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GLEICHHEIT/2314: Konjunkturpaket II - Merkels Pakt mit der deutschen Wirtschaft


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Herausgegeben vom Internationalen Kommitee der Vierten Internationale (IKVI)

Konjunkturpaket II
Merkels Pakt mit der deutschen Wirtschaft

Von Dietmar Henning
10. Januar 2009


Die gegenwärtige Debatte über ein zweites Konjunkturprogramm macht vor allen Dingen eines klar: die Bundesregierung hat nicht das geringste Interesse, die Bevölkerung vor den Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu schützten.

Als im Oktober vergangenen Jahres die internationale Finanzkrise die deutschen Banken bedrohte, schnürte die Regierung in Windeseile ein so genanntes Rettungspaket, das den Banken den Zugriff auf Steuergelder im Umfang von 500 Milliarden Euro ermöglicht. Um die Milliarden-Verluste von Spekulanten und Börsianern abzuwenden, wurde dieses Rettungspaket unter direkter Anleitung von Deutsche-Bank-Chef Ackermann ausgearbeitet und im Eilverfahren durchs Parlament gepeitscht. Keiner der halbseidenen Finanziers wurde für das Finanzdesaster zur Rechenschaft gezogen.

Ganz anders ist es jetzt, wo die Auswirkungen der größten Wirtschaftsrezession seit den dreißiger Jahren die Bevölkerung bedrohen. Während immer neue Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft und vom Arbeitsmarkt eintreffen, verteilt die Regierung Beruhigungspillen und versucht, die Situation zu verharmlosen.

Am Donnerstag berichteten die Nachrichtenagenturen: "Die weltweite Wirtschaftskrise trifft die deutsche Industrie mit voller Wucht." Medienberichten zufolge ist der Export deutscher Unternehmen im November 2008 im Vergleich zum Vormonat so stark eingebrochen wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Der Wert der Ausfuhren lag kalender- und saisonbereinigt um 10,6 Prozent unter dem vom Oktober, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag aufgrund vorläufiger Ergebnisse mitteilte. Dies sei der tiefste Wert seit 1990 gewesen, als die Statistik in dieser Form eingeführt wurde. Auch gegenüber dem Vorjahresmonat gab es ein kräftiges Minus von 11,8 Prozent. Das war laut Statistikamt der größte Rückgang seit 1993.

Gleichzeitig wurde bekannt gegeben, dass die Zahl der Entlassungen und vor allem der Kurzarbeiter dramatisch ansteigt. Alleine im Bundesland Nordrhein-Westfalen beantragten im Dezember etwa 2.400 Firmen Kurzarbeit, berichtete vergangene Woche die in Düsseldorf erscheinende Rheinische Post unter Berufung auf die Bundesagentur für Arbeit. Auch bei Opel in Bochum wurde unmittelbar nach der langen Produktionspause über Weihnachten und den Jahreswechsel Kurzarbeit für Februar angekündigt.

Doch die Bundesregierung erklärt, es sei alles nicht so schlimm. In ihrer Neujahrsansprache sagte die Kanzlerin: "Ich bin davon überzeugt, dass unsere Soziale Marktwirtschaft aus der gegenwärtigen Wirtschaftskrise gestärkt hervorgehen wird, weil sie schon immer den Exzessen der Märkte eine faire Balance von Freiheit und solidarischem Ausgleich entgegengestellt hat."

Selbst konservative Journalisten reagieren beunruhigt und befürchten, dass die Koalitionsparteien die ökonomische und soziale Entwicklung unterschätzen. In einem Kommentar im Handelsblatt unter der Überschrift "Gefährliche Machtspiele in Berlin" schreibt Sven Afhüppe: "Wer aufmerksam die regierungsinterne Debatte um ein weiteres Konjunkturpaket verfolgt, bekommt es zunehmend mit der Angst zu tun. Die Spitzen der Großen Koalition haben den Ernst der wirtschaftlichen Lage offenbar so wenig verstanden, dass sie sich genüsslich in parteitaktische Spielchen verstricken."

Doch die Erklärungen, laut denen die Pastorentochter aus dem Osten Angela Merkel zu wenig von Wirtschaft versteht und die SPD es nicht wagt, der Realität ins Auge zu blicken, sind nur die halbe Wahrheit. Im Kanzleramt ist man sehr wohl über Umfang und Ausmaß der Krise informiert.

Die gezielte Schönfärberei dient dazu, die Bevölkerung einzulullen, während die Regierung einen Pakt mit den Unternehmern schließt. Unter allen Umständen will die Regierung vermeiden, dass die bevorstehenden Wahlen (in diesem Jahr finden außer der Europawahl und der Bundestagswahl, fünf Landtagswahlen und acht Kommunalwahlen statt) im Klima einer Radikalisierung und zunehmender Kämpfe gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau stattfinden.

Ein Blick auf das Konjunkturpaket macht deutlich, mit welcher Vehemenz die Regierungsparteien an der sozialen Umverteilung im Interesse der Wirtschaft und Reichen auf Kosten der Bevölkerung der letzten Jahre festhalten.

Im Mittelpunkt des Programms, das von den Sozialdemokraten "Wachstums- und Stabilitätspakt" und von der Union "Pakt für Deutschland" genannt wird, steht ein so genannter "Rettungsschirm für Unternehmen". SPD und Union sind bereit, staatliche Bürgschaften für solche Unternehmen zu geben, die wegen der Finanzkrise von den Banken keine Kredite mehr erhalten. Dazu sollen schon jetzt bestehende staatliche Bürgschaftsrahmen aufgestockt werden. Die CDU nennt in ihrer "Erfurter Erklärung" große und mittelständische Firmen als Nutznießer einer solchen Regelung.

Nachdem das 500-Milliarden-Programm für die Banken nicht dazu geführt hat, die Kreditklemme zu überwinden, stellt die Regierung erneut Milliardenbeträge aus Steuermitteln bereit, um die Betriebe mit Krediten zu versorgen.

Gleichzeitig sollen Unternehmen, die Kurzarbeit anmelden, keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlen müssen. Im ersten Konjunkturpaket hatten Union und SPD eine Verlängerung des Bezugs von Kurzarbeitergeld auf 18 Monate beschlossen. Nun sollen die Unternehmen, die derzeit im Fall von Kurzarbeit den vollen Sozialversicherungsbeitrag (einschließlich des Arbeitnehmeranteils) zahlen, entlastet werden. Nach dem Vorschlag der SPD sollen sie ganz von der Beitragspflicht befreit werden, wenn die Arbeitnehmer sich während der Kurzarbeit weiterbilden. Die Union will diese Koppelung an Weiterbildung streichen.

Diese Entlastung der Unternehmen bei der Einführung von Kurzarbeit bezeichnen SPD und CDU/CSU als wichtiger Schritt zur Verteidigung der Arbeitsplätze. In Wirklichkeit ist Kurzarbeit in vielen Betrieben der Einstieg in die Entlassung.

Anders als beim Banken-Rettungspaket, das der Finanzaristokratie einen nahezu unbeschränkten Griff in die Staatskasse ermöglicht und dabei keinerlei ernsthafte Auflagen vorsieht, wird das Konjunkturprogramm II mit einer grundgesetzlichen Begrenzung der Staatsverschuldung verknüpft. Auf Betreiben von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), der bis vor kurzem ein zweites Konjunkturpaket als "Geldverschwendung" bezeichnete, haben sich die Spitzen der Koalition bereits darauf verständigt, dass die Ausgaben gegenfinanziert werden müssen.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Günter Oettinger (CDU) und SPD-Bundestagsfraktionschef Peter Struck, die beide der Föderalismuskommission vorstehen, wollen zudem durchsetzen, dass eine Neuverschuldung nicht ohne einen verbindlichen Tilgungsplan möglich sein darf. Das heißt, den jetzigen Ausgaben von 50 Milliarden Euro folgen entsprechende Kürzungen in den kommenden Jahren.

Die Bestandteile des Konjunkturprogramms, die in der Diskussion von den Regierungsparteien als "Entlastung der Bürger" bezeichnet werden, sind allesamt Taschenspielertricks. "Dank der Strukturreformen, die mit dem Namen der Agenda 2010 verbunden sind, sind wir für die bevorstehende Anstrengung gut gerüstet; besser als viele andere Länder", heißt es im SPD-Konzept.

In der Tat: Nach jahrelangen bitteren Kürzungen im öffentlichen und sozialen Bereich werden nun Maßnahmen beschlossen, die angesichts der katastrophalen Lage den berühmten Tropfen auf dem heißen Stein darstellen und - wie im Falle der längst überfälligen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur - ohnehin geplant waren und lediglich vorgezogen werden.

10 bis 14 Milliarden Euro Steuergelder sollen vom Bund in einen Fonds eingezahlt werden, der in den nächsten zwei Jahren unter anderem für die Sanierung von Kindergärten, Schulen und Sportplätzen eingesetzt werden soll. Auch die zahlreichen bankrotten Städte, die unter Finanzaufsicht stehen, sollen daraus Gelder für Investitionen erhalten. Nachdem bereits die Maßnahmen der rot-grünen Bundesregierung zu einer starken Austrocknung der kommunalen Finanzen geführt haben und seitdem viele kommunale Aufgaben privatisiert wurden, werden nun private Dienstleister aus Steuermitteln subventioniert. Die Ausgaben dafür sollen dann später durch neue Sparmaßnahmen kompensiert werden.

Das gleiche Muster findet sich bei vielen anderen Vorschlägen der SPD. So schlägt sie vor, den von ihr und den Grünen erst im Juli 2005 eingeführten Arbeitnehmer-Sonderbeitrag von 0,9 Prozent in der Krankenversicherung mit Steuermitteln zu finanzieren. Die Union wehrt sich jedoch vehement dagegen und schlägt stattdessen eine Beitragssenkung von je einem halben Prozent für Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor.

Nach heftigem Hin und Her haben sich alle Parteien in der Steuerfrage weitgehend geeinigt. Soweit bekannt, soll der Grundfreibetrag von derzeit 7.664 auf 8.004 Euro angehoben werden. Strittig ist noch, ob und welche Steuertarife verändert werden sollen. Die Union möchte den Eingangssteuersatz bei 15 Prozent halten, den Mittelsatz erst bei 14.200 Euro und den Spitzensteuersatz bei 53.612 erheben. Dagegen sperrt sich die SPD. Sie will dem Vernehmen nach vorschlagen, den Eingangssteuersatz auf unter 15 Prozent zu senken, und behauptet, die damit verbundene geringfügige Entlastung von Arbeitnehmern mit kleinerem Einkommen würde deren Kaufkraft steigern und die Konjunktur beflügeln. Einen ähnlichen Vorschlag hatte ursprünglich die CSU gemacht. Die CDU wehrt sich aber dagegen.

Die SPD will auch für zwei Jahre den Spitzensteuersatz für Jahreseinkommen ab 125.000 Euro (Paare: 250.000 Euro) von 45 auf 47,5 Prozent erhöhen. In den sieben Jahren der Schröder-Regierung war der Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesunken. Eine erneute Anhebung der Steuern für Spitzenverdiener lehnt die CDU auch mit Blick auf eine künftige Zusammenarbeit mit der FDP strikt ab. Kanzlerin Merkel: "Kommt nicht in Frage." (Süddeutscher Zeitung)

Auch der Hinweis des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, das Konjunkturpaket deshalb nicht scheitern zu lassen, deutet darauf hin, dass die SPD die "Reichensteuer" aus rein wahltaktischen Gründen in ihr Konzept aufgenommen hat.

Das gleiche Schicksal scheint den SPD-Vorschlag zu ereilen, einmalig für jedes Kind 200 Euro auszahlen. Dies stößt in der Union auf erheblichen Widerstand. "Von dem Geld kaufen die Leute dann Flachbildschirme aus Japan", soll der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder laut Süddeutsche Zeitung in der Koalitionsrunde am Montag gesagt haben. Sein Vertreter, CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer, konnte sich sogar auf Außenminister und SPD-Kanzler-Kandidat Frank-Walter Steinmeier berufen. Dieser habe noch vor wenigen Monaten direkte Zahlungen an Familien mit der Begründung abgelehnt, dieses Geld würden die Eltern nur für Bier und Zigaretten nutzen.

Die geringfügige Erhöhung des Kinderzuschlags für Hartz-IV-Empfänger, wie auch die Einführung einer "Auto-Verschrottungsprämie" nach italienischem oder französischem Vorbild dienen nur dazu, den Charakter von Merkels "Pakt für Deutschland", der in Wirklichkeit ein Bündnis der Regierung und der Wirtschaft gegen die Bevölkerung ist, zu verschleiern.

Siehe auch:
Die internationale Finanzkrise und die Illusion eines
geläuterten Kapitalismus (20. September 2008)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 10.01.2009
Konjunkturpaket II
Merkels Pakt mit der deutschen Wirtschaft
http://wsws.org/de/2008/jan2009/konj-j10.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2009