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GLEICHHEIT/4773: IWF warnt vor wachsenden Risiken für Chinas Finanzsystem


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

IWF warnt vor wachsenden Risiken für Chinas Finanzsystem

Von John Chan
27. Juli 2013



Der jährliche Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) über China, der letzte Woche veröffentlicht wurde, warnt davor, dass auf die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft erhebliche finanziellen Risiken zukommen.

Der IWF wies auf die oft zitierten Befürchtungen bezüglich des Gesamtumfangs der chinesischen Kredite hin, die seit 2008 von 129 auf 195 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) gestiegen sind. Dies ist eine Folge von Pekings verzweifelter Reaktion auf den ersten Schock des Wall Street Crash in jenem Jahr. Nachdem dreiundzwanzig Millionen chinesische Arbeiter ihre Jobs verloren hatten und soziale Proteste zu explodieren drohten, startete Peking ein umfangreiches Konjunkturpaket von vier Billionen Yuan (heute etwa 500 Milliarden Euro).

Das Konjunkturpaket verwandelte sich bald in eine zügellose Kreditvergabe des staatlichen Bankensystems. Allerdings floss die Mehrheit der Kredit nicht in die Produktion, weil Chinas wichtigste Export-Märkte in den USA und Europa in die Krise verstrickt waren, sondern gingen in die spekulative Immobilienentwicklung. Im Jahr 2010 waren die geschätzten gesamten Immobilienwerte Pekings höher als das amerikanische Bruttoinlandsprodukt - was an die Art der Immobilieblase erinnerte, die Anfang der 1990er Jahre zu dem Crash in Japan führte, dem zwei Jahrzehnte der Stagnation folgten.

In diesem Zusammenhang warnte der IWF, "heute haben die Behörden noch genügend Werkzeuge und finanzpolitischen Spielraum, um auf potenzielle Schocks zu reagieren. Allerdings würde das Risiko einer Störung oder eines Schocks erhöht wenn eine Kursänderung ausbleibt und die Reformen nicht beschleunigt werden. Dies könne eine negative Rückkopplungsschleife auslösen."

Mit der "negativen Rückkopplungsschleife" ist die Aussicht gemeint, dass sich das Finanzsystem und die produktive Wirtschaft gegenseitig in einer sich verstärkenden Spirale herunterziehen könnten.

Der IWF wies insbesondere auf die zweifelhaften "Vermögensprodukte" im Werte von zwei Billionen Dollar hin, die sich in den letzten Jahren explosionsartig vermehrt haben und die hohe Renditen anbieten, aber ihre Einkommensquellen nicht offenlegen. In der Tat sind die meisten dieser Produkte spekulative Systeme auf den Immobilienmärkten. Sie stellen jetzt effektiv eine verschleierte zweite Bilanz der Banken dar, die sich "im Laufe der Zeit zu einer systemischen Bedrohung für die Finanzstabilität entwickeln könnte". Der IWF warnt, dass ein plötzlicher Vertrauensverlust einen "Ansturm auslösen" und zu einer "schweren Kreditklemme" führen könnte.

Unter Berücksichtigung der Verbindlichkeiten kommunaler Finanzierungsvehikel und anderer Schulden erreichten die tatsächlichen Staatsschulden im vergangenen Jahr 45 Prozent des BIP. Obwohl das Verschuldungsniveau im Vergleich zu verschiedenen, europäischen von Schulden geplagten Ländern noch relativ gering ist, bedeutet die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in China für die Regierung weniger Steuereinnahmen als vor ein paar Jahren. Der IWF prognostiziert für die chinesische Wirtschaft nur ein Wachstum von um die 7,75 Prozent in diesem Jahr, gefolgt von 7,7 Prozent im Jahr 2014 - einiges unter dem traditionellen Orientierungswert von acht Prozent, der von der chinesischen Regierung als notwendig erachtet wird, um die Arbeitslosigkeit unter Kontrolle zu halten.

Die eigentliche Gefahr, schreibt der IWF, ist eine große Krise aufgrund der strukturellen Abhängigkeit Chinas von Exporten und Investitionen: "Ein Fortschritt bei der Neuausrichtung ist beschränkt und wird immer dringender. Ein durchgreifender Wandel hin zu einer am Verbraucher orientierten Wirtschaft hat noch nicht stattgefunden."

Mit Investitionen, die immer noch 48 Prozent des BIP (die höchsten in der Welt) ausmachen und einem Konsum von nur 35 Prozent (eines der niedrigsten), bleibt China eine riesige Werkbank mit billigen Arbeitskräften, die vom Export in die westlichen Märkte durch die Lieferketten transnationaler Konzerne abhängig ist. Auf der anderen Seite neigt sich die bisher treibende Kraft der Expansion - die Landflucht von Landarbeitern in die Städte - dem Ende zu. Die gegenwärtige "Reservearmee" von 160 Millionen wird es am Ende dieses Jahrzehnts nicht mehr geben.

Der IWF und die chinesischen Regierungsvertreter sprechen oft über die Notwendigkeit, Chinas Wirtschaft "neu auszurichten" und ihr ein "konsumorientiertes" Profil zu geben. Die Bürokratie der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) versprach auf ihrem letzten Nationalen Kongress im November letzten Jahres, dass eine neue Runde marktfreundlicher Reformen zu einer Verdoppelung der Pro-Kopf-Einkommen im Jahr 2020 gegenüber dem Jahr 2010 führen werde.

Die Idee unter dem Kapitalismus, eine florierende, konsumorientierte Wirtschaft in China zu schaffen, ist ein Hirngespinst. Chinesische Arbeiter erhalten Hungerlöhne, die selbst unter dem Druck der Konkurrenz aus anderen Billiglohnländern wie Vietnam und Indien stehen.

Soweit der Verbrauch in China gewachsen ist, fand dies nur in einer kleinen Schicht der oberen Mittelklasse, korrupter Beamter und Geschäftsleute statt, was dafür sorgte, dass das Land in den letzten Jahren zu einem der größten Märkte für Luxusgüter geworden ist. Der wachsende Reichtum dieser Schicht entwickelte sich, während die überwiegende Mehrheit der städtischen Arbeiter und ländlichen Armen in Armut verstrickt bleiben. Er hat aber nicht ausgereicht, um einen inländischen Verbrauchermarkt entstehen zu lassen, der Chinas Industrieproduktion aufnehmen könnte.

Die wirkliche Agenda des IWF und der CCP besteht nicht darin, den Lebensstandard der chinesischen Massen zu heben, sondern darin, die Produktivität zu steigern und den Rest der staatlich dominierten Sektoren für privates Kapital zu öffnen. Dies kann nur zu einem massiven Stellenabbau, größerer Arbeitshetze und Einschnitten bei den jetzt schon äußerst niedrigen Löhnen führen.

Seit der Machtübernahme im November letzten Jahres arbeitet die neue KP-Führung unter Präsident Xi Jinping und Li Keqiang beständig an der Durchführung dieser Agenda, wie sie erstmalig im vergangenen Jahr in dem gemeinsamen Bericht mit der Weltbank "China 2030", skizziert wurde. Allerdings finden die Schritte für die vollständige Integration von Chinas Finanzsystem in die globalen Finanzzentren in einem sehr riskanten, internationalen Umfeld statt, das schnell unvorhersehbare Schocks hervorbringen kann.

Im Juni, inmitten des Kapitalabflusses aus Asien, zu dem es gekommen war nach den Kommentaren des Vorstandes der US Zentralbank [Federal Reserve Bank] gekommen war, dass er die Politik der "quantitativen Lockerung" beenden wolle, lösten diese Nachrichten eine Kreditklemme in China aus, indem sie den Zinssatz für die Interbanken-Kredite auf ein Rekordhoch schnellen ließen. Die chinesische Zentralbank, die zunächst versuchte, ihre Intervention einzuschränken, um den rasanten Zinsanstieg bei der Kreditvergabe zu reduzieren, musste erneut Milliarden Dollar in den Markt pumpen, um die Krise abzuschwächen.

Nach Berechnungen des IWF, die am Montag bekannt wurden, könnte eine schnelle Aufhebung der Kapitalverkehrskontrollen zu Nettokapitalabflüssen aus China in der Größenordnung von 1,35 Billionen Dollar oder 15 Prozent des BIP führen. Dies könnte zu einer großen Kernschmelze ähnlich der asiatischen Finanzkrise von 1997/98 hinauslaufen. Ein Abfluss von Kapital könnte sehr schnell auftreten, entweder als panische Reaktion auf Unruhen in der chinesischen Arbeiterklasse oder durch eine militärische Konfrontation zwischen China und den USA oder ihren Verbündeten.

Am vergangenen Freitag erklärte die Chinesische Volksbank im Rahmen eines anderen Schrittes in Richtung finanzieller Reformen, sie werde die Beschränkung für chinesische, kommerzielle Zinssätze abschaffen. Der Schritt sollte angeblich dazu dienen, den Wettbewerb auf dem Markt zu verbessern und so billige Kredite für kleine und mittlere private Unternehmen zugänglicher zu machen. Allerdings hat die Zentralbank aus Angst, eine finanzielle Instabilität zu verursachen, nicht wie allgemein erwartet den Zinscap auf Einlagezinsen zurückgenommen. Die Zinsliberalisierung wird seit langem als wesentlich für die internationale Konvertibilität des chinesischen Yuan angesehen.

Eine am Montag herausgegebene Studie des in Shanghai ansässigen Marktforschungsunternehmen ChinaScope Financial, das zum Teil der internationalen Ratingagentur Moody 's Corp gehört, warnte, dass ein Ende der Zinsbegrenzung für Kredite dazu führen könnte, dass das Netto-Zins-Einkommen sinken, was die chinesischen Banken zwingen könnte, in den nächsten zwei Jahren bis zu 100 Milliarden Dollar aufzubringen, um ihre derzeitige Kapitalausstattung zu sichern. Wie dem auch sei, dem Wall Street Journal zufolge ist es so, dass, "als Zeichen davon, dass Investoren glauben, den chinesischen Banken bestünden weitere Schwierigkeiten bevor, [...] viele Hedge- und andere alternative Fonds gegen die in Hong Kong gelisteten Banken [wetten]".

Anleger sind angeblich besorgt über den Rückgang des chinesischen Wirtschaftswachstums, riesige industrielle Überkapazitäten und die allgemeinen Forderungen der Banken an unsichere Kreditnehmer wie die Bauträger der Immobilienbranche.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 27.07.2013
IWF warnt vor wachsenden Risiken für Chinas Finanzsystem
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2013