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GLEICHHEIT/4917: Italien - Berlusconi-Partei gespalten


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Italien: Berlusconi-Partei gespalten

Von Marianne Arens
19. November 2013



Die Partei Volk der Freiheit (PdL) von Silvio Berlusconi ist am Wochenende auseinander gebrochen. Der Medien-Milliardär und seine Anhänger gehen in die Opposition, eine Minderheit unter Führung von Berlusconis bisherigem Ziehsohn Angelino Alfano will die Regierung von Ministerpräsident Enrico Letta (Demokraten) bis zu den regulären Wahlen 2015 im Amt halten.

Während Berlusconi am Samstag auf einer Großversammlung im Kongresspalast des römischen EUR-Viertels die Rückbenennung seiner Partei in Forza Italia ankündigte, gab Alfano auf einer Pressekonferenz die Gründung einer neuen Partei mit dem Namen Nuovo Centrodestra (Neue rechte Mitte) bekannt.

Drei Viertel der Partei folgten Berlusconi, ein Viertel Alfano. Mit Alfano, dem derzeitigen Vizepremier, gingen 27 Abgeordnete, 30 Senatoren und alle fünf Minister der PdL. Das reicht aus, um der Regierung Letta eine parlamentarische Mehrheit zu sichern.

Berlusconi hatte seit Monaten gedroht, die Regierung zu Fall zu bringen, falls ihm der Senat wegen seiner rechtsgültigen Verurteilung als Steuerbetrüger die parlamentarische Immunität entzieht. Bereits Anfang Oktober hatte er den Austritt der PdL aus der Regierung angekündigt. Letta gewann aber ein Vertrauensvotum, weil ihn Alfano und seine Anhänger unterstützten und Berlusconi in letzter Minute den Rückzug antrat.

Mit der Rückkehr zum Namen Forza Italia, unter dem er 1994 seine politische Karriere begonnen hatte, wollte Berlusconi seine Autorität über die Partei wieder stärken. Das ist ihm aber nicht gelungen. Wenn der Senat voraussichtlich am 27. November über Berlusconis Immunität abstimmt, verfügt er nicht mehr über genügend Stimmen, um Neuwahlen zu erzwingen.

Sowohl Berlusconi wie Alfano bemühten sich, die Brücken nicht völlig abzubrechen und den Weg für eine zukünftige Zusammenarbeit offen zu halten.

Alfano versicherte, er habe seine Entscheidung "mit Bitterkeit und aus Liebe zum Vaterland" getroffen. Er verdanke Berlusconi alles, und dieser bleibe auch weiterhin der unbestrittene Führer des gesamten Mitte-Rechts-Lagers. Er versprach, seine Abgeordneten würden geschlossen gegen Berlusconis Ausschluss aus dem Senat stimmen.

Berlusconi seinerseits erklärte in einer stundenlangen, tränenseeligen Rede, Angelino sei für ihn "wie ein Sohn", man werde mit seiner Partei auch in Zukunft zusammenarbeiten. Er erlitt auf offener Bühne einen Schwächeanfall und musste ärztlich behandelt werden. Anschließend beteuerte er, die Abtrünnigen seien für ihn keine "Verräter", sondern Teil einer großen Familie.

Gleichzeitig kündigte er den Auszug seiner Partei aus der Regierung an. Es sei für eine Partei schwer vorstellbar, an einem Kabinettstisch mit einem Premier zusammenzuarbeiten, der den politischen Tod des eigenen Führers wolle, sagte er.

In der italienischen und internationalen Presse wurde die Spaltung überwiegend begrüßt. Letta, so der Tenor, habe jetzt ein Jahr Zeit, schmerzhafte Reformen durchzuführen, ohne ständig durch Heckenfeuer von Seiten Berlusconis gestört zu werden. Alfano versicherte der Presse, das Land werde nun ein Jahr stabil bleiben. Er schlug Letta vor, sich zwölf Monate Zeit zu nehmen, um "das Land aus der Krise zu führen".

Glücklich und erleichtert über die Spaltung zeigte sich auch der Parteisekretär der regierenden Demokratischen Partei (PD), Guglielmo Epifani. Der langjährige Führer der Gewerkschaft CGIL sagte am Samstag im Fernsehen, jetzt könne die Regierung endlich effektiver arbeiten: "Dies alles schafft Klarheit. Klarheit über das Land, Klarheit über die Regierung. Sie hat jetzt die Bedingungen, um besser und effektiver zu arbeiten."

Die Regierung Letta hatte bereits nach der überstandenen Vertrauensabstimmung vom Oktober den Haushalt für 2014 vorgelegt und den kritischen Augen der Brüsseler EU-Kommissare unterbreitet. Obwohl er vorsieht, die Staatsausgaben um über zwölf Milliarden Euro zu senken, kritisierte ihn EU-Währungskommissar Ollie Rehn vergangene Woche scharf: Der Haushalt sei unzureichend, um Italiens hohe Staatsschulden abzubauen.

Letta wies die Kritik im italienischen Fernsehen zwar mit den Worten zurück: "Allein von Kürzungen und Sparmaßnahmen stirbt man." Doch der Regierungschef und sein parteiloser Wirtschafts- und Finanzminister Fabrizio Saccomanni, früher Chef der Bank von Italien, versprachen, den Haushaltsentwurf erneut zu "überprüfen".

Schon der vorliegende Entwurf sieht weitgehende soziale Grausamkeiten vor. Im öffentlichen Dienst werden die Löhne eingefroren und leer werdende Stellen nicht wieder besetzt. Die Erhöhung von Mehrwertsteuer, Müllgebühren und weiteren indirekten Steuern treffen besonders die arbeitende Bevölkerung hart. Zwanzig Milliarden Euro will die Regierung durch die Privatisierung öffentlicher Unternehmen (ENI, Alitalia, Post und Stromnetzbetreiber) eintreiben, was tausende Arbeitsplätze gefährdet.

Mittlerweile ist in Italien eine Rekordzahl von sechs Millionen Menschen ohne Arbeit. Vor allem für die Jugend ist die seit Jahren anhaltende Rezession eine Katastrophe: Die Jugendarbeitslosigkeit hat im September offiziell vierzig Prozent überschritten. Auch unter den Senioren grassiert Armut. Die Rentenreform der Regierung Monti vom letzten Jahr raubte einer ganzen Generation von Frührentnern auf einen Schlag das Einkommen.

Vergangene Woche kam es in ganz Italien zu Demonstrationen, Streiks und Protestaktionen gegen die Sparmaßnahmen der Regierung. In Rom demonstrierten tausende Studenten für das Recht auf Bildung. Eine weitere große Demonstration fand in Neapel gegen die tödlichen Auswirkungen des Müllskandals statt, in den nicht nur die Camorra, sondern auch alle Regierungsparteien verstrickt sind.

Aufrufen der Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL zu Potesten gegen den "Stabilitätspakt" (den Sparhaushalt 2014) folgten dagegen nur relativ wenige, vor allem ältere, langjährig organisierte Gewerkschafter. Es ist bekannt, dass die Gewerkschaften eng mit Lettas PD zusammenarbeiten, seinen Wirtschaftskurs grundsätzlich unterstützen und nur zu Protesten aufrufen, um Dampf abzulassen. Um "der Wirtschaft nicht zu schaden", begrenzten sie einen Generalstreik im Transportwesen am Freitag auf vier Stunden.

Die Gewerkschaften und die pseudolinken Organisationen, die als Lautsprecher für sie fungieren, stehen alle hinter der EU und wollen einen Sturz der Regierung Letta vermeiden. Die drei großen Gewerkschaften haben in einem gemeinsamen Dokument kritisiert, dass der aktuelle Haushaltentwurf der Regierung "jene Wende der Wirtschaftspolitik nicht realisiert, die für das Land notwendig wäre, um aus der Rezession herauszukommen und zu einem Wachstum zurückzukehren". Das sind praktisch dieselben Worte, die die Regierungsparteien und Unternehmer täglich benutzen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.11.2013
Italien: Berlusconi-Partei gespalten
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2013