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GEGENWIND/561: Was steht in den Parteiprogrammen zur Einwanderung und Integration?


Gegenwind Nr. 299 - August 2013
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

PARTEIEN
Bundestagswahl 22. September 2013:
Willkommenskultur und Doppelpass
Was steht in den Parteiprogrammen zur Einwanderung und Integration?

Von Reinhard Pohl



Vor zehn oder zwanzig Jahren sagten viele Parteien zu den bundesweiten Wahlen wenig bis gar nichts zur Einwanderung. Meist beschränkte sich das auf wenige, holzschnittartige Aussagen, Deutschland sei ein Einwanderungsland oder eben keines, und Einwanderer sollten "sich" integrieren. Dass eine Integration immer die Gesamtbevölkerung betrifft, war früher noch kein Thema.


Im Jahre 2013 spricht jede Partei das Thema an. Dabei gibt es bestimmte Punkte, die fast in keinem Programm fehlen, so eine Position zur Einbürgerung mit doppelter Staatsangehörigkeit oder zur "Willkommenskultur". Natürlich unterscheiden sich die Positionen, die zu diesen Fragen eingenommen werden - aber dazu sind Wahlen ja auch da.

Ich habe die Bundestags-Wahlprogramme der Parteien, die im Focus der Öffentlichkeit stehen, auf diese Fragen hin durchgesehen. Dabei habe ich die "Wahlprüfsteine" herangezogen, die DGB, Pro Asyl und der Interkulturelle Rat gemeinsam vorgelegt haben.


CDU/CSU

Das CDU/CSU-Programm heißt "Gemeinsam erfolgreich für Deutschland. Regierungsprogramm 2013-2017" und hat einen Umfang von 127 Seiten. Die CDU diskutiert einen solchen Programmentwurf nicht öffentlich, das Programm wurde auch nicht einem Parteitag vorgelegt, sondern im Vorstand verabschiedet.

Unter den 10 Punkten im Vorwort, die den Kern der Politik bilden sollen, spielt die Einwanderung keine Rolle. Sie wird nur indirekt angesprochen: "Deutschland ist eine Kulturnation. Wir werden das reiche kulturelle Erbe unseres Landes bewahren und wollen es auf allen Ebenen weiterentwickeln." (Seite 9).

Sprachtests (deutsch) soll es für alle Kinder ab drei Jahren geben, Sprachfördernng für alle Kinder, die das brauchen (Seite 32). Ansonsten spricht sich die CDU/CSU für die Beibehaltung des konfessionsgebundenen Religionsunterrichts aus und tritt für einen zusätzlichen islamischen Religionsunterricht ein.

Zur Integration ist das Kapitel "4.3 Vielfalt bereichert - Willkommenskultur schaffen" (Seite 63 bis 66). Die wichtigsten Punkte:

  • Willkommenskultur für kluge Köpfe: Es sollen hochqualifizierte und leistungsbereite Einwanderer gewonnen werden. Für diese sollen Rathäuser zu "Willkommenszentren" werden.
  • Das Anerkennungsgesetz sorgt dafür, dass mitgebrachte Qualifikationen nun einfacher und schneller anerkannt werden. Nötig ist jetzt, die beruflichen Qualifikationen nachträglich zu verbessern.
  • Junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sollen für den Öffentlichen Dienst gewonnen werden, vor allem als Lehrerinnen und Lehrer oder Polizistinnen und Polizisten.
  • Die Bildungschancen sollten verbessert werden, zentral sind dabei Deutschkenntnisse. "Wer sich verweigert, Deutsch zu lernen, hat in unserem Land keine Zukunftschancen." (Seite 65)
  • Die CDU/CSU will Fordern und Fördern, Grundlage ist der Nationale Aktionsplan Integration.
  • Die Annahme der Staatsangehörigkeit soll verbunden werden mit der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit, das soll Ausdruck einer erfolgreichen Integration und Zeichen der Zugehörigkeit sein.
  • Ein allgemeines kommunales Wahlrecht für Ausländer wird abgelehnt. Eine generelle Hinnahme doppelter Staatsangehörigkeiten wird abgelehnt. Das Optionsmodell hat sich bewährt, die Mehrheit entscheidet sich für die deutsche Staatsangehörigkeit.
  • Den Integrationsverweigerern will die CDU/CSU entgegentreten: "Wer sich seinen Pflichten entzieht, muss mit Folgen für seinen Aufenthaltsstatus und seine Leistungsansprüche rechnen." (Seite 66). "Religiöse oder kulturell übermittelte Traditionen, die zu einer Missachtung unserer Rechtsordnung führen, dürfen nicht akzeptiert werden." Ebenso wendet sich CDU/CSU gegen die Abschottung in Parallelgesellschaften und gegen islamische Sondergerichte. "Wir erwarten dabei auch von den muslimischen Verbänden ein erkennbareres Gegensteuern."
  • Über die Zuwanderungspolitik soll auch in Zukunft nicht die EU entscheiden, das Gebiet soll in nationaler Zuständigkeit bleiben.
  • CDU/CSU setzen sich für den Schutz politisch Verfolgter und das Recht auf Asyl ein, ebenso für zügige Verfahren bei Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten.
  • CDU/CSU setzen sich für "neue Formen des Schutzes ein, wie der Aufnahme von Flüchtlingen aus Drittstaaten, wenn ihnen eine baldige Rückkehr in der Herkunftsland nicht möglich ist oder wenn sie nicht dauerhaft in das Land, das sie zuerst aufgenommen hat, eingegliedert werden können. Dabei bauen wir weiterhin (...) auf die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshochkommissar der Vereinten Nationen." (Seite 66)
  • "Eine Zuwanderung, die darauf gerichtet ist, die europäische Freizügigkeit zu missbrauchen und die sozialen Sicherungssysteme unseres Landes auszunutzen, lehnen wir ab." (Seite 66)

Ein eigenes Kapitel ist Aussiedlern gewidmet: "4.8 Aussiedler und Heimatvertriebene - ein Gewinn für unser Land" (Seite 79-81). Hier geht es auch um die Förderung nationaler Minderheiten, genannt werden Dänen, Sorben, Friesen, deutsche Sinti und Roma.

Im Kapitel "5.8 Werte stärken unser Land - Kirchen und Religionsgemeinschaften" (Seite 109-110) wird ein Bekenntnis zur "christlichen Prägung unseres Landes" abgelegt. Das Wiedererstarken jüdischen Lebens wird begrüßt, ebenso die Beiträge muslimischer Vereine und Verbände zu unserem Gemeinwesen. Alles soll aber auf der Grundlage des Staatskirchenrechts geordnet bleiben.

Menschenhandel und Zwangsprostitution sollen entschlossen bekämpft werden (Seite 112). Dabei soll das Strafrecht so geändert werden, dass Verurteilungen auch ohne Aussagen der Opfer möglich sind.

Extremismus soll bekämpft werden, und zwar gleichermaßen Linksextremismus, Rechtsextremismus und Islamismus. Dabei sind V-Leute unerlässlich (Seite 115). Für ausländische Straftäter soll das Ausweisungsrecht verschärft werden. Das soll auch für religiöse Hassprediger gelten.

Die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei sollen vertieft werden, eine Vollmitgliedschaft wird abgelehnt (Seite 119).


SPD

Das SPD-Programm heißt: "Das Wir entscheidet. Das Regierungsprogramm 2013-2017" und hat einen Umfang von 120 Seiten. Auf 350 Veranstaltungen wurden 40.000 Vorschläge für einzelne Punkte gesammelt.

Zum Fachkräftemangel will die SPD zwei Dinge angehen: Kein Jugendlicher soll ohne Schulabschluss bleiben, dazu soll ein Recht auf Ausbildung kommen. Und Menschen mit ausländischen Abschlüssen sollen durch ein beschleunigtes Anerkennungsverfahren entsprechend ihrer Ausbildung arbeiten dürfen. "Das 2012 verabschiedete Anerkennungsgesetz für ausländische Abschlüsse konnte die Erwartungen einer Trendwende in der restriktiven Anerkennungspraxis in keiner Weise erfüllen." (Seite 24) Die fehlenden Anerkennungsgesetze auf Länderebene werden nicht thematisiert. Allerdings sollen die Kosten für die Betroffenen auf einem "sozial verträglichen Niveau" gehalten werden (Seite 49).

In der Bildung wird eine Kostenfreiheit von der Kita über die Schule bis zum Studium angestrebt. In der Schule sollen Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund individuell gefördert werden (Seite 44). Junge Menschen sollen nicht aufgrund ihres Namens oder ihrer Herkunft bei der Ausbildungs- oder Arbeitsplatzsuche benachteiligt werden (Seite 45).

Schwerpunktmäßig wird die Integrationspolitik im Kapitel III.5 (ab Seite 58) vorgestellt. Einige Punkte:

  • Die doppelte Staatsangehörigkeit soll akzeptiert werden, das gilt für Einbürgerungen und für die Optionspflicht, die abgeschafft werden soll.
  • Wer hier ein Studium oder eine Ausbildung abschließt, soll ohne Einschränkungen arbeiten dürfen.
  • Das kommunale Wahlrecht soll nach fünf Jahren Aufenthalt gelten, dazu soll das Grundgesetz geändert werden.
  • In den Integrationskursen sollen die Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte verbessert werden.
  • Der Familiennachzug soll erleichtert werden.
  • Der öffentliche Dienst soll so zusammengesetzt sein wie die Gesamtbevölkerung.
  • Flüchtlinge sollen Schutz erhalten, insbesondere Mädchen und Frauen, die Opfer von Menschenhandel und Gewalt geworden sind.
  • Im Flüchtlingsrecht sollen Kinder ohne Einschränkung als Kinder behandelt werden.
  • Die Residenzpflicht soll abgeschafft werden, eine Wohnsitzauflage soll durchgesetzt werden.
  • Das Flughafenverfahren soll ausgesetzt werden.
  • Asylbewerber und Geduldete sollen eine Berechtigung zur Teilnahme an Integrationskursen erhalten.
  • Die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sollen nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes reformiert werden.
  • Es soll eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für Geduldete geben: Für Jugendliche nach erfolgreichem Schulabschluss, bei Erwachsenen bei nachhaltiger Integration.
  • Das bundesweite Resettlement soll ausgebaut und verstetigt werden.
  • Die Städte, die von Armutswanderung aus Rumänien und Bulgarien betroffen sind, sollen Unterstützung des Bundes erhalten. Im übrigen sollen die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern (Bulgarien, Rumänien, Serbien, Mazedonien) verbessert werden.

Zur "Sozialen Stadt" werden die Kürzungen der aktuellen
Bundesregierung kritisiert.

Frauenhandel, "Ehrenmord" und Zwangsheirat sollen bekämpft werden, Regelungen für die Opfer (Zeugenschutz) verbessert werden. Genitalverstümmelung soll ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden, außerdem in den Katalog der Auslandsstraftaten (Seite 100).

Zu den NSU-Morden will die SPD eine rückhaltlose Aufklärung und institutionelle Reformen. Der Verfassungsschutz soll in Zukunft die Verfassung schützen, für V-Leute soll es klare Regeln geben.

Die Zivilgesellschaft soll gestärkt werden, es soll ein Konzept gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus geben.


FDP

Das Programm der FDP heißt "Bürgerprogramm 2013". Es hat 92 Seiten. Die Einwanderung und Integration ist im Kapitel "III. Vielfalt, damit jeder eine Wahl hat" - Unterpunkt "4. Einwanderung und Integration in einem vielfäiiltigen, offenen Deutschland" beschrieben.

Zum Fachkräftemangel hat die FDP beschlossen: "Wir wollen ein Einwanderungsrecht, das Fachkräften eine Chance am Arbeitsmarkt gibt." (Seite 29) Es soll eine "Willkommenskultur" für "kluge Köpfe" geben.

Von Einwanderern fordert die FDP die Bereitschaft, die deutsche Sprache zu erlernen und die "vorbehaltlose Akzeptanz unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung" (Seite 44).. Im Gegenzug will die FDP die Möglichkeiten zur Integration verbessern, zum Beispiel durch Ausbau der Kinderbetreuung, damit Integrationskurse besucht werden können. Die Anerkennung mitgebrachter Abschlusse soll verbessert werden.

  • Die Integrationskurse sollen für Asylbewerber und Geduldete geöffnet werden.
  • Für die Einwanderung von Fachkräften soll ein Punktesystem geschaffen werden.
  • Einwanderer sollen Deutsch lernen, im Gegenzug sollen Teile der Verwaltung auch Englisch lernen.
  • Bei rechtmäßigem Aufenthalt soll das Arbeiten ohne besondere Erlaubnis erlaubt sein.
  • Wie Studenten sollen auch Auszubildende ein Visum und eine Aufenthaltserlaubnis erhalten können.
  • Eine Einbürgerung soll schon nach vier Jahren möglich sein, dabei soll generell die Mehrstaatlichkeit hingenommen werden.
  • Alle, die sich fünf Jahre rechtmäßig hier aufhalten, sollen ein kommunales Wahlrecht erhalten.

Im Öffentlichen Dienst sowie in Bildungseinrichtungen (Kitas, Schulen) soll gezielt Personal mit Migrationshintergrund eingestellt werden, in den Bildungseinrichtungen auch wegen der Vorbildfunktion für die Kinder.

Es soll für alle Kinder ab vier Jahren eine Sprachstandsfeststellung geben, anschließend gezielte Förderung für alle, die das brauchen. Gleichzeitig sollen Eltern Sprachförderung erhalten, damit sie die eigenen Kinder besser unterstützen können.

Für Einwanderer, die lange hier sind, aber mangels Angebot keine Möglichkeit hatten, an der Integration teilzunehmen, soll es Möglichkeiten für eine nachholende Integration geben.

Es soll Möglichkeiten der Ausbildung islamischer Geistlicher und Religionslehrer geben. Sofern es Religionsunterricht gibt, soll es den auch für islamische Kinder geben.

Bei der Visumvergabe sollen sich Ausländerbehörden und Botschaften nicht als Abwehrbehörden verstehen, sondern als Aushängeschilder Deutschlands agieren.

Das Resettlement soll über 2014 hinaus fortgeführt werden.

Asylbewerber sollen mit Aufenthaltsgestattung ohne Einschränkung arbeiten dürfen.

Die stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelungen für Kinder und Jugendliche sollen auf alle Geduldeten ausgedehnt, Kettenduldungen abgeschafft werden.

Die FDP setzt sich für die Visumfreiheit für Russland, die Türkei und die Länder der östlichen Partnerschaft (Belorus, Ukraine, Moldavien, Georgien, Armenien, Aserbaidschan) ein, sobald diese die Voraussetzungen erfüllen. (Seite 83)

Für Flüchtlinge wird ein gemeinsames europäisches Asylsystem und eine Verteilung auf alle Staaten gefordert. Minderjährige sollen erst ab dem 18. Geburtstag verfahrensmündig sein. Dublin-II-Fälle sollen nicht automatisch abgeschoben werden.

Beim Resettlement soll nicht die Religionszugehörigkeit, sondern die Notlage und Bedürftigkeit entscheiden. (Seite 86)

Die Situation von Menschen ohne Aufenthaltsstatus im Bereich Gesundheit und faire Entlohnung soll schnell und eingehend überprüft werden. (Seite 86)


GRÜNE

Das Programm der Grünen "Zeit für den Grünen Wandel. Teilhaben, Einmischen. Zukunft schaffen" hat 336 Seiten. Das Thema "Integration" hat kein eigenes Kapitel, sondern wird überall mit behandelt. Vor allem im Kapitel "N. BürgerInnenrechte stärken" geht es auch um Einbürgerung (Punkt 6) und Asyl (Punkt 7).

Im Kapitel "Arbeit" (ab Seite 94) geht es auch um Diskriminierung aufgrund der Herkunft, die abgebaut werden soll, so wie jede andere Chancen-Ungleichheit auch. "Die Ausgangschancen von zu vielen jungen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund sind von Geburt an schlechter als die ihrer Altersgenossen. ... Doch auch ausländerrechtliche Diskriminierung... Gerade jungen Flüchtlingen muss der Zugang zu einer Ausbildung erleichtert werden." (Seite 95) Eine Forderung ist die Einführung der anonymen Bewerbung.

Zum Fachkräftemangel soll der "Zuzug ausländischer Fachkräfte" vereinfacht und transparenter gestaltet werden. Dazu soll ein Punktesystem etabliert werden.

Für das Bildungssystem sind Maßnahmen vorgesehen, die allen Kindern mit Förderbedarf unabhängig von einem Migrationshintergrund zugute kommen sollen (kostenlose Kita, Ganztagsschule...).

In der Gesundheitspolitik wollen die Grünen eine interkulturelle Öffnung der gesundheitlichen Regeldienste und falls erforderlich ein herkunftssprachliches Beratungsangebot. Flüchtlinge und Menschen "ohne Papiere" sollen Zugang zur "Grundversorgung" erhalten. (Seite 127)

Im Kapitel "Teilhaben" wird unter dem Punkt "3. Demokratie im Alltag beleben" angekündigt, dass es eine "Einbürgerungsoffensive" geben soll, um den Zugang zum Wahlrecht zu erleichtern. Als nächster Schritt soll das kommunale Wahlrecht für Menschen ohne deutschen oder EU-Pass eingeführt werden (Seite 208).

Bei den Plänen zur Förderung des Engagements werden neben anderen Gruppen ausdrücklich "Migrantenselbstorganisationen" als Zielgruppe benannt (Seite 209).

Zur Bekämpfung des Rassismus gehört für die Grünen die Abschaffung der "Extremismusklausel", die Aufklärung des Oktoberfest-Attentats, das Verbot der NPD und die Bekämpfung der Islamfeindlichkeit (Seite 213/214).

Generell soll die Überwachung zurückgedrängt werden, damit alle Menschen sich ohne Angst vor Nachteilen und Diskriminierung "einmischen" können (Seite 218). Das gilt für Vorratsdatenspeicherung, Drohneneinsatz im Inland, Filmen von Demonstrationen und vieles mehr. Bei der Aufarbeitung des NSU-Skandals sollen alle Geheimdienste überprüft, der MAD aufgelöst werden. Verfassungsschutz soll Aufgabe von zivilgesellschaftlichen Organisationen werden, das Bundesamt für Verfassungsschutz soll aufgelöst werden. Auf V-Leute soll verzichtet werden. (Seite 222)

Im öffentlichen Dienst soll die Anzahl der Beschäftigten mit Migrationshintergrund erhöht und Maßnahmen zur interkulturellen Öffnung umgesetzt werden. (Seite 223)

Der Polizei soll das Ethnic Profiling (Kontrollen aufgrund der Hautfarbe u.ä.) strikt verboten werden. Polizeibeamte sollen Antidiskriminierungsschulungen erhalten. (Seite 224)

Es soll ein Verbandsklagerecht gegen strukturelle Diskriminierung eingeführt werden. Das Arbeitsrecht bei kirchlichen Einrichtungen soll entsprechend geändert werden (Seite 229). Der Schutz vor Diskriminierungen soll auf die Möglichkeit, sich gegen Behörden-Diskriminierung zu wehren, erweitert werden (Seite 229).

Die herkömmliche Integrationspolitik soll durch eine Politik echter Chancengleichheit in Bildung und Arbeit ersetzt werden. Deutschkurse sollen für alle geöffnet, ausländische Abschlüsse leichter anerkannt werden.

Die Einbürgerung für Einwanderer der ersten Generation soll erleichtert werden. Der Optionszwang soll abgeschafft werden. Doppelte Staatsangehörigkeit soll generell hingenommen werden. Bereits Eingebürgerte sollen die Möglichkeit erhalten, die frühere Staatsangehörigkeit wieder anzunehmen, ohne die deutsche zu verlieren. (Seite 232)

Der Familiennachzug soll ohne Sprachtest erlaubt werden, Deutsch soll im Alltag hier gelernt werden.

Beim Scheitern einer Ehe soll das eigenständige Aufenthaltsrecht wieder leichter zuerkannt werden. Auch ein längerer Auslandsaufenthalt soll nicht mehr zum Verlust des Aufenthaltsrechtes in Deutschland führen. Die Einwanderung von Arbeitskräften soll durch Einführung eines Punktesystems erleichtert werden. (Seite 232)

Die Rechte türkischer Staatsangehöriger aus dem Assoziierungsabkommen sollen gesetzlich verankert und in Zukunft beachtet werden. (Seite 232)

Flüchtlinge sollen geschützt werden, ohne dass Europa sich abschottet. Die Dublin-II-Regelung soll abgeschafft werden. Es soll ein großzügiges Resettlement mit deutlicher Erhöhung der jährlichen Aufnahmequote geben. Syrische Flüchtlinge sollen aufgenommen werden, Visumanträge bewilligt werden. (Seite 233) "Flüchtlinge sollen selbst entscheiden, wo sie Asyl beantragen." (Seite 288)

Die Visumfreiheit für Serbien und Mazedonien soll beibehalten werden. Roma sollen geschützt werden, Diskriminierungen im Asylverfahren berücksichtigt werden. (Seite 234)

Das Asylbewerberleistungsgesetz und die Residenzpflicht sollen aufgehoben werden. Flüchtlinge sollen von Anfang an Zugang zu Bildung, Integrationskursen, Arbeit und Gesundheit erhalten und in Wohnungen wohnen. (Seite 234)

Abschiebungen sollen strenger geprüft und bei Sicherheitsrisiko ausgesetzt werden. Die Abschiebehaft soll abgeschafft werden. Bis zur Abschaffung soll sie auf drei Monate begrenzt werden. (Seite 235)

Das Flughafenverfahren soll abgeschafft werden (Seite 235).

Für langjährig Geduldete soll es eine realitätstaugliche stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung geben.

Unbegleitete Minderjährige sollen besonders geschützt werden, erst mit der Volljährigkeit sollen sie "asylmündig" werden. Sie sollen vollen Zugang zu Kinder- und Jugendhilfe erhalten.

Für Menschen ohne Papiere soll es Zugang zu Bildung und Gesundheit geben. Außerdem soll die Möglichkeit zur Erlangung eines sicheren Aufenthaltstitels geschaffen werden. (Seite 235)

Für Opfer von Menschenhandel soll es ein Bleiberecht geben, um sie bei Aussagen wirksam zu schützen. Freier von Zwangsprostituierten sollen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Opfer von Zwangsehen, die ins Ausland gebracht wurden, sollen ein dauerhaftes Rückkehrrecht erhalten. Genitalverstümmelung soll ins Strafgesetzbuch aufgenommen und auch bestraft werden, wenn die Tat im Ausland geschah.

In der Außenpolitik wird unter anderem gefordert, die Visumpflicht für die Länder der Östlichen Partnerschaft (Belorus, Ukraine, Moldavien, Georgien, Armenien, Aserbaidschan), für Russland, Kosovo und die Türkei aufzuheben. Die Beitrittsverhandlung mit der Türkei sollen von der EU intensiviert werden.


LINKE

Das Wahlprogramm der Linken zur Bundestagswahl heißt "100% sozial" und ist 86 Seiten dick. Im Kapitel "V Demokratische Teilhabe" gibt es zwei Abschnitte, die sich mit Integration befassen: "Demokratie für alle, die hier leben" (ab Seite 77) und "Asylrecht ausbauen" (ab Seite 78).

Für Flüchtlinge soll die Flucht erleichtert werden, indem FRONTEX abgeschafft wird. Die Dublin-II-Verordnung soll durch das Prinzip der "freien Wahl des Mitgliedsstaates" für den Asylantrag ersetzt werden (Seite 51).

Das Wahlrecht soll für alle gelten, die seit mindestens fünf Jahren hier leben und mindestens 16 Jahre alt sind. Die 5-%-Hürde soll abgeschafft werden (Seite 73). Das Wahlrecht für hier lebende Migrantinnen und Migranten soll für Wahlen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene gelten (Seite 78).

Als Lehre aus den NSU-Morden sollen alle Geheimdienste inkl. Verfassungsschutz abgeschafft werden, stattdessen soll es eine unabhängige Beobachtungsstelle "Neonazis, Rassismus, Antisemitismus" geben. (Seite 76) Die Extremismusklausel soll abgeschafft werden (Seite 77).

Die Integrationspolitik soll nicht zwischen "nützlichen" und anderen Einwanderern unterscheiden, deshalb darf es keine Quoten, Kontingente oder Punktesysteme geben. (Seite 77)

Es soll generell die doppelte Staatsbürgerschaft zugelassen werden (Abschaffung des Optionszwangs) (Seite 77/78).

Deutsch-Tests vor der Visumvergabe sollen abgeschafft, Angebote von Sprachkursen verbessert werden (Seite 78).

Alle ausländischen Abschlüsse sollen anerkannt werden (Seite 78).

Die Diskriminierung von Roma, die hier Asyl beantragen, soll beendet werden. Außerdem sollen das Asylbewerberleistungsgesetz, die Residenzpflicht und die Unterbringung in Sammellagern abgeschafft werden. Alle Asylsuchenden sollen ein Recht auf Arbeit und Grundsicherung haben. Geschlechtsspezifische Fluchtgründe sollen anerkannt werden. Traumatisierte Flüchtlinge sollen muttersprachliche Versorgung erhalten (Seite 78/79).

Alle Menschen, die seit fünf Jahren hier leben, sollen einen sicheren Aufenthaltsstatus erhalten. (Seite 79)

Schulen sollen das Wissen über Religionen durch staatlich anerkannte Lehrkräfte vermitteln (Seite 85).


PIRATEN

Das Programm der Piraten heißt "Wir stellen das mal infrage" und hat 166 Seiten. Ein eigenes Kapitel zu Integration oder Einwanderung gibt es nicht, vorne im Abschnitt "Freiheit und Grundrecht" ist ein Kapitel "Asyl" (ab Seite 17).

Bei der Prüfung von Asylanträgen soll im Zweifel zugunsten der Antragsteller entschieden werden. Die EU soll Möglichkeiten schaffen, Grenzen sicher zu überschreiten, auch im Mittelmeer. Wer Flüchtlinge rettet, darf nicht kriminalisiert werden. (Seite 18)

Die Dublin-II-Verordnung soll abgeschafft werden, Flüchtlinge sollen die freie Wahl des Landes haben, in dem sie Asyl beantragen. Die Residenzpflicht soll abgeschafft werden, Asylantragsteller sollen Freizügigkeit in der gesamten EU genießen. (Seite 19)

Flüchtlingsunterkünfte sollen abgeschafft werden. Flüchtlinge sollen in Wohnung wohnen und freien Zugang zum Internet erhalten, um sich zu informieren, zu bilden und Kontakt mit Familie und Freunden zu halten. Für die Versorgung soll es keine Sondergesetze (Asylbewerberleistungsgesetz) geben.

Asylbewerber sollen vor der Antragstellung psychologisch betreut werden und ausreichend Zeit erhalten, sich auf das Asylverfahren vorzubereiten. Dabei darf es keine Hierarchien von Flüchtlingen und Schnellverfahren für bestimmte Gruppen geben. Flüchtlinge sollen für das Verfahren Anspruch auf juristische Vertretung und Dolmetscher haben. (Seite 20)

Die Piraten lehnen Abschiebehaft, Abschiebungen und
Botschaftsvorführungen ab. (Seite 21)

Im Kapitel "Familie und Gesellschaft" geht es ab Seite 99 um "Migration und Inklusion". Die wichtigsten Forderungen sind:

  • eine mobilitätsfreundliche Visapolitik
  • keine Deutschkenntnisse als Bedingung vor der Einreise von Ehepartnern.
  • Papierlose sollen sofort Zugang zu Bildung und Gesundheit erhalten und legalisiert werden, und zwar mit dem Ziel, eine unbefristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu erhalten.
  • Akzeptanz doppelter und mehrfacher Staatsangehörigkeiten bei Einbürgerung, durch Geburt (Abschaffung der Optionspflicht). Deutsche Staatsangehörigkeit bei Geburt in Deutschland.
  • Alle hier lebenden Menschen sollen das kommunale Wahlrecht erhalten. Für diejenigen, die vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, soll es Ausländerbeiräte und Integrationsbeiräte auf allen Ebenen geben, die finanziell und personell gut ausgestattet sind.
  • Die Aufgaben der Integration sollen in eigenen Ministerien gebündelt werden.
  • Die öffentliche Verwaltung soll mit der anonymen Bewerbung starten, um Diskriminierung abzubauen.
  • Das Arbeitserlaubnisrecht soll abgeschafft werden, alle Menschen gleiche Rechte erhalten.
  • Ausländische Diplome und Zertifikate sollen anerkannt werden. Wenn keine formelle Ausbildung vorliegt, soll die Erfahrung mit Feststellungsprüfungen ermittelt werden, um gleichwertige Zertifikate zu erhalten.
  • Der Antiziganismus muss bekämpft werden.
  • Diskriminierungen sollen wirksam bekämpft werden.
  • Alle Initiativen dazu sollen gefördert, die Extremismusklausel abgeschafft werden. Gutachten und Expertisen sollen öffentlich sein.
  • Im Bildungssystem sollen gleiche Chancen hergestellt werden. Mehrsprachigkeit soll gefördert werden, ohne die Kinder zu selektieren. Lehrkräfte sollen interkulturell fortgebildet werden.
  • Sprachkurse sollen generell bis zum Niveau C2 kostenlos sein.

AfD

Die "Alternative für Deutschland" hat ein Wahlprogramm von vier Seiten. Der Punkt "Integration" umfasst drei Unterpunkte:

  • Wir fordern eine Neuordnung des Einwanderungsrechts. Deutschland braucht qualifizierte und integrationswillige Zuwanderung.
  • Wir fordern ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild. Eine ungeordnete Zuwanderung in unsere Sozialsysteme muss unbedingt unterbunden werden.
  • Ernsthaft politisch Verlolgte müssen in Deutschland Asyl finden können. Zu einer menschenwürdigen Behandlung gehört auch, dass Asylbewerber hier arbeiten können.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 299 - August 2013, Seite 20-25
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2013