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GLEICHHEIT/5094: USA führen Drohnenkrieg von Deutschland aus


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

USA führen Drohnenkrieg von Deutschland aus

Von Elisabeth Zimmermann
8. April 2014



Der US-Militärstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz spielt eine zentrale Rolle im weltweiten US-Drohnenkrieg. Dies belegen Recherchen der Süddeutschen Zeitung (SZ), des Norddeutschen Rundfunks (NDR) und des Westdeutschen Rundfunks (WDR). Sie stützen sich auf die Auswertung von Dokumenten des amerikanischen Militärs und Aussagen des ehemaligen Drohnenpiloten Brandon Bryant.

Bereits im Frühsommer letzten Jahres war bekannt geworden, dass Drohnenangriffe in Afrika von Deutschland aus gesteuert werden. Zentral daran beteiligt ist das Air and Space Operation Center auf dem US-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz, dem größten US-Militärflugplatz außerhalb der Vereinigten Staaten. Hier werden die Bilder der Drohnen ausgewertet, die über afrikanischen Ländern wie Somalia kreisen. Die Befehle bekommen die Männer und Frauen in dieser Flugleitzentrale aus Stuttgart, wo seit 2007 Africom angesiedelt ist, der Hauptsitz des Afrika-Kommandos der USA.

Amerikanische und deutsche Regierungsvertreter haben stets geleugnet, dass Drohnenangriffe von deutschem Boden ausgehen.

Als US-Präsident Obama im Juni letzten Jahres Deutschland besuchte, behauptete er unter Hinweis auf entsprechende Medienberichte, es würden keine Drohnenangriffe von Deutschland aus gesteuert und befehligt. "Wir nutzen Deutschland nicht als Startpunkt für unbemannte Drohnen im Kampf gegen den Terror. Ich weiß, dass es hier in Deutschland einige Berichte gegeben hat, nach denen das der Fall sein könnte. Dem ist nicht so", sagte Obama.

Vertreter der Bundesregierung antworteten auf entsprechende Anfragen im Parlament, es sei ihnen nicht bekannt, dass solche Angriffe von Deutschland aus geflogen oder gesteuert würden.

Beide Aussagen waren falsch. Die jüngsten Enthüllungen belegen, dass auch Einsätze in Pakistan und Jemen über Ramstein abgewickelt werden. Der US-Militärstützpunkt spielt eine zentrale Rolle im US-Drohnenkrieg, dem Tausende Terrorverdächtige ohne Gerichtsurteil und ohne Möglichkeit, sich zu verteidigen, sowie zahlreiche völlig unbeteiligte Zivilisten zum Opfer fallen.

Nach Schätzungen des Bureau of Investigative Journalism wurden allein in Pakistan und Jemen seit 2004 etwa eintausend Zivilisten bei Drohnenangriffen getötet. Das Magazin Foreign Policy schätzt, dass seit November 2001 etwa 2.000 Verdächtige durch US-Drohnen ums Leben kamen. Die Anzahl der zivilen Opfer ist bis heute umstritten und beträgt wahrscheinlich ein Vielfaches der bekannten Zahlen.

Der US-Militärstützpunkt in Ramstein dient als zentrale Daten-Drehscheibe für den Drohnenkrieg. Die ferngesteuerten Fluggeräte senden ihre Daten via Satellit zu einer Bodenstation auf dem Stützpunkt in Rheinland-Pfalz, wo das Signal empfangen und per Glasfaserkabel in die USA weitergeleitet wird.

Auf dem US-Stützpunkt Ramstein befindet sich in einem Bunker tief unter der Erde auch das sogenannte Distributed Ground System, DGS. Weltweit gibt es nur fünf solcher Einrichtungen der US-Luftwaffe, die ständig in Betrieb sind. Drei davon befinden sich in den Vereinigten Staaten, eines in Südkorea und eines, das DGS-4, seit 2003 in Ramstein. Zu dem Hochsicherheitsbereich haben nur ausgewählte Soldaten Zutritt. Kein Außenstehender soll mitbekommen, was hier vor sich geht.

Das DGS ist das "zentrale Nervensystem" amerikanischer Drohneneinsätze. Hier laufen die Fäden aller Beteiligten eines Drohnenangriffs zusammen. Live-Bilder, die Drohnen aus Jemen, Somalia, dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet oder anderen Ländern liefern, werden hier analysiert und mit Erkenntnissen der Geheimdienste abgeglichen. Es werden Entscheidungen getroffen - sprich: die Befehle für illegale Tötungen weitergeleitet - und dann am jeweiligen Zielort ausgeführt.

Die Piloten der ferngesteuerten Fluggeräte, die sich meistens in den USA befinden, erhalten über ein verschlüsseltes Chat-Programm mit dem Namen mIRC Analysen und Anweisungen aus dem DGS-4 in Ramstein.

"Ohne Deutschland wäre der gesamt Drohnenkrieg des US-Militär nicht möglich", sagte der ehemalige Drohnenpilot Brandon Bryant der Süddeutschen Zeitung. Der ARD-Sendung Panorama berichtete er: "Die Luftwaffen-Basis in Ramstein spielt eine ganz wesentliche Rolle für den weltweiten Drohnenkrieg. Ohne diese Basis in Deutschland würde das alles nicht funktionieren. Es ist das Epizentrum aller Informationsflüsse für die Übersee-Operationen der USA."

Bryant, 28 Jahre alt, war bis April 2011 auf einem Luftwaffenstützpunkt in New Mexico stationiert und steuerte von dort aus Drohnen. Insgesamt war er nach eigenen Angaben an der Tötung von 1.626 Menschen beteiligt, darunter angeblichen Terroristen, Terrorverdächtigen und mutmaßlich auch Zivilisten.

In den mehr als 6.000 Stunden, die er geflogen sei, habe es keinen einzigen Einsatz gegeben, "bei dem ich nicht Ramstein angerufen hätte, um mich mit meiner Drohne verbinden zu lassen. Im Luftwaffenstützpunkt Ramstein laufen wirklich alle Informationen zusammen, wie durch einen Trichter", sagte Bryant am 3. April in der Sendung Panorama.

Er habe die Air Force verlassen, weil er an der Integrität seiner Vorgesetzten gezweifelt habe. "Sie haben internationales Recht gebrochen, Menschenrechtsverletzungen begangen. Wir sind eine regelrechte Tötungsmaschinerie", begründete Bryant seinen Rückzug aus dem US-Militär.

Die Bundesregierung reagierte mit Ausflüchten auf die neuen Beweise, dass der US-Militärstützpunkt Ramstein eine zentrale Rolle im US-Drohnenkrieg spielt.

"Die amerikanische Regierung hat gegenüber der Bundesregierung bestätigt, dass von amerikanischen Stützpunkten in Deutschland solche bewaffneten und ferngesteuerten Luftfahrzeuge weder geflogen noch gesteuert werden", behauptete Regierungssprecher Steffen Seibert über den bisherigen Kenntnisstand der Bundesregierung. Nun gebe es aber "eine neue Berichterstattung", die die Bundesregierung in Gesprächen mit der US-Regierung zum Thema machen wolle. Die Bundesregierung nehme diese Berichte "ernst."

In Wirklichkeit weiß die Bundesregierung nicht nur weit mehr über das US-Drohnenprogramm, als sie in der Öffentlichkeit zugibt, sie ist auch direkt daran beteiligt. Dies zuzugeben hätte allerdings weit reichende Konsequenzen, da das Drohnenprogramm eindeutig gegen geltendes deutsches und internationales Recht verstößt.

Ein Bundestagsgutachten vom 30. Januar 2014, aus dem die Süddeutsche Zeitung zitiert gelangt zu Schluss, es sei "unstrittig", dass Deutschland "völkerrechtswidrige Militäroperationen", die "durch ausländische Staaten von deutschem Territorium" aus durchgeführt werden, nicht dulden darf. Sollte das US-Militär einen Terrorverdächtigen "außerhalb eines bewaffneten Konflikts" völkerrechtswidrig per Drohne hinrichten, könnte dies "eine Beteiligung an einem völkerrechtlichen Delikt darstellen", wenn die Bundesregierung davon wisse und nicht dagegen protestiere.

Deutsche Geheimdienste geben Daten an die NSA und das US-Militär weiter, die zur Bestimmung von Drohnenopfern dienen, und erhalten im Gegenzug von diesen Informationen. Auch drei deutsche Staatsbürgern sind aufgrund solcher Daten in Pakistan getötet worden.

Der zwanzigjährige Bünyamin E. aus Wupperal kam am 4. Oktober 2010 in Waziristan durch einen Drohnenangriff ums Leben. Ein Ermittlungsverfahren stellte der Generalbundesanwalt im Juni 2013 ein.

Patrick N. aus Offenbach, ein zum Islam konvertierter Deutscher, war 2011 mit seiner Frau und zwei Kindern nach Pakistan gereist und soll sich dort der "Islamischen Bewegung Usbekistans" angeschlossen haben. Der 27-Jährige starb am 16. Februar 2012, nachdem Raketen den Pickup trafen, mit dem er nahe der Grenze zu Afghanistan unterwegs war. Außer ihm sollen neun weitere Menschen ums Leben gekommen sein.

Samir H. aus Aachen starb bei einem Drohnenangriff auf einen Geländewagen am 9. März 2012. Der 29-Jährige war 2009 mit seiner Frau und seinen Kindern ins afghanisch-pakistanische Grenzgebiet gereist und soll sich dort ebenfalls der "Islamischen Bewegung Usbekistans" angeschlossen haben. Die Bundesregierung macht keine Aussagen dazu, ob deutsche Sicherheitsbehörden Informationen zu Samir H an die amerikanischen Geheimdienste weitergegeben haben. Ermittlungen zu seinem Tod hat der Generalbundesanwalt im August 2013 eingestellt.

Diese drei Fälle sind bekannt geworden. In wie vielen anderen Fällen von deutschen Sicherheitsbehörden beschaffte und weitergegebene Informationen zur Tötung der Betroffenen führten, weiß man nicht. Bekannt ist aber, dass jeden Tag ein breiter Strom von Informationen aus Deutschland in die USA fließt, darunter Namen, Telefonnummern und Mail-Adressen von Verdächtigen, die nach Afghanistan, Pakistan, Syrien oder Jemen ausgereist sind.

Die enge und über weite Strecken illegale Zusammenarbeit der deutschen und amerikanischen Sicherheitsbehörden geht bis auf die Anschläge vom 11. September 2001 und die damalige rot-grüne Bundesregierung zurück.

Sogenannten Rendition-Flüge, die entführte Terrorverdächtige in Geheimgefängnisse (sogenannte blacksites) in verschiedenen Teilen der Welt brachten, um sie dort zu foltern, durften regelmäßig und unbehelligt in Deutschland zwischenlanden. Die rot-grüne Bundesregierung weigerte sich, für die Freilassung von Murat Kurnaz einzutreten, der in Bremen aufgewachsen war und völlig unschuldig mehr als vier Jahre in Guantanomo saß. Und als im Dezember 2003 der Deutsch-Libanese Khaled El-Masri in Mazedonien von der CIA verschleppt wurde, rührt die Bundesregierung keinen Finger, um ihn zu unterstützen.

Der Bundestag hat letzte Woche einen Untersuchungsausschuss eingerichtet, der sich mit den Überwachungspraktiken des US-Geheimdiensts NSA befassen und auch die Rolle von Ramstein im weltweiten Drohnenkrieg durchleuchten soll. Ähnlich wie der NSU-Untersuchungsausschuss wird er aber aller Voraussicht nach mehr vertuschen als aufklären.

Das zeigt sich schon an der Behandlung des wichtigsten Zeugen für die NSA-Aktivitäten, Edward Snowden, der das Überwachungssystem der NSA entlarvt hat. Der Untersuchungsausschuss hat ihn zwar als Zeuge geladen, gleichzeitig verweigert ihm aber die Bundesregierung die Zusicherung von Asyl oder eines gesicherten Aufenthalts in Deutschland, so dass Snowden, der um sein Leben fürchten muss, gar nicht persönlich vor dem Untersuchungsausschuss aussagen kann.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 08.04.2014
USA führen Drohnenkrieg von Deutschland aus
http://www.wsws.org/de/articles/2014/04/08/rams-a08.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2014