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DAS BLÄTTCHEN/1695: Kino zwischen Theaterbühnen


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
20. Jahrgang | Nummer 11 | 22. Mai 2017

Kino zwischen Theaterbühnen

von Frank Burkhard


Traditionell wird das Neiße-Filmfestival (NFF) im Zittauer Gerhart-Hauptmann-Theater eröffnet. In der Stadt gibt es weitere Spielstätten, neben dem Kronenkino beispielsweise das Café Jolesch, wo in diesem Jahr der bekannte tschechische Autor Jaroslav Rudis in bravourösem Deutsch seine Texte las. Er hat den Kult-Comic "Alois Nebel" über die historische Situation in den Sudeten 1945 geschrieben, dessen Verfilmung von 2011 in einer Nebenreihe des Festivals lief.

In der zweiten Mai-Woche ging das NFF bereits zum 14. Mal über Bühne und Leinwand, endlich auch mit deutlich größerer Aufmerksamkeit und durch sächsische Landesförderung auch mit höherem Budget. Das Kernstück, der Spielfilmwettbewerb, war nun wieder an den Ursprung, ins Kunstbauerkino von Großhennersdorf zurückgekehrt. Zu den 23 Spielstätten des NFF gehörten auch solche in der polnischen und tschechischen Nachbarregion im Dreiländereck.

In Anwesenheit der Regisseurin Tereza Nvotová sah der Wettbewerb im Kunstbauerkino einen Film, der der Hauptpreisträger werden sollte: die tschechisch-slowakische Koproduktion "Dreck (Spina)", der die tragische, am Schluss verhalten optimistische Geschichte einer Siebzehnjährigen erzählt, die von ihrem Mathelehrer vergewaltigt wird. In diesem Jahr gab es mehrere Filme, die Probleme von Heranwachsenden in den Mittelpunkt stellten. So leidet die Heldin des moldawischen Films "Anishoara" unter der eigenen, wie unter der Sprachlosigkeit ihrer dörflichen Umgebung. Die feinen Beobachtungen trugen jedoch keine 90 Minuten.

Der tschechisch-slowakische Streifen "Das fünfte Schiff (Pátá Lod)" erzählte quälend, wenn auch mit poetischen Ansätzen, von der zehnjährigen Jarka, die sich von Mutter und Großmutter unverstanden fühlt und schließlich ein kleines Zwillingspaar in einer Laube versteckt. Regisseurin Iveta Grófová berichtete auf dem Filmforum, dass sie ihre Hauptdarstellerin unter 1.000 Mädchen ausgewählt habe, damit sie ganz der Jarka entsprach. Da irritierte es doch, dass die Jury der kleinen Vanessa Szamuhelová den Darstellerpreis verlieh - hatte sie doch, wenn auch mit viel Talent, sich selbst gespielt.

Neben sozial bestimmten Schicksalen legte das NFF aber auch einen Fokus auf die Flüchtlingsproblematik. Im nicht allzu weit entfernten Bautzen gab es das "Spree-Hotel" (wie auch der Film heißt). Seit wenigen Jahren ist es eine Unterkunft für Asylsuchende. Regisseurin Vivien Hartmann spielt nur am Anfang einige hasserfüllte Meinungen der braven Bautzener ein, die Angst vor messerbewaffneten Horden haben. Vor die Kamera wollte keiner von ihnen. Damit konzentriert sich der Film auf die Schicksale der Asylanten, die nicht nur von Sozialarbeitern sondern auch vom ehemaligen Hotelier Peter Rausch Unterstützung mit Institutionen wie auch bei persönlichen Auseinandersetzungen erhalten.

Die NDR-Reportage "Deportation Class", als Wettbewerbsfilm eingereicht und dann doch außer Konkurrenz gezeigt, hat sich eindrucksvoll dem Thema "Abschiebung" gewidmet. Der Schweriner Innenminister Caffier hat sich vor einem Jahr als besonders strenger Abschieber profiliert und hatte immerhin den Mut, vor der Kamera zu seinen Entscheidungen zu stehen. Das NDR-Team begleitet ihn und seine Polizei, die höflich aber unbarmherzig in der Nacht bei albanischen Familien erscheint, sie aus den Betten holt und zum Rostocker Flughafen bringt. Albanien wird schließlich als sicheres Herkunftsland eingeschätzt. Erschreckend, wie die Betroffenen nicht recht wissen, wie ihnen geschieht, denn die Polizei hat nicht einmal einen Dolmetscher dabei. Die Filmemacher verhalten sich zwar neutral, lassen aber in Gesprächen mit ehemaligen Mitschülern der Albaner durchblicken, dass eine Einzelfallprüfung gegebenenfalls Leben retten kann. Eine Familie immerhin steht unter der Drohung der Blutrache. Das Team besucht sie in Albanien, und sie werden durch das Land von Versteck zu Versteck fliehen müssen, um dem Tod zu entgehen.

Den Dokumentarfilmpreis errang "Normální autistický Film" des Tschechen Miroslav Janek, der auf menschlich bewegende Weise Jugendliche mit dem Asperger-Syndrom porträtierte. Auf heimatlichem Boden konnte der Regisseur den Preis zur Abschlussveranstaltung im Varnsdorfer Stadttheater entgegennehmen. Damit war das NFF eine Filmschau zwischen zwei Theaterbühnen - keine schlechte Nachbarschaft!

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 11/2017 vom 22. Mai 2017, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 20. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2017

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