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DAS BLÄTTCHEN/1798: Wirkungsschießen


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
21. Jahrgang | Nummer 11 | 21. Mai 2018

Wirkungsschießen

von Erhard Crome


Im Militärjargon gibt es den Terminus "Wirkungsschießen". Das meint: nach Stärke und Dauer auf die Gegebenheiten und die Eigenart des Zieles abgestimmtes gezieltes Feuer. So stellt sich die Trump-Administration offenbar das Wechselspiel von Erpressung und Druck auf der einen sowie unverhofften Angeboten und Zusagen auf der anderen Seite vor, um zu einem "Deal" zu kommen.

Gerade haben die US-Truppen zusammen mit den Streitkräften Südkoreas wieder großangelegte Militärmanöver veranstaltet, bei denen auch Angriffsoperationen geübt wurden. Nordkorea hat das als Provokation und Vertrauensbruch bewertet und ein Treffen Kim Jong-uns mit dem südkoreanischen Präsidenten kurzfristig abgesagt. Das mit Donald Trump natürlich nicht. So kann Trump das Treffen und allfällige Vereinbarungen mit Kim als Erfolg seines Wirkungsschießens, seines Drucks verkaufen, seinen Wählern und international. Während in der Sache klar ist, dass es nur Vereinbarungen zwischen beiden Seiten geben kann, die auf Gegenseitigkeit beruhen.

Mittlerweile hat die US-Regierung den Atomvertrag mit dem Iran gekündigt. Das ist völkerrechtlich nicht so einfach, weil es ein internationaler Vertrag ist: Zwischen China, Russland, Großbritannien, Frankreich, den USA - also den fünf Ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates - sowie Deutschland auf der einen und dem Iran auf der anderen Seite. Alle, bis auf Israel und Trump, waren davon ausgegangen, dass dies die bestmögliche vertragliche Regelung ist, um den Bau von Atomwaffen durch den Iran zu verhindern. Großbritannien, Frankreich und Deutschland haben sich verständigt, den Vertrag erhalten zu wollen. Da stimmen sie mit China und Russland überein. Das hat zwei Voraussetzungen: dass der Iran sich an die Bestimmungen zur Urananreicherung, besser deren Unterlassung hält, und dass die anderen Vertragspartner dafür sorgen, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Iran fortzusetzen und auszubauen.

Nun hatte Finanzminister Steven Mnuchin unmittelbar nach Trumps Aufkündigung erklärt, die USA wollten keinen Krieg gegen den Iran führen, sondern den Iran zwingen, in Neuverhandlungen einzutreten, in die auch das iranische Raketenprogramm und die regionale Sicherheit, sprich der Rückzug iranischer Truppen aus Syrien sowie die Beeinflussung der schiitischen Bevölkerung in Jemen, Irak und anderen Ländern einbezogen werden sollten - also Themen, die mit dem Atomproblem nichts zu tun haben. Auch wieder Wirkungsschießen.

Oliver Meier von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) meinte kurz vor diesem Schritt der USA: "Die Auswirkungen [...] hängen davon ab, wie sich dieser vollzieht. Sollten die USA sich einfach still und leise aus der Vereinbarung verabschieden, könnten die anderen Parteien, also China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, die EU, Russland sowie Iran das Abkommen möglicherweise retten. Sollten die USA aber alle Register ziehen, wären die Folgen weitreichend. So kann Washington extraterritoriale Sanktionen verhängen, um auch andere Länder zu zwingen, der US-Politik zu folgen. [...] Das würde Europa und die anderen Beteiligten in eine schwierige Lage bringen und dürfte den transatlantischen Beziehungen nachhaltigen Schaden zufügen." (Frankfurter Rundschau online, 28.04.2018.)

Nun ist es eine völlige Verkennung der Trumpschen Politik, er könnte irgendetwas still und leise machen. Dass mit seiner Wahl vieles anders wird, war klar. Dass es besser wird, von Anfang an nicht ausgemacht. Sein Verzicht auf die Regime-Change-Kriege seiner Vorgänger heißt ja nicht keine Kriege, sondern gegebenenfalls andere, wie die Militärschläge gegen Syrien zeigen. "America First" bedeutet in erster Linie, dass die USA politische Entscheidungen treffen, ohne Verbündete oder Länder, die sich dafür halten, vorher zu fragen. Die sollen sich anschließend diesen Entscheidungen unterwerfen. Ganz in diesem Sinne verkündete Der Spiegel im Leitartikel vom 12. Mai "das vorläufige Ende des transatlantischen Bündnisses". EU-Präsident Donald Tusk sagte auf dem EU-Gipfeltreffen in Sofia: "Wer Freunde wie die USA hat, braucht keine Feinde."

Das ist die Stimmung. Aber wie ist die Lage? Die EU will sich zu Gegenmaßnahmen aufraffen. Es wird eine alte Verordnung reaktiviert, die es europäischen Firmen untersagen soll, Sanktionsbefehlen aus Washington Folge zu leisten. Etwaige wirtschaftliche Verluste sollen den Firmen erstattet werden. Das ist aber eher Pfeifen im Walde. Allein die Exporte deutscher Firmen machten 2017 111,3 Milliarden Euro aus, bei einem Außenhandelsüberschuss von über 50 Milliarden Euro. Die Exporte in den Iran machten knapp drei Milliarden Euro aus. Die großen Firmen werden sich das lukrative USA-Geschäft nicht wegen des Irans entgehen lassen. Zumal die EU derartige Summen in keinem Falle erstatten könnte. Etliche Großunternehmen haben bereits angekündigt, sich aus dem Iran-Geschäft zurückzuziehen. Problematisch sind auch die iranischen Öl- und Erdgasexporte. Diese Geschäfte werden weltweit normalerweise in US-Dollar gehandelt. Für die US-Regierung gelten bereits Dollar-Geschäfte Dritter mit Dritten als Verstoß gegen die Embargo-Bestimmungen und werden in den USA sanktioniert.

Im Moment scheint Trump am längeren Hebel zu sitzen. Allerdings hängt die Rolle des US-Dollars als Weltwährung vor allem davon ab, dass der Ölhandel in Dollar erfolgt. Die EU hat in Sofia erklärt, man könnte die Ölgeschäfte mit dem Iran auch in Euro über europäische Banken abwickeln. Eine Ölbörse in Shanghai, in der in chinesischen Yuan gehandelt wird und die auch Ausländern offen steht, gibt es bereits seit März 2018. Für die Ölgeschäfte zwischen Russland und China ist der Handel in eigener Währung bereits vereinbart. Russland will das wegen der westlichen Sanktionen auf weitere Länder ausdehnen. Die durch die Trump-Entscheidung verursachten Gegenmaßnahmen werden längerfristig die Rolle des Dollar unterminieren.

Überhaupt schwebt über dem Ganzen weiter die Drohung von Strafzöllen gegen die EU und damit des Handelskrieges. Insofern ist hier zweierlei zu bedenken. Einerseits haben die USA offenbar vor dem Hintergrund des Sturzes des Schahs von Persien und der Besetzung ihres Botschaftsgebäudes in Teheran noch nach Jahrzehnten ein paranoides Verhältnis zum Iran. Andererseits ist die Frage, ob die unter Verweis auf den Iran wie auf die Russland-Sanktionen bereits verhängten und nun drohenden Maßnahmen, die europäische Firmen betreffen, nicht etwa Kollateralschäden der gegen Russland und Iran gerichteten Politik, sondern der eigentliche Zweck sind. Schließlich können auch die Trump-USA den bisherigen "Verbündeten" nicht einfach von heute auf morgen den Krieg, hier den Handelskrieg erklären. Das braucht einen Vorwand. Iran bietet ihn.

Auch hier zeichnet sich ein engeres Zusammenrücken Deutschlands und der EU mit China und Russland ab. Angela Merkel spricht unmittelbar nach dem EU-Gipfel in Sotschi mit Wladimir Putin. Am Ende sägt Trump an dem Ast, auf dem die USA weltpolitisch sitzen.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 11/2018 vom 21. Mai 2018, Online-Ausgabe
E-Mail: redaktion@das-blaettchen.de
Internet: https://das-blaettchen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2018

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