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GEGENWIND/655: Dithmarschen - Bürgerinitiativen gründen Netzwerk


Gegenwind Nr. 329 - März 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

DITHMARSCHEN:
Bürgerinitiativen gründen Netzwerk

Von Klaus Peters


Der Andrang war groß bei der Gründungsveranstaltung des Netzwerks der Dithmarscher Bürgerinitiativen für eine vernünftige Energiepolitik, die am 27. Januar im Wöhrdener historischen Gasthaus Oldenwöhrden stattfand. Rund 250 Interessenten hatten sich eingefunden, um von den Initiatoren des Netzwerks (BIND) informiert zu werden und um etwas über Möglichkeiten des Engagements zu erfahren.


Der Kreis Dithmarschen ist die Region in Schleswig-Holstein, die wohl am stärksten mit Windkraftanlagen bestückt ist. Die Voraussetzungen sind auch relativ günstig, über die flache Marsch, unmittelbar am Meer, weht der Wind am stärksten. Der Landschafts- und Naturschutz konzentrierte sich immer mehr auf Schutzgebiete, flache Marsch- oder Sanderlandschaften waren für Planer bisher keine besonders schutzwürdigen Gebiete. Anfangs waren es nur kleine Gebiete mit Anlagen, deren Gesamthöhe unter 100 Meter lag, doch inzwischen hat sich die Situation dramatisch geändert. Die Anlagen sind in den letzten Jahren jedoch immer größer geworden, erreichen jetzt Gesamthöhen von 200 Meter und obgleich im Kreisgebiet bereits deutlich über 300% des Eigenbedarfs an Strom produziert wird, sollen weitere Anlagen errichtet werden - jetzt auch verstärkt auf der Geest und in der Nähe von ausgewiesenen Schutzgebieten, Wäldern oder charakteristischen Landschaftsräumen [1].


Immer mehr Bürger wollen endlich etwas tun

Seit vielen Jahren sind Bürger in kleineren Bürgerinitiativen tätig, viele haben sich in den letzten Jahren auch dem Verein "Gegenwind-SH für Mensch und Natur e.V." angeschlossen. Wie so oft sind die meisten erst aktiv geworden, seit sie eine konkretere Betroffenheit wahrgenommen haben. Und die Zahl der Betroffene steigt natürlich bei einer wachsenden Zahl von Anlagen, bei Anlagen, die wegen ihrer Größe und der nächtlichen Blinkfeuer in immer größeren Entfernungen wahrgenommen werden können. Hinzu kommt die verbesserte Information der Bürger durch die bereits aktiven Bürgerinitiativen, durch Veranstaltungen und zunehmend auch durch regionale und überregionale Medien.

Jetzt ist die Situation eingetreten, dass auch bestehende Anlagen kaum noch akzeptiert werden. Ein entscheidender Grund des Engagements der Initiatoren und Initiatorinnen der Netzwerkgründung war, wie eine von ihnen feststellte, sich nicht von ihren Kindem fragen lassen zu müssen: "Warum habt ihr nichts getan?" Die Teilnehmer der Veranstaltung quittierten die geäußerte Kritik und dieses Statement mit starkem Beifall.


Das Bürgerinitiativen Netzwerk konkret

Die vorgestellten Ansätze des Netzwerks sind ähnlich wie bei anderen Nichtregierungsorganisationen. Das Netzwerk soll sich nicht nur mit der Planung von WKAs auseinandersetzen, sondern auch mit der Energiepolitik und deren Fehlentwicklungen. Dabei sollen auch die bewährten Instrumente: Öffentlichkeitsarbeit über die Medien, das Internet, Verteilung von Informationsbroschüren, Veranstaltungen, Briefe und Gespräche mit Politikern, eingesetzt werden. Als ganz besonders wichtig benannt wurde die Kooperation mit Organisationen, die ähnliche Ziele verfolgen, wie dem Verein Gegenwind-SH e.V., der Bundesinitiative VERNUNFTKRAFT. e.V., aber auch mit dem Kreisverband Dithmarschen des BUND.

Die zentralen Forderungen des BIND sind die Erhöhung der Abstände der WKA zu Wohngebäuden und Siedlungen, eine echte Mitwirkung der Bürger und die Erhaltung von Charakteristischen Landschafts- und Kulturräumen. Ferner geht es dem BIND wie den anderen in diesem Bereich aktiven Nichtregierungsorganisationen um die Abschaffung der Privilegierung gemäß Paragraph 35 des Bundesbaugesetzes (BauGB), darum, die Landesregierung dazu zu bringen, das 300%-Ziel nach unten zu korrigieren und um die Abschaffung von Subventionen. Die Begleitung und Einflussnahme auf die Teilfortschreibung des Regionalplanes steht dabei unmittelbar bevor. Die Sprecherin des BIND, Andrea Eberhard, schloss die Vorstellung des Netzwerks mit einem Zitat von Erich Kästner: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es".

Im weiteren Verlauf der Veranstaltung erhielten die Teilnehmer technische Informationen über die Energieerzeugung durch WKA und deren Nebenwirkungen. Die Subventionen für die Windenergiebetreiber betrugen 2014 rund 2,4 Mrd. Euro, hinzu kam eine Mrd. Euro für die Abregelung der Anlagen. Der Wert des Stroms (Börsenpreis) betrug 1,5 Mrd. Euro. Allein in Schleswig-Holstein sind im letzten Jahr 200 Millionen Euro als Kompensation für Abregelungen geflossen. Die Betriebszeit der Anlagen beträgt auch in windstarken Gebieten an Land nur rund 2000 Stunden [2]. Auch eine Vernetzung durch neue Höchstspannungsleitungen bis ins Ausland wird die Volatilität der Stromerzeugung nicht verringern sondern sogar noch verstärken, wie die BIND recherchiert hat.

Zu den Abständen wurde auf der Basis von Informationen des Landesplanungsamtes erläutert, dass derzeit 8,4% der Landesfläche als Vorranggebiete gelten sollen. Bei einer Vergrößerung der Abstände zu Wohngebäuden auf 1000 Meter, wie in Mecklenburg-Vorpommern beschlossen, würde sich diese Fläche demnach auf 4% reduzieren. Sollten 200 Meter Abstand, wie in Bayern, festgelegt werden, könnten größere Anlagen (mit 200 Meter Gesamthöhe) kaum mehr errichtet werden.

Die Aktivistin, Eicke Ziehe, berichtete den Zuhörern anschließend engagiert über die von ihr initiierte Petition und über ihre Erfahrungen bei der Anhörung vor dem Petitionsausschuss im Landtag. Die Petition war von knapp 3000 Bürgern unterstützt worden und beinhaltete einen Ausbaustopp bei Windkraftanlagen, da das ursprüngliche Ausbauziel von 200% bereits deutlich überschritten worden ist. Besonders enttäuscht war sie von einem Abgeordneten der Partei Die Grünen, der die in der Petition enthaltenen Forderungen rüde abgelehnt und sich dann auch noch vor die Fernsehkameras gedrängt hatte.

In der anschließenden Diskussion kamen mehrere Beispiele von zu später Information durch Behörden und Politik genauso wie die Vermengung von Ämtern und Mandaten mit wirtschaftlichen Interessen zur Sprache. Ein Bürger zitierte eine beeindruckende landeskundliche Beschreibung Dithmarschens, das es nun aber in großen Teilen seit 20 Jahren nicht mehr gibt.

Das BIND hat sich viel vorgenommen und ist gut aufgestellt. Die Teilnehmer der Veranstaltung waren offensichtlich sehr beeindruckt, fast alle nahmen die bereit gelegten Beitrittsformulare mit nach Hause. Da die politischen Parteien die Betroffenen und die Bürgerinitiativen bisher weitgehend ignoriert haben und immer nur mehr Dialog versprochen worden ist, was fast nie zu echter Beteiligung und Einflussnahme geführt hat, brauchen die Akteure des BIND sicher viel Kraft und Unterstützung. Sie sollten sich trotz der notwendigen Konzentration auf konkrete Probleme aber auch mit alternativen Wirtschafts- und Lebensweisen auseinandersetzen und diese wiederum auch in politischen Vereinigungen offensiv vertreten.

www.bind-sh.de


ANMERKUNGEN
(1) Es handelt sich hierbei um Gebiete, die weitgehend durch bestimmte, im Landesentwicklungsplan (LEP) genannte Gebietstypen geprägt und in ihrer Gesamtheit unter Einschluss von Randgebieten und Pufferzonen als besonders prägende anzusehen sind. Siehe hierzu auch Kreis Dithmarschen, Fachdienst Bau und Regionalentwicklung, Fachdienst Naturschutz: Charakteristische Landschaftsräume in Dithmarschen, 24.02.2011
(2) In windschwächeren, küstenfernen Gebieten sind es oft nur 1300 Stunden, DIE WELT vom 28.1.2016, S. 10



In Mecklenburg-Vorpommern gelten folgende Rahmenbedingungen für die Aufstellung von WKAs:

Es stehen 1,5% der Landesfläche zur Verfügung. Die Größe der Windparks" soll mindestens 35 Hektar betragen.

Die Gebiete sollen mindestens 2,5 Kilometer voneinander entfernt liegen.

Zu geschlossener Wohnbebauung ist in der Regel ein Abstand von 1000 Meter, zu Einzelbebauungen sind 800 Meter einzuhalten.

Quelle: Sven Wilkens, ANDRESEN RA, Rostock, Regionaler Raumentwicklungsplan in Mecklenburg-Vorpommern v. 11.05.2012

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Quelle:
Gegenwind Nr. 330 - März 2016, Seite 26-28
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2016

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