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GEGENWIND/612: Zwischen Fehlprognose und Amateurspekulation


Gegenwind Nr. 314 - November 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Replik auf "Zwischen Luxuswohnungen und Leerstand"
Zwischen Fehlprognose und Amateur-Spekulation

Von Christian Sternberg



Es ist sehr gut, dass der Gegenwind das strukturpolitische Thema der Verödung im ländlichen Raum aufgegriffen hat (siehe Gegenwind 313, Seite 16). Die Probleme lassen sich allerdings nicht mit ein paar staatlichen Subventionen für den genossenschaftlichen Wohnungsbau und Schienenverkehr lösen. Sie sitzen tiefer. Die Industrie zieht sich aus der Region zurück, was auch eine weitere Elbquerung nicht aufhalten wird. Das preußische Militär zieht langsam aber sicher aus Schleswig-Holstein ab, auch wenn die Wehrmacht ein paar Naturschutzgebiete noch besetzt hält. Es fehlt an Einkommen, es fehlt an Arbeit, es fehlt an Kaufkraft. Das hat auch betriebswirtschaftliche und strukturelle Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt.


Als wir vor zweieinhalb Jahren das Wohnprojekt 'frischebauern' in Meldorf mit unserem Hauskauf begründeten, dachten wir, dass die "günstigen Mieten" unseres Syndikatsprojekt in unserem strukturschwachen Dithmarschen gar nicht das angesagte Thema wären. Aber doch! Im Gutachten für die Sanierung der Meldorfer Innenstadt wird ein allgemeiner Wohnungsmangel statistisch hergeleitet. Unternehmen, die auf den Zuzug von Fachpersonal angewiesen sind, bestätigen das. Ihre Leute finden keine Mietwohnungen. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche unverkäufliche Einfamilienhäuser aus den 50er und 60er Jahren, die technisch und baulich veraltet sind. Rechnet man die Abrisskosten vom Grundstückswert ab, verbleibt ein negativer Grundstückswert. Im Klartext: Wer ein solches Grundstück nimmt, müsste noch etwas hinzubekommen.

Die Strukturschwäche schlägt der Betriebswirtschaft. im Wohnungsbau ein Schnippchen. Die marktüblichen Mieten liegen hier unter den Kostenmieten gewerblicher Wohnungsunternehmen. Professionell betriebene Wohnungsbauunternehmen mit tariflich gesichertem Verwaltungspersonal müssen teurer vermieten als Private ihre Einliegerwohnungen oder nicht selbst genutzte Einfamilienhäuser. Auch Eigentümer, die Mietwohnungen als Alterssicherung gekauft haben, verwalten selbst und können günstig vermieten. Es gibt sogar eine skurril anmutende Form der Kleinspekulation: Mieter*innen wohnen nicht selbst in ihren gemieteten Häusern, sondern untervermieten an Saisonarbeiter*innen und Monteure mit einer satten Marge. So bleibt der Mietwucher längere Zeit unerkannt; denn wer fremd ist, begehrt nur schwer gegen Einheimische auf.

Die teuren Wohnungen professioneller Wohnungsbauunternehmen bleiben längere Zeit leer stehen. Das betrifft auch genossenschaftliche Wohnungen. Bei den Bestandsmieten werden Preise von 3,50 EUR bis 4,50 EUR gezahlt, bei Neuvermietungen von Altbauten werden weniger als fünf Euro aufgerufen, vielfach ist der Zustand schlecht. Dann werden Belastungen vertraglich auf die Mieter abgewälzt, die wegen ihrer niedrigen Einkommen lieber mit Eigenleistungen zahlen. Wohnungsverwaltungen, die keine eigenen Geschäftsstellen in der Region unterhalten, bieten zwar marktgerecht preiswert an, können aber keine gesundheitlich oder energetisch zeitgemäße Standards sicherstellen. Viele Mietshäuser im Land wurden in den 50er und 60er Jahren gebaut und weisen Baumängel auf, dann lässt sich der Schimmelbefall dauerhaft nur durch Abriss sanieren. Der Mietpreis für Neubauten lag zum Beispiel in Meldorf in zentraler Lage zuletzt bei einer Kaltmiete 6,50 EUR (Vollvermietung erreichbar) oder im genossenschaftlichen Standard bei 8,70 EUR (Vollvermietung schwierig).

Übrigens: Wer in den Wohnungsbau investiert, muss allein aus steuerlichen "Gründen mit knapp 20% mehr Investitionsbedarf kalkulieren als Investoren in Gewerbebauten. Denn Wohnungsvermietung ist umsatzsteuerfrei, deshalb können Investoren keine Vorsteuer abziehen. Investiert also jemand in einen Wohnungsneubau eine Million, so muss er 190.000 EUR mehr auf den Tisch legen als ein Gewerbe-Investor. Das sind jährlich vier- bis sechstausend Euro mehr Zinskosten plus vier- bis sechstausend Euro mehr Abschreibungen. Würde für die Wohnungsvermietung ein Mehrwertsteuersatz von 7% erhoben, wären Investitionen in Mietwohnungen im Vergleich zu gewerblichem Leerstand nicht mehr benachteiligt. Allerdings ist dem Staat die Benachteiligung von Mietwohnungen wichtig, weil Eigenheimer Endverbraucher sind und somit 19% Mehrwertsteuer zahlen.

Ich wage die These: Basisdemokratische Initiativen sind für den ländlichen Raum effektiver als jedes zentralstaatliche Strukturhilfeprogramm. Bei allen Förderprogrammen bilden die Alteingesessenen das Personal für die Förderstruktur. Diejenigen, die in den vergangenen Jahren den Abstieg der Region eingeleitet und zu verantworten haben, lenken die Verteilung der Subventionen. Jede Subvention in die Region verstärkt die Fehlentscheidungen der Vergangenheit. Es geht in erster Linie darum, die eigenen Söhne und Töchter zu päppeln, statt der heimischen Wirtschaft innovative Impulse zu geben. Es sind immer dieselben Kammerjunker, die von Zwangsabgaben leben und die staatlichen Förderstrukturen bedienen.

Auch wenn auch das eine Art von Gentrification ist. Autonome Wohnprojekte haben auf dem Lande gute Chancen, die eigene Identität zu wahren und abseits vom Mainstream zu wirtschaften. Jede Idee wird auch in der Nachbarschaft konstruktiv aufgenommen. Konstruktiv, das kann auch heißen: mit neugierigen Fragen begleitet, mit kritischen Anmerkungen hinterfragt - aber genau das ist es ja, was mensch braucht, um unabhängig zu bleiben. Auf der anderen Seite können wir uns auch in der kleinen Kommune einbringen. Wer schlaue Ideen hat, findet Verbündete. Das geht viel leichter als in der Großstadt, wo es ohnehin zu viel Personal gibt. Noch gibt es in den Kleinststädten in marginalisierten Regionen eine gute kulturelle Infrastruktur: Schulen, Büchereien, Schwimmbäder, Kino, Theaterspielstätten und ähnliches. Also kommen auch die eigenen kulturellen Bedürfnisse nicht zu kurz. Je mehr Leute aus Kulturberufen zuziehen, desto besser wird's.

Selbst verwaltete Wohnprojekte haben den Vorteil, dass sie sich mit den betrieblichen Kalkulationen vertraut machen müssen. Sie können entscheiden, wie sie sich auf dem Grat zwischen Bezahlbarkeit und notwendigen Investitionen bewegen. Unser Projekt hat eine Komplettsanierung mit Fördermitteln abgelehnt, weil die Förderverträge unzählige Klauseln enthalten, die Beamten und Gutachtern in Kiel Entscheidungsrechte über Miethöhe und Wohnstandard einräumen. Was nützen Subventionen, wenn sie auf dem Weg derselben spekulativen Fehlprognosen wandeln wie auf dem gewerblichen Miet- und Eigenheimmarkt? In Meldorf wurden Eigentumswohnungen für die Zielgruppe 'alte Leute' gebaut, weil die Prognose-Irrtümer auf den Zuzug von Alten standen. Die ziehen auch zu, kaufen aber eher billige alte Häuser als neue teure Eigentumswohnungen. Die jungen Leute, die aus Polen oder Gelsenkirchen herkommen, finden nichts Angemessenes. Auf klassische Fehlprognosen kann der Mensch nur in Selbsthilfe reagieren.


Autor Christian Sternberg ist Mitglied in dem Wohnprojekt 'frischebauern' in Meldorf in Dithmarschen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Das Werbefoto suggeriert: direkt am Meer. Aber der Park des Hauses liegt an der Bahn in der Nähe einer Sauerkrautfabrik. Die Zweiraumwohnungen werden inzwischen vermietet, bei Dreiraumwohnungen wird lieber auf Käufer gewartet, als sie an Rollifahrer zu vermieten.

- "Die Leute wollen nun einmal nicht in Mietwohnungen wohnen!" lautet die Konfession dieses Neubaus, der Eigenheimen ähneln soll. Für 8,70 EUR kalt wollen aber nur wenige in diesen amerikanischen Wohntraum einziehen. Fertiggestellt Anfang 2012, im Oktober 2014 war noch etwas frei. Es sind lediglich 900 EUR genossenschaftlicher Geschäftsanteile nötig, das ist für Neubauten sehr moderat. Für Neubauten brauchen großstädtische Genossenschaften deutlich höhere Einlagen, um bankfinanzieren zu können.

- Das Haus in der Altstadt steht seit vielen Jahren leer. Der Wohnraum wird nicht einmal an Monteure vermietet, die nur zeitweise in der Gegend sind.

- Fast überall stehen alte Eigenheime leer, sie sind schwer verkäuflich. Viele flexibilisierte Erben leben weit weg, für eine Vermietung machen auch flexible Unternehmer keine Preise, die man mit der Vermietung erwirtschaften könnte.

- Was von der Meldorfer Meierei übrig blieb, verrottet still und langsam an der Bundesstraße. Ein Dilemma für kleine Städte: Haben sie eine Umgehungsstraße, bleiben sie unbemerkt. Ohne Umgehungsstraße ziehen die Risse in die Hauswände ein, und die Bewohnerinnen aus. Mit der Werbung für die Metropolen können sie nicht mithalten.

- Viele Nachkriegsbauten sind schlecht in Schuss. Die Sanierung wird teuer, wenn es schon schimmelt. Hausverwaltungen haben auf dem Lande selten eine eigene Niederlassung, die Verträge werden von Hamburg, Berlin oder Köln hin- und hergeschickt, wo die Wohnung nur eine Datei im System ist.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 314- November 2014, Seite 6-9
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2014


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