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GEGENWIND/550: Die Energiewende geht nur mit der Bevölkerung - nicht gegen sie!


Gegenwind Nr. 295 - April 2013
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Die Energiewende geht nur mit der Bevölkerung nicht gegen sie!

Von Johannes M. Wagner, Andreas Halle und Angelika Beer



Das Land Schleswig-Holstein nimmt eine Schlüsselfunktion bei der Energiewende in der Bundesrepublik ein. Der neuen Landesregierung scheint dies durchaus klar zu sein: Sowohl im Wahlkampf der nun an der Regierung beteiligten Parteien als auch im Koalitionsvertrag nahm diese Thematik eine zentrale Position ein und nach der Wahl wurde ein Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume eingerichtet und mit Dr. Robert Habeck als "Energiewendeminister" besetzt.


In Schleswig-Holstein bestehen jedoch nach wie vor viele (teils berechtigte) Bedenken gegen die Energiewende: Die Piratenfraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag ist überzeugt, dass eine deutliche Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger sie will - viele aber nicht unbedingt direkt vor ihrer Tür. Ein erfolgreiches Konzept für die Energiewende muss auf Einbindung und Beteiligung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger setzen, um nachhaltige Akzeptanz für die Notwendigkeit konkreter Maßnahmen in den Gemeinden schaffen. Dafür braucht es aber auch die Bereitschaft der politisch Handelnden, eben diese Notwendigkeit einzelner Maßnahmen immer und immer wieder kritisch zu überprüfen und gemeinsam mit den Betroffenen vor Ort in die Gesamtentwicklung einzuordnen. Nur so kann eine nachhaltige Energiewende gelingen. Dies war sicherlich auch den Autorinnen und Autoren des Koalitionsvertrags bewusst, als sie schrieben:

"Die Energiewende beschreibt eine zentrale politische Herausforderung der kommenden Jahre. Sie geht alle an: Die Menschen vor Ort, die Wirtschaft, Kommunen, Land, Bund und Europa." (Koalitionsvertrag. S. 7)(1)

Selbstverständlich sind wir als Piratenfraktion grundsätzlich für die Energiewende. Die Fehler der Vorgängerregierung dürfen dabei jedoch nicht wiederholt werden. Der im vorletzten Jahr vom Verein Mehr Demokratie vorgelegte Bürgerbegehrensbericht 1990-2010 zeigt deutlich, wie vor allem in den letzten Berichtsjahren 2009 und 2010 die Proteste der Bürgerinnen und Bürger gegen den Bau von Windkraftanlagen (WKA) in den Gemeinden extrem stark zugenommen haben und auch vermehrt erfolgreich durch erfolgreiche Bürgerentscheide konkrete Bauvorhaben blockierten.(2) Laut aktuelleren Zahlen nahm diese Tendenz auch in den folgenden Jahren weiter zu. Der Eindruck einer "Wende von oben gegen unten" entstand also in der Bevölkerung bereits in der Zeit der Vorgängerregierung und darf unter der neuen Landesregierung auf keinen Fall perpetuiert werden, wenn die Energiewende erfolgreich sein soll. Es ist klar: Damit die Energiewende gelingt, muss ein neues Bewusstsein geschaffen werden.

Nicht nur, dass die Lösung des Energieproblems zunächst eher im Minderverbrauch statt im Ausbau von Erzeugung liegt und Belange des Umwelt- und Artenschutzes dabei nicht vernachlässigt werden dürfen; auch kann der Ausbau regenerativer Energien und entsprechender Stromnetze nur gelingen, wenn er von den Menschen vor Ort durch Einsicht mitgetragen wird. Eine "Energiewende von oben gegen unten" - und dieser Eindruck droht sich zur Zeit auch unter der rot-grün-blauen Regierung zu verfestigen - ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Im folgenden werden daher knapp drei Eckpunkte skizziert, die als Leitlinien für eine gute Energiewende dienen können.


Eckpunkt 1: Verbindliche Einbindung der Bevölkerung in die Energiewende!

Zunächst bedarf es dringend eines Konzepts der Landesregierung zur breiten Einbindung der Bevölkerung in die Energiewende, das nicht nur die bloße Durchsetzung des Baus bürokratisch vorgesehener Anlagen und Trassen, sondern auch eine umfassende Information und Einbindung der Bevölkerung vorsieht. Auch dafür waren im Koalitionsvertrag bereits wesentliche Weichenstellungen formuliert worden:

"In einer modernen Demokratie sind Transparenz und Zugang zu Informationen notwendige Voraussetzungen für Teilhabe und Mitbestimmung. Wir wollen, dass die Menschen gut informiert sind und die Möglichkeit haben, sich aktiv an politischen Prozessen zu beteiligen. Wir werden Transparenz schaffen und für einen echten Wandel des Dialogs zwischen Bürgerschaft, Politik und Verwaltung auf allen Ebenen eintreten." (Koalitionsvertrag, S. 57)

Mit dem "Gesetz zur Stärkung der kommunalen Bürgerbeteiligung", das im Landtag am 21. Februar 2013 verabschiedet wurde, sind Kernforderungen der von einem breiten Bündnis getragenen Volksinitiative(3) umgesetzt worden. Grundsätzlich hat die Regierung hierbei einen richtigen Weg eingeschlagen, leider ist sie jedoch in zentralen Punkten - entgegen den Versprechungen des Koalitionsvertrags(4) - von der Regierungsbank aus wieder zurückgerudert.

Deutlich stärkeres Gewicht muss auch auf eine Dezentralisierung der Energieversorgung über regionale Selbstversorgung und kommunale "Bürgerwindparks" gelegt werden. Wenn die Regierung hier den Mut hat, die Versorgungssicherheit und den direkten Zugriff der Bürgerinnen und Bürger auf ihre Energieversorgung den wirtschaftlichen Interessen der Energie- und Trassenkonzerne entgegenzustellen, wie dies etwa vom IPPNW gefordert wird,(5) kann dies auch überregional eine konfliktpräventive Wirkung haben.

Von Seiten der Landesregierung ist insgesamt ein umgehender Kurswechsel der derzeitigen Regierungspraxis zurück zu den Versprechen des Koalitionsvertrags nötig - nicht nur, weil dieser die Grundlage der Regierungsarbeit sein muss, sondern auch, weil die darin formulierten Vorstellungen den Notwendigkeiten der Energiewende entsprechen!

Mögliche Schritte dafür wären:

• Die Einrichtung eines Open Data Portals zur Transparenz von Verwaltungsprozessen in Zusammenarbeit mit dem Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz (ULD),

• Die Durchführung einer Informationskampagne, um in der Bevölkerung ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der Energiewende zu schaffen,

• Die Verbesserung der Informations-, Partizipations- und konkreten Entscheidungsrechte für die Bevölkerung in den Kommunen, wie sie durch das Bürgerbeteiligungs-Gesetz nur ungenügend umgesetzt wurde.(6)

• Eine Dezentralisierung der Energiewende durch regionale und kommunale Selbstversorgung muss Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen von Großkonzernen haben.


Eckpunkt 2: Minderverbrauch als Primärziel der Energiewende!

Angesichts des gigantischen und zunehmenden Energiehungers von Industriestaaten nach nordatlantischem Vorbild muss klar sein, dass eine erfolgreiche Energiewende nicht bloß im maßlosen Ausbau regenerativer Energien bestehen kann, sondern einen allgemeinen Minderverbrauch an Energie zum Primärziel haben muss. Eine echte Energiewende wechselt nicht nur die Energieträger aus, sie muss auch gesellschaftliche Nutzungsweisen in Sachen Energieverbrauch ändern. Dafür braucht es nicht nur breite Informationskampagnen, sondern auch kluge Gesetze, die die Kosten für Energie senken, ohne dabei die Anreize zum Energiesparen zu reduzieren: "Wie erreiche ich am meisten Klimaschutz pro ausgegebenem Euro - sei er staatlich oder privat?"

Dabei ist unbedingt darauf zu achten, dass der Minderverbrauch maßgeblich von der energieintensiven Industrie realisiert wird. Die gegenwärtige Situation, in der die energieintensive Industrie von der EEG-Umlage freigestellt und so stattdessen private Haushalte zur Kasse gebeten werden, führt bereits jetzt zu einer neuen Form von Energiearmut in der Bundesrepublik, der entschieden entgegengetreten werden muss - es kann nicht sein, dass einkommensschwache Haushalte, die nur einen winzigen Bruchteil des Gesamtverbrauchs verursachen, sich keinen Strom mehr leisten können und wortwörtlich im Dunkeln sitzen gelassen werden.

Mögliche Schritte dafür wären:

• Ein umfassendes Konzept zur Verringerung des privaten und industriellen Energiebedarfs unter Berücksichtigung z.B. der Förderung von Wärmedämmung, tageszeitabhängiger Strompreise für energieintensive Industrien und/oder Schaffung und Ausbau von Speicherkapazitäten zur Abfederung von Hochlasten,

• Die Weiterentwicklung der Technologie des "Smart Grid / Smart Metering" unter Beachtung klarer und weitgehender Datenschutzrichtlinien zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte: Ein Nachvollziehen des Nutzungsverhaltens auf Ebene der Personen oder Haushalte darf dabei nicht möglich sein,

• Die verstärkte Erforschung, Produktion und Subventionierung energiearmer Techniken wie etwa des öffentlichen Personenverkehrs (Bus, Bahn) und des elektromobilen Individualverkehrs,

• Um einkommensschwache Haushalte entscheidend zu entlasten und Energiearmut zu verhindern, ist eine umfassende Reform der EEG-Umlage nötig, die unter anderem einen Steuerfreibetrag für einkommensschwache Haushalte vorsieht.


Eckpunkt 3: Vorrang für Umwelt- und Artenschutz bei der Energiewende!

Die Energiewende darf auf keinen Fall auf Kosten des Umwelt- und Artenschutzes gehen, wie es derzeit aufgrund der Tempopolitik der Landesregierung leider immer wieder der Fall ist. Neben ausreichenden Fristen in den Anhörungs- und Beteiligungsverfahren, in denen Bürgerinnen und Bürger als Sachkundige für ihre Umwelt zu Wort kommen und ggf. Einspruch erheben können, sind hier auch von Seiten der Landesbehörden und der Unternehmen höhere Standards einzufordern. Auch empfundene oder reale Einbußen für die Lebensqualität betroffener Bürgerinnen und Bürger müssen als relevante Variable in die Bauplanungen einbezogen werden.

Mögliche Schritte dafür wären:

• Verpflichtende und gründliche Umweltverträglichkeitsprüfungen für alle Offshore-, Onshore und Trassenneubauten mit dem Ziel, die Standorte mit dem geringsten Schaden für Artenvielfalt und Natur zu identifizieren und gezielt zu genehmigen,

• Ein Konzept zur Regionalisierung der Stromversorgung etwa durch Bürgerwindparks, Nutzung verschiedener Energieträger und internationale Kooperationen, um die Notwendigkeit großer Trassen zu minimieren,

• Genereller Vorrang für Erdverkabelung und Genehmigung von Überlandleitungen nur im durch außerordentliche Rahmenbedingungen begründeten Ausnahmefall,

• Verhinderung neuer Risikotechnologien wie etwa des Hydraulic Fracturing ("Fracking"), deren Gefahrenpotenzial noch nicht annähernd erforscht ist.


Nur mit der Bevölkerung!

Diese drei Eckpunkte ergänzen sich gegenseitig und bilden zusammen ein Rahmenwerk für eine gute Energiewende, aus dem für konkretes politisches Handeln jeweils konkrete Schritte abgeleitet werden können. So sind es stets die Bürgerinnen und Bürger, die energisch auf drohende Umweltschäden hinweisen; auch sind sie es, die den Bewusstseinswandel vollziehen und den Minderverbrauch umsetzen müssen - sei es im Haushalt oder im Unternehmen. Daher müssen sie auch entsprechend beteiligt werden. Insgesamt ist wieder einmal klar, was im Grunde für jede politische Maßnahme gilt: Die Energiewende geht nur mit der Bevölkerung und nicht gegen sie!


Anmerkungen

(1) Der Koalitionsvertrag von SPD. GRÜNEN und SSW ist abrufbar unter:
http://www.schleswig-holstein.de/Portal/DE/LandesregierungMinisterien/Landesregierung/Koalitionsvereinbarung.html

(2) Vgl. Bürgerbegehrensbericht für Schleswig-Holstein 2010 des Vereins Mehr Demokratie, insbes. S. 20, abrufbar unter
http://sh.mehr-demokratie.de/6791.html

(3) Siehe Website des "Bündnis für mehr Demokratie in Schleswig-Holstein:
http://sh.mehr-demokratie.de

(4) S. 57f. listet fast alle Forderungen der Volksinitiative auf, kündigt bis Ende 2012 deren Umsetzung an.

(5) Näheres zum Konzept der IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War) findet sich hier:
http://www.ippnw.de/atomenergie/energiewende/artikel/1d9331c45c/energiewende-als-friedenspolitik-f.html

(6) Bürgerbeteiligung ist nicht gleich Bürgerentscheid! Bloße Beteiligung statt echter Entscheidungsrechte frustriert vielmehr die Bürgerinnen und Bürger und erhöht die Ablehnung der Energiewende sowie die allgemeine Politikverdrossenheit.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 295 - April 2013, Seite 24-26
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2013