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GEHEIM/248: Westdeutsche Aufklärung "unter der Haube" der Lubljanka


GEHEIM Nr. 1/2009 - 6. April 2009

KGB GEGEN BND
Fast wie in Stirlitz...
Zehn Jahre arbeitete die westdeutsche Aufklärung "unter der Haube" der Lubljanka

Von Wladimir Sergejewitsch Antonow


Vor fast vierzig Jahren fand an der Staatsgrenze der beiden deutschen Staaten ein Ereignis statt, welches in jener Zeit in den einheimischen und ausländischen Massenmedien fast nicht beleuchtet wurde. In der Nacht des 17. Februars 1969 brachten die Angehörigen des Abwehrdienstes der DDR 18 Agenten der westdeutschen Aufklärung, die in den Gefängnissen der DDR Strafen absaßen, des weiteren drei Westdeutsche, die man auf frischer Tat in der UdSSR festgenommen hatte, weil sie für die USA spionierten, in einem Bus zum Grenzkontrollpunkt Herleshausen. Alle diese 21 Personen tauschte man aus gegen...einen Menschen.

Dies war Heinz Felfe, der 1961 verhaftet worden war und eine fünfzehnjährige Strafe absaß. Dieses Urteil fällte ein westdeutsches Gericht. Übrigens: Eine derartig harte Strafe erhielt in der BRD kein Agent eines ausländischen Geheimdienstes. Man kann mit Gewissheit sagen, dass für das KGB der UdSSR Heinz Felfe in Westdeutschland dasselbe bedeutete, was Kim Philby in England war. Dank der Tätigkeit von Felfe wurden alle Geheimnisse der von Reinhard Gehlen geleiteten Aufklärung der BRD der Lubljanka über zehn Jahre hinweg bekannt.


Untergebener von Schellenberg

Heinz Felfe wurde am 18. März 1918 in Dresden geboren in der Familie eines deutschen Polizisten. Seit den Kindesjahren impften ihm Vater und Mutter solche ethischen Eigenschaften ein, wie Toleranz gegenüber fremden Ansichten, das Vermögen, sich mit den Leuten zu verstehen, das Streben nach Selbständigkeit und Wissen. Er wuchs in der Periode der Schande und Demütigung Deutschlands auf, im Ergebnis des Ersten Weltkriegs verlor Deutschland seine ehemalige imperiale Größe. Die Sieger trennten vom Land, welches eine Niederlage erlitten hatte, eine Reihe Territorien ab, auferlegten ihm gewaltige Kontributionen. Laut Friedensvertrag von Versailles war es den Deutschen verboten, zahlenmäßig starke und gut ausgerüstete Streitkräfte zu haben.

Auf der Welle der Unzufriedenheit über das so genannte "Versailler System" reiften in Deutschland revanchistische Stimmungen, was schließlich im Jahr 1933 zur Macht der Nationalsozialistischen Partei mit Adolf Hitler an der Spitze führte. In jener Zeit war der 15 Jahre alte Heinz gleich vielen seiner Altersgenossen davon überzeugt, dass das neue Regime nicht nur Schluss macht mit den "Folgen von Versailles", sondern dem deutschen Volk auch ein klares Ziel gibt, Wohlergehen und eine strenge Ordnung im Land schafft. Seit 1936 war Felfe Mitglied der Dresdner Jugendorganisation "SS-Motor". Als er die Mittelschule beendet hatte, begann er, in einem optischen Gerätewerk zu arbeiten. Aber bald gelangt Heinz zu dem Schluss, dass dies nicht seiner Berufung entspricht, und er stellt sich das Ziel, eine juristische Ausbildung zu erhalten. Am 1. September 1939 überfiel Deutschland jedoch Polen. Es begann der Zweite Weltkrieg, und Felfe wurde in die aktive Armee einberufen. Nach zehntägiger Teilnahme an den Kampfhandlungen fand er sich im Armeelazarett wieder mit einer schweren Lungenentzündung; und wegen seines Gesundheitszustandes kehrte er nicht wieder in die Armee zurück. Im März 1941 erhielt Felfe sein Zeugnis der abgeschlossenen mittleren Ausbildung, er durchlief erfolgreich eine Auswahlprüfung, wurde in die Schutzpolizei innerhalb des Systems des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) eingegliedert. Gleichzeitig kommandierte man ihn zum Studium an die Juristische Fakultät der Berliner Universität. Parallel zum Studium absolvierte Heinz ein Programm zur Ausbildung von Kommissaren der Kriminalpolizei, nach dessen Beendigung wurde er der Kriminalpolizei in Dresden eingegliedert, dann der Grenzstadt Gleiwitz. Im Jahr 1943 wurde Felfe auf Anordnung aus Berlin dem Amt VI des RSHA zugegliedert (Aufklärung), und zwar in das Referat Schweiz und Liechtenstein. Bald wurde er Leiter dieser Unterabteilung des Aufklärungsdienstes, die dem Reichsführer SS Heinrich Himmler unterstand. Einige Zeit nach der Ernennung auf diesen Posten, wurde er zu einem persönlichen Gespräch zum Leiter des Amtes VI des RSHA, Walter Schellenberg, eingeladen. Es ging dort um einen von diesem an Himmler gerichteten Bericht, in welchem Felfe vorschlug, Forschungsarbeiten zur Vorbereitung eines Hormonpräparats aufzunehmen, welches in der Schweiz und in Liechtenstein vorteilhaft verkauft werden sollte. Auf diese Weise sollten für die Aufklärung defizitäre Valuta gewonnen werden. "Und Sie, Felfe, was für einer sind Sie?" sagte Schellenberg. "Nun, Sie beginnen nicht schlecht. Mit 25 Jahren schon Leiter eines Referats. Ich gratuliere. Ich kann mich freuen: Ihr Bericht ist gebilligt, handeln sie."

Schon zu jener Zeit kennzeichnete Heinz Umsichtigkeit, er war ein ernster und über jedes Wort nachdenkender Mensch geworden, ein Fähiger, ähnlich einem erfahrenen Schachspieler berechnete er seine Handlungen um einige Schritte voraus. In dem von ihm geführten Referat war er ein wirklicher Leiter.

Ende 1944 fährt Felfe in die Niederlande, um die Absetzung von Diversionsgruppen im Hinterland der angloamerikanischen Truppen zu organisieren. Später erinnert sich Heinz, dass in jener Zeit die deutsche Aufklärung schon keine großen Aktivitäten mehr entfaltete, und jeder seiner Mitarbeiter dachte persönlich über sein Überleben nach dem Ende des Dritten Reiches nach. 1945 ergab sich Felfe und ging zu den Engländern in Gefangenschaft. Dort war er einer intensiven Befragung unterworfen, und im Oktober 1946 wurde er frei gelassen, erhielt von der Lagerverwaltung ein Dokument, dass er kein Kriegsverbrecher ist und nicht der Verletzung. von Menschenrechten beschuldigt wird.


Auf einem neuen Schlachtfeld

Nachdem er sich in Freiheit befand, begab sich Heinz in die Kleinstadt Bad Honnef, unweit von Bonn gelegen, und siedelte sich bei seiner Schwägerin an. Bald kam zu ihm seine Ehefrau mit dem Sohn, und nach einiger Zeit setzte er sein Studium in Bonn an der Universität fort. und zwar an der Fakultät für Staat und Recht. Hier war Felfe Gasthörer. Gleichzeitig befasste er sich mit Journalistik, begann seine Verbindungen zu erweitern. Dem dienten auch seine häufigen Reisen als unabhängiger Journalist durch ganz Deutschland und ebenfalls als Korrespondent des Berliner Rundfunks. Heinz verkehrte oft mit sowjetischen Journalisten, Offizieren der Militärmission der UdSSR in der britischen Besatzungszone. Er machte Interviews mit Politikern und gesellschaftlich Tätigen in Ostdeutschland. Im Verlauf der Gespräche mit ihnen gab es häufig scharfe Diskussionen, darunter zur politischen Zukunft des deutschen Volkes. Felfe, der zu einer Neubewertung der Geschichte des Vaterlands gekommen war, begann Prozesse zu verstehen, die im Osten des geteilten Landes abliefen, verstand damit besser die Politik der UdSSR und die Verhältnisse in Deutschland.

Die Evolution der politischen Ansichten des jungen Journalisten verlief nicht unbemerkt von den Offizieren der sowjetischen Aufklärung. Es wurde entschieden, den Versuch zu unternehmen, ihn zur Zusammenarbeit zu gewinnen über Hans Clemens, der ein alter Freund von Heinz war und ein ehemaliger Mitarbeiter des Amtes VI des RSHA. Ende 1950 trafen sie sich zu einem Abendessen in einem Restaurant. Clemens führte ein Sondierungsgespräch mit Felfe, und an dessen Ende erklärte er:

"Hör zu, Heinz, ich kenne dich lange und werde nicht agitieren. Du hast deinen Kopf auf den Schultern. Du kennst sowohl die Engländer als auch die Russen. Es sind doch nur die Russen, die den Deutschen nicht beweisen wollen, dass wir ein Dreck sind. Ich arbeite lange mit ihnen schon zusammen, und ich schlage dir vor, meinem Beispiel zu folgen."

Felfe antwortete nicht sofort. Die anderthalb Jahre in britischer Gefangenschaft hatten bei ihm nicht die besten Erinnerungen an die Engländer hinterlassen. Er erinnerte sich auch daran, dass direkt bis zur Bildung der BRD im Jahr 1949 nur die Sowjetunion für den Erhalt des einheitlichen Deutschlands eintrat - im Unterschied zu den westlichen Großmächten. Nachdem er sorgfältig den unerwarteten Vorschlag von Clemens überdacht hatte, gab Felfe sein prinzipielles Einverständnis für Kontakte mit der sowjetischen Aufklärung. Er stellte nur eine Bedingung: ein persönliches Treffen mit jemand aus ihrem Führungskreis.

Ein solches Treffen fand im August 1951 in Ostberlin statt. Felfe wurde die Aufgabe gestellt, Schritte zu unternehmen, um sich bei der Organisation Gehlen zu etablieren, der Vorgängerin der heutigen Auslandsaufklärung der BRD, dem BND.

Felfe löste diese Aufgabe erfolgreich - es funktionierten die alten Beziehungen. Bereits im Oktober 1951 wurde Heinz in die Generalvertretung "L" der Organisation Gehlen in Karlsruhe eingegliedert. Um die Sicherheit in der Arbeit mit Felfe zu gewährleisten, nutzte die sowjetische Aufklärung Clemens als Verbindungsmann. Von jeder Reise nach Karlsruhe brachte er in speziellen Containern 10-12 Fotofilme mit, auch eine gewisse Zahl Tonbänder. Diese Materialien waren von großem Interesse für die sowjetische Aufklärung. Von der Quelle erhielt man besonders Dokumente, welche die Rolle der westlichen Geheimdienste bei der Organisierung des Putsches in der DDR am 17. Juni 1953 belegten, was eine große Rolle bei seiner Niederwerfung spielte.

In Realisierung einer Aufgabenstellung der sowjetischen Aufklärung erreichte Felfe seine Versetzung in den zentralen Apparat Gehlens, welcher sich im Kleinstädtchen Pullach bei München befand. Im Juli 1955 fasste der Kanzler der BRD Adenauer den Beschluss zur Reorganisierung des Nachrichtenapparats der BRD, der sich unter der Kontrolle der CIA befand, und es wurde ein selbständiger Nachrichtendienst der BRD geschaffen, der Bundesnachrichtendienst. Er begann ab 1. April 1956 tätig zu werden. Geleitet wurde er vom Präsidenten des BND, der unmittelbar dem Kanzler der BRD unterstand und nicht mehr von der CIA abhängig war. Felfe erhielt den hohen Posten eines Regierungsrates und wurde Chef des Referats "Gegenspionage" gegen die UdSSR und die sowjetischen Einrichtungen in der BRD.

Dies erweiterte bedeutend die Informationsmöglichkeiten der Quelle der Lubljanka. Dem Wesen nach wurde Felfe der Leiter der sowjetischen Abteilung im BND. Durch seine Hände ging eine Masse wichtigster Dokumente, welche die westliche Aufklärung für den Bundeskanzler Adenauer vorbereitete, darunter solche zur Umrüstung der Bundeswehr, der Außenpolitik der BRD, ihrer Mitgliedschaft in der NATO. Mit Hilfe von Felfe gelang es dem KGB, einen vernichtenden Schlag gegen die Geheimdienste der BRD und der USA zu führen. So arbeitete der BND mit der CIA eine finanziell aufwendige Operation zur Installation von Abhöreinrichtungen mit Dutzenden Mikrofonen im neuen Gebäude der sowjetischen Handelsvertretung in Köln aus. Im Gebäude gegenüber wurde ein stationärer Punkt zur Aufzeichnung der Gespräche in der Handelsvertretung eingerichtet. Aber alle Arbeiten liefen ins Leere, da nach Warnung von Felfe der sowjetische Dienst seine Fachleute nach Köln schickte, die durch die Leitungen der Mikrofone einen so starken Strom fließen ließen, dass alle Anlagen im selben Moment durchbrannten.

Gehlen tobte wegen des Einbruchs der Operation. Er bestellte Felfe zu sich in sein Arbeitszimmer und erteilte ihm einen Verweis.

"Felfe, Sie verstehen nicht zu arbeiten. Eine Operation, die derartig viele Kräfte in Anspruch nahm, für die Hunderttausende Mark aufgewendet wurden, blieb Papier. Alles blieb leeres Zeug. Weshalb, frage ich Sie?"

Die Antwort ließ nicht auf sich warten: "Besser wäre es offensichtlich gewesen, ohne die Amerikaner auszukommen. Aber weil die gesamte technische Seite der Operation von den Yankees ausgeführt wurde, bleibt es uns nur übrig, sie zu befragen, warum das System nicht funktionierte."


Die wertvollste Quelle

Die Bedrohung ging vorbei, aber die weitere Arbeit von Felfe im zentralen Apparat des BND verlangte eine verstärkte Konspiration und Absicherung der Treffen mit ihm. Für die Verbindung mit der Quelle wurde eine spezielle Aufklärungsgruppe gebildet, in welche neben dem schon erwähnten Clemens auch andere Personen einbezogen wurden. Ab 1956 fanden die Treffen mit Felfe immer öfter im Ausland statt - in Österreich, Belgien und anderen Ländern, wohin er frei reisen konnte, ohne Verdacht zu erregen.

Im Sommer 1956 wurde Felfe zum Erhalt der Verbindung dem jungen operativen Mitarbeiter Witali Korotkow übergeben, der "Alfred der Kleine" genannt wurde. Angesichts der von Felfe im BND eingenommenen Position nahmen an jedem Treffen mit ihm die Generale Jewgeni Pitowranow, Iwan Fadejkin und Alexander Korotkow teil, die zu verschiedenen Zeiten die Vertretung des KGB beim MfS der DDR leiteten.

Den größten Eindruck auf Felfe machte der legendäre sowjetische Aufklärer Alexander Korotkow, den er "Alfred der Große" nannte. Alexander Michailowitsch arbeitete schon im Nazideutschland unter dem Familiennamen Erdberg. In jenen Jahren hielt er die Verbindung mit Teilnehmern an der illegalen antifaschistischen Organisation, die in der Folgezeit den Namen "Rote Kapelle" erhielt.

Eines der Treffen zwischen Felfe und Alexander Korotkow fand im Sommer 1957 in Österreich statt, und zwar in einem Vorstadtrestaurant von Wien auf einer Fläche, die man für Liebhaber von Picknicks reserviert hatte. Das Gespräch der Aufklärer nahm praktisch den gesamten hellen Tag ein. Korotkow fragte Felfe detailliert zur innenpolitischen Lage in Westdeutschland aus, zum Kräfteverhältnis in der Regierung und zu den politischen Parteien des Landes, zum Einfluss der Amerikaner auf die Fassung politischer Beschlüsse, zur Remilitarisierung der BRD. Manchmal nahm das Gespräch den Charakter einer Diskussion an. Später, wenn sich Felfe an Alexander Michailowitsch erinnerte, unterstrich Heinz: "Sein ausgezeichnetes Deutsch, welches mit wienerischem Dialekt verschönt war, sein elegantes Äußeres und seine Manieren haben bei mir gleich Sympathie erzeugt. Er orientierte sich gut in den verschiedenen politischen Strömungen der BRD. Nicht nur einmal stritten wir uns heiß."

In der Regel gingen Felfe und Clemens während der periodischen Reisen nach Berlin abends in den sowjetischen Sektor, um mit Witali Korotkow in eine der Wohnungen in Karlhorst zu fahren, wo sich die Vertretung des KGB befand. Dort war alles zu ihrem Empfang vorbereitet und für eine lange andauernde nächtliche Arbeit. Morgens kehrten sie mit dem ersten Strom von Arbeitern und Angestellten in den Westberliner Sektor zurück.

Die operativen Mitarbeiter bestanden immer darauf, die Kontakte mit Felfe auf unpersönlicher Basis über Tote Briefkästen zuhalten. Aber Heinz lehnte dies beharrlich ab, indem er unverändert erklärte, dass er persönlich Toten Briefkästen nicht vertraut und ruhiger erst dann ist, wenn seine Materialien von Hand zu Hand übergeben werden. Als professioneller Aufklärer verstand er gut, dass Moskau in erster Linie an der Information durch Dokumente interessiert war, zu denen er durch seine Stellung Zugang hatte. Aber die durch seine Hände gehenden Geheiminformationen.des BND musste er mit großem persönlichen Risiko in seinem Arbeitsraum fotografieren und deshalb verhielt er sich so misstrauisch zu "Einlagen", denn er war der Ansicht, dass deren zufällige Entdeckung zu seiner Enttarnung führen würde.

Die von Felfe eingehenden operativen Informationen über die Tätigkeit der Agenturen des BND in der DDR und anderen Ländern des Warschauer Vertrages waren derartig brisant, dass er folgende Bedingung an die Zusammenarbeit mit der sowjetischen Aufklärung stellte: Nicht ein Agent des BND oder ein Objekt seiner Arbeit, worüber er berichtet, darf verhaftet werden. Man muss sagen, dass diese Forderung unbedingt befolgt wurde. Informationen von Felfe retteten nicht nur einen sowjetischen Vertreter vor den Provokationen der westdeutschen Geheimdienste. Manchmal war er gezwungen, riskante Schritte zu machen, um die Pläne des westdeutschen Verfassungsschutzes zu durchkreuzen (westdeutsche Abwehr BfV).

Die Probleme zur Gewährleistung der Sicherheit der Aufklärergruppe um Felfe nahmen besondere Schärfe nach 1955 an. Zu dieser Zeit war die Aufklärung der DDR, die bekannte Stasi, derartig erstarkt, dass sie aktiv Agenturen in allen sie interessierenden Objekten der BRD aufbaute, eingeschlossen die bundesdeutsche Aufklärung, den BND. Über ihre Möglichkeiten kamen die Offiziere der "Stasi" auf Felfe. Bald wandten sie sich an die Vertretung des KGB in der DDR mit dem Vorschlag, eine gemeinsame Bearbeitung des Westdeutschen durchzuführen. Aber die Tschekisten gingen darauf nicht ein, und sie offenbarten nicht vor den deutschen Freunden ihre wertvolle Quelle, sondern sagten die Zusammenarbeit unter glaubhaften Vorwänden ab.


Die Aufdeckung der Operationen

Nach der Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen der UdSSR und der BRD im Jahr 1955 nahm die Arbeit der Gruppe Felfe den Charakter des Balancierens auf des Messers Schneide an. Indem er die Arbeit des BND gegen die offiziellen Vertretungen und die Aufklärung der UdSSR auf dem Territorium Westdeutschlands koordinierte, stimmte Heinz gleichzeitig ihre Aktionen mit anderen speziellen Diensten der BRD ab (Bundesamt für Verfassungsschutz, Aufklärung der Bundeswehr), aber auch mit den Kollegen aus den NATO-Ländern. Dank dieser Kontakte wurden Felfe rechtzeitig viele Operationen bekannt, welche die westdeutschen Dienste gegen die UdSSR einleiteten.

Am 9. Februar 1960 erhielt Felfe über Funk die chiffrierte Nachricht darüber, dass ihn in einer Woche die Freunde am vereinbarten Ort in Ostberlin erwarten. Am 16. Februar ging er zum geplanten Treffen, und er wurde in eine Karlshorster Villa gebracht. Hier empfingen ihn am festlich gedeckten Tisch der Betreuer Witali Korotkow, des weiteren drei leitende Mitarbeiter des KGB. An diesem Tag war der zehnte Jahrestag der Zusammenarbeit von Felfe mit der sowjetischen Aufklärung.

Inzwischen begann man in den Geheimdiensten der BRD, der USA, Englands und Frankreichs Verdacht zu schöpfen, dass sich im BND womöglich ein "Maulwurf" eingerichtet habe, von welchem ein regelmäßiger Informationsabfluss ausgeht. Aber konkrete Daten zu dieser Frage erhielt man nicht. Die Zusammenarbeit zwischen Felfe und der sowjetischen Aufklärung ging weiter. Man erhielt von ihm Materialien zu einer Reihe großer operativer Spiele des BND und des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit den sowjetischen Geheimdiensten, darunter über die Aktion der westdeutschen Abwehr, die im Zusammenhang mit dem Übertritt ihres Leiters, Otto John, in die DDR erfolgte. Die Sachlage war so.

Otto John wurde 1909 in Magdeburg geboren. In der Jugendzeit organisierte er sich bei den "Jungsozialisten". Im Jahr 1944 nahm er an der "Verschwörung der Generäle" gegen Hitler teil. Gerettet vor Repressionen, flüchtete er nach Portugal, wo er angeblich mit dem britischen Geheimdienst zusammenarbeitete.

Nach dem Krieg wurde er durch die Zusammenarbeit mit den Engländern als erster Leiter des neuen Abwehrorgans Verfassungsschutz ausgewählt. Rechte Parteien waren gegen diese Ernennung wegen der linken Ansichten Johns und wegen seiner Verbindungen zu den Engländern. Kanzler Adenauer vertraute ihm ebenfalls nicht und wollte ihn auf dem Posten des Chefs des Bundesamtes für Verfassungsschutz durch eine andere Person ersetzten. Im Jahr 1954 schlug ein Schulfreund Otto John ein Treffen in Berlin mit Vertretern der sowjetischen Aufklärung vor, womit John einverstanden war. Dieses Treffen fand am 24. Juni 1954 während der Zeit statt, als Maßnahmen zum 10. Jahrestag des Anschlags auf Hitler liefen. Otto fasste den Beschluss, in der DDR zu bleiben, und am 27. Juli machte er die entsprechende öffentliche Erklärung. Im Verlauf eines Jahres arbeitete er im "Ausschuss für die Einheit" Deutschlands, verurteilte scharf die Politik des Westens, die auf die Spaltung des Landes gerichtet war. Der Weggang von Otto John löste in Bonn einen Skandal aus, im Bundesamt für Verfassungsschutz begannen Untersuchungen. Man stellte fest, dass der Abwehrchef des Landes seit 1938 Beziehungen zur Tätigkeit der illegalen antifaschistischen Organisation "Rote Kapelle" hatte und wahrscheinlich mit der sowjetischen Aufklärung verbunden war. Aber im Jahr 1955 kehrte Otto John freiwillig in die BRD zurück, wurde zu einer Gefängnisstrafe von den Bonner Instanzen verurteilt und befand sich bis 1960 hinter Gittern. Nach seiner Entlassung beschlossen die westdeutschen Geheimdienste, über ihn ein operatives Spiel mit der sowjetischen Aufklärung zu organisieren, aber dank Felfe war ihrem Plan kein Erfolg beschieden.


Nach dem Auffliegen

In den westlichen Geheimdiensten bestand die Tradition, der sowjetischen Aufklärung am Vorabend von Staatsfeiertagen der UdSSR "Geschenke darzubieten". So erhielt auch Felfe den Auftrag, am 6. November 1961 beim Bevollmächtigten von General Gehlen, Wolfgang Langkau, zu erscheinen, um einen Vortrag zu einer wichtigen Operation zu halten. Der General hörte Heinz nur kurz an, dann bat er über seine Sekretärin Beamte der Kriminalpolizei in seinen Arbeitsraum, die Felfe den Haftbefehl vorlegten. Gleichzeitig wurden auch andere Mitglieder seiner Aufklärergruppe unter Bewachung genommen.

Diese Verhaftungen hochgestellter Quellen der Lubljanka, die lange Jahre im BND gearbeitet hatten, lösten einen großen politischen Skandal aus. Bei Durchsuchungen im Arbeitszimmer und in der Wohnung Felfes beschlagnahmten die Abwehrleute 15 Filme mit Geheimdokumenten, fanden einen Aktenkoffer mit doppeltem Boden und eine spezielle Apparatur zum Fotografieren und Herstellung von Mikrofilmen. Das Journal "Stern" schrieb damals, dass "dank Felfe die Sowjetunion alles wusste, was im BND abläuft. Mit Hilfe zweier Minikameras "Minox" fotografierte er alle Dokumente, die durch seine Hände liefen und völlig geheimen Charakter trugen, Mitteilungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Protokolle geschlossener Beratungen, geheime Daten von Kartotheken. Monatlich brachte ein Kurier die Filme und Minikassetten nach Berlin, die im Aktenkoffer mit dem doppelten Boden versteckt wurden. Insgesamt übergab Felfe der Sowjetunion 15.000 Fotokopien mit geheimen Informationen. Das Aufklärungszentrum in Pullach war vollkommen desorganisiert."

Die Untersuchungen im Fall Felfe dauerten anderthalb Jahre. An seinen Verhören beteiligten sich Mitarbeiter des BND, der CIA der USA. Heinz hielt sich mutig, bekannte sich lediglich zu den unbestreitbaren Beweisen, welche die Fahnder erhalten hatten. Der Gerichtsprozesse gegen Felfe und seine Gruppe begann am 8. Juli 1963 und dauerte zwei Wochen. Nach der Urteilsverkündung wurde der Aufklärer in das Gefängnis in Straubing bei München eingesperrt.

Aber auch hier ließ der BND Heinz nicht in Ruhe. Im Januar 1968 trafen sich seine Vertreter mit Felfe und versprachen ihm die Freiheit und eine Bezahlung seiner Memoiren mit einem Honorar in Höhe einer halben Million Deutscher Mark, jedoch unter der Bedingung, dass er sich nach seiner Entlassung in einem neutralen Land niederlässt und für immer von Reisen in Warschauer Vertragsstaaten Abstand nimmt.

Felfe verwarf den Vorschlag der Vertreter des BND, indem er richtig annahm, dass dahinter der Versuch steht, seinen Austausch und seine Ausreise in die DDR zu vereiteln. In dieser Zeit unternahm die sowjetische Aufklärung alles Mögliche zur Befreiung von Felfe. Am 16. Februar 1969 wurde er zum Gefängnisdirektor geladen, der ihm mitteilte, dass man ihn am folgenden Tag gegen eine Gruppe Deutscher austauschen wird, die Strafen in Ostdeutschland absitzt.

Heinz Felfe wurde Bürger der DDR. Er siedelte sich in Berlin an, lehrte Kriminalistik dort an der Juristischen Fakultät, wo er im Jahr 1941 selbst das Studium begonnen hatte. Im Jahr 1972 verteidigte Felfe seine Dissertation und wurde zum Professor berufen. Er war häufig in unserem Land.

Für seinen großen Beitrag zur Festigung der Sicherheit der UdSSR erhielt Heinz Felfe den "Rotbannerorden" und den "Roten Stern" sowie das Abzeichen "Ehrenmitarbeiter der Staatssicherheit".

In Erinnerung an den Gerichtsprozess und sein Urteil unterstrich Felfe später:

"Der Begriff Verrat ist immer verbunden mit einer Schande für den Menschen, und er macht ihn gemein. Dieses Etikett wollte man meinem Namen ankleben. Aber ich habe nichts verraten, umgekehrt, ich blieb meinen Ansichten treu, die ich mir so schwer erworben hatte, und dies war gerade das Verständnis der Notwendigkeit, all mein Wissen und mein Können, meine alten Verbindungen zu nutzen, um der UdSSR zu helfen in ihrem schweren Kampf gegen die Entfesselung eines dritten Weltkrieges (in diesem Falle eines atomaren). Ich unternahm zielgerichtet Schritte zum Eindringen in den BND, weil ich überzeugt war, dass ich eben dort mehr Nutzen jener Seite bringen werde, die ich gewählt habe, wieder aus Kraft meiner Überzeugungen. Als ich in die Organisation Gehlen eingetreten bin, die später zum BND wurde, war ich schon längst ein sowjetischer Aufklärer und erfüllte die mir gestellten Aufgaben. Also, was für Verrat war das?"

Heinz Felfe blieb weiter im vereinigten Deutschland.


Aus der Beilage zur russischen "Nesawissimaja Gaseta" "Wojennoje obosrenije" (Militärumschau) vom 2. November 2007. Der Verfasser ist leitender Experte im Kabinett für. Geschichte der Außenaufklärung

(Anmerkung d. Ü.: Stirlitz ist eine legendäre Persönlichkeit der sowjetischen Aufklärung; in der DDR bekannt durch die Fernsehserie "17 Augenblicke des Frühlings")


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Quelle:
GEHEIM Nr. 1/2009, 6. April 2009, Seite 23-27
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2009