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GLEICHHEIT/3696: Vertreter der Europäischen Union fordern in Griechenland brutale Sparmaßnahmen


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Vertreter der Europäischen Union fordern in Griechenland brutale Sparmaßnahmen

Von Stefan Steinberg
14. Juni 2011


Bei einem Treffen des Wirtschaftsausschusses des Europäischen Parlaments am Montag forderten führende Vertreter der EU die griechische Regierung und deren Oppositionsparteien auf, eine Übereinkunft über eine neue Runde von verheerenden Sparmaßnahmen für das Land zu erzielen.

Das Herzstück dieser Maßnahmen ist die Privatisierung großer Teile des öffentlichen Sektors Griechenlands. In ihrer Gesamtheit stellen die von der EU auf Drängen der Banken geforderten Einschnitte eine soziale Konterrevolution dar.

Jean-Claude Juncker, der Vorsitzende der Eurogruppe prahlte auf dem EU-Wirtschaftsausschuss am Montag damit, dass die Europäische Union in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank bereits die Zustimmung aller Parteien für die drastischen Sparprogramme in mehreren europäischen Ländern hatte. Jetzt erwartete er von den griechischen Parteien, dass sie ebenfalls parierten.

Juncker sagte: "Wenn Länder Schwierigkeiten haben, wäre es nur klug, wenn die wichtigsten politischen Kräfte dieser Länder sich darauf einigen, welchen Weg sie gehen. So war es in Portugal, so war es in Irland, und so sollte es auch bei den Parteien in Griechenland sein."

Junckers Drohungen wurden bei dem Treffen von Olli Rehn, EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung, bekräftigt, der die griechischen Politiker ebenfalls drängte, einen politischen Konsens über Sparmaßnahmen und Privatisierungen zu finden.

Die Kommentare von Juncker und Rehn vom Montag zielen hauptsächlich auf die Haupt-Oppositionspartei in Griechenland ab, die gegen die neue Runde von Sparmaßnahmen protestiert, die der griechische Premierminister Giorgos Papandreou angekündigt hat. Die konservative Partei Neue Demokratie forderte als Ausgleich für ihre Zustimmung zu den Sparmaßnahmen Steuersenkungen für ihre Unterstützer aus der Wirtschaft.

Einige Mitglieder der regierenden PASOK meldeten ebenfalls Bedenken gegen Papandreous Sparprogramm an. Die Athener Tageszeitung Kathimerini berichtete, dass Parlamentsabgeordnete von PASOK "glauben, dass sie politischen Selbstmord begehen, wenn sie das neue Vorhaben unterstützen."

Papandreou hatte am Dienstag weitere Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen angekündigt, mit dem Ziel, die Staatsausgaben um weite 6,4 Milliarden Euro zu senken.

Er hatte bereits Pläne angekündigt, bis zum Jahr 2015 50 Milliarden Euro durch den Verkauf von mehr als 30 ganz oder teilweise im Staatsbesitz befindlichen Unternehmen einzunehmen. Betroffen wären unter anderem Wasserwerke, die Häfen von Piräus und Thessaloniki, die Pferderennbahn von Athen, die Postbank, eine Spielbank und der Lotteriebetreiber OPAP. Die Regierung sucht außerdem einen Investor für das staatliche Eisenbahnnetz.

Aber den Brüsseler EU-Bürokraten reichen Papandreous Pläne noch lange nicht aus. Die Hauptbedingung der EU für weitere Darlehen für Griechenland ist die schnelle Umsetzung eines noch drastischeren Privatisierungsprogramms, von dem auch die wichtigsten und sozial bedeutsamsten Vermögen betroffen wären.

Mehrere führende Länder der Eurozone befürworten die Einrichtung einer Treuhandgesellschaft, um einen noch viel rigoroseren Notverkauf des griechischen Staatseigentums zu organisieren. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom Dienstag würde diese Treuhand die Verantwortung für den Verkauf weiterer im Staatsbesitz befindlicher Unternehmen, darunter auch Busunternehmen und Krankenhäuser, übernehmen. Der Artikel stellte fest, dass der Gesamtwert des griechischen Staatseigentums auf ungefähr 300 Milliarden Euro geschätzt wird - viel mehr als die 50 Milliarden, die Papandreou versprochen hat.

Der Artikel beschreibt auch im Detail eine Initiative, dass diese Treuhandgesellschaft Aktien ausgeben solle, die sofort an Interessierte verkauft werden sollen. Das soll zusätzlichen Druck auf die griechische Regierung ausüben, die Privatisierungen so drastisch wie möglich durchzuführen.

Der neueste Vorschlag wird Vertretern von EU und Eurozone, d.h. nicht gewählten Apparaten, nahezu diktatorische Vollmachten verleihen, gesellschaftlich notwendige Einrichtungen und Dienstleistungen wie Krankenhäuser, Elektrizitätswerke und Telekommunikationsfirmen meistbietend zu verkaufen. Dass Ergebnis werden höhere Verbraucherpreise für grundlegende Leistungen und die vollständige Abschaffung des sozialen Netzes für Bedürftige und die arbeitende Bevölkerung sein, die schon jetzt von Massenarbeitslosigkeit geplagt ist.

Die Bemerkungen von Juncker und Rehn haben zum Ziel, sicherzustellen, dass sich das gesamte politische Establishment Griechenlands hinter das Programm der sozialen Konterrevolution stellt, das von einer Handvoll nicht gewählter europäischer Vertreter diktiert wird, die ihrerseits ihre Befehle von den Banken entgegennehmen.

Juncker stellte seine eigene Unterwürfigkeit gegenüber der Finanzelite durch seine Kommentare gegenüber der Presse vor dem Treffen des EU-Wirtschaftsausschusses deutlich unter Beweis. Als man ihn nach seinen Plänen für Griechenland fragte, antwortete er: "Wir arbeiten an einer Formel, die nicht zu einer negativen Beurteilung durch die Ratingagenturen führt, und die nicht bedeuten, dass das Land als zahlungsunfähig gesehen wird."

Die Ratingagentur Moody's korrigierte Ende letzter Woche ihre Beurteilung von acht griechischen Banken nach unten. Anfang der Woche stufte sie außerdem die griechischen Staatsanleihen weiter ab, wodurch sie weiter in Richtung "Schrott-Anleihe" gerückt wurden.

Die Herabstufung von Moody's passiert vor dem Hintergrund einer zunehmenden Kapitalflucht von Privatbanken aus Griechenland. Laut Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zogen ausländische Banken im letzten Quartal des Jahres 2010 sieben Milliarden Euro aus Griechenland ab. Amerikanische und französische Investoren haben Berichten zufolge ihre Beteiligung an griechischen Staatsanleihen halbiert.

Weitere aktuelle Zahlen zeigen, dass ausländische Banken im März etwa acht Milliarden Euro aus griechischen Banken abgezogen haben, und mehrere Milliarden von griechischen Investoren.

Dieser Trend hat sich im April und Mai vermutlich intensiviert. Einige Finanzanalysten sagen bereits voraus, dass die griechische Regierung gezwungen sein wird, einige Banken zu verstaatlichen um ihren Zusammenbruch zu verhindern.

Unter dem Druck der Finanzmärkte werden jetzt Vorschläge für eine Verstaatlichung griechischer Banken auf Kosten der Steuerzahler gemacht. Gleichzeitig fordern die Finanzmärkte und EU-Institutionen, dass der Staat seine wichtigsten sozialen Einrichtungen an Privatinvestoren verkauft!

Juncker und Rehn verlangen von den Parteien, sich zu einigen, die Sparmaßnahmen durchzusetzen. Dahinter steckt die Drohung die Drohung, die Hilfszahlungen für die griechische Wirtschaft einzustellen. Die Unterstützung aller Parteien für die Sparmaßnahmen und das Privatisierungsprogramm der EU ist eine der Bedingungen, die dem Land für die nächste Zahlung des Bailouts der EU und des IWF gestellt werden, die in ein paar Tagen erfolgen soll.

Im März 2010 erhielt Griechenland die ersten 110 Milliarden Euro aus dem Bailout der EU, des IWF und der EZB, als Gegenleistung wurden massive Haushaltseinsparungen gefordert. Ein Jahr später steckt das Land in einer tiefen Rezession und seine Verschuldung steigt weiter rasant an.

Um einen vollständigen Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft zu verhindern diskutieren EU-Funktionäre jetzt über ein mögliches zweites Bailout-Paket für das Land, im Wert von 60 bis 100 Milliarden Euro. Vorschläge für weitere Darlehen für Griechenland werden beim nächsten Treffen der Finanzminister der Eurogruppe am 20. Juni diskutiert, auf das drei Tage später ein Gipfeltreffen von EU-Führern folgen soll.

Die regierende PASOK unter Papandreou, die Oppositionspartei Neue Demokratie und die Gewerkschaften haben alle klargestellt, dass sie die Notwendigkeit von Haushaltseinsparungen akzeptieren, und haben an die Opferbereitschaft der Bevölkerung appelliert. Es gibt allerdings zunehmend mehr Hinweise darauf, dass die Protestbewegung in Griechenland der Kontrolle der offiziellen Gewerkschaftsstrukturen entgleitet.

Nach einer Reihe zahnloser Proteste und Demonstrationen mit einer sinkenden Anzahl von Teilnehmern, die die Gewerkschaften organisiert hatten, hat sich eine neue Protestbewegung in Griechenland gebildet. Am Sonntag drängten sich mehr als 70.000 Menschen auf den Syntagma-Platz in Athen um vor dem Parlamentsgebäude zu demonstrieren. Diese Demonstration war Teil einer Serie von zwölf nächtlichen Kundgebungen und ist größtenteils von der spanischen und italienischen Bewegung Zorniger Bürger inspiriert.

Auf einem auffälligen Transparent war bei den Protesten am Sonntag zu lesen "Diebe-Ganoven-Banker". Weitere Tausende demonstrierten in anderen griechischen Städten

Laut einem Sozialberichterstatter hat die fortschreitende Krise in Griechenland weitere Schichten der Gesellschaft dazu gebracht, die Proteste zu unterstützen.

Taki Michas sagte, dass "die Aussicht, einen sicheren Arbeitsplatzes bei einem staatlichen Unternehmen in Zeiten stark steigender Arbeitslosigkeit zu verlieren, viele Menschen auf die Straße getrieben hat, unabhängig von ihrer politischen Orientierung."

Die Entwicklung einer neuen Welle von Protesten, die von den Gewerkschaften nicht mehr kontrolliert wird, hat bei der herrschenden Elite Griechenlands zu immer nervöser werdenden Reaktionen geführt. Sie fürchten, dass die Bewegung gegen die Sparmaßnahmen und die Zerschlagung des griechischen Sozialstaates in den kommenden Wochen und Monaten noch weitaus radikalere Formen annehmen könnte.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 14.06.2011
Vertreter der Europäischen Union fordern in Griechenland brutale Sparmaßnahmen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2011