich jedoch ihr Fokus. Stand früher der Fabrikbesitzer als Prototyp des industriellen Kapitals im Zentrum der Kritik, so rücken nunmehr Banker, Börsenjobber und Spekulanten in den Fokus. Die Kritik ist jetzt auf das Geldkapital fokussiert. Die "internationale Hochfinanz" avancierte für die Linke zum Feindbild Nummer Eins. Dies spiegelte sich, wenn auch überlagert von Antisemitismus und Rassenideologie, bereits in den Klassenkämpfen der neunzehnhundertzwanziger und neunzehnhundertdreißiger Jahre wider und gewinnt heute, unter den Bedingungen des neoliberal inspirierten Finanzmarktkapitalismus, medienwirksam an Relevanz. Aktuell steht dafür die Occupy-Bewegung an der Wall Street und an anderen Finanzplätzen. Ihr lautstarker Protest richtet sich gegen die Dominanz der Finanzindustrie in Wirtschaft und Gesellschaft. Was besonders auffällt, sind der Unmut und die Wut gegenüber den Banken. Dabei stützen sich die Protestler weniger auf ökonomische Analysen und die Evidenz wirtschaftlicher Fakten; ihr Appell richtet sich vielmehr an die Gefühle der Menschen für Fairness und Gerechtigkeit. Sie sind dabei ehrlich engagiert, in ihrer sachlichen Argumentation jedoch mitunter wenig qualifiziert. Ihre Kritik ist vor allem ein Gefühl des Unbehagens, ein "Bauchgefühl". Nicht selten nehmen die Proteste ressentimentgeladene Züge an.

Die Gründe dafür sind vor allem im Fehlen einer konsistenten kritischen Theorie sowie in überzeugenden Alternativen zum Finanzkapitalismus zu suchen. So wird neben dem Marxismus auf Versatzstücke anderer Theorien zurückgegriffen und es werden Denker wie Proudhon, Bakunin, Lenin, Gesell, Weber, Keynes, Gramsci, Ahrendt, Bourdieu, Gandhi, Sen und so weiter bemüht, was aber fehlt, ist eine übergreifende zeitgemäße Idee. Dadurch wird die Kritik theoretisch diffus und gerät da, wo sie konstruktiv sein will, oftmals zur romantischen Utopie. Man weiß ungefähr, was man nicht will, nämlich den real existierenden Finanzkapitalismus, hat aber keine hinreichend konkreten Vorstellungen über die Alternativen. Also entlehnt man diese vermeintlich idyllischen Zuständen früherer Zeiten, dem 19. Jahrhunderts oder dem fordistischen Wohlfahrtskapitalismus der neunzehnhundertfünfziger und neunzehnhundertsechziger Jahre. Andererseits bleibt die Kritik in wichtigen Punkten nebulös, fragmentarisch, gestützt auf einzelne Ideen, nicht aber auf ein ganzheitliches Konzept. Selbst dem Sozialismus/Kommunismus, der vor 150 Jahren konzipiert wurde, haftet heute etwas Überholtes, Illusionäres, Utopisches an. - Die Zeit ist darüber hinweggegangen.

Die analytische Schwäche der Linken zeigt sich unter anderem darin, dass sie dazu neigt, jede Finanz- und Wirtschaftskrise als "Systemkrise" zu deuten oder gar als "finale Krise" des Kapitalismus auszurufen. Dies ist auch gegenwärtig wieder der Fall. So konstatierten Michael Müller und Wolfgang Thierse 2009 für die Grundwertekommission der SPD "den Zusammenbruch des Finanzkapitalismus" - definitiv und weltweit. "Wir erleben einen Epochenbruch. Die Zeit des Finanzkapitalismus ist vorbei...". Bemerkenswert ist, dass trotz der Auslegung der Krise als "Zeitenwende" diese ursächlich als "Folge politischer Weichenstellungen", nicht aber als Ausdruck einer sozioökonomischen Prozesslogik, interpretiert wird. Als ökonomischer Beitrag zur Krisenentstehung wird lediglich die "gigantische Geldblase" angeführt, welche durch die Banken aufgepumpt wurde. Worin sehen Müller und Thierse die Lösungsperspektive? Sie nennen hierfür drei Megatrends: Stärkung der produktiven Wirtschaft, ökologische Modernisierung und Durchsetzung sozialer Demokratie. Als Ziel wird eine Ordnung beschworen, "die vom Grundsatz der Solidarität aller für alle ausgeht", eine weltweite Solidargemeinschaft, funktionierend auf der Grundlage der Ideen von Immanuel Kant. - Gegen diese Zielvorstellung ist absolut nichts einzuwenden, nur, wie gelangt man dahin? Heute, vier Jahre nach Ausbruch der Krise, sind wir genauso weit davon entfernt wie vor der Krise. Die Kritik blieb ohne Konsequenzen!

Auch die Partei DIE LINKE sieht den Finanzmarktkapitalismus "an seine Grenzen gelangt" (Parteiprogramm 2012). Und auch sie erblickt "die Wurzeln" der gegenwärtigen Krise in der Politik, im Neoliberalismus. Als gäbe es keine tieferen Ursachen für das Scheitern einer Wirtschaftsordnung als Ideologie und Politik! Den Ansatzpunkt für eine Lösung verortet DIE LINKE in der Umsetzung "linker Reformprojekte". Im Mittelpunkt steht dabei die "Verstaatlichung der Banken". Die Banken sollen einen "öffentlichen Auftrag" erfüllen; alle anderen Aktivitäten gehören "abgewickelt", "ausgetrocknet", "abgestellt" oder "gesetzlich verboten". Im Klartext heißt das, der Finanzsektor soll dem marktwirtschaftlich-kapitalistischen Einfluss entzogen und zum "öffentlichen Sektor" gemacht werden.

Dies wirft mindestens zwei Fragen auf. Erstens: Ist die Zeit dafür wirklich reif? Deuten Verlauf und Ergebnisse der jüngsten Krise nicht eher auf die Etablierung eines erneuerten, nunmehr regulierten Finanzkapitalismus hin als auf eine postkapitalistische Transformation? Und zweitens: Ist die Verstaatlichung der Banken wirklich die "Schlüsselfrage" für den sozial-ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, wie DIE LINKE ihn anstrebt?

Vieles spricht dafür, dass wir es perspektivisch mit einer wachsenden Instabilität der Wirtschaft, mit zunehmenden Dysfunktionalitäten und Krisenphänomenen zu tun haben werden, worauf mit alternativen Ideen reagiert werden sollte. Dies lässt sich aber im Rahmen eines reformierten Finanzkapitalismus bewerkstelligen. Wenig realistisch erscheint dagegen die Umsetzung eines alternativen Modells, eines "demokratischen Sozialismus", zumal konkrete Schritte dazu bislang kaum ausformuliert sind.

Nun zu den Banken: Wie die Daten zeigen, sind die Kreditbanken eher als Verlierer der finanzmarktkapitalistischen Transformation anzusehen, denn als Gewinner. In ihren Bilanzen bündeln sich gegenwärtig bestimmte Probleme privater und staatlicher Misswirtschaft, diese haben dort aber nicht ihre Ursachen. Den Fokus der Kritik vor allem auf den Bankensektor zu richten, wie es Sigmar Gabriel in seinem jüngsten Banken-Bashing als Auftakt zur Bundestagswahl 2013 tut, will schon deshalb nicht einleuchten. Ferner gilt es zu bedenken, dass es nicht zuletzt die Landesbanken waren, also staatliche Banken, die in der Krise versagt haben. Die "Verstaatlichung" des Bankensektors, wie im Programm der LINKEN gefordert, erscheint daher ideologisch motiviert, nicht aber ökonomisch begründet. Auch eine "Neuordnung des Bankwesens", die darauf abzielt, den Finanzsektor "auf seine ökonomische Dienstfunktion" zurückzustutzen, wie sie die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftpolitik (Memorandum 2012) fordert, erscheint problematisch. So berechtigt es ist, Größe und Einfluss einiger Banken, zum Beispiel der Deutschen Bank, infrage zu stellen, so fragwürdig ist es, den Finanzsektor insgesamt einer "massiven Schrumpfung" zu unterziehen und die Banken "auf ihre Kernfunktionen Zahlungsverkehr, Einlagengeschäft und Kreditfinanzierung" beschränken zu wollen, wie der finanzpolitische Sprecher der LINKEN, Axel Troost, dies fordert. Die Banken würden, auf das Niveau von Kreissparkassen "zurückgestutzt", den Anforderungen multinational organisierter und global agierender Unternehmen kaum mehr gerecht werden und dem globalen Wettbewerb nicht standhalten können. Dies gilt auch für die Vorschläge von Rudolf Hickel und Sahra Wagenknecht, die Banken zu zerschlagen und den Finanzsektor einer Schrumpfkur zu unterziehen. Dadurch würden nämlich nicht nur "Zockerinstrumente" beseitigt, wogegen kaum jemand etwas hätte, sondern auch die sekundäre Geldschöpfung, welche nach Joseph Schumpeter die "eigentliche Funktion" der Banken darstellt und eine unerlässliche Bedingung für die wirtschaftliche Entwicklung ist. Verknüpft man diese Forderungen mit der Vorstellung "regionaler Wirtschaftskreisläufe" als zukünftiger Basis volkswirtschaftlicher Reproduktion, so wären nicht nur die parasitären Auswüchse des Finanzmarktkapitalismus liquidiert, sondern die Grundlagen kreditinduzierter Dynamik und wirtschaftlicher Entwicklung gleich mit. Es ist hier nicht der Platz, dies umfassend zu argumentieren, es sei aber darauf hingewiesen, dass die relative Verselbständigung der der Geldzirkulation und -akkumulation in modernen Volkswirtschaften eine notwendige Voraussetzung für ökonomische Prosperität und Entwicklung ist und dass die Rolle der Banken, Finanzmärkte et cetera im heutigen Wirtschaftsleben durchaus als produktiv anzusehen ist.

Für den "gesunden Menschenverstand", der sich gern an überlebten Mustern früherer Zeiten orientiert, scheint es ausgemacht, dass die Produktion und der Verbrauch materieller Güter das zentrale Anliegen der Wirtschaft sind, während Geld und Finanzen hier lediglich eine "dienende Rolle" zu spielen haben. Daraus wird dann die Forderung nach einer strikten Bindung der Geld- und Finanzkreisläufe an reale Wirtschaftsvorgänge und deren quantitativer Begrenzung durch diese abgeleitet. Derartige Auffassungen aber, wonach der finanzielle Kreislauf "bloßer Reflex von Vorgängen in der Güterwelt" sei, hat schon Schumpeter 1911 als "falsch" bezeichnet und als "populären Irrtum" abgetan. Sie gehören einer vormodernen Welt an und sind deshalb kein Gegenstand ernsthafter Auseinandersetzung. Gleichwohl lässt sich nicht bestreiten, dass es in der Vergangenheit im Finanzsystem zu dramatischen Fehlentwicklungen gekommen ist, welche durch geeignete Reformen, eine wirksamere Kontrolle und einen Umbau der Finanzarchitektur überwunden werden müssen. Dabei ist jedoch von den Erfordernissen einer modernen Wirtschaft auszugehen und nicht von illusionären Vorstellungen und überholten Strukturen. Statt die Abschaffung, Zerschlagung, Stilllegung und so weiter von Finanzinstitutionen und -märkten zu fordern, sollte deren demokratische Ausgestaltung und Regulierung angestrebt werden. Die gegenwärtige Krise bietet dafür die denkbar besten Chancen.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 17/2012 vom 20. August 2012, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2012