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GEGENWIND/839: Sozialer Wohnraum statt Spekulation


Gegenwind Nr. 374 - November 2019
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Sozialer Wohnraum statt Spekulation

von Siglinde Cüppers und Klaus Vonberg


Am 4. Oktober wurde das Haus Burgstraße 36 besetzt. "Das Haus soll den Menschen dieser Stadt wieder als sozialer Wohnraum zur Verfügung stehen, statt spekulativen Interessen zu dienen", erklären die Hausbesetzer. Das Haus ist Eigentum des städtischen Sanierungsträgers. überall dort, wo dieser Sanierungsträger aktiv war, wurde günstiger Wohnraum vernichtet und Mieten erhöht. In der Burgstraße 36 gab es seit drei jahren Leerstand, obwohl es in Flensburg viele Wohnungssuchende gibt, die günstigen Wohnraum wollen und an Luxussanierungen nicht interessiert sind.


Die Besetzung des Hauses in der Burgstraße 36 wird von der DKP Flensburg unterstützt


In Flensburg wird seit Jahren viel gebaut. Bezahlbarer Wohnraum wird dadurch vernichtet, dass neue und teure Wohnungen gebaut werden, viele davon als Eigentumswohnungen. Diese Wohnungen können sich nur diejenigen leisten, die ein überdurchschnittliches Einkommen haben. Student*innen, Schüler*innen, Auszubildende, Rentner*innen und Menschen ohne Arbeit können sich diese Wohnungen nicht leisten.


Neuer Wohnraum schafft Wohnungsknappheit

Aufgrund von Sanierungsmaßnahmen, die von Investoren durchgeführt werden, die damit Profite erwirtschaften wollen, entstehen neue Eigentumswohnungen und Mietwohnungen, die sich nur diejenigen mit einem überdurchschnittlichen Einkommen leisten können. Teilweise verkauft die Stadt kommunales Eigentum an Investoren, die dann neuen verteuerten Wohnraum schaffen.

Bezahlbarer Wohnraum für ärmere Menschen wird seit Jahren systematisch vernichtet und der Gentrifizierung Tür und Tor geöffnet. Für vorhandenen billigen Wohnraum erteilte die Stadt Flensburg Abrissgenehmigungen, obwohl es dort Mieter gab, die mit der Qualität der alten, aber selbst liebevoll renovierten Mietwohnungen sehr zufrieden waren. Die dort entstandenen Neubauten waren dreimal so teuer, die alten Mieter sind vertrieben. Es gibt gar keinen Mangel an Wohnraum im Hochpreissegment. Wohnraummangel gibt es nur für den ärmeren Teil der Bevölkerung.

Wenn bei einem Neubau einer Wohnungsbaugenossenschaft, nicht etwa einer "Heuschrecke", in Flensburg eine 54 qm große Zweizimmerwohnung 709 Euro kostet, dann ist das unsozial. Büroangestellte, Busfahrer, Bauarbeiter, verdienen im Monat durchschnittlich etwa 2.000 bis 2.300 Euro brutto. Wenn sie 709 Euro für eine 54 qm große Wohnung in Flensburg bezahlen müssen, dann ist das etwa die Hälfte ihres Nettoeinkommens. Für eine Familie mit Kindern reichen 54 qm aber nicht aus.


Fütterung der Miethaie aus Steuermitteln

Wenn Menschen Wohngeld beantragen müssen, weil ihr Arbeitslohn nicht mehr für die Miete reicht, dann ist das menschenunwürdig. Arme Menschen haben ein Anrecht auf Wohnungsbeihilfe 'nach' den Hartz-IV Regelsätzen, diese wird von der Stadt Flensburg bezahlt. Die Vemichtung günstigen Altbaubestandes hatte auch zur Folge, dass die Unterbringung eines Bedürftigen der Stadt Flensburg nicht mehr nur 240 Euro, sondern 374 Euro kostet. Denn selbstverständlich haben alle privaten Hausbesitzer ihre Mieten im Altbausegment drastisch erhöht, nach dem der Wohnungsmarkt von Billigkonkurrenz bereinigt wurde. Ohne Not hatte so die Stadt Flensburg dazu beigetragen dass die Miethaie für die Unterbringung jedes Bedürftigen mehr als eineinhalb mal so viel Steuergelder bekommen als noch vor zehn Jahren. Kein Bedürftiger hat dadurch eine bessere Wohnung bekommen. Es sind dieselben Wohnungen geblieben, diese sind nur teurer.

Das Wohngeld ist eine Subvention aus Steuermitteln für gierige Hausbesitzer und Investoren. Das Geld, das ihnen über das Wohngeld zugeschoben wird, wird von arbeitenden Menschen erwirtschaftet und fehlt im Haushalt der Stadt für andere notwendige Investitionen.

Kein Hausbesitzer wird in Flensburg dazu verpflichtet, einen bestimmten Teil seiner Mieteinnahmen in sein vermietetes Eigentum zu investieren um Verfall zu vermeiden. Er kann die Miete auch ohne zu investieren erhöhen. Selbst dann, wenn es für Sanierungen öffentliche Fördermittel gibt, kommen diese nur den Investoren zu gute. Das sind immer dieselben "üblichen Verdächtigen", die Kapitalgesellschaften und Bauunternehmen, die gute Beziehungen zu den Kommunalpolitikern haben, daß diese ihnen die Extraprofite zuschieben können. Es gibt kein einziges Beispiel, dass durch Sanierung günstiger und bezahlbarer Wohnraum für die Ärmeren geschaffen werden ist.


Hausbesetzung als notwendiger Kampf gegen Gentrifizierung und Ghettobildung

Die Forderung, bezahlbaren Wohnraum auch für Menschen mit geringem oder gar keinem Einkommen zu schaffen, ist in Flensburg systematisch ins Gegenteil verkehrt worden. Sanierung in Flensburg führt grundsätzlich zur Vernichtung von billigem Wohnraum und zur Gentrifizierung.

Gentrifizierung führt zur Ghettobildung mit sozialen Brennpunkten und auch dafür gibt es in Flensburg Beispiele. Wenn ein Ghetto saniert und gentrifiziert wird, wird das Ghetto mit allen sozialen Problemen anderswohin verdrängt.

Alle Menschen haben ein Recht darauf, da leben zu können, wo sie selbst ihren Lebensmittelpunkt sehen und wo ihr Wohnumfeld ist, das oft über Jahre gewachsen ist und wo sie sich aufgehoben und sicher fühlen.

Die Wohnungspolitik der Stadt Flensburg vertreibt Menschen und zerstört ihr Wohnumfeld.

Wenn Menschen Häuser besetzen, weil sie sich gegen die Vertreibung aus ihrem Wohnumfeld wehren, dann ist das ihr menschliches Recht und ihre Vertreibung ist Unrecht.


Zum Weiterlesen:

Friedrich Engels: Zur Wohnungsfrage
http://www.mlwerke.de/me/me18/me18_209.htm

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Quelle:
Gegenwind Nr. 374 - November 2019, Seite 28 - 29
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2019

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