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GLEICHHEIT/3653: Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten in Athen


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten in Athen

Von Stefan Steinberg
14. Mai 2011


Am Mittwoch gingen griechische Arbeiter und Jugendliche in Athen erneut auf die Straße, um gegen weitere Sparmaßnahmen zu protestieren, die die sozialdemokratische Regierung von Premierminister Giorgos Papandreou einführen will. Gleichzeitig mit der Demonstration fand der zweite Generalstreik dieses Jahres statt, der zehnte seit Ausbruch der internationalen Finanzkrise im Jahr 2008.

In dem Ereignis fand die überwältigende Ablehnung Ausdruck, die die Bevölkerung Papandreous Einschnitten entgegenbringt, sowie das wachsende Misstrauen gegenüber der Politik der griechischen Gewerkschaften und ihrer Unterstützer aus der Politik. Die größten Gewerkschaften, die von der sozialdemokratischen PASOK kontrolliert werden, haben zynisch zu eintägigen Streiks aufgerufen um Dampf abzulassen, aber gleichzeitig mit Papandreou über die Kürzungen verhandelt.

Während des 24-stündigen Streiks wurden Schulen geschlossen und das öffentliche Verkehrssystem im Umland zum Erliegen gebracht, wovon besonders die Zug- und Fährverbindungen betroffen waren. Fernseh- und Radiosender beteiligten sich am Streik und das Pressewesen kam zum Erliegen, weil die Journalisten sich darauf einigten, bis Freitag keine Zeitungen herzustellen. Lehrer, Beamte, Pflegepersonal, Hochschul- und Universitätspersonal streikte außerdem in vierzehn Städten im ganzen Land.

Auch die Fluglotsen beteiligten sich am Streik, weswegen der Flugverkehr für vier Stunden zum Erliegen kam. Jetzt wo die Urlaubssaison beginnt mussten die beiden größten Fluggesellschaften, Olympic und Aegean, fast 50 Flüge stornieren oder verzögern.

Laut den Zahlen des Allgemeinen Griechischen Arbeiterverbandes (GSEE) waren bis zu 100 Prozent aller Arbeiter in den Raffinerien, Schiffswerften und auf den Schiffen, 95 Prozent der Hafenarbeiter, 90 Prozent der Bauarbeiter, 80 Prozent in den Banken und 85 Prozent der Arbeiter in den städtischen Versorgungsbetrieben und staatlichen Organisationen in den Streik getreten.

Die Teilnehmerzahl bei der Hauptdemonstration in Athen wurde vom GSEE und dem Bund der Beamtengewerkschaften ADEDY auf 20.000 geschätzt.

Das sind deutlich weniger als bei den vorherigen Demonstrationen, was auf einen wachsenden Vertrauensverlust gegenüber den Gewerkschaften hindeutet, deren Protest keine Perspektive für eine politische Opposition gegen Papandreou bietet. Die Gewerkschaften nutzten den Protest vom Mittwoch, um die Demonstranten durch die Innenstadt marschieren zu lassen und Parlamentsabgeordneten eine Resolution zu übergeben.

Seit die Krise in Griechenland begonnen hat, haben die Gewerkschaften eine ausgesprochen zynische Rolle gespielt. Keiner ihrer eintägigen Streiks wurde aus der Perspektive politischer Opposition heraus geführt, oder um die Papandreou-Regierung zu stürzen. Letzten Sommer weigerten sich die Gewerkschaften, Solidaritätsaktionen für die Lastwagenfahrer zu organisieren, deren Streiks eine reelle Bedrohung für die griechische Regierung darstellten.

Am Mittwoch löste sich eine Gruppe jugendlicher Demonstranten vom Hauptdemonstrationszug, der von den Gewerkschaften geführt wurde. Sie bewegten sich auf den Regierungssitz zu, wo die Führer der EU und des Internationalen Währungsfonds sich mit Regierungsfunktionären trafen, um die nächste Stufe des griechischen Sparprogramms auszuarbeiten.

Die Polizei setzte Tränengas und Schlagstöcke ein, um die Demonstration der Jugendlichen aufzulösen, die Parolen gegen die endlosen Sparmaßnahmen riefen, die von den Banken gefordert werden.

Bei den darauffolgenden Zusammenstößen wurden zwei Demonstranten schwer verletzt. Ein 31-jähriger erlitt schwere Kopfverletzungen und befindet sich Berichten zufolge nach einer Gehirnoperation am Donnerstag in einem Krankenhaus in Athen in kritischem Zustand. Ein weiterer 29-jähriger Demonstrant wurde ebenfalls in einem der Hauptkrankenhäuser der Stadt wegen schweren Verletzungen behandelt.

Insgesamt behandelten Krankenhäuser in der ganzen Stadt Dutzende von Demonstranten wegen Verletzungen, die sie sich bei der Kundgebung zugezogen hatten. Insgesamt 24 Demonstranten wurden von der Polizei in Gewahrsam genommen. Einige Kommentatoren bemerkten, dass das Ausmaß der Verletzungen, die die Demonstranten erlitten, auf einen Wechsel der Taktik der Polizei hin zu kompromissloser Gewalt hindeutet.

Die Wut und Unzufriedenheit wächst in ganz Griechenland, da die Lebensbedingungen für weite Teile der Bevölkerung immer unerträglicher werden. Das Land hat mittlerweile eine offizielle Arbeitslosenquote von 15 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 30 Prozent. Eine Reihe von wichtigen Steuererhöhungen, verbunden mit Gehaltskürzungen von bis zu 15 Prozent, haben zu einem vollständigen Zusammenbruch des Konsums geführt, sowie zu einem drastischen Einbruch der Staatseinnahmen und einer längeren wirtschaftlichen Rezession.

Laut der griechischen Handelskammer gingen die Konsumausgaben in den ersten drei Monaten des Jahres um 25 bis 30 Prozent zurück, nachdem sie bereits 2010 um 25 Prozent gesunken waren. Das Ergebnis der sinkenden wirtschaftlichen Aktivität ist ein Zusammenbruch bei den Kleinunternehmern, die von Finanzkommentatoren als einzige Hoffnung für ein neues Wirtschaftswachstum gesehen wurden.

Die Notlage der Kleinunternehmer wird deutlich, wenn man durch die Straßen von Athen läuft, wo jeden Tag mehr Geschäfte schließen. Laut offiziellen Zahlen gab es im letzten Jahr 56.037 Geschäftsaufgaben. In den ersten zwei Monaten dieses Jahres waren es bereits 10.200.

Premierminister Giorgos Papandreou sieht sich in einer Spirale aus Rezession und wachsender Verschuldung und hat eine weitere Runde von Sparmaßnahmen umgesetzt, die darauf abzielen, weitere 23 Milliarden Euro (32 Milliarden Dollar) an öffentlichen und privaten Ausgaben einzusparen. Zusätzlich hat seine Regierung angekündigt, weitere 50 Milliarden Euro durch die Privatisierung von Staatsbesitz aufzubringen, darunter befindet sich auch das Vorhaben, die noch teilstaatliche Telefongesellschaft Hellenic Telecoms (OTE) vollständig zu privatisieren, ebenso den größten Stromkonzern und den Athener Flughafen.

Gleichzeitig wird es immer deutlicher, dass die derzeitige Strategie der EU und des IWF nicht ausreicht um die Investoren an den Anleihenmärkten und die Ratingagenturen zufriedenzustellen, die auf einen Staatsbankrott Griechenlands spekulieren. Am Mittwoch berichtete die griechische Tageszeitung Kathimerini, dass der IWF derzeit ein neues Rettungspaket im Wert von 80 - 100 Milliarden Euro zusammenstellt.

Da die griechische und internationale Finanzaristokratie es abgelehnt hat, Verluste durch die Wirtschaftskrise hinzunehmen, vertritt sie den Standpunkt, dass die einzige Alternative zur Umschuldung der griechischen Schulden der Staatsbankrott Griechenlands sei.

Diese Option wird in Europa heiß diskutiert. Deutsche Banken und Finanzkreise haben aktiv ihre Zustimmung für eine Umschuldung angedeutet, aber die Europäische Zentralbank, und besonders das französische Finanzministerium sind strikt dagegen. Sie befürchten dass ein solcher Zug zum Zusammenbruch des französischen und europäischen Bankensektors führen könnte.

Am Mittwoch deutete die französische Finanzministerin Christine Lagarde an, dass sie einen weiteren Bailout für Griechenland unterstützen würde, aber sie war ausnahmslos gegen jede Form von Umstrukturierung. Sie sagte der französischen Zeitung Le Figaro: "Wir schließen jegliche Form von Umstrukturierung vollständig aus. Niemand will weiterhin Ländern Geld zahlen, die in einer so schweren Lage sind wie Griechenland. Aber wir müssen es, ohne Wenn und Aber, weil eine staatliche Schuldenumstrukturierung ein so negatives Signal an Investoren senden würde, dass die gesamte Eurozone darunter leiden würde..."

Im Namen der Europäischen Zentralbank war das italienische EZB-Mitglied Lorenzo Bini Smaghi noch offener. Er sagte der italienischen Zeitung La Stampa dass eine Umstrukturierung griechischer Schulden nicht nur zum Zusammenbruch des griechischen Bankensystems führen würde, sondern "zu einer regelrechten wirtschaftlichen Kernschmelze", die weit über Griechenland hinausginge.

In Deutschland aber wächst der Widerstand in der konservativen Regierung gegen einen weiteren Bailout Griechenlands. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom Dienstag war eine wachsende Anzahl von Bundestagsabgeordneten der CDU und FDP nicht mehr bereit, die Linie der Kanzlerin zu unterstützen, wenn sie weiteren Finanzhilfen für Griechenland zustimmen würde.

Führende Köpfe des Finanzsektors haben sich ebenfalls in die Debatte eingemischt. Vor ein paar Tagen forderte Hans-Werner Sinn, der Chef des Münchner IFO-Instituts (Institut für Wirtschaftsforschung), erneut, dass Griechenland den Euro wieder abschaffen sollte. Sinn begründete seine Forderung mit der Warnung vor sozialen Unruhen, sollte die griechische Regierung an ihrem Sparkurs festhalten. "Wenn Griechenland sich an eine innere Abwertung wagt - das heißt, Preis- und Lohnsenkungen im Land -, dann würde es einen Bürgerkrieg riskieren.

Alle Optionen, die zurzeit diskutiert werden - ein neues Darlehen für Griechenland, das an weitere Sparmaßnahmen gekoppelt ist, eine Schuldenumstrukturierung, oder Griechenlands Austritt aus der Eurozone - hätten unberechenbare Folgen für die arbeitende Bevölkerung nicht nur von Griechenland, sondern von ganz Europa.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 14.05.2011
Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten in Athen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2011