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GEGENWIND/735: Wohnen für viele statt Fliegen für wenige!


Gegenwind Nr. 349 - Oktober 2017
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Lokales
Wohnen für viele statt Fliegen für wenige!

von Andreas Meyer


Unter diesem Motto startete Anfang September in Kiel ein Bürgerbegehren mit dem Ziel, den Flugplatz Holtenau in einen Stadtteil mit 1800 Wohnungen und Gewerbebetrieben zu verwandeln. Dabei soll ein sozial gemischtes Quartier entstehen mit einem hohen Anteil an bezahlbarem Wohnraum für Familien, Studierende, Rentner*innen sowie für Menschen, die auf barrierefreies Wohnen angewiesen sind. Da sich der Flugplatz im städtischen Besitz befindet, eröffnet sich hier die einmalige Chance, das große Areal ökologisch zu gestalten und mit geförderten Wohnraum von mindestens 30 Prozent zu entwickeln. Es geht bei dieser Zielsetzung also nicht um ein zweites "Schlosspark-Quartier" mit Luxuswohnungen am Wasser.


Das Verfahren des Bürgerbegehrens

Die Kampagne wird von dem breiten Bündnis "Wir bauen Stadt" getragen.*

Für das Bürgerbegehren sind mindestens 8000 Unterschriften notwendig, die nur per Hand und nicht elektronisch zählen. Ausreichende Unterschriften führen zu einem Bürgerentscheid, der parallel zu den kommenden Kommunalwahlen im Mai nächsten Jahres erfolgen soll. Dieses Timing ermöglicht eine möglichst hohe Beteiligung.

Die Unterschriften für den Bürgerentscheid werden an Ständen in der Stadt, in ausgewählten Geschäften und am Rande von Veranstaltungen gesammelt. Es ist aber auch möglich, sich den Fragebogen auf der Website www.wirmachenstadt.de auszudrucken und ihn an eine der dort angegebene Postsammelstellen zu schicken.

Die Fragestellung des Bürgerbegehrens lautet: "Sind Sie dafür, dass der Verkehrslandeplatz Holtenau geschlossen und stattdessen auf dem Gelände ein neuer misch-genutzter Stadtteil mit weitestmöglich kommunalen und gemeinnützigen Wohnungsbau und Gewerbe entwickelt wird?"

Der Begriff "weitestmöglich" war formal notwendig, da ein Bürgerentscheid die Entscheidungs- und Planungskompetenz der kommunalen Selbstverwaltung z.B. durch eine vorgegebene konkrete Bebauungsplanung nicht aushebeln darf.

Der anschließende Bürgerentscheid am 6. Mai 2018 wäre erfolgreich, wenn die Mehrheit der Wähler*innen mit Ja stimmen würde. Dazu sind in Kiel bei einer zu erwartenden Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen mit rund 40 Prozent etwa 40.000 Ja-Stimmen nötig.

Bei dem Bürgerentscheid geht es zunächst darum, die Zielsetzung zu formulieren und eine umfassende Wohnbebauung auf dem Flugplatz. zu ermöglichen. Die wäre durch einen positiven Entscheid für Rat und Verwaltung verbindlich, denn ein solcher Entscheid hätte die Qualität eines Beschlusses der Ratsversammlung mit der gleichzeitigen Aufforderung, für den Flugplatz einen Bebauungsplan für Wohnen und Gewerbe zu erstellen. Die konkrete inhaltlich Umsetzung des Bebauungsplans ist dann natürlich Thema künftiger politischer Auseinandersetzungen. Die müssten aber unabhängig von der Vorgehensweise in jedem Fall erfolgen.

Die Ratsversammlung kann zwar nach zwei Jahren den Entscheid aufheben und etwas anderes beschließen, doch das ist gegen einen mehrheitlichen Bürgerwillen politisch schwer durchsetzbar.

Gründe für das Bürgerbegehren
Kiel braucht mehr bezahlbaren Wohnraum!

Noch einmal kurz einige Daten zur Wohnraumentwicklung in Kiel. Die Stadtverwaltung prognostiziert, dass bis 2025 ungefähr 10.000 neue Einwohner in Kiel leben werden, die 9000 neue Wohnungen benötigen. Doch schon heute gibt es laut Kieler Mieterverein einen Fehlbestand von 2500 bis 3000 Wohnungen. Bis 2030 gehen verschiedene Prognosen sogar von einem zusätzlichen Bedarf von 21.000 Wohnungen aus.

Der tatsächliche Wohnungsbau hinkt dieser absehbaren Entwicklung dramatisch hinterher. So hat sich der Wohnungsbestand von 2010 bis 2015 gerade einmal um rund ein Prozent erhöht. Dazu kommt, dass diese Wohnungen vorwiegend teure Eigentums- oder Mietwohnungen in sogenannten besten Wohnlagen sind. Davon sind weit über 90 Prozent mit einem Durchschnittseinkommen nicht finanzierbar.

Das proklamierte Ziel der Stadt, auf städtischen Grundstücken eine Bebauung mit 30 Prozent geförderten Wohnraum (Sozialwohnungen) zu erreichen, erwies und erweist sich auch heute noch als eine Luftnummer So werden von 2015 bis 2017 nur 173 Sozialwohnungen gebaut. Das ist ein Schnitt von nicht einmal 60 pro Jahr. Selbst nach den Projektionen des Stadt wären mindesten 350 neue geförderte Wohnungen pro Jahr nötig, denn durch eine Landesgesetzgebung hat sich in Kiel der Anteil an geförderten Wohnraum Von rund 16 Prozent im Jahr 2005 auf heute rund 7 Prozent mehr als halbiert.

Vor dem Hintergrund dieser desaströsen Wohnraumsituation ist es logisch, dass die Menschen hinten runter fallen, die knapp bei Kasse sind. Das betrifft besonders Mieter, die auf Sozialwohnungen angewiesen sind.

Auch für Studierende ist die Lage auf dem Wohnungsmarkt prekär. Das Studentenwerk versorgt mit 1860 Wohnheimplätzen gerade einmal 7 Prozent der Studierenden. Damit ist Kiel hinsichtlich der Wohnheimplätze im Bundesvergleich mit einer Durchschnittsquote von 12 Prozent das Schlusslicht.

Für Geflüchtete sieht es in dieser Stadt besonders mies aus. Noch heute leben 1600 - 1700 anerkannte Asylbewerber*innen zu einem großen Teil schon seit über zwei Jahren in Gemeinschaftsunterkünften. Viele von ihnen zu mehr als zwei Personen in einem Raum. Ein unhaltbarer und menschenunwürdiger Zustand.

Nicht zuletzt infolge mangelnden bezahlbaren Wohnraums haben sich die sogenannten Wohnungsnotfälle, bei denen Menschen gezwungen sind, ihre Wohnungen zu verlassen, im Vergleich zu 2015 um 80 Prozent erhöht.

Allein diese Entwicklungen und Zahlen belegen, dass für Kiel, ganz abgesehen von ständig steigenden Mieten, von einer Wohnungsnot geredet werden muss.

Bauplätze sind knapp!

Die Flächen für neue Wohnungen innerhalb des Stadtgebiets sind knapp. Das wird bei dem neuen Wohnungsbauflächenatlas der Stadt deutlich. Die Angaben sind zwar noch ungenau, weil Privateigentümer zu ihren Grundstücken nicht auskunftspflichtig sind, aber es gibt es zurzeit keine anderen Quellen. Der Flugplatz ist in die Flächenermittlung nicht einbezogen.

Nach dem Atlas besteht auf 175 Flächen ein Gesamtpotenzial für rund 9400 neue Wohnungen. Davon wären 20 Prozent in Einfamilienhäusern und 80 Prozent in Mehrfamilienhäusern möglich.

Auf den Flächen, die bereits im Verlauf eines Jahres für den Bau von rund 1600 Wohnungen nutzbar wären, könnten 48 Prozent auf städtischem Boden gebaut werden. Mittelfristig (zwischen 1 - 5 Jahren) besteht ein weiteres Potenzial von rund 1400 Wohneinheiten, von denen 34 Prozent auf Flächen im Besitz der Stadt errichtet werden könnten.

Das bedeutet, dass auf städtischen Grundstücken im Verlauf der kommenden fünf Jahre annähernd 1300 neue Wohnungen entstehen könnten. Mindestens hier hat die Stadt einen entscheidenden Einfluss darauf, wie und was gebaut wird.

Würde der Flugplatz Holtenau, wie oben beschrieben, als Wohn- und Gewerbegebiet einbezogen, könnten allein hier auf 30 ha 1800 zusätzliche Wohnungen entstehen. Daraus ergäbe sich dann insgesamt für Kiel langfristig eine Potenzial von 3100 Wohnungen auf städtischen Boden.

Ein neuer Stadtteil

Eine Bebauungsplanung auf dem Gelände des Flugplatzes ermöglicht eine koordinierte Gesamtplanung mit dem benachbarten MFG 5 Gelände zu einem bunten sozial gemischten Stadtteil, in dem Wohnen und Arbeiten auf das Beste verbunden werden könnte.

Damit auf diesem städtischen Boden auch ausreichend bezahlbarer und geförderter Wohnraum entsteht, ist die Neugründung einer starken städtischen Wohnungsbaugesellschaft unumgänglich. Besonders vor dem Hintergrund niedriger Zinsen und einer hohen Nachfrage an Wohnungen im Luxussegment haben private Investoren trotz staatlicher Fördermittel nicht das geringste Interesse an sozialem Wohnungsbau. Das hat die Entwicklung der letzten Jahre auf dem Wohnungsmarkt in Kiel eindeutig bewiesen.

Der Flughafen Holtenau beansprucht viel Raum und ist ein Zuschussgeschäft

Obwohl seit 2006 vom dem Flugplatz keine Linienmaschine mehr abhob und sich seit 2002 keine Firma mehr ansiedelte, die etwas mit Fliegen zu tun hat, zahlt die Stadt Kiel jährlich 500.000 Euro, um die Defizite des Flugplatzbetriebs auszugleichen. Für die Pacht dieses idealen Geländes nimmt sie dagegen nur 1 Euro pro Jahr.

Der Hinweis, dass dieser Flugplatz ein Standortvorteil für künftig größere Gewerbeansiedlungen sein könnte, ist eine sehr luftige Projektion. Da fragt man sich doch, warum das nicht längst geschehen ist. Darüber hinaus ist auch Gewerbeansiedlung in einem neuen Stadtteil ebenfalls möglich.

Auch das Argument von Flugplatzbefürwortern, dass der Erhalt notwendig für die Transplantationsmedizin des Universitätsklinikum sei, erscheint dürftig. Direkt an der Uni-Klinik oder neben der Hauptfeuerwache landen schon heute Patienten und Organe in Hubschraubern für die Transplantation. Darüber hinaus erlauben neue, verbesserte Systeme längere Transportzeiten für Organe. Eines der größten Transplantationszentren in Heidelberg beweist im Übrigen, dass Organtransplantationen offenkundig auch ohne Flugplatz unkompliziert möglich sind.

Allein die wenigen Hobby- und Geschäftsflieger müssten sich bei einer Flughafenbebauung nach Alternativen umsehen. Das wäre bei dem Gewinn, den ein neuer ökologisch gestalteter und sozial bunter Stadtteil mit bezahlbaren Wohnraum für die Kieler und Kielerinnen bringen würde, zumutbar.

Daraus ergibt sich insgesamt der Schluss: Wohnen für viele statt Fliegen für wenige!


(*) Attac, BUND/Kiel, Bündnis 90/Die GRÜNEN/Kiel, Die LINKE/Kiel, Hansa Str.48, Hempel, Piraten, Pro. Katzheide, Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAHV)/Kiel

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Quelle:
Gegenwind Nr. 349 - Oktober 2017, Seite 42 - 43
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2017

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