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DAS BLÄTTCHEN/1337: Neues aus der theoretischen Ökonomie


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
16. Jahrgang | Nummer 22 | 28. Oktober 2013

Neues aus der theoretischen Ökonomie

von Werner Richter



Gestandene Ökonomen wie Heiner Flassbeck, Paul Krugman, Joseph Stieglitz bedauern inzwischen einen gravierenden taktischen Fehler der letzten Jahren: in der Theoriediskussion ließen sie sich, immer die Seriosität ihrer Kontrahenten als selbstverständlich voraussetzend, auf Detailfragen der üppig sprießenden, mathematisch gestützten neuen Wirtschaftsmodelle mit sehr variablen Beweisführungen, je nach Wunsch anwendbar, ein, obwohl die prinzipielle Messung an grundlegenden Erkenntnissen der Wirtschaftswissenschaft notwendig gewesen wäre. So erleben wir heute die Situation, dass in Politik, Medien und im öffentlichen Bewusstsein die Wissenschaft Hohn sprechende Theorien dominieren und die Leitlinien der Politik bestimmen. Sie haben eine wirkliche Analyse der ökonomischen Realitäten begraben und lassen das subjektive Ziel als einzigen Maßstab der Theorie gelten. Nebenbei bemerkt kann man auch auf anderen Gebieten, zum Beispiel in der Außenpolitik, das gleiche, in den USA schon seit Jahrzehnten gängige Prinzip wahrnehmen.

Diese Theorien werden gewöhnlich unter den Begriffen "Neoliberalismus", "Neokonservatismus", "Austeritätspolitik" oder "Neomonetarismus" zusammengefasst, ganz Radikale nennen sie einfach "Pseudo-Ökonomie". Natürlich haben die Verteidiger der klassischen wissenschaftlichen Ökonomie den Kampf gegen die Dominanz der "Neos" nie aufgegeben, aber dank der Multiplikatoren der neuen Wirtschaftsreligionen und ihrer Lobbyverbände bleibt eine angemessene öffentliche Wirkung der ökonomisch Andersdenkenden aus. Denen verbleibt die Publikation ihrer Kritik in Büchern oder auf eigenen Websites mit leider begrenzter Wirkung und die Diskussion in relativ kleinen Zirkeln ohne Massenwirksamkeit. Die Zersplitterung der einzelnen ökonomischen Grundrichtungen lähmt zusätzlich. Die Auseinandersetzungen werden noch zu oft von alten Links-Rechts-Schemata bestimmt, "marxistische", "Marxsche", "human marktwirtschaftliche" oder "klassisch bürgerliche" Ökonomen misstrauen sich wie eh und je. Es ist noch immer die im Leben erfahrene politische Orientierung der Agierenden das Hemmnis. Die Ökonomie nicht nur als politische Kategorie in der Diskussion zu halten ist ein schwieriger Prozess. Dazu bedarf es immer wieder neuer Initiativen, allen Enttäuschungen zum Trotz.

Ein Versuch, die unterschiedlichen Gegner der "Pseudo-Ökonomie" ins Gespräch zu bringen, wurde vor kurzem gestartet. Eine Website (www.wirtschaftstheorie-forum.de) wurde eingerichtet, um grundlegende Fragen der Wirtschaftstheorie von Fachleuten und Interessierten zu diskutieren. Drei Bücher, die mit historisch systematischer Sicht die Ökonomie des 21. Jahrhunderts, wenn auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln, analysieren, wurden ausgewählt, die Basis der Website zu bilden. Es handelt sich um
- Heinrich Harbach: Wirtschaft ohne Markt, Dietz Verlag, Berlin 2011.
- Heiner Flassbeck: Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts, Westend Verlag, Frankfurt a. M. 2010.
- Heerke Hummel: Die Gesellschaft im Irrgarten, Nora Verlagsgemeinschaft, Berlin 2009.

Heinrich Harbach greift zurück auf Marx, um die Werttheorie in ihrer Aktualität zu interpretieren, dabei die bisherigen Marxinterpretationen wie auch nachmarxsche Theorien auf Stimmigkeit prüfend. Heiner Flassbeck bringt die Sicht des am Praktischen orientierten Weltökonomen ein, er misst die aktuellen Wirtschaftsstrategien an den empirischen Erkenntnissen der klassischen Theorie.

Heerke Hummel hinterfragt den Inhalt verwässernden Gebrauch grundlegender Kategorien der Wirtschaftswissenschaft und die darauf beruhenden allgemeinen Phrasen auf ihren Realitätsgehalt für die aktuelle Epoche.

Die Bücher sind auf der Website zusammengefasst dargestellt. Sie bieten die Möglichkeit, die grundsätzliche Frage: "Marktwirtschaft für immer und ewig oder allmähliche Transformation der Wirtschaft und der ganzen Gesellschaft zu einer nichtwarenproduzierenden Gesellschaft?" zu stellen und Grundzusammenhänge und Kategorien sowie deren Daseinsweise in der modernen Wirtschaft zu betrachten. Damit verbindet sich die Hoffnung, einen Beitrag zur Vervollkommnung einer wissenschaftlich begründeten Wirtschaftstheorie unter modernen Aspekten zu leisten und nicht zuletzt den Autoren die Chance der Reflexion zu schaffen. Diese Auseinandersetzung soll in ihrer Komplexität offensiv in der Öffentlichkeit getragen werden.

Für die Wirtschaftswissenschaft wird es zunehmend wichtiger, die Frage "Quo vadis, Gesellschaft?" auch im Eigeninteresse zu stellen. Die Antwort kann nicht entweder theoretisch oder praktisch-politisch gefunden werden, weshalb die ausgewählten Bücher eine treffliche Diskussionsbasis abzugeben versprechen. Trotz unterschiedlicher Auffassungen im Detail verblüfft doch die faktische Deckungsgleichheit in den geschlussfolgerten notwendigen Maßnahmen zur vorerst notwendigen Stabilisierung der Marktwirtschaft im gesellschaftlichen Interesse. Dabei wird aber auch über eine gesellschaftliche Alternative für die Zukunft nachgedacht. Die Diskussion soll auch dazu beitragen, bewusst geschaffene Konfusionen über grundlegende Kategorien zu beseitigen. Es ist wichtig, der Wissenschaft wieder ihren Platz in der Ökonomie zu geben.

Für weitere Informationen siehe:
www.wirtschaftstheorie-forum.de

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 22/2013 vom 28. Oktober 2013, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2013