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GLEICHHEIT/4566: Jordanien am Rande des Abgrunds


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Jordanien am Rande des Abgrunds

Von Jean Shaoul
30. Januar 2013



Die Wahlen in Jordanien in der vergangenen Woche erbrachten eine große Mehrheit für Stammesführer, Anhänger der Monarchie und Wirtschaftsvertreter.

Die Wahl eröffnet keine Reformära, wie König Abdullah behauptet, sondern bezweckt, die Kontrolle der herrschenden Elite über die Macht zu sichern. Sie werden die soziale und politische Unzufriedenheit in diesem Land erhöhen, das seit Langem eine wichtige Rolle für die amerikanische Außenpolitik in der Region spielt.

Ungefähr 36 der 150 Parlamentssitze gingen an Oppositionelle von arabisch-nationalistischen Gruppen und unabhängigen Islamisten. Von diesen haben acht enge Beziehungen zur Regierung. Drei Sitze gingen an Kandidaten, denen nur Tage vor der Wahl vorgeworfen worden war, Stimmen gekauft zu haben.

Die wichtigste Oppositionspartei des Landes, die Islamische Aktionsfront (IAF), der politische Flügel der jordanischen Muslimbruderschaft, hatte zum Boykott der Wahlen aufgerufen.

Nach den neuen Regeln konnte sich eine nationale Liste politischer Parteien nur um 27 Sitze des auf 150 Sitze erweiterten Parlaments bewerben. Damit war sichergestellt, dass die alten Seilschaften die Kontrolle behalten würden. Die Wahlkreise waren so zugeschnitten, dass den dem König loyalen Stammesgebieten mehr Sitze zufielen als den städtischen Gebieten, wo jordanische Bürger palästinensischer Abstammung leben. Deren Interessen versuchen die Muslimbrüder zu vertreten, obwohl diese von einer reichen Elite von der Ostbank geführt wird. Die Monarchie bemüht sich seit Langem, Spaltungen zwischen den traditionellen Vertretern der Ostbank zu schüren, die eine starke Stellung im Militär, dem Sicherheitsapparat und der Staatsbürokratie haben, und denen, die erst von 1948 bis 1967 nach Jordanien gekommen sind. Damit will sie ihre eigene schwache Position stärken.

Die Wahlen, die Abdullah vorgezogen hatte, sind die ersten, die seit dem Ausbruch der Massenkämpfe vor zwei Jahren stattgefunden haben, von denen die anderen Verbündeten Washingtons aus dem Amt gefegt wurden: Ben Ali in Tunesien und Mubarak in Ägypten. Wachsende Spannungen, die Forderung nach Reformen, Proteste gegen steigende Preise bei Treibstoff und anderen wichtigen Gütern des täglichen Bedarfs und sogar einige Forderungen nach seinem Rücktritt trieben Abdullah dazu, die Wahl als zentralen Bestandteil eines Reformprozesses anzupreisen, der auch die verbreitete Korruption eindämmen soll. Er hob hervor, dass er einige Vollmachten an das Parlament übertragen wolle, darunter die Wahl des Regierungschefs und des Kabinetts. Die Vollmacht das Parlament aufzulösen, es wieder einzuberufen, sowie den Notstand zu verhängen und per Dekret zu regieren, will er allerdings behalten.

Schließlich nahmen 56,6 Prozent der 2,3 Millionen registrierten Wähler an der Wahl teil, die aber selbst nur siebzig Prozent aller Wahlberechtigten ausmachen. Das Parlament steht im Ruf korrupt und unfähig zu sein und die Dekrete des Königs lediglich abzunicken. Die IAF behauptet, die Wahlbeteiligung habe nur siebzehn Prozent betragen. Sie erhebt auch gemeinsam mit Anderen den Vorwurf, es habe Stimmenkauf, mehrfaches Abstimmen und andere Verletzungen des Wahlrechts gegeben.

Als die ersten Hochrechungen bekannt wurden, protestierten am Freitag Tausende in Amman, Irbid und Kerak. Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Menge zu zerstreuen, wobei vier Menschen verletzt wurden. Unbeschadet dessen gab der Chef der Wahlbeobachtungsmission der Europäischen Union, David Martin, der Wahl seinen offiziellen Segen und lobte sie als "transparent und glaubwürdig". Er gestand aber ein, dass "die Wahlgesetze ernste Mängel aufweisen, die die umfassende Wählerbeteiligung und die Gleichheit der Stimmen in Frage stellen".

Auf dem World Economic Forum in Davos sagte Abdullah am Freitag, er werde nach der "bedeutenden" Wahl weitere demokratische Reformen anstreben. Diese Ankündigung wird allerdings durch seine Absicht unglaubwürdig, das Parlament in der Frage seiner Auswahl des Premierministers zu "konsultieren", der dann wiederum das Parlament in der Frage seines Kabinetts "konsultieren" werde.

Er werde die Hand auch zu Gruppen wie der Muslimbruderschaft ausstrecken, die die Wahl boykottiert hat. Die IAF hat Abdullah aufgefordert, eine Regierung der "nationalen Rettung" von Islamisten und anderen Oppositionellen zu bilden.

Lange Zeit war das jordanische Regime ein Gegner der IAF, die ihre Basis unter Jordaniern palästinensischer Abstammung hat und die Mehrheit im Land bilden. Aber der Aufstieg ihrer Schwesterorganisationen in Tunesien und Ägypten und die prominente Rolle, die sie Libyen und Syrien spielen, haben ihr Auftrieb gegeben.

Vielleicht such Abdullah eine Annäherung an die IAF, was ihm die Möglichkeit bieten könnte, die brodelnde Unzufriedenheit im Land einzudämmen, die bisher noch keinen klaren politischen Ausdruck gefunden hat.

Der amerikanische Stellvertreterkrieg zum Sturz Assads in Syrien, der von Washingtons sunnitischen Verbündeten Saudi-Arabien, Katar und der Türkei finanziert und bewaffnet wird und von Jordanien und Israel mit Geheimdienstinformationen unterstützt wird, ist für Abdullah voller Gefahren. Wenn die rivalisierenden islamistischen Banden, die jetzt in Syrien kämpfen, Assad stürzen, könnte das zum Zerfall des Landes führen, mit schwerwiegenden Konsequenzen auch für Jordanien, den Libanon und die Türkei. Abdullah bezeichnete das letzte Woche in Davos selbst als eine "katastrophale Aussicht, wovon wir uns erst nach Jahrzehnten wieder erholen würden".

Er warnte vor der Bedrohung durch ausländische Dschihad-Kämpfer, die jetzt in Syrien sind. Im vergangenen Oktober vereitelten seine Sicherheitskräfte eine Verschwörung von elf Jordaniern, mehrere Ziele in die Luft zu jagen, darunter Abdoun, das wohlhabendste Viertel von Amman, wo auch die stark befestigte amerikanische Botschaft liegt. Die elf haben Beziehungen zu al-Qaida und ihre Waffen in Syrien besorgt. Nur wenige Tage vorher hatten jordanische Grenzwachen zwei Cousins von Abu Musab al Sarkawi verhaftet, als sie von Syrien aus einreisen wollten. Sarkawi ist der jordanische Kämpfer, der den al-Qaida-Flügel im Irak leitete und die Verantwortung für den Bombenanschlag auf ein Hotel in Amman im Jahre 2005 übernommen hatte. Der Vertrag Jordaniens mit Israel von 1994 und seine langjährige Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Militär haben das Land ins Visier islamistischer Militanter gerückt.

Abdullah sagte, al-Qaida arbeite seit einem Jahr in Syrien und erhalte "aus bestimmten Richtungen" Unterstützung. Er fügte hinzu: "Sie sind eine nicht zu unterschätzende Größe. Selbst wenn wir morgen die bestmögliche Regierung in Damaskus bekommen sollten, hätten wir noch mindestens zwei oder drei Jahre damit zu tun, unsere Grenzen gegen sie zu sichern, und [...] auszutilgen."

Er verglich die militante Bedrohung in Syrien mit Afghanistan und sagte, dass "die neuen Taliban, mit denen wir es zu tun bekommen, in Syrien sitzen." Das war nicht mehr und nicht weniger als ein Eingeständnis, dass der von Washington unterstützte Aufstand aus bewaffneten islamistischen Kämpfern besteht, die außer Kontrolle sind und sein eigenes Regime bedrohen.

Ungefähr 350.000 Syrer haben vor den Kämpfen in Jordanien Zuflucht gesucht. 36.000 sind seit Beginn des Jahres gekommen, was die beschwerliche soziale Lage in Jordanien weiter verschlimmert. Ihre Lebensbedingungen in einem der härtesten Winter seit Beginn der Wetteraufzeichungen sind beklagenswert. Dem Internationalen Rettungskomitee zufolge lebt die Mehrheit der Flüchtlinge außerhalb der Flüchtlingslager, d.h. in Dörfern und Städten, deren Sozialsysteme, Schulen, und sogar Abfallbeseitungssysteme nicht darauf eingerichtet sind, die Bedürfnisse einer plötzlich so viel größeren Einwohnerschaft zu befriedigen. Die Verzweifelten sind trotz der strikten Regeln gekommen, die die Regierung dazu erlassen hat, wer ins Land darf und wer nicht. Die Regierung versucht ihre Bewegungen außerhalb der Flüchtlingslager zu kontrollieren, um zu verhindern, dass sich die Kämpfe nach Jordanien ausweiten.

Abdullah warb um mehr internationale Unterstützung für die Flüchtlinge. Er forderte die Bevorratung von Hilfsgütern, die über die syrische Grenze geschafft werden könnten, um die Menschen davon abzuhalten, nach Jordanien zu kommen. Diese Hilfsgüter würden von den bewaffneten Banden verteilt, um die "Herzen und Köpfe zu gewinnen". Er sagte. "Wenn diese Menschen hungern und keine Heizung, keine Elektrizität und kein Wasser haben und wenn die Krankenhäuser nicht funktionieren, dann ist der Nährboden für Radikalisierung gegeben."

Er forderte die Großmächte auf, "entscheidende" gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, das Blutvergießen zu beenden und eine Lösung der Krise in Syrien zu liefern. Das war eine kaum verhüllte Aufforderung zu einer direkten imperialistischen Intervention.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 30.01.2013
Jordanien am Rande des Abgrunds
http://www.wsws.org/de/articles/2013/jan2013/jord-j30.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2013