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GLEICHHEIT/2723: Britische Labour Party vor der Auflösung


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Britische Labour Party vor der Auflösung

Von Chris Marsden
7. Oktober 2009
aus dem Englischen (3. Oktober 2009)


Vergangene Woche erreichte die britische Labour Party einen neuen Tiefpunkt an Peinlichkeit.

Der Parteitag der Labour Party in Brighton war kaum je mehr als halbvoll. Selbst als Parteiführer und Premierminister Gordon Brown die Hauptrede mit dem Titel "kämpferisches Comeback" hielt, blieben die Reihen leer. Die Kongressdelegierten erschienen entweder gar nicht, oder sie zogen es vor, ihren Kummer in den benachbarten Bars zu ertränken. Diejenigen, die ihre Plätze einnahmen, sahen aus wie Zombies in einem George A. Romero Film - verlorene Gestalten, die gedankenlos in einer alten Halle herumstolperten, ein bloßer Widerschein bewusst handelnder Menschen.

Die Woche begann mit einer Erklärung von Minister Alistar Darling im Observer, dass die Partei anscheinend "den Lebenswillen" verloren habe. Zum Auftaktabend wurden die Wahlergebnisse der deutschen Sozialdemokraten bekannt, die mit 23 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg erreichten.

Die Bedeutung dieses Wahldebakels wurde natürlich in Brighton nicht diskutiert. Nur Denis MacShane vom rechten Labourflügel sprach sie an. Er schrieb im Guardian : "Der Niedergang der deutschen Linken widerspiegelt eine existenzielle Krise in ganz Europa, die Labour in dieser Woche zu Denken geben sollte."

MacShane schrieb, dass sich "die Arbeiter nicht ohne Grund von den Ministern der SPD abwenden, die ihre Kaufkraft senken". ... "Die Löhne der Arbeiterklasse werden niedrig gehalten, indem Unternehmer und Gewerkschaften zusammenarbeiten, um die Kapitalbasis der Industrie zu stärken."

So sehe es in ganz Europa aus, wie er schrieb. Die Krise der deutschen Sozialdemokratie "unterscheidet sich nicht von der in Frankreich, Italien, Schweden, den Niederlanden und dem größten Teil Osteuropas, wo die klassische Form der Politik der demokratischen Linken des 20. Jahrhunderts keine Mehrheiten mehr gewinnen" könne. Sie stehe jetzt "vor ihrer größten Herausforderung seit der Gründung der sozialdemokratischen, sozialistischen und Arbeiterparteien vor über hundert Jahren".

In Wahrheit sind die internationale Sozialdemokratie und besonders Labour endgültig an dieser Herausforderung gescheitert. Sie sind alles andere als "links", nämlich glühende Anhänger des "Neoliberalismus". Sie haben ihr Schicksal untrennbar an die parasitären, spekulativen Praktiken geknüpft, die die Weltwirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs gebracht haben.

Labour ist so weit nach rechts gerückt, dass sie niemand anderen als den Wirtschaftsminister, Peter Mandelson, ausgewählt hat, damit er die Partei nächstes Jahr in den Wahlkampf führen solle. Mandelson, der mit vielen russischen Oligarchen befreundet ist, wird besonders direkt mit "New Labour" in Verbindung gebracht. Er steht für die Abwendung der Partei von ihrem reformistischen Programm. Er war es, der verkündete: "Die Tatsache, dass Leute unglaublich reich werden, lässt mich ganz entspannt". Um ihn ging es, als Tony Blair 1996 seinen berühmtem Ausspruch tat, dass sich das "New Labour Projekt" erst erfüllen werde, wenn die Partei "gelernt hat, Peter Mandelson zu lieben".

Die Standing Ovations, die er bekam, waren der Beweis, dass das Wenige, was von der Partei übrig ist, politisch völlig verdorben ist. Man ist nicht nur bereit, ihn zu lieben, sondern verblendet genug, um anzunehmen, er könne ein gutes Zugpferd für den Wahlkampf abgeben. "Mein Come-back ist euer Come-back", behauptet er.

Als Gordon Brown selbst die Bühne betrat, versuchte er sich an der unmöglichen Aufgabe, Labour als eine "linke" Alternative zur Ideologie des Freien Marktes der Konservativen darzustellen.

Er stellte sein mehrere Milliarden schweres Rettungspaket für die britischen Banker als mildtätigen Akt dar, um "eine große Depression zu verhindern, bei der die Jobs, Häuser und Ersparnisse von Millionen Menschen auf dem Spiel standen". Er schalt David Cameron und die Tories und rief aus: "Die Welt wurde vergangenen Herbst nicht nur durch bankrotte Institutionen, sondern durch eine bankrotte Ideologie zu Fall gebracht. Die konservative Idee, dass Märkte sich ständig selbst korrigieren, aber nicht selbst zerstören, ist gescheitert. Gescheitert ist der rechte Fundamentalismus, der besagt, dass man einfach alles dem Markt überlassen könne, und dass der Freie Markt nicht nur frei, sondern wertfrei sein müsse."

Dem folgten Versprechen, die traditionellen Werte der "Mittelklasse" und "Arbeiterklasse", d.h. "die Werte der Mehrheit", zu erhalten. Das schloss die Forderung nach freier Bildung und allgemeiner Gesundheitsversorgung mit ein. Brown versprach, nicht zuzulassen, dass "mittlere und niedrige Einkommen einem Sturm zum Opfer fallen, den sie nicht verursacht haben". Er werde "die Steuern der Höchstverdiener erhöhen", "die Regeln für jene verschärfen, die die Regeln verletzen" - besonders für Bankdirektoren - und sicherstellen, dass "die Banken der britische Bevölkerung das Geld zurückzahlen".

Am lächerlichsten war seine Erklärung: "Ich sage euch heute, Märkte brauchen Moral."

Dieser populistische Anflug schlug dann in eine ausgesprochen rechte Richtung um, als Brown zu "Law and Order-Forderungen" überging. Er versprach, antisoziale Verhaltensweisen zu bekämpfen, alle 16- und 17-jährigen, allein erziehenden Mütter in "überwachten Heimen" unterzubringen, "die 50.000 besonders chaotischen Familien" in ein "Familieninterventionsprojekt zu führen, mit klaren Regeln und deutlichen Strafen, wenn sie sich nicht daran halten", und "niemals jugendlichen Rabauken oder irgendjemand anderem zu erlauben, unsere Stadtzentren bei Nacht in No-go-Gegenden zu verwandeln".

Als letztes versprach er, hart gegen Immigration vorzugehen und "streng darauf zu achten, wer in unser Land kommt und wer hier bleiben darf". Gleichzeitig sollten wir "unser punktebasiertes Immigrationssystems verschärfen", um sicherzustellen, "dass diejenigen, die Fähigkeiten besitzen, die Großbritannien nützen, auch aufgenommen werden, und alle, die sie nicht haben, abgelehnt werden".

Browns Versuch, allen nach dem Mund zu reden, konnte niemand überzeugen. Kein Arbeiter, der drei Regierungsperioden Labours erlebt hat, kann auf so einen pathetischen Versuch reinfallen, die Partei als Gegner des Freien Marktes darzustellen. Jeder weiß, dass Labour längst massive und dauerhafte Kürzungen im öffentlichen Dienst plant, wodurch Löhne gesenkt und Leistungen gekürzt werden und Millionen ihre Jobs und Häuser verlieren. Brown warb sogar mit Labours "Plan zur Reduzierung des Defizits um die Hälfte in nur vier Jahren" und kündigte an, dieses in einem neuen Gesetz zu "verantwortlicher Haushaltsführung" einzubringen. Damit könne Labour "Kosten senken, realistische Tarifverträge im öffentlichen Dienst abschließen und wo immer möglich Einsparungen machen".

Browns "soziale" Äußerungen gehen seinen ehemaligen Unterstützern in der Wirtschaft eindeutig zu weit. Sie sind nicht bereit, Zweideutigkeiten in dem Punkt zu tolerieren, dass die Arbeiter die Wirtschaftskrise bezahlen müssen. Rupert Murdochs Sun posaunte ihre Ankündigung, Labour die Unterstützung zu entziehen, am Tag von Browns Rede hinaus und gab ihr, um maximalen Schaden anzurichten, den Titel: "Labour hat's vermasselt".

1997 war die Begeisterung dieser Zeitung für Blair ein Zeichen für den Erfolg der Partei, sich die Unterstützung der Finanzelite zu sichern. Es war der Dank für die thatcheristische Politik von New Labour, die Deregulierung und Privatisierungen unterstützte. Heute kommt das Murdoch-Medienimperium zum Schluss, dass es alles auf die Karte des Tory-Führers Cameron setzen muss, um dessen Partei eine Art Mandat für ein Sparprogramm von historischen Ausmaßen zu geben.

Sun erklärte in ihrem Leitartikel, dass er New Labour 1997 unterstützt habe, weil diese "von ihrer zerstörerischen, streng linken Doktrin abgekommen" sei. Aber Labour habe dennoch "Milliarden verschwendet, um eine unnütze Schicht mittlerer Manager im öffentlichen Sektor zu beschäftigen", wie auch eine "enorme, faule Unterklasse, die die Arbeit scheut".

Jetzt sei die Zeit gekommen, in der Britannien eine Tory-Regierung brauche, um "unsere natürliche Geschäftsführung und den Willen jeder Familie, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, ohne von Almosen abhängig zu sein", wieder herzustellen. "Das rote Band, das die Geschäfte stranguliert hat, muss zerschnitten werden." Nötig seien "alle möglichen Steuerkürzungen", eine Reform des "verschwenderischen öffentlichen Dienstes", wie auch "der wirkliche Willen, den Krieg in Afghanistan zu gewinnen".

Labour sah sich gezwungen, Murdochs Angriff mit mutiger Mine zu begegnen. Aber hinter den Kulissen setzen sie Himmel und Hölle in Bewegung, um Murdoch und die soziale Schicht, die er verkörpert, zu überzeugen, dass sie immer noch das beste Instrument sind, um die erforderlichen Härten gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen. Wenn nötig werden sie selbst Browns Kopf als Beweis des guten Willens opfern.

Brown versucht, Labours politische Haut zu retten, indem er einen Pakt mit den Liberal-Demokraten anstrebt. Dafür bietet er ein Referendum über Wahlreformen und eine Art proportionale Repräsentanz an, statt des bisherigen britischen Systems, nachdem der Sieger alles erhält. In erster Linie verlässt sich Labour jedoch auf die Gewerkschaftsbürokratie, die die Partei als einzige Alternative zu den "ideologisch motivierten" Kürzungen der Konservativen verkaufen soll.

Tony Woodley, der Generalsekretär der Gewerkschaftsvereinigung Unite, zerriss pathetisch ein Exemplar des Sun in der Luft, einem betrogenen Liebhaber nicht unähnlich. Er lobte Brown, weil dieser über "die für Labour einzig wahren Werten" gesprochen habe. Paul Kenny, Generalsekretär von GMB, Britanniens drittgrößter Gewerkschaft, bezeichnete Browns Rede als "die Rede eines Premierministers, der versucht, den Kampf gegen die Tories aufzunehmen". Der Generalsekretär von UNISON, Dave Prentis, erklärte, Brown habe "definitiv eine Grenze zwischen Labour und Tory gezogen".

Die Socialist Workers Party, die größte Gruppe der britischen kleinbürgerlichen Linken, schrieb: "Die Tatsache, dass Labour, die Tories und die Liberal-Demokraten alle gemeinsam Ausgabenkürzungen fordern, trägt zu der allgemeinen Auffassung bei, dass die großen Parteien im Wesentlichen gleich seien. Aber trotz all ihrer Verbrechen ist Labour nicht mit den Tories gleichzusetzen."

Es sei "unreif", von Labours Tod zu sprechen, erklärte die SWP, selbst wenn eine Tory-Regierung gewählt werde. "Die Party könnte als Symbol der Opposition wieder aufleben und sogar in ihrer Rhetorik nach links rücken. Menschen, die vor den gewaltigen Kürzungen der Tories erschrecken, könnten in Labour einen Funken Hoffnung erblicken, selbst wenn diese bei ihrer rechten Politik bleibt."

Jedes derartige Vertrauen auf Labour als das "kleinere Übel" wird bloß die Arbeiterklasse entwaffnen. Labour ist eine rechte kapitalistische Partei und muss durch eine echt sozialistische Partei ersetzt werden, um den politischen und wirtschaftlichen Kampf gegen alle Repräsentanten des Big Business zu führen.

Siehe auch:
Britische Gewerkschaftsführer warnen vor Aufständen
und sozialen Unruhen (22. September 2009)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 07.10.2009
Britische Labour Party vor der Auflösung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2009