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GEGENWIND/485: Einwanderung - Für ein großzügiges Bleiberecht!


Gegenwind Nr. 277 - Oktober 2011
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

EINWANDERUNG
Für ein großzügiges Bleiberecht!

von Reinhard Pohl


In der Bundesrepublik Deutschland leben rund 90.000 Personen, in Schleswig-Holstein rund 1000 Personen mit einer Duldung. Ihr Aufenthalt ist nicht erlaubt, die Abschiebung lediglich "ausgesetzt". Sie leben hier ohne Perspektive, weil sie nie wissen, wie lange sie noch bleiben dürfen. Seit 1987 gibt es eine Kette von Altfallregelungen, Bleiberechtsregelungen und Härtefallregelungen - keine konnte eine Lösung schaffen, es gab nur Lösungen im Einzelfall.


Im August diskutierte der Landtag das Problem auf der Grundlage eines grünen Antrags, der von SPD und SSW unterstützt wurde. Gefordert wurde ein großzügige Anwendung vorhandener Regelungen im Lande, außerdem eine Initiative im Bundesrat zur Schaffung einer Regelung für alle Betroffenen. Dabei geht es vor allem darum, dass bisherige Bleiberechtsregelungen einen Stichtag hatten - nur eine bestimmte Personengruppe geriet überhaupt in den Blick. Außerdem gab es immer Ausschlusskriterien, die Betroffenen sollten Deutsch können, Arbeit haben, sich straffrei verhalten haben. Seit Kurzem gibt es eine Regelung im Ausländergesetz, in die Betroffene "hineinwachsen" können. Jugendliche erhalten ein Bleiberecht, wenn sie mindestens 15 Jahre alt, seit sechs Jahren hier und gut in der Schule sind. Eltern und Geschwister dürfen dann ebenfalls hier bleiben, allerdings nur, bis die oder der Betroffene 18 Jahre alt ist.

Die Linke legte einen Änderungsantrag vor, der deutlich bessere Bedingungen forderte. Danach dürfen weder Sprachkenntnisse noch ein Arbeitsplatz zur Bedingung gemacht werden, weil beides in der Duldungszeit nur sehr schwer zu bekommen ist. Dagegen legten CDU und FDP einen Änderungsantrag vor, der diese beiden "Integrationsleistungen" zur Voraussetzung des Bleiberechts machen möchte, aber Deutschkurse und die Arbeitserlaubnis auch für Geduldete öffnet. Sie können sich dann "bewähren" und anschließend einen Aufenthalt bekommen.


Landtag hat richtige Richtung

Allen gemeinsam ist, dass sie eine Verbesserung des jetzigen Zustands anstreben. Dass die CDU und die FDP etwas härtere Bedingungen stellen wollen, die Grünen mit SPD und SSW großzügiger sind und die Linke die Finger in die Wunde legt, dass nämlich bisher Geduldeten die Integration systematisch erschwert wird, kann nicht überraschen. Insgesamt wollen aber alle Fraktionen im Landtag eine substantielle Verbesserung, also eine gesetzliche Regelung, die alle Geduldeten in den Blick nimmt, auf Dauer gilt und die Zahl der Einzelfall-Entscheidungen der Härtefallkommission(en) möglichst reduziert.


Weißer Fleck: Falsche Identität

Das größte Problem der Bleiberechts-"Lösungen" der vergangenen 25 Jahre sparen aber alle Fraktionen aus. Sie beziehen sich zwar auf den "Fall Tigran" (siehe Gegenwind 276, Seite 13). Dort lag das Problem nicht in einem überlangen Asylverfahren, wie die CDU-Stellungnahme mutmaßte. Der Asylantrag war zügig und endgültig abgelehnt worden.

Das Problem lag darin, dass die Familie keine Papiere hatte und im Asylantrag falsche Personalien angegeben hatte. Das geschieht nicht eben selten, teils um übertriebene oder falsche Verfolgung glaubwürdiger zu machen, teils um zu Hause gebliebene Familienangehörige vor Verfolgung zu schützen, teils um eine spätere Abschiebung zu verhindern. Im Falle Tigran hatte sich die Familie gut eingelebt, Sohn Tigran war bei seinen vielen Freunden ausgesprochen beliebt. In dieser Phase ihres Lebens gelang der Ausländerbehörde die Ermittlung ihrer echten Personalien, damit konnte Ersatzpapiere besorgt werden.

Genau an diesem Punkt sind alle bisherigen Bleiberechts-Regelungen gescheitert. Denn alle legten bestimmte Kriterien fest, sei es ein Stichtag mit einer Mindest-Aufenthaltszeit, teils waren Sprachkenntnisse oder Arbeitsplätze nachzuweisen - aber alle sagten, dass der lange Aufenthalt, die Unmöglichkeit der Abschiebung nicht selbst verschuldet sein durfte. Genau das bedeutete aber in der Praxis Zehntausende von Einzelfallprüfungen statt einer Lösung für alle, genau das bedeutete auch Zehntausende von Ablehnungen auf Verdacht. Denn oftmals hat die Ausländerbehörde "nur" den Verdacht, dass die angegebenen Personalien falsch sind, ohne es belegen zu können. Umgekehrt kommen viele Flüchtlinge ohne Papiere, können also auch ihre Angaben nicht belegen.


Mut zu Großzügigkeit

In allen anderen Ländern Europas gehen Bleiberechtsregelungen mit einer Amnestie einher: In Belgien und Frankreich, in Spanien, Italien und vielen anderen Ländern gab es entsprechende Gesetze, dass alle "Illegalen" sich in einer bestimmten Frist melden, ihre Personalien angeben konnten und unabhängig von der Vorgeschichte und den Angaben im Asylverfahren ein Bleiberecht erhielten. Nur so wird aus einer Bleiberechts-Regelung eine Lösung.

Erst wenn die Parteien über ihren Schatten springen und beschließen, dass auch durch Falschangaben verursachter langer Aufenthalt und lange Duldung zu einer Integration führt, dass auch Menschen mit falschem Namen echte Freunde und Nachbarn geworden sind, wird aus einer Bleiberecht-Regelung eine wirkliche Lösung für Kettenduldungen.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 277 - Oktober 2011, S. 24
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2011