Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GEGENWIND/524: Eindrücke einer Bildungsreise nach Lissabon und Umgebung


Gegenwind Nr. 291 - Dezember 2012
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

In Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise
Eindrücke einer Bildungsreise nach Lissabon und Umgebung

Von Klaus Peters



Die Krisenentwicklung der letzten Jahre hat Portugal nicht nur als attraktives touristisches Ziel, sondern als ein Land in wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Blickpunkt gerückt. Politisch Interessierte erinnern sich an die Nelkenrevolution vom 25. April 1974, wissen auch, dass aufgrund grundsätzlich unterschiedlicher wirtschaftlicher Rahmenbedingungen viele Portugiesen nach Deutschland gekommen sind, um hier zu arbeiten, dass danach einige deutsche Industrieunternehmen Portugal als für sie wirtschaftlich attraktiven Standort entdeckt haben. Weitgehend bekannt sein dürfte ebenfalls, dass der gegenwärtige Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, Portugiese ist und dass grundlegende EU-Regelungen zuletzt durch den Lissabon-Vertrag vom 13. Dezember 2007 festgelegt worden sind.


Portugal ist das nach Griechenland am stärksten durch die Finanz- und Wirtschaftskrise betroffene Land, der Krise, die auch zur Euro-Krise geworden. Wie allzu oft, haben Politik und Wissenschaft die Folgen politischer Entscheidungen nicht oder nicht rechtzeitig erkannt. Das allgemeine Ziel, die EU zu dem oder einem der stärksten Wirtschaftsräume der Welt zu machen, hat viele Menschen geblendet. Die Nebenwirkungen dieser politischen Zielsetzung sind verdrängt worden. Grundsätzlich ist es nun einmal so, dass in einer Gemeinschaft die Schwächeren durch die Stärkeren geschützt und gefördert werden müssen, wenn es eine echte Gemeinschaft sein soll. Ansätze gab es durchaus, etwa die Verlagerung von Teilen der Industrieproduktion aus Mitteleuropa - allerdings geschah dies nur deshalb, weil Fördergelder und Steuererleichterungen lockten und die Wirtschaftsunternehmen mit den niedrigeren Löhnen in diesen Staaten ihre Erzeugnisse profitabler produzieren konnten. Inzwischen gibt es weltweit zahlreiche neue Billiglohnländer. Ein wesentlicher weiterer schwerwiegender Faktor für die Situation in den besonders von der Krise betroffenen Ländern ist die Tatsache, dass die Löhne in Deutschland in den letzten Jahren real sogar gefallen sind.

Bei der Bekämpfung der Schwierigkeiten der besonders betroffenen Länder setzt man, d.h. vor allem die deutsche Regierung und die EU-Kommission, auf Sparpakete, auf Privatisierungen und Steuererhöhungen. Allerdings sind die Rüstungshaushalte und die Reichen von diesen Maßnahmen ausgenommen. Programme zur Belebung des Wachstums sind kaum über die Diskussionsebene hinausgekommen.


Die Situation vor Ort

Wie stellt sich die Situation vor Ort für politisch interessierte Besucher dar? Dies sollte durch eine fünftägige Bildungsreise im Oktober durch Besichtigungen, insbesondere durch Gespräche mit Politikern, einem Vertreter der portugiesisch-deutschen Handelskammer, Vertretern des Dachverbandes der Gewerkschaften CGTP und eines Journalisten herausgefunden werden. Durch eine von einer erfahrenen Einrichtung organisierten Bildungsreise besteht die Chance, kompetente Gesprächspartner zu treffen. Erst durch Vergleich und Bewertung der Aussagen verschiedener Gesprächspartner aus Politik, Wirtschaft, Verbänden und Medien kann sich ein einigermaßen objektives Bild ergeben.


Politik

Die Position von Politikern des kleineren Koalitionspartners, des Christlich-Sozialen Zentrums (CDS) der amtierenden Mitte-Rechts-Regierung, die von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho von den liberalen Sozialdemokraten (PSD) geführt wird, ist erwartungsgemäß nicht gerade radikal. Diesen Politikern geht es im Wesentlichen um eine zeitliche Streckung des vorgegebenen Schuldenabbaus. Die Kritik an der EU und den bestimmenden Mitgliedstaaten ist moderat. Schließlich sind alle wichtigen Entscheider Konservative, die neoliberale Positionen vertreten. Kritik gab es an der Vorgängerregierung, die nach Auffassung der jetzt Regierenden zu viel in den Autobahnbau investiert habe.


Industrie- und Handelskammer

Der deutsche Vertreter der Handelskammer wies in seinem Statement den Vorwurf zurück, die deutschen Investoren hätten erhebliche Teile der Produktion in andere Länder verlagert. Einer der größten Industriebetriebe Portugals ist ein VW-Werk, ca. 100 km von Lissabon entfernt, in dem einige VW-Modelle produziert werden. Portugiesische Unternehmen sind als Zulieferer tätig. Am Rande klang zudem an, dass die portugiesische Bürokratie zumindest in der Vergangenheit Investitionen erschwert habe.


Gewerkschaftsdachverband

Die Vertreter des Gewerkschaftsdachverbandes äußersten massive Kritik an der EU-Kommission, ausdrücklich erwähnt wurde ihr Landsmann und früherer Regierungschef, Barroso, der die schwache Position seines Landes gegenüber den starken Ländern wie Deutschland nicht oder nicht rechtzeitig erkannt habe und jetzt zu denen gehöre, die rücksichtslos ein Spardiktat umzusetzen versuchen. Der Gewerkschaftsverband versucht vor allem durch Protestaktionen bis hin zu Generalstreiks, die Bevölkerung zu informieren und zu motivieren, um auf ihre Regierung und die EU Druck auszuüben. Sie fordert Konjunkturprogramme satt Sparprogramme und setzt auf Investitionen zur weiteren Industrialisierung des Landes, um Importabhängigkeiten zu verringern und die eigenen Exportchancen zu erhöhen. Zudem tritt sie auch für eine gerechtere Lastenverteilung ein.


Resümee

Die Positionen der Gesprächspartner waren erwartungsgemäß unterschiedlich, teilweise widersprüchlich und nicht immer nachvollziehbar. Die Mitgliedstaaten, wie Griechenland und Portugal brauchen weiterhin massive Unterstützung. Eine Verlagerung von Industriebetrieben aus Mitteleuropa wird nur bei Exportbeschränkungen der starken Industrienationen erfolgen, nur dann, wenn das Lohnniveau insbesondere des Exportlandes BRD erheblich steigt oder die Arbeitszeit deutlich verkürzt wird. Bereiche wie Eisenbahnwesen, Entwicklung der ländlichen Räume und Erneuerbare Energien können und müssen in Ländern wie Portugal vorangebracht werden. Im Wohnungsbau sind zumindest in der Umgebung von Lissabon erhebliche Überkapazitäten geschaffen worden. Die Eigentumsquote ist insgesamt höher als in Deutschland. Auf dem Sektor Wohnungsbau besteht im Innenstadtbereich Lissabon Sanierungsbedarf, in den Außenbereichen ist eher Rückbau angesagt. Trotz eines guten U-Bahn-Netzes sind die Verkehrsprobleme wegen der nicht ausreichend durch öffentlichen Personennahverkehr angebundenen Außenbereiche erheblich.

Die EU-Verträge sind mehrfach kritisiert worden. Die letzten umfassenden Änderungen, die zum Lissabon-Vertrag führten, haben nur wenige demokratische Fortschritte gebracht. Die EU ist eine neoliberale Wirtschaftsunion. Die Einführung des Euro hat die Situation für die wirtschaftlich schwachen Länder stark verschlechtert. Um einigermaßen gleiche Lebensverhältnisse herzustellen und dauerhaft zu sichern, ist analog zum deutschen Länderfinanzausgleich, zusätzlich zur bestehenden, aber noch auszubauenden Förderung benachteiligter Regionen, ein europäischer Finanzausgleich erforderlich. Flankierend dazu ist es zwingend erforderlich, die Sozialpolitik auf hohem Niveau und die Steuerpolitik auf der Basis sozialer Gerechtigkeit zu harmonisieren.


Wikipedia: Vertrag von Lissabon

K.N./dpa vom 30.10.2012: Schuldenschnitt bald auch für Portugal

DIE LINKE im Bundestag: Eurokrise, ihre Ursachen und Lösungen

*

Quelle:
Gegenwind Nr. 291 - Dezember 2012, Seite 21-23
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
E-Mail: redaktion@gegenwind.info
Internet: www.gegenwind.info
 
Der "Gegenwind" erscheint zwölfmal jährlich.
Einzelheft: 3,00 Euro, Jahres-Abo: 33,00 Euro.
Solidaritätsabonnement: 46,20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2012