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GEGENWIND/579: Erfahrungen mit Diskriminierung in Schleswig-Holstein


Gegenwind Nr. 303 - Dezember 2013
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Erfahrungen mit Diskriminierung in Schleswig-Holstein
Eine Umfrage vom Antidiskriminierungs-Verband

von Reinhard Pohl



Seit 2006 gibt es das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), mit dem die Anti-Diskriminierungsrichtlinien der EU umgesetzt wurden. Nach dem Gesetz können sich Verbände bilden, die Betroffene beraten und auch vor Gericht vertreten dürfen. In Schleswig-Holstein ist der Anti-Diskriminierungsverband Schleswig-Holstein (advsh) solch ein Verband. 2012 führte er eine Umfrage durch: Wie bekannt ist das Gesetz? Welche Diskriminierungserfahrungen haben Sie in Schleswig-Holstein gemacht? Es war ein erster Versuch, sich eine Übersicht zu verschaffen, also keine flächendeckende wissenschaftliche Untersuchung. Landesweit antworteten 129 Personen, davon berichteten 41 über eigene Diskriminierung.


Auch wenn es nicht viele Antworten waren, kamen sie doch aus allen Regionen des Landes. Ungefähr die Hälfte der Befragten gaben an, in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern zu leben (also in Kiel oder Lübeck), die anderen kamen aus kleineren Städten oder Orten, einige auch aus Orten unter 1.000 Einwohnern. Sie waren also relativ gleichmäßig und landestypisch verteilt.

Eine Person war unter 18 Jahren alt, eine über 76 Jahre alt, die meisten zwischen 36 und 49 Jahren. Auch hier gab es eine breite Streuung, eingeschränkt dadurch, dass der Fragebogen im Internet stand. Über zwei Drittel derer, die antworteten, waren Frauen, weniger als ein Drittel Männer. Rund 40 % gaben an, selbst zu einer Minderheit zu gehören, entweder einer sexuellen oder religiösen Minderheit, wenige auch zu einer ethnischen Minderheit oder der der Behinderten. Eine gab unter "Minderheit" an, sie gehöre zur "diskriminierten Mehrheit der Frauen".


Ist das AGG bekannt?

Das Gesetz und damit auch die rechtlichen Möglichkeiten, sich zu wehren, ist nicht bekannt. Auf die Frage, wie gut sie das Gesetz kennen, antworten nur 83 Befragte. Und die gaben zu zwei Drittel an, das Gesetz nur wenig zu kennen. Gut oder sehr gut kennen es nur acht. Und diejenigen, die nicht antworten, kennen es vermutlich gar nicht.

Gleichzeitig fand auch eine Befragung unter Beratenden statt, dort gab immerhin eine Mehrheit von fast 60 Prozent an, das Gesetz gut oder sehr gut zu kennen. Es scheint aber auch hier noch viel Nachholbedarf zu geben, was der advsh seitdem mit Schulungen und öffentlichen Veranstaltungen behebt. Während diese 2012 vor allem in Kiel stattfanden, wurden die Angebote 2013 auf ganz Schleswig-Holstein ausgeweitet.


Weshalb wird diskriminiert?

Im AGG werden sechs Merkmale benannt, bei denen die Diskriminierung verboten ist:

  • Alter
  • Geschlecht
  • sexuelle Identität
  • Behinderung
  • ethnische Herkunft
  • Geschlecht
  • sexuelle Identität
  • Behinderung
  • ethnische Herkunft
  • Religion / Weltanschauung

Allerdings ergibt sich aus den Erfahrungen von Beratungsstellen, dass es noch weitere Merkmale gibt, die zu einer Diskriminierung führen können:

  • soziale Herkunft
  • Staatsangehörigkeit
  • Krankheit
  • Körpergewicht.

Die Staatsangehörigkeit wurde auf EU-Ebene direkt auf Wunsch der Innenminister aus dem Katalog entfernt, weil damit ein Großteil der Sondergesetze für Ausländerinnen und Ausländer problematisch geworden wären. Die EU verbietet inzwischen aber die Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit innerhalb der EU, die aktuellen Diskussionen über Anträge auf Arbeitslosengeld II durch Einwanderer aus Rumänien oder um eine Autobahn-Maut für Ausländer drehen sich darum.

Die "soziale Herkunft" wird allerdings oft als Grund für eine Diskriminierung vermutet - und der Berater Wolfgang Kastens beim advsh schätzt, dass rund die Hälfte aller Beratungsanfragen die Diskriminierung wegen eines Merkmals betrifft, das nicht zu den sechs genannten Merkmalen des Gesetzes gehört.

In der Umfrage, weshalb wohl am ehesten diskriminiert wird, wurden von den sechs Merkmalen des AGG am häufigsten die Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft genannt, dicht gefolgt von der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Ein ähnliches Bild ergab sich bei den Antworten auf die Frage, von welches Diskriminierungen die Befragten in den letzten 12 Monaten gehört hatten.

Die Frage, wie diskriminiert worden wäre, wurden am häufigsten mit "ungleiche Behandlung" beantwortet. Genannt wurden auch "Beleidigung" und "Beschimpfung", dann kamen "Absage für eine Wohnung", "abgelehnter Antrag bei einer Behörde", "verweigerter Einlass" (Disco, Sportstudio), am Schluss standen "sexuelle Gewalt" oder "körperliche Gewalt".


An wen wendet man sich?

Anlaufstellen für Betroffene, für Diskriminierte sind vor allem Vereine und Verbände, die für eine Gruppe nach diesen Merkmalen da sind: Also Beratungsstellen für Frauen, Beratungsstellen für Seniorinnen und Senioren, Beratungsstellen für MigrantInnen. Solche Anlaufstellen werden von den meisten genannt. Aber viele wenden sich auch an Beschwerdestellen innerhalb ihres Betriebs, ihrer Arbeitsstelle.

Angegeben wurden auch die Antidiskriminierungsstelle des Landes oder des Bundes.

Seltener wenden sich Diskriminierte an Anwalt, an ein Gericht oder an die Polizei. Und sehr selten wendet man sich an die eigene Familie oder Freundinnen und Freunde, so jedenfalls die Antworten dieser Umfrage.

Beratungsstellen, die eine "Gruppe", also diejenigen, die unter ein gemeinsames Merkmal fallen, sind vor Ort sehr unterschiedlich bekannt. Fast alle Befragten wussten, dass es vor Ort Beratungsstellen für Frauen, also Betroffene von Diskriminierung wegen des Merkmals "Geschlecht" gibt. In der Bekanntheit folgen Beratungsstellen für Behinderte oder für Migrantinnen. Wenig bekannt sind Beratungsstellen, die zum Thema sexuelle Identität, Religion / Weltanschauung oder des Alters beraten. Beratungsstellen zu allen sechs Merkmalen konnten nur Befragte angeben, die an der Ostküste (PLZ 235, 237, 241 und 248) leben. Auch von den Befragten in Beratungsstellen gaben die meisten an, wegen Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts zu beraten, auch hier kamen Beratungsstellen für SeniorInnen am seltensten vor.

Die Presseerklärung der Anti-Diskriminierungs-Beratung des Landes, die bei der Bürgerbeauftragten Birgit Wille angesiedelt ist, sprach davon, dass dort ein Schwerpunkt Fragen wegen einer Diskriminierung aufgrund des Alters sind. So war auch die erste öffentliche Vorstellungsveranstaltung auf dieses Thema ausgerichtet. Möglicherweise häufen sich diese Anfragen nicht etwa, weil die Diskriminierung dieser Gruppe besonders häufig vorkommt, sondern deshalb, weil es hier zu wenig regionale Beratungsangebote gibt.


Was erwarten Hilfesuchende?

Die meisten erwarten Informationen über Handlungsmöglichkeiten. Außerdem erbitten sie eine Einschätzung, ob die erlebte Diskriminierung unter die Verbote des AGG fallen. Etwas weniger genannt wurden die Erwartungen, an ExpertInnen vermittelt zu werden, oder zu Gesprächen begleitet zu werden. Die Vorbereitung einer Klage wollten nur rund ein Drittel.

Das bedeutet vermutlich, dass längst nicht alle Diskriminierten überlegen, ihre "Gegner" zu verklagen. Denn Handlungsmöglichkeiten können auch Veröffentlichungen oder Zusammenschlüsse von Gleichgesinnten sein. Die begrenzten Möglichkeiten, die das AGG gibt, scheinen also bewusst zu sein - auch ist für viele Menschen, Diskriminierte oder Nicht-Diskriminierte, der Gang zu einem Gericht wohl oft nicht die erste Wahl.


Persönliche Erfahrung

Letztlich wurde danach gefragt, ob man schon einmal selbst diskriminiert worden ist, Dies gaben 41 Personen an, die an der Umfrage teilnahmen. Die meisten gaben an, aufgrund des Geschlechts diskriminiert worden zu sein (25 Personen). An zweiter Stelle stand die Diskriminierung aufgrund des Alters (20 Nennungen). Bereits an dritter Stelle folgte mit 15 Nennungen die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft, also eines Merkmals, das im AGG gar nicht genannt ist. Auch Krankheit, Armut oder Staatsangehörigkeit wurden genannt, auch diese Merkmale sind im Gesetz nicht aufgeführt, die Diskriminierten werden also vom Gesetz nicht geschützt man könnte auch sagen: Eine Diskriminierung wegen einer Krankheit oder der sozialen Herkunft ist nicht verboten.

Als Form der Diskriminierung wurde auch hier die "ungleiche Behandlung" am häufigsten angegeben, gefolgt von Beleidigung, Beschimpfung, Einschüchterung und anderem. Bei anderen Angaben ist die Zahl der Antworten aber so gering, dass kaum Aussagen auf dieser Grundlage möglich sind - eine wirkliche Gewichtung ist erst möglich, wenn die Diskriminierung wirklich breit erfasst und wissenschaftlich ausgewertet wird. Viermal genannt wird die Ablehnung eines Antrag durch die Behörde oder auch die Absage für eine Wohnung, die sexuelle Belästigung wird zweimal genannt.


Wer soll helfen?

Von den 41 Personen, die von eigener Diskriminierung berichteten, haben sich 24 Hilfe gesucht. 18 wandten sich an die eigene Familie oder Freunde, acht an Anwalt oder Gericht, sechs an einen Verein oder Verband, der sich mit Diskriminierung beschäftigt, vier an die Polizei (Mehrfachnennungen waren möglich). Das zeigt deutlich, dass weder die Beratungsstellen noch die Klage für die Betroffenen die erste Anlaufstelle ist, sondern der eigene Freundeskreis.

Gerade dieses Ergebnis zeigt, wie wichtig es ist, Kenntnisse von der Existenz des AGG und den Möglichkeiten des Gesetzen (sowie den Grenzen) möglichst weit zu verbreiten, damit diese Suche nach Hilfe und Unterstützung nicht ins Leere laufen. Vermutlich wissen viele Freunde und Familienangehörige, an die sich Opfer einer Diskriminierung wenden, selbst auch nicht Bescheid, und die Hilfe bleibt beim reinen Zuhören stecken.

Diejenigen, die sich an Beratungsstellen wandte, gaben an, dass diese nicht mehr als fünf Kilometer vom eigenen Wohnort entfernt waren. Das bedeutet, dass ein Anti-Diskriminierungsverband in Kiel schwerpunktmäßig örtliche Beratungsstellen fortbilden muss, denn dorthin wenden sich Diskriminierungsopfer nicht nur zuerst, sondern vermutlich auch ausschließlich. Die Bürgerbeauftragte, die solch eine Beratung auch anbietet, organisiert regionale Sprechstunden in allen Kreisen des Landes - in Konzept, mit dem der advsh noch überfordert ist.


Welche Hilfe ist gefragt?

Bei der Frage nach der Art der Hilfe, die von 23 Personen beantwortet wurde, wurde 17 mal das "Offene Ohr" genannt: Einfach jemand, der einem zuhört, die oder der sich die Erlebnisse erzählen lässt. 12 Personen haben sich Handlungsempfehlungen geholt, bei einer Beratungsstelle oder im Internet. Nur acht haben ein persönliches Beratungsgespräch in Anspruch genommen. Niemand gab an, eine Klage vorbereitet zu haben.

Die meisten waren mit der Hilfe, die sie erhalten haben, sehr zufrieden. Das gilt sowohl für diejenigen, die "nur" ein offenes Ohr von Freunden erhalten haben, wie für diejenigen, die eine Beratungsstelle aufgesucht haben. Gewünscht wurden Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort, nicht im fernen Kiel oder im noch ferneren Berlin, wo die Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung Beratungen anbietet.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 303 - Dezember 2013, Seite 10-12
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2014