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GLEICHHEIT/2493: Spanischer Richter nimmt Folter-Ermittlungen gegen Beamte der Bush-Regierung wieder auf


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI)

Spanischer Richter nimmt Folter-Ermittlungen gegen Beamte der Bush-Regierung wieder auf

Von Paul Mitchell und Chris Marsden
8. Mai 2009
aus dem Englischen (1. Mai 2009)


Spaniens oberster Untersuchungsrichter, Baltasar Garzón, ermittelt wieder gegen die Folterer von Guantánamo Bay. Er hat ein neues strafrechtliches Verfahren eingeleitet, um mit den "möglichen Urhebern, Abnickern und Komplizen" des illegalen Häftlingsmissbrauchs auf Guantánamo und in anderen US-Gefangenenlagern abzurechnen.

In einem scharf formulierten Gerichtsbeschluss von Mittwoch gab Garzón zu verstehen, dass er untersuchen werde, welche Rolle hohe Bush-Beamte bei dem gespielt hätten, was er einen "von oben angeordneten und systematischen Plan zur Folter und brutalen Behandlung von Menschen" nannte. "Diese Menschen wurden ohne jegliche Anklage und ohne die grundlegendsten elementaren Häftlingsrechte, wie sie von internationalen Abkommen niedergelegt und gefordert werden, ihrer Freiheit beraubt".

Guantánamo Bay, schrieb er, könne man als "tatsächliche 'Grauzone' im rechtlichen Sinne verstehen, die von einer Vielzahl von Abkommen und Konventionen definiert ist, welche die Internationale Gemeinschaft unterzeichnet hat".

Garzón ließ seine Absicht deutlich durchblicken, Anklage gegen Bush-Beamte zu erheben, die den Einsatz von Folter angeordnet, gesteuert oder sanktioniert hatten. Keinesfalls will er nur die CIA-Agenten anklagen, die die eigentlichen Täter waren, oder die Rechtsanwälte des Justizministeriums, die die pseudo-legale Rechtfertigung geliefert hatten.

Wie er schreibt, deuten die früher geheimen Memos von Bushs Justizministerium, die letzten Monat von Obama veröffentlicht wurden, darauf hin, dass es sowohl im US-Gefängnis des Luftwaffenstützpunkts Bagram in Afghanistan, als auch in Guantánamo ein Folterprogramm gab, das auf "beinahe offizieller Ebene" genehmigt wurde. Deshalb liege eine "strafrechtlich relevante Verantwortung auf den verschiedenen Ebenen der Durchführung - Anordnung, Planung und Bewilligung dieses systematischen Folterplans" vor.

Er fügte hinzu, die Memos, die von den Rechtsanwälten des Justizministeriums 2002 und 2005 verfasst wurden, lieferten die Beweise dafür, "was vorher nur unterstellt werden konnte".

Garzón hat ein zehnseitiges Schriftstück vorgelegt. Darin schreibt er, die Misshandlungen von Terrorverdächtigen in Guantánamo und in anderen US-Gefängnissen deuteten auf "die Existenz eines abgestimmten Plans hin, zahlreiche Folterverbrechen verüben zu wollen". Er erklärte, er werde Kopien der Memos bei der Obama-Regierung anfordern. Außerdem werde er bei dem spanischen Richter Ismael Moreno die Informationen anfordern, die dieser im Verlauf einer Untersuchung gesammelt hat. Diese Untersuchung befasste sich mit CIA-Auslieferungsflügen, die in Spanien gelandet waren.

Obwohl Garzón noch keine möglichen Zielpersonen für seine Untersuchung nannte, ist anhand der Sprache seines Schriftstücks nicht auszuschließen, dass es zu Haftbefehlen gegen hohe Beamte der Bush-Regierung kommt, zum Beispiel gegen Vizepräsident Dick Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, die Nationale Sicherheitsberaterin und spätere Außenministerin Condoleezza Rice und Bush persönlich.

1998 hat Garzón einen Haftbefehl gegen Augusto Pinochet erlassen, als der ehemalige Diktator Großbritannien besuchte. Garzón hat seine Auslieferung an Spanien gefordert, damit er sich dort vor Gericht verantworte. Das führte zu einem Rechtsstreit, der Pinochet zwang, siebzehn Monate lang in Großbritannien unter Hausarrest zu bleiben. Hohe Beamte der Bush-Regierung, darunter auch der ehemalige Präsident, haben guten Grund, die USA nicht zu verlassen, weil sie ein ähnliches Schicksal oder Schlimmeres befürchten müssen.

Garzón führte den "universal geltenden Zuständigkeitsbereich" von Spaniens Gesetzen, die Bestimmungen der Genfer Konvention sowie internationale Gesetze gegen Folter ins Feld. Solche Gesetze und Bestimmungen verpflichten die Unterzeichner, die Vertreter jeder Regierung strafrechtlich zu verfolgen, die das Folterverbot missachtet. Garzón erklärte, er werde die Zeugenaussagen von vier ehemaligen Guantánamo-Bay-Häftlingen prüfen. Alle vier standen vor mehreren Jahren wegen der Anklage auf Al-Quaida-Mitgliedschaft vor Gericht. Hamed Abderrahman Ahmed und Lahcen Ikassrien wurden jedoch vom Spaniens Oberstem Gericht freigesprochen, und in Großbritannien wurden die Haftbefehle gegen Abdul Latif al Banna und Omar Deghayes fallengelassen.

Die Häftlinge führen an, dass "gegen ihre Person verschiedene Formen von physischer und psychologischer Aggression während ihrer Haft in verschiedenen Ländern in der Zuständigkeit von US-Armeeangehörigen zur Anwendung kamen". Die Liste von Misshandlungen umfasst Schläge und sexuelle Übergriffe, außerdem waren sie extremer Hitze und Kälte, sowie ununterbrochener lauter Musik, lang anhaltenden Verhören und Schlafentzug ausgesetzt worden.

Die amerikanischen Folterpraktiken und die Tatsache, dass die USA innerstaatliches und internationales Recht verletzt haben, stürzen die Regierung Obama in eine politische Krise. Diese wird nun durch Garzóns Verlautbarung noch verschlimmert. Obama versucht, den Eindruck zu erwecken, seine Regierung habe mit diesen Praktiken gebrochen. Aber gleichzeitig verteidigt er ungeheuerliche Verbrechen, wie die Verschleppung und das "Verschwinden Lassen" von Personen und ihre "Auslieferung" in andere Länder, wo sie mit Inhaftierung und Folter rechnen mussten.

Obama entschied am 16. April, die Memos der Bush-Ära zu veröffentlichen, in denen Methoden wie das simulierte Ertränken ("Waterboarding"), die seine Regierung als Folter anerkannt hat, genehmigt wurden. Er hat die Entscheidung nur unter dem Druck einer gerichtlich festgelegten Frist zur Veröffentlichung getroffen.

Gleichzeitig hat er jede Ermittlung oder strafrechtliche Verfolgung gegen CIA-Agenten, die gefoltert haben, ausgeschlossen. Offensichtlich hofft er, damit der schwelenden Folterkontroverse ein Ende zu bereiten und seine liberalen Anhänger und die öffentliche Weltmeinung zu beschwichtigen. Er sichert dem geheimdienstlichen und militärischen Establishment, wie auch den hohen Beamten der Bush-Regierung zu, dass sie nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

Dieser Schritt hat den gegenteiligen Effekt. Er entfacht öffentliche Angriffe auf die Regierung durch Beamte der Regierung Bush. So versuchen Cheney und der ehemalige CIA-Direktor Michael Hayden, unzufriedene Schichten im Geheimdienst und im militärischen Apparat, wie auch ganz allgemein rechte Kräfte, zu mobilisieren. Sie haben Obama beschuldigt, er untergrabe die nationale Sicherheit der USA.

Angesichts des wachsenden Konflikts im Land haben sich Beamte der Regierung gegen jede öffentliche Untersuchung von Bushs Folterprogramm ausgesprochen. Das versetzt Obama in eine Lage, in der er Staatsverbrechen einräumt, aber die Täter verteidigt.

Die Führung der Demokraten im Kongress folgt Obamas Beispiel. Sie lehnen jede strafrechtliche Ermittlung gegen Beamte der Bush-Regierung ab und befürworten stattdessen eine Untersuchung des Senats-Geheimdienstkomitees, die hinter verschlossenen Türen stattfindet. Sie soll angeblich "partei-unabhängig" und "unpolitisch" sein und wird mit Sicherheit praktisch alle Ergebnisse geheim halten.

Garzóns Ankündigung von Mittwoch folgt seinem Versuch, Foltervorwürfe gegen sechs Mitglieder der Bush-Regierung zu erheben, die an der Ausarbeitung der Folter-Memos beteiligt waren. Spaniens Generalbundesanwalt Candido Conde-Pumpido hat diese Ermittlungen öffentlich abgelehnt und zu unterdrücken versucht. Dem Versuch, diese Ermittlungen zu vereiteln, gingen Diskussionen auf höchster Ebene zwischen Washington und Madrid voraus. Dazu gehörten auch direkte Gespräche zwischen Obama und dem Premierminister der Sozialistischen Partei (PSOE), José Luis Zapatero.

Garzóns neue Ermittlungen stellen eine Art öffentliche Herausforderung dar. Er legt politisch nach und nimmt die hohen Beamten der Bush-Regierung ins Visier, die das Folterprogramm verfasst haben.

Auf einer Pressekonferenz von Mittwoch wiederholte Obama seine Überzeugung, dass es sich bei dem von Bush genehmigten Waterboarding um Folter handelt. Dennoch verteidigen ehemalige Vertreter der Bush-Regierung diese Praktiken und ihre Genehmigung nach wie vor.

Einer, der in Garzóns erster Anklage genannt wurde, ist Jay Bybee. Er hat als zweiter vertretender Justizminister einige Folter-Memos unterzeichnet und wurde von Bush zum Richter am Bundes-Berufungsgericht ernannt. Nun ist er immer öfter mit der Forderung nach seiner eignen Amtsenthebung konfrontiert. Am Mittwoch brach er sein Schweigen und verteidigte seine Rolle bei der Genehmigung von Folter an Häftlingen. Er erklärte gegenüber der New York Times : "Ich war damals der Überzeugung und glaube auch heute noch, dass die Beschlüsse juristisch korrekt waren."

Condoleezza Rice verteidigt ihre Handlungsweise noch unverschämter als Bybee. Am Donnerstag veröffentlichte die Internet-Seite der Huffington Post einen Bericht über einen kürzlichen Austausch zwischen Rice und Studenten der Stanford University, wo sie eine Rede hielt. Als Studenten sie fragten, ob Waterboarding Folter sei, antwortete sie: "[D]efinitionsgemäß hat es unsere Pflichten bezüglich der Konvention gegen Folter nicht verletzt, da der Präsident es gestattet hatte."

Rices vertritt die Haltung, dass Bush persönlich Waterboarding gebilligt habe, und dass die Autorität des Präsidenten die Gesetze außer Kraft setze. Bei ihrem Bemühen, sich selbst zu verteidigen, hat sie Bush in die Schusslinie gebracht.

Obamas Justizminister, Eric Holder, lehnte eine Erklärung ab, ob die USA mit Garzóns Ermittlungen kooperieren werden. Als Erwiderung auf eine solche Frage sagte er nur: "Natürlich werden wir uns jede Anfrage ansehen, die von einem Gericht gleich welchen Landes kommt, und dann sehen wir, ob wir ihr nachkommen."

Michael Ratner, Präsident des Zentrums für Verfassungsrechte (CCR), das viele Häftlinge aus Guantánamo Bay vertritt, erklärte zu Garzóns neuen Ermittlungen: "Die Folter-Verschwörer sitzen tief in der Klemme. Selbst wenn die USA ihre Verpflichtung nicht erfüllt, strafrechtliche Nachforschungen anzustellen, dann wird es Spanien tun. Die Verschwörer können davon laufen, aber sie könne sich nicht verstecken. Es ist möglich, dass bereits Haftbefehle herausgegeben wurden oder bald herausgegeben werden. Anklagen werden mit großer Sicherheit folgen. Die Reisefreiheit des Folter-Teams wird immer weiter eingeengt."

Die Haltung des amerikanischen Establishments gegenüber Garzóns Ermittlungen zeigt sich am faktischen Stillschweigen der Medien. In den Fernsehnachrichten wurde kaum und in den Zeitungen nur sehr flüchtig darüber berichtet. Ein Artikel erschien in der Internet-Ausgabe der New York Times von Mittwoch, wurde aber in der Druckausgabe des nächsten Tages nicht veröffentlicht.

Diese Reaktion zeigt erneut die Komplizenschaft der Medien, sowohl bei den Straftaten der Bush-Regierung, als auch bei Obamas Versuch, die Staatsverbrecher ungestraft laufen zu lassen.

Siehe auch:
Folter und die Krise der amerikanischen Demokratie
(22. April 2009)

Obamas Anordnungen lassen Folter und unbegrenzte
Inhaftierung intakt (24. Januar 2009)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 08.05.2009
Spanischer Richter nimmt Folter-Ermittlungen gegen Beamte der Bush-Regierung wieder auf
http://wsws.org/de/2009/mai2009/folt-m08.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2009