Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/4459: Rekordarbeitslosigkeit und -verschuldung in Europa


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Rekordarbeitslosigkeit und -verschuldung in Europa

Von Stefan Steinberg
2. November 2012



Die neuesten Zahlen der europäischen Statistikbehörde bestätigen, dass sich der Trend zu einer Rezession verschärft. Der klarste Indikator dafür ist der stetige Anstieg der Arbeitslosigkeit über den ganzen Kontinent hinweg.

Die Arbeitslosigkeit in den siebzehn Ländern der Eurozone ist im September auf einen Rekordstand geklettert. 146.000 Beschäftigte haben in diesem Monat die Arbeit verloren. Die Gesamtzahl in der Eurozone ist damit auf achtzehneinhalb Millionen gestiegen. Die letzten Zahlen für die 27 Länder der Europäischen Union (EU) zeigen, dass nicht weniger als zwanzig Länder gegenüber dem Vorjahr einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen haben.

Die Arbeitslosenrate ist in den Ländern am höchsten, die von der EU, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfond (der so genannten Troika) für harte Sparmaßnahmen ausgeguckt worden sind. Gleichzeitig gibt es Anzeichen, dass der Trend zur Rezession sich auch in europäischen Kernländern und deren Industrie bemerkbar macht. Allein in der vergangenen Woche gab Ford die Schließung von drei Fabriken in Europa bekannt, wovon ein zentrales europäisches Ford-Werk in Belgien. Die schweizerische UBS gab die Streichung von zehntausend Arbeitsplätzen bekannt. (Die Schweiz ist nicht EU-Mitglied).

Das EU-Land mit der zurzeit höchsten Arbeitslosigkeit ist Spanien mit 25,8 Prozent. Spanien steckt jetzt das fünfte Quartal hintereinander in einer Rezession. Die zweithöchste Arbeitslosigkeit herrscht in Griechenland mit 25,1 Prozent. Die griechischen Zahlen stammen allerdings vom Juli, sodass es gut sein kann, dass die Arbeitslosigkeit womöglich inzwischen noch höher ist als in Spanien.

Für junge Arbeiter ist die Lage in beiden Ländern noch viel schlimmer. Die Jugendarbeitslosigkeit erreichte in beiden Ländern im März 2012 die fünfzig-Prozent-Marke. Wie die jüngsten Eurostat-Statistiken zeigen, beschleunigt sich die Jugendarbeitslosigkeit weiter und hat in Spanien und Griechenland inzwischen 55, bzw. 53 Prozent erreicht.

In Italien, das auch unter der Kuratel der Banken-Troika steht, ist die Gesamtarbeitslosigkeit im September auf 10,8 Prozent gestiegen. Die Jugendarbeitslosigkeit hat mit 35,1 Prozent ein Vierundzwanzig-Jahres-Hoch erreicht.

Europas größte Volkswirtschaft, Deutschland, registrierte eine geringfügige Abnahme der Arbeitslosenzahl, aber das war das Ergebnis von saisonalen Einflüssen. Normalerweise nimmt die Zahl der Beschäftigten von September auf Oktober um mindestens 50.000 bis 60.000 zu. Dieses Jahr waren es nur 35.000. Das geht auf die Probleme deutscher Industriezweige zurück, die stark von Exporten in das übrige Europa abhängig sind.

Der Chef des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister (BAP), Volker Enkerts, erklärte, dass seine Verbandsmitglieder die Auswirkungen des wirtschaftlichen Abschwungs eindeutig spürten, und sagte voraus, dass bis Ende des Jahres weitere 60.000 kurzfristig Beschäftigte ihre Arbeit verlieren würden. Angeblich um die Lage von Firmen, die in schweren Wassern segeln, zu erleichtern, schlug Enkerts vor, mehr Teilzeitarbeit einzuführen. Sein Vorschlag wurde prompt vom Vorsitzenden der IG Metall, Berthold Huber, aufgegriffen.

Während die Arbeitslosigkeit in Europa gnadenlos zunimmt, zeigen andere Zahlen, die Anfang des Monats bekanntwurden, dass bei insgesamt zwanzig EU-Ländern die Staatsverschuldung gemessen am BIP gegenüber dem ersten Quartal dieses Jahres angestiegen ist. Nur sechs EU-Länder verzeichneten einen Rückgang der Verschuldung, und ein Land blieb stabil. Verantwortlich für diese überbordende Verschuldung ist eine Situation, in der einerseits große Summen praktisch zinslos an die Banken fließen, während andererseits in ganz Europa drastische Kürzungsmaßnahmen die Steuereinnahmen drücken.

An der Spitze der verschuldeten Länder steht Griechenland mit einer Staatsverschuldung im Juni diesen Jahres von über hundertfünfzig Prozent des BIP. An zweiter Stelle folgen Italien (126,1 Prozent) und Portugal (117,5 Prozent - alles auf Juni bezogen). Griechenland steckt nun seit fünf Jahren in der Rezession. Nach dem letzten Kürzungsprogramm hat die Regierung die wirtschaftlichen Wachstumsaussichten für 2013 von minus 3,8 Prozent auf minus 4,5 Prozent revidiert. Das griechische Haushaltsdefizit wird 2013 wohl 5,2 Prozent betragen, statt wie bisher angenommen 4,2 Prozent, während die Staatsverschuldung auf fast hundertneunzig Prozent hochschießen wird.

Fünf Länder der Eurozone stecken schon in der Rezession: Griechenland, Spanien, Italien, Portugal und Zypern. Voraussichtlich wird für die ganze Eurozone eine Rezession ausgerufen, wenn Mitte November die neuesten Wirtschaftsdaten für die Eurozone bekanntwerden. Das einzige größere Land, das dem Trend zur Rezession bisher standhält, ist Deutschland. Hier ist die Wirtschaft im zweiten Quartal aber auch nur um 0,3 Prozent gewachsen. In dem Maße, wie seine Märkte in Europa schrumpfen, wird auch Deutschland in den Abwärtssog gezogen werden. Das werden die Daten vom 15. November zeigen.

Die jüngsten Zahlen sind ein vernichtendes Urteil für die Politik der internationalen Finanzwelt und der politischen Eliten Europas. Die arbeitende Bevölkerung des Kontinents wir ausgeblutet, um den Durst der großen Banken und internationalen Konzerne nach Profit zu stillen. Einige nervöse Kommentare haben in letzter Zeit vor den potentiell explosiven sozialen und politischen Folgen dieser Angriffe gewarnt. In den hochindustriellen Ländern gab es eine vergleichbare Massenarbeitslosigkeit zuletzt in der großen Depression in Amerika und der Weimarer Republik in Deutschland.

*

Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: psg[at]gleichheit.de

Copyright 2012 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten

*

Quelle:
World Socialist Web Site, 02.11.2012
Rekordarbeitslosigkeit und -verschuldung in Europa
http://www.wsws.org/de/2012/nov2012/reco-n02.shtml
Partei für Soziale Gleichheit,
Sektion der Vierten Internationale (PSG)
Postfach 040 144, 10061 Berlin
Telefon: (030) 30 87 27 86, Telefax: (032) 121 31 85 83
E-Mail: psg[at]gleichheit.de
Internet: www.wsws.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2012