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GLEICHHEIT/3920: Papandreou sagt Referendum über Sparpaket ab


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Papandreou sagt Referendum über Sparpaket ab

Von Peter Schwarz
4. November 2011


Der griechische Premierminister Giorgos Papandreou hat die geplante Volksabstimmung über die Beschlüsse des EU-Gipfels vom 26. Oktober abgesagt und der Bildung einer Übergangsregierung der nationalen Einheit zugestimmt. Sie soll die von der Europäischen Union geforderten Sparmaßnahmen umsetzen und anschließend Neuwahlen abhalten.

Papandreou nahm am Donnerstagabend Verhandlungen mit der konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) über die Bildung einer gemeinsamen Regierung auf. Ob er selbst im Amt bleibt, war nicht klar. Einerseits hat er Rücktrittsmeldungen dementiert, andererseits hieß es, die Übergangsregierung werde nur aus Experten bestehen und keine Politiker enthalten.

Als möglichen Nachfolger Papandreous hat ein Athener Nachrichtensender den früheren Vizepräsidenten der Europäischen Zentralbank, Lucas Papademos, genannt. Andere Gerüchte besagen, aus EU-Kreisen sei Kostas Simitis als Nachfolger Papandreous vorgeschlagen worden. Das Pasok-Mitglied Simitis war von 1996 bis 2004 Ministerpräsident und unterhält enge Beziehungen zu Deutschland, wo er studierte und lehrte.

Papandreous Rückzug kam unter massivem Druck der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy zustande. Nach der überraschenden Ankündigung eines Referendums über die EU-Beschlüsse hatten die beiden Papandreou am Mittwochabend nach Cannes zitiert, wo am Donnerstag das Gipfeltreffen der G20 begann.

Merkel und Sarkozy machten Papandreou klar, dass sie eine Mitsprache der griechischen Bevölkerung über die Sparbeschlüsse der EU nicht tolerieren werden. Sie drohten ihm unverhohlen mit dem Rauswurf aus der Eurozone. Die Ablehnung der EU-Beschlüsse werde das Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion und den unvermeidlichen Staatsbankrott nach sich ziehen, warnten sie. Ein Referendum könne nur über Griechenlands Verbleib oder Austritt aus der Eurozone entscheiden, nicht aber über den Inhalt des jüngsten Rettungspakets.

Außerdem drehten sie Griechenland den Geldhahn zu. Sie setzten Papandreou unter Druck, indem sie die bereits gebilligte Auszahlung der nächsten Kredittranche aus dem 2010 beschlossenen Rettungspaket stoppten. Die 8 Milliarden Euro sollen jetzt erst ausgezahlt werden, wenn Athen das in Brüssel vereinbarte Sparpaket gebilligt hat. Der griechischen Regierung droht damit die sofortige Zahlungsunfähigkeit.

"Unsere griechischen Freunde müssen sich entscheiden, ob sie ihre Reise mit uns antreten", drohte Sarkozy auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel, an der Papandreou nicht teilnahm. "Wir wollen, dass sie im Euro bleiben, aber sie müssen sich an die Regeln halten." Sonst gebe es "nicht einen Cent" von den französischen oder deutschen Steuerzahlern.

Der französische Europaminister Jean Leonetti sagte in einem Radiointerview noch unverblümter: "Griechenland können wir verschmerzen. Wir können auch ohne es leben."

Auch Merkel, die sich lange gegen die Möglichkeit eines griechischen Euro-Austritts gesträubt hatte, gab zu erkennen, dass sie einen solchen Austritt nun hinnehmen werde. "Wir haben noch einmal klar gemacht: das Referendum geht im Kern um nichts anderes als um die Frage, möchte Griechenland im Euro-Raum verbleiben - Ja oder Nein", sagte sie.

Entscheide das griechische Volk mit Nein, würden das die anderen Euro-Länder respektieren. "Wir sind gewappnet", erklärte Merkel. "Die primäre Aufgabe, der wir uns verpflichtet fühlen, ist der Erhalt des Euro als stabile Währung."

Papandreou versprach nach dem Treffen mit Merkel und Sarkozy, das Referendum bereits Anfang Dezember statt im Januar durchzuführen und über den Verbleib in der Eurozone abstimmen zu lassen, der in der griechischen Öffentlichkeit mehrheitlich befürwortet wird. Bisher sollte das mit der EU ausgehandelte Sparpaket Gegenstand des Referendums sein, das in der griechischen Bevölkerung auf heftigen Widerstand stößt.

Doch zu diesem Zeitpunkt hatte Papandreou die Unterstützung seiner Partei bereits verloren.

Finanzminister Evangelos Venizelos, der Papandreou nach Cannes begleitet und seinen Kurs bis dahin unterstützt hatte, sprach sich nach dem Treffen mit Merkel und Sarkozy gegen das Referendum aus. "Der Platz des Landes ist in der Euro-Zone. Es ist eine historische Errungenschaft, die nicht infrage gestellt werden kann. Das erworbene Recht des griechischen Volkes kann keinem Referendum unterworfen werden", schrieb er in einer Stellungnahme. Das Programm zur Sanierung der Staatsfinanzen müsse so schnell wie möglich in die Tat umgesetzt werden.

Zwei PASOK-Abgeordnete, Eva Kaili und Elena Panariti, kündigten an, dass sie den Regierungschef bei dem für Freitag geplanten Misstrauensvotum nicht unterstützen werden. Nachdem zu Beginn der Woche bereits die Abgeordnete Milena Apostolaki zurückgetreten war, verlor Papandreou damit seine Mehrheit im 300-köpfigen Parlament.

30 Parlamentarier aus der Regierungspartei und der Opposition veröffentlichten einen offenen Brief, in dem sie den Verzicht auf das Referendum und die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit forderten, die schnellstmöglich vorgezogene Wahlen vorbereiten müsse.

Nun meldete sich auch Oppositionsführer Antonis Samaras zu Wort, dessen konservative Nea Dimokratia (ND) bisher ihre Zustimmung zu den Sparbeschlüssen strikt verweigert hatte, um so Neuwahlen zu erzwingen.

Samaras erklärte im Fernsehen, das Referendum über den Verbleib Griechenlands in der Eurozone dürfe nicht stattfinden. Stattdessen müsse das Parlament das mit der EU ausgehandelte Sparpaket verabschieden. Als Gegenleistung für die Unterstützung der Nea Dimokratia verlangte auch er die Bildung einer Übergangsregierung und anschließende Neuwahlen.

Als schließlich am Donnerstagnachmittag eine außerordentliche Kabinettssitzung zusammentrat, war Papandreou weitgehend isoliert. Der Pasok-Abgeordnete Dimitris Lintzeris hatte ihn öffentlich als "Mann der Vergangenheit" bezeichnet, und auch mehrere Minister hatten sich von seinen Referendumsplänen distanziert. Nur noch Verteidigungsminister Panos Beglitis stand offen zu ihm.

Die Sitzung entschied dann, das Referendum abzusagen und Verhandlungen über eine Regierung der Nationalen Einheit aufzunehmen.

Die Art und Weise, wie Papandreou zum Rückzug - und höchstwahrscheinlich auch zum Rücktritt - gezwungen wurde, hat alle Merkmale eines politischen Staatsstreichs. Sie zeigt, dass die Sparmaßnahmen, mit denen die Europäische Union den Euro und die Banken "retten" wollen, nicht mit demokratischen Grundsätzen vereinbar sind.

Papandreou hat die Sparprogramme der EU selbst zwei Jahre lang mit brachialer Gewalt gegen den erbitterten Widerstand der griechischen Bevölkerung durchgesetzt. Die Entscheidung für ein Referendum traf er aus taktischen Gründen. Er wollte damit die parlamentarische Opposition und die Gewerkschaften zwingen, sich offen zu seinem Sparkurs zu bekennen, und die Wähler mit der Drohung vor einem bevorstehenden Staatsbankrott erpressen.

Doch in den Chefetagen der europäischen Banken und Regierungen rief der bloße Gedanke einen Entsetzensschrei hervor, die griechische Bevölkerung könnte ein Mitspracherecht über die Sparbeschlüsse haben. Die internationale Presse denunzierte Papandreous Plan als "Wahnsinn" und bezeichnete ihn als "Irren".

Die Regierung der nationalen Einheit, die nun gebildet werden soll, hat die Aufgabe, jede politische Opposition auszuschalten - und zwar unabhängig davon, ob sie von Papandreou, einem anderen Pasok-Politiker oder einem Technokraten geführt wird. Innerhalb des Parlaments wird es keine Opposition mehr geben, und wer sich den Sparbeschlüssen außerhalb des Parlaments widersetzt, wird als Gegner des "nationalen Interesses" verfolgt, unterdrückt und kriminalisiert werden. Gewählt wird wieder, wenn die Sparmaßnahmen, die die Lebengrundlage von Hunderttausenden zerstören, unter Dach und Fach sind.

Auch die Europäische Union hat in den vergangenen Tagen ihr wahres Gesicht gezeigt. Sie verkörpert nicht die Einheit Europas, sondern die Diktatur der mächtigsten europäischen Finanzinteressen. War bei den Auseinandersetzungen über die Europäische Verfassung noch darüber gestritten worden, ob Entscheidungen einstimmig oder nach dem Mehrheitsprinzip gefällt werden, geben Merkel und Sarkozy nun ungeniert den Ton an. Wichtige Entscheidungen fallen auf Zweiergipfeln, unbotmäßige Regierungschefs werden zum Rapport bestellt und wie Schuljungen abgekanzelt.

Griechenland ist das Vorspiel zu ähnlichen Angriffen auf die arbeitende Bevölkerung in ganz Europa. Die Finanz- und Schuldenkrise lässt sich aus Sicht der Banken nur lösen, wenn der Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung um Jahrzehnte zurückgeworfen wird. Gegenwärtig stützt sich die herrschende Elite dabei vor allem auf die Unterstützung sozialdemokratischer Parteien wie Pasok, von Gewerkschaften und pseudolinken Organisationen, die eine revolutionäre Perspektive gegen den Kapitalismus ablehnen und jede internationale Solidarität unterdrücken. Doch sollten diese ihre Kontrolle verlieren, wird sie auch vor gewaltsameren Methoden nicht zurückschrecken.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 04.11.2011
Papandreou sagt Referendum über Sparpaket ab
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2011