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GLEICHHEIT/2900: Die US-Marines in Haiti - Zurück zum Kolonialismus


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Die US-Marines in Haiti: Zurück zum Kolonialismus

Von Bill Van Auken
2. Februar 2010
aus dem Englischen (27. Januar 2010)


In den Berichten der amerikanischen Medien über die Katastrophe in Haiti tauchen immer öfter Artikel und Sendungen auf, in denen die angeblich humanitäre Rolle der amerikanischen Soldaten und Marineinfanteristen in diesem karibischen Land gelobt wird. Im Allgemeinen beschreiben sie, wie "hartgesottene" Veteranen aus dem Irak und Afghanistan den Überlebenden des Erdbebens helfen.

Einige dieser Berichte sind wohl darauf ausgerichtet, der wachsenden internationalen Kritik an der Militarisierung der amerikanischen Antwort auf die Katastrophe in Haiti entgegenzuwirken, die dem schnellen Stationieren von Kampftruppen den Vorrang vor der Versorgung mit Medizin, Nahrungsmitteln und Wasser gibt, die dringend benötigt werden, um Leben zu retten.

Ein Sprecher der Organisation Ärzte ohne Grenzen brachte seine Besorgnis zum Ausdruck über "die extreme Verirrung, Lebensmittel mit dem Gewehr zu verteilen." Die Organisation protestierte formell gegen die mehrmalige Umleitung von Flugzeugen, die ihr medizinische Hilfslieferungen bringen sollten, nachdem das US-Militär die Kontrolle über den Flughafen von Port-au-Prince übernommen hatte; die Organisation erklärte, dass viele ihrer Patienten infolgedessen gestorben seien.

Angesichts von Hunderttausenden von Toten und weiteren Hunderttausenden Verletzten sind die Soldaten in Haiti sicherlich erschüttert über das Ausmaß der Zerstörung und empfinden Sympathie für das Leiden der haitianischen Bevölkerung.

Allerdings handeln die Verantwortlichen in Washington und die höheren Offiziere, die sie befehligen, auf der Grundlage ganz anderer Motive, wie ein jüngster Pressebericht über ihre Mission deutlich macht.

Am Montag veröffentlichte USA Today einen Artikel mit der Überschrift "Marines studieren ihre eigene Geschichte in Haiti", in dem das Land als "wichtiger Teil der Überlieferung der Marine-Infanterie" beschrieben wird.

Die Marines, erklärt der Artikel "regierten Haiti von 1915 bis 1934, nachdem eine Invasionsarmee entsandt worden war, um zu verhindern, dass ein anti-amerikanischer Diktator die Macht ergreift. Junge Unteroffiziere regierten Haiti ohne viel Beaufsichtigung."

Weiter zitiert USA Today Lt. Col. Gary Keim, den Kommandeur eines Logistik-Bataillons der Marines, der erklärte, er und andere Offiziere hätten die Geschichte der Besatzung studiert, bevor sie in Haiti stationiert wurden. "Wir wurden aufgefordert, es noch einmal zu lesen", erklärte er. "Wir waren schon mal hier. Und wir waren damals erfolgreich."

Die Marines, fährt der Artikel fort, "sehen diese Jahre als Vorbild für das Nation Building und als vorbildliche Strategie zur Aufstandsbekämpfung".

Dass die US-Marines, die von der Obama-Regierung nach Haiti entsandt wurden, ihre Mission bewusst an dem "Erfolg" der 20-jährigen Besetzung ausrichten, die 1934 endete, hat eine unmissverständliche politische Bedeutung.

Als die Marines vor 95 Jahren in Haiti einmarschierten, wurde das ebenfalls als Rettungsaktion dargestellt, die das Leben von Amerikanern schützen und die Haitianer vor deutscher Herrschaft retten sollte. Die Invasionsarmee erklärte den Ausnahmezustand, übernahm die Kontrolle über Haitis Finanz- und Zollbehörde, während bewaffnete Marines das Parlament des Landes besetzten, um sicher zu stellen, dass Washingtons Favorit zum Präsidenten gewählt wurde.

Im Verlauf der nächsten zwei Jahrzehnte wurden 3.000 Haitianer von den Besatzern umgebracht, während die Marines selbst nur sechzehn Tote zu beklagen hatten.

In den ersten Jahren der Besatzung wurden die so genannten C acos unterdrückt , eine bäuerliche Aufstandsbewegung, die von dem ehemaligen haitianischen Offizier Charlemagne Peralte angeführt wurde. Die Bewegung hatte bei den unterdrücktesten Schichten Haitis große Unterstützung, vor allem wegen der brutalen Methoden der amerikanischen Besatzer, die Bauern von ihrem Land verschleppten und zu Arbeit wie in einer Sträflingskolonie zwangen.

Wie der Artikel in USA Today erklärt, führten die Marines neuartige "Aufstandsbekämpfungs"-Taktiken ein, die dann von Vietnam bis Afghanistan zum Einsatz kamen, darunter zum ersten Mal Luftbombardements als Schützenhilfe für Bodenangriffe bei der Bekämpfung der Cacos und der bäuerlichen Bevölkerung, die sie unterstützte. Wie in den derzeitigen amerikanischen Kriegen, wurden Gefangene geschlagen und gefoltert, um Informationen zu erpressen und in vielen Fällen in Massenerschießungen hingerichtet.

Peralte selber wurde 1919 von Marines gefangen genommen und ermordet. Seine Leiche wurde an eine Tür genagelt und öffentlich zur Schau gestellt, um die Bevölkerung einzuschüchtern.

Washington setzte Veränderungen in der Verfassung Haitis durch, die es Ausländern zum ersten Mal seit der Sklavenrevolte, durch die das Land 1804 seine Unabhängigkeit von Frankreich errang, ermöglichten, Land zu besitzen.

Die USA begannen einen haitianischen Unterdrückungsapparat, genannt Garde d'Haiti, aufzubauen, der von Offizieren der Marines befehligt wurde: Der Aufbau dieser Truppe war Teil der "Haitianisierung" der amerikanischen Kolonialherrschaft über das Land.

Der wachsende Widerstand in der Bevölkerung zwang das US-Militär letztlich, Haiti zu verlassen. Die Entscheidung zum Rückzug wurde durch Massenunruhen beschleunigt, die der Zusammenbruch des Kaffeepreises infolge der Wirtschaftskrise 1929 ausgelöst hatte. Ein Studentenstreik, dem sich Arbeiter und Bauern anschlossen, führte zu Aufständen in einer Reihe von Gebieten.

In Cayes im Südwesten standen am 6. Dezember 1929 Tausende mit Steinen, Knüppeln und Macheten bewaffnete Bauern Marines mit Maschinengewehren gegenüber. Die Marines eröffneten das Feuer, töteten 24 und verwundeten 51 Haitianer. Ein Marine wurde angeblich verwundet. Der Kommandant der Einheit erhielt daraufhin als Auszeichnung für das Massaker das Navy Cross verliehen.

1931 gab Smedley Butler, der Offizier der Marines, der die Intervention selbst geleitet hatte und zwei Jahre lang Chef der Sicherheitskräfte Haitis gewesen war, eine ehrliche Einschätzung seiner Mission: "Ich war der Gangster für den Kapitalismus", erklärte er. "Ich habe dafür gesorgt, dass Haiti ... ein annehmbarer Ort für die Jungs von der National City wurde, damit sie ihre Erträge kassieren konnten." National City, der Vorläufer der Citibank, kontrollierte die Eisenbahn und die größte Bank Haitis. Nach dem Ende der US-Invasion übernahm sie Haitis Staatskasse.

Die Besatzung durch die Marines hinterließ ein mächtiges von den USA dominiertes Militär, das das politische Leben des Landes für Jahrzehnte kontrollierte und 1957 die Duvalier-Diktatur an die Macht brachte, die Haiti 30 Jahre lang brutal regierte.

Dieses tödliche Erbe spielte eine entscheidende Rolle dabei, dass das Volk von Haiti in Armut und Unterdrückung lebt, und es hat die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen geschaffen, die dazu geführt haben, dass das Erdbeben vom 12. Januar so unermesslich viele Menschen das Leben kostete.

Dass die Befehlshaber der Marines sich auf die Besatzung des frühen 20. Jahrhunderts als Präzedenzfall für ihre gegenwärtige Mission berufen, stellt eine Warnung dar. Hinter der humanitären Maske ist Washingtons Intervention in Haiti Teil des Versuchs, die US- imperialistischen Interessen in Nord- und Südamerika und überall auf dem Globus durch den Einsatz von militärischer Gewalt durchzusetzen.

Das US-Militär wurde in Haiti stationiert, um Washingtons Vorherrschaft über die Länder in seinem Süden geltend zu machen, wo der amerikanische Imperialismus seinen Ausgang genommen hat und wo er jetzt mit immer größeren Herausforderungen von mächtigen wirtschaftlichen Rivalen in Europa und China konfrontiert ist.

Wie bei der Intervention, die 1934 endete, werden die amerikanischen Gewehre unausweichlich gegen die haitianischen Arbeiter und Unterdrückten eingesetzt werden, wenn sie gegen Armut, Hungerlöhne und extreme soziale Ungleichheit Widerstand leisten.

Siehe auch:
Haitis Tragödie: Ein Verbrechen des US-Imperialismus
(22. Januar 2010)
http://www.wsws.org/de/2010/jan2010/hait-j22.shtml


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Quelle:
World Socialist Web Site, 02.02.2010
Die US-Marines in Haiti: Zurück zum Kolonialismus
http://wsws.org/de/2010/feb2010/hait-f02.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2010