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EXPRESS/667: Protest- und Solidaritätskampagne für thailändischen Menschenrechtsaktivisten notwendig


express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
Nr. 7/2011

Majestätsbeleidigung
Vor und nach den Wahlen: Protest- und Solidaritätskampagne für thailändischen Menschenrechtsaktivisten notwendig

Von Kirsten Huckenbeck


Die Forderung nach Abschaffung des Strafrechts-Artikels 112 (Majestätsbeleidigung) wird in Thailand selbst als Majestätsbeleidigung ausgelegt und zunehmend dazu genutzt, politische Kritik zu unterdrücken. Das musste nun auch Somyot Pruksakasemsuk, Menschenrechtsaktivist und langjähriger Ansprechpartner für Organisationen wie die Clean Clothes Campaign oder das TIE-Bildungswerk, die sich in Asien für ArbeiterInnen- und Menschenrechte einsetzen, erfahren. Seit dem 30. April in Bangkok inhaftiert, wurde die Anklage gegen ihn am 25. Juli, nach Auslaufen der Untersuchungshaft, formal erneuert. Ein nicht-öffentlicher Anhörungstermin ist nun für den 12. September angesetzt. Auch der express hatte Kontakt zu dem von Somyot gegründeten Workers' Centre CLIST - wir bitten um Unterstützung und Protestschreiben:


Majestätsbeleidigung wird in Thailand mit bis zu 15 Jahren Haft geahndet. Immer wieder ist der Strafrechtsartikel 112, insbesondere in den letzten Jahren unter der Regierung des Ministerpräsidenten Abhisit Vejjajiva und im Vorfeld der jüngsten Wahlen, zum Einsatz gekommen und, u.a. von der Clean Clothes Campaign, als Instrument kritisiert worden, mit dem politische Widersacher und MenschenrechtsaktivistInnen mundtot gemacht werden sollten. Abhisit und seine Democrat Party, wichtigste Ansprechpartner u.a. für die FDP und deutsche Investoren, gelten als Vertreter des 'alten' Establishments, das sich aus Militär, Wirtschaft, städtischen und monarchistisch eingestellten Eliten speist. Deren militanter Arm tritt als »Gelbhemden« in Erscheinung, zu denen allerdings auch Kritiker von Freihandelsabkommen aus der People's Alliance for Democracy gehören, die sich im Namen einer thailändischen Souveränität und Identität gegen den Ausverkauf thailändischen Eigentums an ausländische Investoren wenden.

Bereits 2010 war Somyot verhaftet und drei Wochen festgehalten worden. Anlass war eine Pressekonferenz, auf der er gemeinsam mit anderen den Rücktritt von Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva verlangt hatte, nachdem dessen Regierung den Protest der »Rothemden«, die üblicherweise als Anhänger des ehemaligen Ministerpräsidenten und Kontrahenten Abhisits, Thaksin Shinawatra, gelten, im Frühjahr 2010 blutig niedergeschlagen hatte. Nach massiven internationalen Protesten kam Somyot wieder frei.

Der neuerliche Anlass für seine Festnahme war diesmal der Start einer Kampagne, in der das »Netzwerk für Demokratie«, dem Somyot angehört, zur Sammlung von 10.000 Unterschriften für die Entfernung des Majestätsbeleidigungsartikels aus dem thailändischen Strafrecht aufgerufen hatte. Allerdings scheint der Haftbefehl bereits vom Februar 2011 zu datieren und auf die Veröffentlichung zweier Artikel, beide namentlich erschienen unter der Autorenangabe Jitra Polchan, in der von Somyot herausgegebenen und mittlerweile eingestellten Zeitschrift »Voices of Taksin« im Februar und März 2010 zurückzugehen. Somyot weist die Beschuldigung der Majestätsbeleidigung zurück und bestreitet, von einem Haftbefehl gegen ihn erfahren, geschweige denn versucht zu haben, sich seiner Verhaftung durch Flucht ins Ausland zu entziehen, wie die Behörden behaupten. Sein Anliegen sei die Durchsetzung grundlegender Bürgerrechte auf Meinungs- und Pressefreiheit, die trotz des Majestätsbeleidigungsartikels gewährleistet werden müssten.

Damit allerdings sitzen er und sein »Netzwerk für Demokratie« zwischen den Stühlen der Rot- und der Gelbhemden. Denn auch nach den Wahlen, die die Schwester des ehemaligen Ministerpräsidenten Thaksin, Yingluck Shinawatra, und ihre Puea-Thai-Partei u.a. mit dem Versprechen einer Anhebung des Mindestlohns um 40 Prozent und Wahlgeschenken wie der Vergabe von einer Million Tablet-PCs für Kinder gewonnen hat, dürfte sich an den repressiven Rahmenbedingungen für Arbeits- und MenschenrechtsaktivistInnen nichts ändern.

»Voices of Taksin« möge, so Somyot in einem Offenen Brief vom 25. Mai 2010, an den Namen des ehemaligen Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra erinnern, doch sei der Titel aus taktischen Gründen gewählt worden, da Thaksin unter den Rothemden, insbesondere unter den ärmeren Teilen der Bevölkerung, eine hohe Reputation genieße. In der Tat war es dem Einkommensmilliardär in seiner Amtszeit ab 2001 bis zum Militärputsch 2006 gelungen, nicht nur eine neoliberale Freihandels- und Privatisierungspolitik mit einem Diskurs der nationalen Souveränität und thailändischem Nationalismus zu verbinden, sondern nebenbei auch noch bäuerliche Interessen zu bedienen, indem er großzügige Investitionsprogramme für ländliche Regionen auflegte, bei denen die Dörfer selbst entscheiden konnten, wie sie ihr Geld investieren wollen, und sich so die Loyalität der ländlichen Bevölkerung im Norden Thailands zu sichern. Mit seinem strikten Privatisierungskurs allerdings hat er vor allem die Beschäftigten der ehemals staatlichen Konzerne gegen sich aufgebracht, die in dem Polizeistaat wiederum kaum über die Möglichkeit unabhängiger Interessenartikulation verfügen, ohne Gefahr zu laufen, schikaniert und inhaftiert zu werden.

»National Sovereignty« als Verbindung von kulturkritischen Ressentiments gegenüber westlichen, konsumistischen Lebensstilen einerseits und einer rigiden Kapitalisierung der Ökonomie andererseits eint als Leitidee sowohl die Repräsentanten der Gelb-, als auch der Rothemden. Prämien für die Teilnahme an Demonstrationen, für den Gang zur Urne oder einfach so, als Geschenk an potentielle WählerInnen und KandidatInnen, sind in beiden parlamentarischen Lagern ohnehin üblich, der Rückgriff auf polizeistaatliche Methoden und Militär ebenfalls. Demokratische Prinzipien und Gesellschaftskritik bleiben dabei notwendig auf der Strecke. In den Nischen dieser gespaltenen und zugleich nationalistisch zusammengehaltenen Gesellschaft ist das Engagement Somyot Pruksakasemsuks zu verorten.

Somyot ist Gründer des Workers Center Center for Labour and International Solidarity Thailand (CLIST) und war lange Jahre im Board von TIE-Asien. Er war zunächst Projektkoordinator bei der International Chemical, Engineering and Mining Union Federation (ICEM). Später widmete er seine Zeit stärker seinen journalistischen und Menschenrechtsaktivitäten. Gemeinsam mit der Kampagne für einen Asiatischen Grundlohn (Asia Floor Wage Campaign), den Asia Pacific Worker Solidarity Links, dem Asia Monitor Resource Centre (AMRC) und verschiedenen Gewerkschaften in Asien rufen wir zur Freilassung von Somyot Pruksakasemsuk auf.

Ein Musterschreiben an die thailändische Botschaft in Berlin, in dem die Umstände der Verhaftung kritisiert und die unverzügliche Freilassung von Somyot Pruksakasemsuk gefordert werden, ist über die Redaktion des express zu beziehen.


Eigene Schreiben bitte an folgende Adresse:
Mr. Charivat Santaputra, Ambassador
The Royal Thai Embassy
Lepsiusstraße 64/66, 12163 Berlin
Fax: (030) 79 48 15 11
Email: general@thaiembassy.de


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express 7/2011 - Inhaltsverzeichnis der Printausgabe

Gewerkschaften Inland

- Stephan Krull: "Zeit, was zu drehen?", Konferenz mit Kontroversen und Initiativen zur Arbeitszeitverkürzung
- "Mantel verteidigt Reallohn verloren", zur Tarifauseinandersetzung in der Druckindustrie und bei den Zeitungsverlagen
- WSI-Mitteilungen: "Länger alt arm", jeder zweite geht mit Abschlägen in Rente
- "Leben in der Lücke", IG BAU warnt vor Schönfärberei beim Rentenalter
- "Büchse auf...", "Kölner Erwerbslose in Aktion" zum Whistleblower-Urteil
- Christoph Lieber: "Marx zurückdenken", gegen die Apartheit im Denken
- Thomas Gehrig: "Owens gemeinschaftliche Produktion", zur kommunistisches Rückeroberung der Commons-Debatte, Teil V

Betriebsspiegel

- Marcus Singer: "Kapitalismus im Kiez", Probleme einer BR-Gründung im Festsaal Kreuzberg
- Ralf Willinger: "Deutschland dienen", zur Bundeswehrwerbung an Schulen
- Marianne Demmer: "Erziehungsgrundsatz: Gewaltfreiheit" über Schulen als Rekrutierungsfeld

Internationales

- "Keine Dienerinnen mehr...", ILO verabschiedet Arbeitsnorm für Hausangestellte
- Karin Zennig: "Gestohlene Revolution?", Bewegung von unten gegen die Restauration des Regimes in Ägypten
- "Fluchtwege öffnen, Flüchtlinge aufnehmen!", Appell: "Voices from Choucha"
- "Recht auf Widerstand?", Kontroversen über ein Streikrecht in China
- Kirsten Huckenbeck: "Majestätsbeleidigung": Protest- und Solidaritätskampagne für thailändischen Menschenrechtsaktivisten

Rezension

- Edgar Weick: "Mehr als eine Marginalie", zu Christoph Jünke "Linkssozialismus in Deutschland"
- Moritz Herbst: "Kleine(re) Fische", Schiffbau in Krisenzeiten
- Gaston Kirsche: "Konfliktmineralien im Kongo", Abgründe der Handy-Produktion
- Marcus Schwarzbach: "Aktiv werden gegen Stress", Handbuch "Gesundheit & Beteiligung" zeigt Ansatzpunkte und Wege


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Quelle:
express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
Nr. 7/2011, 49. Jahrgang, Seite 15
Herausgeber: AFP e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2011