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DAS BLÄTTCHEN/1407: Eduard Schewardnadse, letzter Außenminister der Sowjetunion


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
17. Jahrgang | Nummer 15 | 21. Juli 2014

Planlos in stürmischen Zeiten:
Eduard Schewardnadse, letzter Außenminister der Sowjetunion

von Stefan Bollinger



Eduard Schewardnadse (1928-2014) ist tot, in Deutschland und im Westen als Wegbereiter der deutschen Einheit gewürdigt. Dafür sind die Reaktionen in Russland und auch Georgien eher verhalten.

Seine Politik hat vielleicht mehr mit der heutigen Weltlage und der Konfrontation des Westens mit Russland zu tun, als auf den ersten Blick zu erwarten wäre. Der sowjetische Außenminister leistete für den Osten die Kärrnerarbeit in den Verhandlungen der Siegermächte und der beiden deutschen Staaten. Er hat wesentlich an Weichenstellungen mitgewirkt, die zur deutscher Einheit, dem Ende des Kalten Krieges, nicht zuletzt zur Auflösung der Sowjetunion führten. Diese Weichen konnte er allerdings nicht mehr aus einer Position der Stärke einer Supermacht oder auch nur gleichberechtigt stellen. Vielmehr musste er die Wünsche, für viele Russen das Diktat des Westens hinnehmen. Den Deutschen brachten diese Prozesse die Einheit, wobei dies keine auf Augenhöhe war, sondern der Anschluss der DDR an die überlegene Bundesrepublik. Nicht die friedliche Revolution, die versuchte Erneuerung der DDR, nicht gegenseitiges Lernen prägten diesen Prozess, sondern nur das begierige Aufgreifen der bundesdeutschen Strukturen, der D-Mark. Vom sowjetischen Außenminister gab es dabei keine Hilfe.

Schewardnadse und sein Chef Michail Gorbatschow wollten dennoch diesem Prozess, wenn sie ihn schon nicht mehr verhindern konnten, ihren Stempel aufdrücken. Das gelang ihnen jedoch nicht - auch nicht dem Außenminister, der zwar von der Freiheit der Wahl gerne sprach, aber nur absegnen konnte, was sich in Osteuropa vollzog und was die westlichen Partner, einschließlich der BRD, zuließen. Die Idee von einer deutschen Neutralität war schnell vom Tisch. Das vereinte Deutschland sollte in die NATO. Die vereinbarte Nichtausdehnung des westlichen Militärbündnisses in Richtung Osten erwies sich als letztlich unverbindlich. Ökonomisch zahlten sich die Zugeständnisse für Moskau wenig aus, brachten gerade mal einige Nothilfen und die Finanzierung des Truppenrückzuges, den Zugang zu westlichen Krediten.

Nüchtern kann heute konstatiert werden, dass der Streit um die Westorientierung der Ukraine, aber auch Georgiens, des Heimatlandes von Schewardnadse, hier ihre Vorgeschichte haben. Denn der Kalte Krieg des Westens gegen Russland ging eben nicht 1989 zu Ende, sondern Russland galt und gilt im wesentlichen weiter als Bedrohung. Erst recht, wenn in Moskau auf eigene Interessen gepocht wird. Und die Russen nehmen ihren einstigen Politikern um Gorbatschow die Preisgabe der Großmachtstellung und der Verbündeten bis heute übel. Wladimir Putin findet deshalb mit seinem Versuch, das Gewicht Russlands wieder zur Geltung zu bringen bislang breite Unterstützung.

Bei einer so negativen Bewertung der Politik Schewardnadse steht die Frage, warum er sich darauf einließ. War er nicht ein sowjetischer Kommunist, Parteichef in der Georgischen Sowjetrepublik, Politbüromitglied einer gesamtsowjetischen kommunistischen Partei? Wollten er und Gorbatschow die Sowjetunion und den Sozialismus von Anfang an zerstören? Wohl kaum. Eduard Schewardnadse war ein intelligenter, ehrgeiziger, durchsetzungsfähiger Mensch. Er stammte aus einer Intellektuellenfamilie, erlebte die Kriegszeit im Hinterland, aber in seiner Familie auch die stalinistischen Repressionen. Trotzdem widmete er sein Leben schon früh der Politik, arbeitete als Funktionär der kommunistischen Jugendorganisation, des Komsomols, als Staatsfunktionär. Parallel dazu studierte er Geschichte. Er stieg bis zum 1. Sekretär des Komsomols in seiner Heimatsowjetrepublik auf, bevor er in eine typische Parteikarriere startete und 1961 seine erste höhere Parteifunktion als Rayonsekretär erhielt.

Trotzdem, er war kein gläubiger Apparatschik, sondern er wusste, was im Land geschah und woran der sowjetische Sozialismus krankte. Er mochte sich nicht als Zyniker mit den Missständen abfinden, vielmehr wollte er den Sozialismus besser machen. Seit 1965 als Innenminister der Georgischen Sowjetrepublik wusste er noch genauer um die Schwachstellen, um Schwarzmarkt und Korruption. Er griff hart durch, sicher nicht rechtsstaatlich einwandfrei, aber erfolgreich. Er machte auch vor Parteimitgliedern, Funktionären, Sicherheitsleuten nicht halt. Nicht nur die vormodernen sozialen Strukturen Georgiens sorgten dabei dafür, dass die Zahl seiner Feinde wuchs. Dennoch, durch diese Arbeit empfahl er sich als Parteichef der Unionsrepublik ab 1972.

Die dreizehn Jahre an der Spitze der Republik sahen einen weltoffeneren, reformbereiteren Kommunisten als bisher. Georgien war in der Sowjetunion erfolgreich. Darum mochten ihn manche seiner Genossen im Moskauer Politbüro, dem er seit 1978 als Kandidat angehörte, beneidet haben. Seine Positionen wie sein Handeln waren zugleich eine Empfehlung für jene Reformer um Michail Gorbatschow, den er aus Komsomol-Zeiten kannte, oder Alexander Jakowlew, die 1985 endlich die Möglichkeit bekamen, das in Stagnation erstarrte Land aufzubrechen.

Schewardnadse wurde von Gorbatschow nach Moskau geholt und erhielt einen Posten, für den er keine Erfahrung mitbrachte, das Außenamt. Gleichzeitig stieg er zum Vollmitglied des Politbüros auf. Zufall, Kalkül? Wie auch immer - ein neuer Wind auch in der Außenpolitik war so gesichert.

Wie alle anderen Reformer wusste er, was der Sowjetunion und dem Ostblock nottat. Eine grundlegende Wirtschaftsreform, wahrscheinlich auch politische Lockerungen, vielleicht Demokratisierung. Wie das gehen sollte, war ihm wie seinen Kollegen sicher nicht klar - und sollte es bis zum Ende der Sowjetunion auch nicht werden. Aber innerer Wandel brauchte veränderte äußere Bedingungen. Die seit Beginn der 1980er Jahre nach Afghanistan-Invasion und polnischem Kriegsrecht mit Ronald Reagan verbundene Neuauflage des Kalten Krieges mit teilweise brenzligen Situationen musste entschärft werden. Das US-Konzept, Moskau tot zu rüsten, war aus Sicht der neuen Männer an der sowjetischen Spitze aufgegangen. Hochrüstung und Erneuerung, Perestroika, waren nicht gleichzeitig möglich; genauso wenig ein größerer Spielraum für die Verbündeten. Abrüstung war zwingend. Das hieß aber einzugestehen, dass der Systemwettstreit für Moskau mit einer Niederlage geendet hatte und dass die weltpolitischen Karten neu zu verteilen waren. Die Weltordnung von Jalta und der Realsozialismus waren zu den Akten zu legen, die Alternative wäre ein Dritter Weltkrieg. Das war Schewardnadse und den Reformern klar. Sie waren zu weitgehenden Zugeständnissen bereit, militärisch wie politisch. Die Sowjetunion und die Verbündeten, die DDR eingeschlossen, würden dafür den Preis zahlen müssen. Schnell wurde überdies klar, dass grundlegende Wandlungen im Inneren nicht zuletzt die Aufgabe des - wie unvollkommen auch immer - sozialistischen Weges zur Folgen haben würden. Dies friedlich, zivilisiert, bei relativer Gesichtswahrung gemanagte zu haben, das ist das bleibende Verdienst auch Eduard Schewardnadses.

Der Erfolg all dieser Zugeständnisse und Rückzüge blieb jedoch aus. Die innenpolitische Krise des Sowjetlandes verschärfte sich, zentrifugale Kräfte eines entfesselten Nationalismus gingen mit dem wirtschaftlichen Niedergang und Auflösungserscheinungen von Partei, Armee und Sicherheitsapparat einher. Die Freigabe der Verbündeten im Warschauer Vertrag funktionierte. Heraus kam aber auch bei denen kein Modellwechsel hin zu einem demokratischen Sozialismus, sondern ein Systemwechsel zum Kapitalismus.

Schewardnadse zog seine Konsequenzen und warf im Dezember 1990 Gorbatschow den Bettel vor die Füße. Die außenpolitische Neuorientierung einschließlich der deutschen Frage war vollzogen beziehungsweise gelöst. Er sah in Gortbatschows Politik keinen Reformeifer mehr, kritisierte das brutale Vorgehen der Zentrale gegen nationale Bewegungen, brandmarkte autoritäre wie zaudernde Züge bei Gorbatschow. Einige Monate später gab er nach 43 Jahren KPdSU-Zugehörigkeit sein Parteibuch zurück. Für vier Wochen wurde er Ende 1991 in der Schlussphase der bereits beerdigten Sowjetunion von Gorbatschow nochmals als Außenminister verpflichtet. Das war aber nur noch Episode.

Seine politische Laufbahn führte ihn dann in sein nun selbständig gewordenes Heimatland zurück. Dort ist er aber auch nicht in guter Erinnerung geblieben. Schewardnadse kehrte zu seinen georgischen Wurzeln zurück, wollte eine Politik mit eher sozialdemokratischem Zuschnitt. Letztlich kam er im Gefolge eines Putsches gegen das erste Staatsoberhaupt der frisch unabhängigen Republik, Swiad Gamsachurdia, an die Macht. Der hatte ein Willkürregime errichtet, suchte die Konfrontation mit Russland, verlor den ursprünglichen Rückhalt im Volke. Trotzdem brauchte Schewardnadse drei Jahre, um sich 1995 frei wählen zu lassen, was ihm fünf Jahre später nochmals gelang. Aber das Land blieb durch ethnische und Clan-Konflikte zerrissen.

Der Zerfall der Sowjetunion beschleunigte den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang auch Georgiens. Die alten Feinde des einstigen Innenministers der Sowjetzeit kehrten zurück - Korruption, mafiöse Strukturen, Unordnung. Schewardnadse selbst war nun offenbar auch darin verwickelt. Seine autoritär betriebene Politik blieb glücklos. Er war für enge Bindungen an den Westen, aber nicht als ausschließliche Option. Der Versuch, sich stärker an Russland anzulehnen, wurde von den neuen Freunden im Westen ebenso wenig goutiert wie von der sowieso unzufriedenen Bevölkerung. Die "Rosenrevolution" von 2003, Prototyp jener schwer verortbaren, mit neuen Medien agierenden und finanziell vor allem von den USA gut ausgestatteten und beratenen "Farbrevolutionen", zwang ihn zum Rücktritt.

Ruhe ist in Georgien nicht eingekehrt, zwischenzeitlich gab es einen Waffengang mit Russland. Die Vorteile der nun wieder offen betriebenen Westbindung lassen auf sich warten. Schewardnadse hat sich in seinen letzten Jahren an diesen Auseinandersetzungen nicht mehr beteiligt.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 15/2014 vom 21. Juli 2014, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 17. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†), Heinz Jakubowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2014