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DAS BLÄTTCHEN/1393: Strategie einer Weltmacht


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
17. Jahrgang | Nummer 11 | 26. Mai 2014

Strategie einer Weltmacht

von Fritz E. Gericke



Es ist dem polnisch-amerikanischen Politikwissenschaftler Zbignjew Brezezinski, dem Berater für Außen- und Sicherheitspolitik von fünf amerikanischen Präsidenten, zu verdanken, dass wir einen - zwar noch immer begrenzten - Einblick in die weltpolitische Strategie der USA nehmen können. In seinem Buch "Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft" schreibt er: "Seit den Anfängen der Kontinente übergreifenden politischen Beziehungen vor etwa fünfhundert Jahren ist Eurasien stets das Machtzentrum der Welt gewesen." Der eurasische Doppelkontinent umfasst in seiner Definition West- und Mitteleuropa mit dem gesamten Gebiet östlich und südöstlich von Deutschland und Polen weiter über Russland und China bis zum Pazifischen Ozean und schließt den Nahen und Mittleren Osten sowie den größten Teil des indischen Subkontinents mit ein. Für Brzezinski ist die Herrschaft über Zentralasien der Schlüssel zur Herrschaft über diesen Doppelkontinent. Ganz gleich wer die Herrschaft über den Superkontinent ausüben würde, China oder Russland, er würde Amerikas Weltmachtanspruch bedrohen. Die USA könnten diese Gefahr dadurch abzuwenden, dass sie "schwächere" Staaten wie die Ukraine, Aserbaidschan, Iran und Kasachstan umgarnten und manipulierten, um so möglichen russischen und chinesischen Vorstößen auf die Erdölvorkommen und andere Bodenschätze Zentralasiens entgegen zu wirken.

"Viel wichtiger aber" so schreibt er weiter, "ist der eurasische Balkan, weil er sich zu einem ökonomischen Filetstück entwickeln könnte, konzentrieren sich in dieser Region doch ungeheure Erdgas- und Erdölvorkommen, von wichtigen Mineralien einschließlich Gold ganz zu schweigen." Tatsächlich sieht es so aus, als hätte sich die amerikanische Außenpolitik an diesen Überlegungen ausgerichtet, indem sie anstrebte, die gesamte Südflanke Russlands zu balkanisieren, das heißt in viele kleinere Staaten zu zersplittern, die auf Hilfe von außen für die Lösung ihrer wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Probleme angewiesen sind. Die Förderung supernationalistischer Kräfte, passt durchaus in dieses Konzept. Die wohl nie ernsthaft in Erwägung gezogene Aufnahme Georgiens in die NATO ließ sich dabei als Drohszenario trefflich nutzen. Die schon zu Zeiten der Sowjetunion unterschwellig zu beobachtende Ablehnung russischer Vorherrschaft führte bei der Loslösung Georgiens zu offenen antirussischen Ausschreitungen, so dass Russland zur Sicherung seiner Grenze und russischer Bürger in Georgien gezwungen war einzugreifen. Dieser militärische Angriff Russlands auf eine ehemalige autonome Sowjetrepublik, die nach dem Zerfall der UdSSR ein souveräner Staat geworden war, war gefundenes Fressen für antirussische Propaganda.

Brzezinsikis Denken findet sich auch im amerikanischen Vorgehen in Afghanistan wieder. Dass die UdSSR durch eine prosowjetische Führung Einfluss in Afghanistan gewinne könnte, lief den amerikanischen Interessen zuwider, also suchte Amerika Verbündete, die helfen sollten, die Sowjetunion aus Afghanistan zu vertreiben. Sie fand diese bei radikal islamistischen Kräften. Es war die erklärte Absicht Brzezinskis "den Sowjets ihr Vietnam zu bereiten". Mit Hilfe der Taliban, die von Amerika massiv unterstützt wurden, wurde die prosowjetische Regierung gestürzt. Die Folge war ein Ansehensverlust der Sowjetmacht im In- und Ausland, der wesentlich zum Auseinanderbrechen der UdSSR beigetragen haben dürfte.

Diese Strategie zeigt sich auch in Tschetschenien. Auch hier sah sich die russische Führung veranlasst, um nicht als zahnloser Tiger zu gelten, russische Bürger mit militärischen Mitteln und unter Verletzung des Völkerrechts vor radikalen und terroristischen Islamisten zu schützen. Der Aufschrei des Westens war unüberhörbar und das, obwohl die USA das Recht auf Intervention unter Verletzung des Völkerrechts für sich selbst längst in Anspruch genommen hatten, selbst wenn keine amerikanischen Staatsbürger betroffen waren.

Amerika sieht sich als Weltmacht. Gegenspieler wie Russland oder China sollen gar nicht erst auf das Spielfeld gelassen werden. Für diese Denkweise steht symbolisch der Ausspruch Obamas, dass Russland allenfalls eine Regionalmacht sei. Dabei hat er vergessen, dass jeder, der Raketen und Atomwaffen besitzt, in der Lage ist, aus Verzweiflung oder Größenwahn den jeweils anderen auszulöschen und sich selbst gleich mit.

Die amerikanische Strategie der Destabilisierung der Südflanke Russlands hat auch zu einer Destabilisierung der Westflanke geführt. Lettland, Litauen, Estland, Polen, Tschechien stehen unter dem von den Medien verstärkten Eindruck, von Russland bedroht zu sein, oder geben vor, sich bedroht zu fühlen, um so für sich verstärkt militärische und wirtschaftliche Hilfe zu erhalten. Die Verunsicherung reicht bis in die einzelnen Länder, so fühlen sich die polnische Regierung und ein Teil der polnischen Bevölkerung von den Russen, ein anderer Teil der polnischen Bevölkerung aus geschichtlicher Erfahrung von den nationalistischen Kräften in der Ukraine bedroht. Diese Konstellation schwächt Europa und verhindert gemeinsames Handeln.

Der amerikanische Politikwissenschaftler John J. Mearsheimer hat unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges vor den Folgen der neuen Konstellation in Europa gewarnt. Russland hatte den schützenden Gürtel des Ostblocks verloren. Die Nato stand an den Grenzen Russlands. Mit dem Sturz Viktor Janukowitschs fiel die letzte Bastion. Die West-Ukraine strebte in die NATO. Die Demütigungen und Ermordungen russlandfreundlicher Politiker lassen Präsident Putin innenpolitisch kaum noch Spielraum. Er verkündete, dass er aus "Verantwortung für die in der Ukraine lebenden Russen" bereit sei, zu ihrem Schutz militärisch einzugreifen. Dass ein solches Vorgehen Völkerrecht verletzen würde, nimmt er in Kauf, denn der Westen hat unter Führung der USA Völkerrechtsverletzungen längst praktiziert. Zwar ist ein sich über Jahre hinziehender Krieg um die Krim nicht zu erwarten, aber es kann dennoch zu nicht mehr kontrollierbaren emotionalen Reaktionen aus der Bevölkerung heraus kommen.

Die geplanten und vollzogenen "Strafmaßnahmen" gegen Russland schaden der EU wohl mehr als Russland. So hilfsbereit wie das Angebot der Amerikaner und Kanadier daherkommt, uns mit Erdgas zu beliefern, damit wir von Russland unabhängig werden, macht es doch unsere Energieversorgung keineswegs sicherer, es schafft nur neue Abhängigkeiten und liefert Putin einen möglichen Vorwand, sich Gesprächen mit dem Westen zu verweigern. Nicht nur Mearsheimer ist der Ansicht, dass Deutschland und Amerika derzeit mit ihren Drohungen nur unnötig viel Porzellan zerschlagen, da weder Amerika noch die europäischen Verbündeten nur die geringste Bereitschaft zeigen, militärisch gegen Russland vorzugehen. Waffenlieferungen und Militärhilfe an die Ukraine laufen den eigenen und den Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen der Region zu wider. Das gilt für den Einsatz von Panzern gegen russische Separatisten durch die Kiewer Regierung wie für den Einsatz möglicherweise angemieteter Söldner von so genannten amerikanischen Sicherheitsfirmen.

Europa muss seine eigenen Interessen wahrnehmen und darf sich nicht in den Sog des Kampfes zwischen den USA und Russland um die Vormachtstellung auf dem eurasischen Doppelkontinent hineinziehen lassen. Wir sind Verbündete der USA, aber wir sind nicht deren Vasallen. Wir müssen Amerika nicht vor den Kopf stoßen und dürfen nicht in einen blinden Antiamerikanismus verfallen. Wir sollten nicht nur, sondern wir müssen die Chance nutzen zur Brücke zwischen den Kontrahenten zu werden.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 11/2014 vom 26. Mai 2014, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 17. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†), Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2014