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GLEICHHEIT/3712: Was steckt hinter Obamas Entscheidung, die Truppen aus Afghanistan abzuziehen?


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Was steckt hinter Obamas Entscheidung, die Truppen aus Afghanistan abzuziehen?

Von Bill Van Auken
23. Juni 2011


Es wird damit gerechnet, dass Präsident Obama Ende des Monats seine Entscheidung darüber verkündet, wie viele Soldaten er im Juli aus Afghanistan abziehen wird. Die Frist für den - wie er es im Dezember 2009 ausgedrückt hat - "Anfang des Abzugs unserer Streitkräfte aus Afghanistan" - hatte er sich selber auferlegt.

Die Zusage hatte er in einer Rede gemacht, in der er die "vorübergehende Aufstockung" der Truppen um weitere 33.000 Soldaten in dem vom Krieg zerrissenen Land angekündigt hatte. Seit ihrem Regierungsantritt Anfang 2009 hat die Obama-Administration die Stärke der in Afghanistan stationierten US-Streitkräfte verdreifacht. Sie beläuft sich derzeit auf fast 100.000 Soldaten.

In den eineinhalb Jahren seit Obamas Rede haben er und weitere US-Regierungsbeamte alles daran gesetzt, die Bedeutung der Frist zum Juli 2011 zu schmälern. Sie betonen, es handle sich nur um den Beginn eines Prozesses, der von zwei Bedingungen bestimmt werde: den Verhältnissen, die in Afghanistan herrschen, und dem Rat, den die Militärkommandeure der Regierung geben.

Doch Meinungsumfragen zeigen, das zwei Drittel der Amerikaner gegen den Krieg sind und fast drei Viertel einen "erheblichen" Truppenabzug sehen wollen. Die Kosten des Krieges belaufen sich auf zwei Billionen Dollar, während gleichzeitig im Inland gnadenlos Sozialprogramme gekürzt werden. Dies hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit unausweichlich auf die Frist gerichtet.

Das Pentagon hat klar gemacht, dass es den Truppenabzug auf eine symbolische Verringerung von Unterstützungsbataillonen reduzieren möchte. Die Bodenstreitkräfte in Afghanistan sollen in voller Zahl beibehalten werden, zumindest für dieses Jahr und für die "Kampfsaison" im kommenden Sommer, wenn die Taliban und andere bewaffnete Gruppen, die gegen die US-Besatzung kämpfen, ihre militärische Offensive starten.

Verteidigungsminister Robert Gates, der seinen Posten zum Monatsende räumt, hat öffentlich betont, dass jeder Abzug "behutsam" vonstattengehen müsse und dass die USA "sich nicht überstürzt" aus Afghanistan zurückziehen dürften.

Führende Kongress-Mitglieder, unter ihnen einige Republikaner, haben eine Beschleunigung des Rückzuges gefordert. Senator Carl Levin, Demokrat aus Michigan, der dem Streitkräfte-Ausschuss des Senats vorsteht, hat sich dafür ausgesprochen, im nächsten Monat 15.000 Soldaten abzuziehen, darunter auch Kampfverbände.

Levins Vorschlag würde immer noch 85 Prozent der US-Streitkräfte in Afghanistan belassen, insgesamt 50.000 der 65.000 Soldaten, die Obama seit Anfang 2009 in das Land geschickt hat.

Während das Interesse der Medien sich auf diese recht begrenzte öffentliche Debatte in Washington richtet, führen US-Regierungsbeamte hinter den Kulissen zweigleisige Verhandlungen, die Einsichten in die wirklichen Ziele dieses seit fast einem Jahrzehnt tobenden Krieges liefern.

Verteidigungsminister Gates bestätigte am Sonntag in einem TV-Interview, dass US-Unterhändler mit Vertretern der Taliban Gespräche führten, d.h. mit der islamistischen Bewegung, deren Regime im Oktober 2001 gestürzt wurde.

Gleichzeitig haben die USA den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gedrängt, zwischen den internationalen Sanktionen gegen die Taliban und denen gegen Al -Qaida zu unterscheiden. Washingtons UNO-Botschafterin Susan Rice lobte den Schritt und nannte ihn "ein wichtiges Werkzeug zur Förderung der Versöhnung", das den Taliban "klar mache, dass es für sie eine Zukunft gibt."

Bedenkt man, dass US-Kommandeure in den vergangenen Jahren die Zahl der getöteten oder gefangengenommenen angeblichen Mitglieder der Taliban - weit überzeichnet durch unschuldige zivile Opfer - hinausposaunt haben, so scheint dieses Versprechen einer "Zukunft" eher unpassend.

Fast zehn Jahre lang hat die amerikanische Öffentlichkeit mit anhören müssen, wie Politiker und Generäle die Taliban mit al-Qaida gleichgesetzt und betont haben, der Krieg werde geführt, um den Terrorismus zu besiegen und einen weiteren 11. September auf amerikanischem Boden zu verhindern.

Obwohl Gespräche aufgenommen wurden, betont Gates, heiße dies nicht, dass die USA ihre Kampfhandlungen einschränkten. "Ich glaube, die Taliban müssen den militärischen Druck spüren und den Eindruck gewinnen, dass sie nicht siegen können, bevor sie bereit sind, sich ernsthaft mit uns zu unterhalten", sagte er dem Fernsehsender CNN.

Also werden US-Soldaten auch weiterhin in Afghanistan töten und sterben, aber wozu? Der Vorwand, sie verteidigten Amerika vor einem Angriff, hat jegliche Glaubwürdigkeit verloren.

Die zweiten Geheimverhandlungen werden mit dem US-gestützten Regime von Präsident Hamid Karzai geführt. Dabei geht es um eine strategische Partnerschaftsregelung, die dem Pentagon und der Nato ständige Militärstützpunkte auf afghanischem Boden zugestehen würde.

Während öffentlich vom Abzug gesprochen wird, dienen diese vertraulichen Gespräche dem Verbleib amerikanischer Streitkräfte in Afghanistan, und das auf Jahrzehnte hinaus.

Als am Samstag eine US-Delegation, die dieses strategische Übereinkommen aushandeln soll, in Kabul eintraf, hielt Präsident Karzai eine im ganzen Land ausgestrahlte TV-Rede, in der er auf die USA und ihre Nato-Verbündeten eindrosch.

"Sie sind aus eigennützigen Gründen hier, verfolgen ihre eigenen Ziele, und das auf unserem Grund und Boden", sagte Karzai, der den Besatzungstruppen auch vorwarf, Afghanen zu töten und die Umwelt des Landes zu zerstören, inklusive des Einsatzes von angereicherter Uranmunition.

Karzais Protest spiegelt nur annähernd die überwältigende Feindseligkeit der Bevölkerung gegenüber den US-geführten Besatzungstruppen wider, die, wie der Marionettenpräsident und seine Anhänger fürchten, auch schnell zu ihrem eigenen Ende führen könnte.

Gleichzeitig fürchten Karzai und seine Clique zweifellos, dass die Vereinbarungen, die Washington für eine langfristige Präsenz der US-Truppen in Afghanistan zu treffen versucht - einschließlich direkter Verhandlungen mit den Taliban - für sie das Aus bedeuten könnte.

Wie frühere Regimes in Afghanistan, balanciert Karzai auf einem zunehmend schmaleren Grat zwischen Washington, dessen Truppen und Geld ihn an der Macht halten, und den regionalen Rivalen der USA, die der strategischen Ziele der USA zunehmend überdrüssig werden.

Aus diesem Grunde nahm Karzai vergangene Woche an einem Treffen der Shanghaier Kooperations-Organisation in Kasachstan teil, wo die führenden Mitglieder der SCO, China und Russland, eine Resolution verabschiedeten, die ein "unabhängiges, neutrales" Afghanistan fordert - eine unmissverständliche Ablehnung weiterer US-Präsenz im Lande.

Amerikanische Soldaten kämpfen und sterben in Afghanistan nicht, um den Terrorismus zu bekämpfen oder die Demokratie zu verteidigen.

Das wahre Ziel des Krieges besteht darin, dem US-Imperialismus eine Basis zu sichern, damit er seine Herrschaft über die energiereiche Region Zentralasien sichern und die Pipelines für den Transport dieses natürlichen Reichtums in den Westen auch weiterhin kontrollieren kann.

Nachdem es in zehn Jahren Krieg und Besetzung nicht gelungen ist, dieses Ziel zu erreichen, steht Washington zunehmend unter Druck durch seine strategischen Rivalen in der Region, allen voran China und Russland.

Das immense Leid und die Instabilität, die der schmutzige Krieg im Kolonialstil in Afghanistan erzeugt haben, drohen zunehmend auf eine weitaus größere regionale und globale Konfrontation hinauszulaufen und bringen unkalkulierbare Gefahren für die arbeitenden Menschen auf dem gesamten Planeten mit sich.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 23.06.2011
Was steckt hinter Obamas Entscheidung, die Truppen aus Afghanistan abzuziehen?
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2011