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GEGENWIND/791: Buchbesprechung - "Die Pestizid-Lüge" von André Leu


Gegenwind Nr. 365, Februar 2019

Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Pflanzenschutz?
Es geht darum, dass Gift auch Gift" genannt wird

von Reinhard Pohl


Wenn die Landwirtschaft produziert, müssen die Verantwortlichen viele Entscheidungen treffen. Viele davon können den Absatz beeinträchtigen, wenn man zum Beispiel Boden durch Rodung gewinnt, wenn man Kunstdünger oder Insektengift einsetzt. Deshalb werden viele Rechtfertigungen vorgebracht und Wörter erfunden. "Pflanzenschutz" ist eines davon, "Bekämpfung des Hungers" eine andere.


In diesem Buch geht es um die industrielle Landwirtschaft und die Gefahren, die davon ausgehen. Und wenn auf der einen Seite von "Pflanzenschutz" statt "Insektengift" gesprochen und geschrieben wird, ist auch die andere Seite nicht frei von der Versuchung, die Sprache kreativ einzusetzen: "Wie die Industrie die Gesundheit unserer Kinder aufs Spiel setzt", lautet die Unterzeile des Buchtitels. Es geht aber um uns alle, nicht nur um Kinder.

Das Buch stellt im Wesentlichen fünf Mythen vor und beschreibt dazu die Wirklichkeit. Dabei geht es um Mythen, die von der Industrie verbreitet werden, um ihre Wirkstoffe zu verkaufen und den Ruf der Käufer und Anwender zu schützen. Denn das Image dieser Mittel, die über den Feldern versprüht werden, ist eben eher negativ, zumindest in den Industriestaaten.

Zunächst werden wir alle beruhigt: Die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln sei ungefährlich, denn sie würden ja vor der Zulassung alle getestet. Das, so der Autor, sei nicht ganz richtig. Getestet werden die angegebenen Wirkstoffe, wobei die Behörden längst nicht alles testen. Nicht getestet werden die Kombinationen und Mischungen, die es gibt. Und nicht getestet werden die tatsächlichen Anwendungen. Denn oft gibt es für die Landwirte eine Gebrauchsanweisung, wie sie die gelieferten Stoffe mischen, anrühren und anwenden sollen - aber natürlich kann niemand sagen, ob die einzelnen Landwirte das auch so machen. Und über die Wirkungen der Kombinationen weiß auch niemand etwas, wenn ein Mittel zugelassen wird.

Dann wird mit Laien gespielt: Es werden "Grenzwerte" festgelegt. Geringe Mengen an Rückständen dürfen in den fertig verarbeiteten Lebensmitteln sein, denn sehr kleine Mengen sind angeblich nicht so gefährlich, wie es große Mengen sind. Dabei sollte man aber bedenken: Bestimmte Hormone, die auch in Pflanzenschutzmitteln enthalten sind, dienen im Körper als Botenstoffe. Hier ist es genau umgekehrt: Große Mengen werden vom Körper ignoriert, aber Spuren dieser Hormone lösen dann aber schwerwiegende Reaktionen aus.

Pestizide, so behauptet die Industrie gerne, bauen sich im Laufe der Zeit schnell ab. Das mag sogar stimmen - aber es gibt ein Thema, worüber die Industrie nicht gerne spricht: Wenn solche Stoffe sich abbauen, gibt es auch Abbau-Produkte. Die Gifte verschwinden ja nicht, sondern sie zersetzen sich, bilden neue Stoffe und neue Kombinationen. Wie giftig sind diese für wen? Das wird bisher bei keinem Zulassungsverfahren untersucht und bewertet. Wir wissen heute, dass manche Abbauprodukte von Giften giftiger sind als die Ausgangsprodukte, die von Landwirten in die Umwelt entlassen wurden.

Die Aufsichtsbehörden sind ein weiteres Thema des Buches. Hier weist der Autor nach, dass in diesen Behörden oft Personal und Sachverstand fehlt. Oft gibt es Genehmigungsbescheide, in denen einfach aus Studien der Industrie selbst zitiert wird, die auch den Zulassungsantrag gestellt hat. Die Aussichtsbehörden sind oft gar nicht in der Lage, wirklich eine Aufsicht zu führen über die Produktion von Konzernen, die um ein Vielfaches größer und besser ausgestattet sind als die Kontrollbehörden.

Aber am Schluss geht es natürlich um das Wichtigste überhaupt: Die Zahl der Menschen wächst, und damit muss auch die Menge der Lebensmittel wachsen. Und das, so sagt uns die Industrie, ist eben nur mit modernen und industriellen Methoden der Landwirtschaft möglich, bei denen Kunstdünger und Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen. Wer gegen Pestizide ist, ist damit irgendwie für den Hunger in der Welt verantwortlich, so wird uns suggeriert. Falsch, sagt der Autor. Natürliche Methoden der Produktion sorgen dafür, dass der Boden fruchtbar bleibt und nachhaltig genutzt werden kann. Natürlich ist es nicht möglich, Monokulturen für den Export anzubauen, zum Beispiel Ölfrüchte in Afrika für den "Biosprit" in der EU. Aber Lebensmittel kann man durchaus ohne die Hilfsmittel der Industrie in ausreichendem Maß produzieren - und ohne die teuren Mittel können die Bauern die Lebensmittel für sich und ihre Nachbarn selbst produzieren.

Das Buch ist natürlich vor allem durch die Diskussion über Glyphosat aktuell. Aber es gibt Hunderte von Produkten der chemischen Industrie, die nicht ungefährlicher, aber unbekannter sind. Das Buch nimmt sie insgesamt in den Blick und wirbt für eine Landwirtschaft ohne Gift. Geschrieben wurde es allerdings in den USA, insofern ist der Schwerpunkt der Betrachtung nicht Deutschland.


André Leu: Die Pestizid-Lüge. Wie die Industrie die Gesundheit unserer Kinder auf Spiel setzt. Oekom-Verlag, München 2018, 237 Seiten, 20 Euro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 365, Februar 2019, Seite 53
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2019

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