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GLEICHHEIT/4469: Griechenland - Streiks und Proteste gegen Sparpaket


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Griechenland: Streiks und Proteste gegen Sparpaket

Von Christoph Dreier
8. November 2012



In der Nacht zum Donnerstag hat das griechische Parlament über das mittlerweile fünfte Sparpaket innerhalb der letzten drei Jahre debattiert und abgestimmt. Dagegen demonstrierten am Mittwochnachmittag mehr als hunderttausend wütende Arbeiter vor dem Parlament. Sie wollen das damit verbundene Elend nicht mehr akzeptieren. Die Polizei löste die Proteste gewaltsam auf und setze Tränengas und Blendgranaten gegen die Demonstranten ein.

Die mächtige Massendemonstration war der Höhepunkt tagelanger Streiks, mit denen die griechische Arbeiterklasse ihre Stärke demonstrierte. Seit Dienstag hatten die Rathäuser, Ämter und Banken geschlossen. Der öffentliche Nahverkehr kam fast vollständig zum erliegen. Auch zahlreiche Privatunternehmen sowie die Abfallentsorgung wurden erfolgreich bestreikt. An Schulen und Universitäten blieben die Türen geschlossen.

Die Arbeiter der Krankenhäuser und Elektrizitätswerke sowie die Taxifahrer hatten schon am Montag mit dem Ausstand begonnen und befanden sich seit drei Tagen im Ausstand. Berichten zufolge war die Beteiligung an den Streiks überwältigend. Auch in anderen griechischen Städten fanden Demonstrationen statt.

Die beiden Gewerkschaftsverbände GSEE und ADEDY hatten den Streikenden allerdings keine Perspektive zu bieten. Sie lehnen den Sturz der wackligen Regierungskoalition und einen Bruch mit der Europäischen Union ab, die die Sparmaßnahmen erzwingt. Sie sind eng mit der sozialdemokratischen PASOK und anderen Parteien verbunden, die in den vergangenen Jahren die Sparmaßnahmen durchgesetzt haben. PASOK ist auch in der jetzigen Regierung vertreten.

Dementsprechend bemühten sich die Gewerkschaften, die Proteste möglichst gering zu halten. Sie haben zu einem auf 48 Stunden befristeten Streik aufgerufen, um die sich ausdehnenden Streikaktivitäten in geordnete Bahnen zu lenken und die Verabschiedung der Kürzungen nicht zu gefährden. Um so wenig Schaden wie möglich anzurichten, hatten sie den Streik langfristig angekündigt. In sensiblen Bereichen, wie dem Flugverkehr, beschränkten sie ihn auf wenige Stunden.

Die Regierung zeigte erneut ihre Entschlossenheit, die Sparmaßnahmen auch mit autoritären Methoden gegen jeden Widerstand durchzusetzen. Kurz nach 19 Uhr setzte die Polizei Tränengas und Blendgranaten gegen die Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude ein. Der ganze Platz war nach wenigen Minuten in Gasschwaden gehüllt. Ein Atmen ohne Gasmaske wurde unmöglich. Es sollte niemand die Abgeordneten stören, wenn sie über das nächste Sparpaket abstimmen.

Selbst den Abgeordneten war das 300 Seiten umfassende Sparpaket erst am Montagabend erstmals vorgelegt worden. 17 Abgeordnete der Demokratischen Linken (DIMAR) sowie einige Abgeordnete der PASOK und der konservativen Nea Dimokratia (ND) kündigten an, das Paket abzulehnen. Sie stimmen zwar mit den Kürzungen überein, lehnen aber Änderungen des Arbeitsgesetzes ab.

Beobachter gingen aber davon aus, dass das Sparpaket eine Mehrheit findet. Die Troika aus Europäischer Union, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank hatte gedroht, im Falle eines Scheiterns die längst fällige nächste Rate des internationalen Hilfskredits nicht auszuzahlen. In diesem Fall wäre die Regierung Mitte November zahlungsunfähig.

Die nicht in der Regierung vertretenen Parteien hatten sich alle gegen den Gesetzentwurf ausgesprochen. Eine besonders zynische Rolle spielt dabei die Koalition der Alternativen Linken (SYRIZA), die im Parlament die zweitgrößte Fraktion stellt. Auch sie will Griechenland um jeden Preis in der EU halten und lehnt einen Sturz der Regierung ab.

Sie hätte die Verabschiedung der Kürzungen verhindern können, indem sie durch den Rücktritt ihrer Abgeordneten Neuwahlen erzwingt. Das lehnt sie kategorisch ab. Sie stellt sich nur gegen die Sparmaßnahmen, weil es auf ihre Stimmen derzeit nicht ankommt. Sie hat immer wieder versichert, dass sie die Rückzahlung der griechischen Schulden an die internationalen Banken garantieren wolle und lediglich für eine Neuverhandlung des Kürzungsdiktats eintrete.

Das neue Sparpaket ist eine Kriegserklärung an die Arbeiterklasse und dient als Vorbild für weitere Kürzungen in Spanien, Portugal und allen übrigen europäischen Ländern.

Schon die bisherigen Sparpakete haben zum Anstieg der Arbeitslosigkeit über 25 Prozent, zu Lohnkürzungen von bis zu 60 Prozent und zur Schließung von 70.000 vorwiegend kleinen Unternehmen geführt. Massenelend und Hunger sind auf den Straßen Athens an der Tagesordnung.

Nun sollen weitere 13,5 Milliarden im Haushalt gestrichen werden. Vorgesehen ist der Abbau von 150.000 Arbeitsplätzen sowie eine Senkung der Löhne um bis zu 30 und der Renten um fünf bis 15 Prozent. Allein im Gesundheitsbereich, der schon jetzt völlig unterfinanziert ist, werden 1,5 Milliarden Euro eingespart. Ähnlich trifft es das Bildungssystem. Universitäten sollen geschlossen und das Lehrpersonal massiv abgebaut werden. Das Renteneintrittsalter wird von 65 auf 67 Jahren angehoben.

Weitere Gesetzesänderungen betreffen das Arbeitsrecht. Der Kündigungsschutz wird deutlich aufgeweicht, indem Abfindungszahlungen reduziert und Fristen verkürzt werden. Entlassungen werden so noch einfacher, die Arbeitslosigkeit wird neue Höhen erreichen. Zudem ist die umstrittene Fusion der Sozialversicherungen, die letzte Woche von der Mehrheit des Parlaments noch abgelehnt wurde, in das Gesetzespaket aufgenommen worden.

Insgesamt werden die jetzt verabschiedeten Maßnahmen Griechenland weiter in den Abgrund treiben. Die bisherigen Kürzungen haben bereits zu einem enormen Anwachsen der Schuldenlast geführt, die in diesem Jahr 189 Prozent des Bruttonlandprodukts erreichen wird. Die Wirtschaftsleistung ist seit 2007 um 21,5 Prozent eingebrochen. Auch für das nächste Jahr wird mittlerweile eine tiefe Rezession vorausgesagt.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 08.11.2012
Griechenland: Streiks und Proteste gegen Sparpaket
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2012