Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/5125: Indien - Kongresspartei propagiert "Wachstum für alle", um Wahldebakel abzuwenden


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Indien:
Kongresspartei propagiert "Wachstum für alle", um Wahldebakel abzuwenden

Von Nanda Wickremasinghe und Deepal Jayasekera
10. Mai 2014



Alles spricht dafür, dass die Kongresspartei, welche die nach zwei Amtszeiten scheidende Koalitionsregierung United Progressive Alliance (UPA) anführt, bei den Parlamentswahlen in Indien ein Debakel erleiden wird. Die Stimmabgabe der in drei Stufen ablaufenden Wahl begann am 7. April und endet am 12. Mai. Am 16. Mai wird die Auswertung vorliegen.

Indiens führende Wirtschaftskreise haben die Kongresspartei traditionell als ihr wichtigstes politisches Instrument angesehen. Bei den diesjährigen Wahlen aber schart sich die Wirtschaftselite um die Partei der nominellen Opposition, die Bharatiya Janata Party (BJP) und ihren Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, Narendra Modi. Er ist momentan noch Regierungschef der Provinz Gujarat und selbsternannter starker Mann der Hindus.

Die Kongresspartei mit ihrer neoliberalen Reformpolitik spielt seit zwei Jahrzehnten die Hauptrolle dabei, Indien in ein Billiglohnland und Backoffice für die Weltwirtschaft zu verwandeln. Sie war auch die treibende Kraft bei zwei bedeutsamen Kurswechseln der indischen Politik, die nahezu die uneingeschränkte Unterstützung der herrschenden Klasse haben: Bei der Verwirklichung einer indo-amerikanischen "strategischen" Partnerschaft, sowie beim raschen Ausbau des indischen Militärs, u. a. zu einer Nuklearstreitkraft zu Land, zu Wasser und in der Luft, und einer schlagkräftigen Kriegsflotte.

Das Vertrauen der Wirtschaft in die Kongresspartei ist jedoch erschüttert, weil es ihr nicht gelungen ist, weitere zahlreiche antisoziale, marktfreundliche Reformen gegen massenhaften Widerstand in der Bevölkerung durchzusetzen. Der indische Ministerpräsident Manmohan Singh stand beim indischen und internationalen Kapital lange Zeit hoch im Kurs. Doch in den letzten drei Jahren, als die Weltwirtschaftskrise dem indischen Kapitalismus schwer zusetzte, sank sein Stern. Die Wirtschaftselite prangerte ihn als "Zauderer" an, weil er in ihren Augen die Beseitigung der verbliebenen gesetzlichen Beschränkungen für das Kapital und die Durchsetzung einschneidender Kürzungen bei den Sozialleistungen nicht aggressiv genug anging. Einige Unternehmensvertreter behaupteten sogar, dass man Singh, der im Januar bekanntgab, dass er sich nach Abschluss der Wahlen zurückziehen werde, eher dafür in Erinnerung behalten werde, dass er die schnelle kapitalistische Expansion Indiens in jüngster Zeit ausgebremst hat, denn als Initiator der "neuen ökonomischen Politik" in seiner Zeit als Finanzminister in den frühen 1990er Jahren.

Massen von Arbeitern und ländlichen Werktätigen sind inzwischen wütend auf die von der Kongresspartei geführte UPA-Regierung, weil sie nichts gegen die starken Preissteigerungen, gegen Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung tut. Die Kongresspartei prahlt immer noch damit, dass die Wirtschaft im letzten Jahrzehnt für einige Jahre um neun Prozent jährlich gewachsen ist, obwohl sie heute in der Stagflation erstarrt ist. Die Wirtschaft wächst um weniger als fünf Prozent, was bei weitem nicht ausreicht, um die schnell wachsende erwerbsfähige Bevölkerung zu beschäftigen, und die Lebensmittelpreise steigen seit Jahren um über zehn Prozent jährlich.

Große Empörung in der arbeitenden Bevölkerung haben auch einige Korruptionsskandale ausgelöst, die die finanziellen Beziehungen zwischen den Unternehmen und der Regierung ans Licht brachten. Die UPA-Regierung hat öffentliches Eigentum im Wert von Dutzenden Milliarden Dollar zu Spottpreisen an die Industrie verkauft, in einigen Fällen praktisch verschenkt.

Vieles deutet darauf hin, dass die Kongresspartei bei den Parlamentswahlen eine historische Niederlage erleidet. Da sind die verheerenden Wahlergebnisse bei einer Reihe von Wahlen in den Bundesstaaten im letzten Dezember, und auch die Erklärung letzte Woche von Ahmed Patel, dem politischen Sekretär von Sonia Gandhi, der Vorsitzenden der Kongresspartei, dass die Kongresspartei möglicherweise eine bunt zusammengewürfelte Koalitionsregierung werde unterstützen müssen, um die BJP aus der Regierung zu halten.

Die Kongresspartei hat etliche ihrer Koalitionspartner verloren. Ihre zwei stärksten Verbündeten bei der letzten Wahl, die westbengalische Trinamool-Kongresspartei und die tamilische Regionalpartei DMK, entzogen 2012 bzw. 2013 der Koalitionsregierung ihre Unterstützung. Im Vorfeld der Wahlen suchte die Kongresspartei eine ganze Reihe von Regionalparteien und kastenbasierten Parteien zu gewinnen. Jedes Mal reagierten diese Parteien, indem sie der Kongresspartei die kalte Schulter zeigten, da sie damit rechneten, Stimmen und Sitze zu verlieren, wenn sie mit der äußerst unpopulären Kongresspartei ein Bündnis eingingen. Gegen heftige Opposition setzte die Kongresspartei die Abtrennung von Telangana als eigener Bundesstaat von Andra Pradesh in der Erwartung durch, dass die Partei, die am stärksten für einen eigenen Bundesstaat Telangana eintrat, sich dafür mit der Kongresspartei zusammentun würde. Doch die entschied sich dafür, allein zu den Wahlen anzutreten, und signalisierte gleichzeitig ihre Bereitschaft, nach der Wahl in eine von der BJP geführte Regierung einzutreten.

Die UPA besteht mittlerweile aus einem halben Dutzend Parteien, von denen die meisten bei den letzten Wahlen nur ein oder zwei Sitze gewannen.

Einige wichtige Führer der Kongresspartei wie Finanzminister P. Chidambaram und der Rundfunkminister Manish Tiwari wollen die Wahlen aussitzen.

Die Mitglieder der Partei hatten erwartet, dass die Partei Rahul Gandhi - Nachfolger der politischen Dynastie der Nehru-Gandhi-Familie, die in der Kongresspartei die vergangenen sechs Jahrzehnte das Sagen hatte - als Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten küren würde. Weil sie jedoch fürchtete, eine Abstrafung an der Wahlurne könnte die weitere politische Karriere Rahul Gandhis beschädigen, nahm die Führung der Kongresspartei davon Abstand. Sich vor der Wahl auf einen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs festzulegen, entspreche nicht der "Tradition" der Partei, gab sie als Begründung an.

In der Hoffnung, damit ein Wahldebakel noch abwenden zu können, weist die Kongresspartei verstärkt auf ihren seit Jahren erhobenen Anspruch hin, die Partei des "Wachstums für alle" und standhafteste Gegnerin kommunalistischer Politik zu sein,

Doch beide Behauptungen entsprechen nicht der Wahrheit.

Unter der UPA, mit der Kongresspartei an der Spitze, hat die soziale Ungleichheit in erschreckendem Maße zugenommen. Und bei all ihrem Zetern gegen die BJP, die für die Vorherrschaft der Hindus steht, darf man nicht vergessen, dass die Kongresspartei sich seit Jahrzehnten an die Hindu-Rechte anpasst und mit ihr kungelt, so bereits 1947 bei der Aufteilung Indiens nach kommunalistischen Kriterien.

Von Indiens Wirtschaftswachstum haben allein eine winzige kapitalistische Elite und die oberen Schichten der Mittelklasse profitiert. Ein neuerer Bericht spricht davon, dass Indien inzwischen mehr als hundert Milliardäre und die drittmeisten Superreichen der Welt hat.

Im Indien leiden gleichzeitig die Hälfte der Kinder unter Unterernährung, drei Viertel der Bevölkerung muss mit weniger als zwei US-Dollar am Tag über die Runden kommen, und die Regierung gibt gerade einmal drei Prozent des Bruttosozialprodukts für Bildung aus, für das Gesundheitswesen sogar nur halb so viel. Die Lebensbedingungen kleiner Bauern sind so entsetzlich, dass in den letzten 16 Jahren mehr als 250.000 Selbstmord verübt haben.

Während der ersten Amtszeit der UPA-Regierung erlebte Indien ein Rekordwachstum, und die Kongresspartei finanzierte mit einem kleinen Teil der wachsenden Staatseinnahmen einige neue Sozialleistungen. Die wichtigste Maßnahme, das National Rural Employment Guarantee program (NREG), soll dafür sorgen, dass mindestens ein Mitglied jedes ländlichen Haushalts für 100 Tage im Jahr beschäftigt ist, bei einem Liohn von gerade einmal 1,60 US-Dollar am Tag. Die Nachfrage nach NREG-Jobs war immer deutlich größer als das Angebot, dennoch hat die Regierung die Ausgaben für das NREG bereits deutlich reduziert. Dies ist Teil eines Austeritätsprogramms, das das Haushaltsdefizit auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung beseitigen soll.

Als Indien unter einer akuten Krise der Landwirtschaft litt, gewann die Kongresspartei mit dem NREG zunächst Unterstützung, und dies trug zur Wiederwahl der UPA 2009 bei. Im gegenwärtigen Wahlkampf versucht die Führung der Kongresspartei auf zynische Weise, diesen Effekt erneut zu erzielen.

Die Kongresspartei tritt jetzt mit dem Versprechen auf, sie werde bei einer Wiederwahl eine ganze Reihe neuer "Rechte" beschließen - das Recht auf Gesundheit, Bildung, auf Renten und "soziale Sicherheit"; dabei hat sie in den meisten der 65 Jahre seit Erlangung der Unabhängigkeit Indiens die Bundesregierung des Landes gestellt.

Mit diesen leeren Versprechungen gehen Zusagen an die Wirtschaft einher, bis 2016/17 das Defizit auf drei Prozent des Bruttoinlandprodukts zu reduzieren, eine regressive nationale Steuer auf Güter und Dienstleistungen einzuführen, womit ein noch größerer Teil der Steuerlast auf die Arbeiter abgeladen wird, und eine "flexiblere Arbeitsmarktpolitik" einzuführen. Das nationale und internationale Kapital fordern seit langem, alle Hindernisse für Entlassungen und Betriebsschließungen zu beseitigen.

Die Kongresspartei verspricht auch, die Operation Green Hunt zu intensivieren. Diese auf Gesamtstaatsebene koordinierte militärische Offensive, die die UPA 2009 in Gang setzte, soll jeden Widerstand gegen lukrative Projekte zur Rohstoffausbeutung im Urwald und den Hochlandregionen Ostindiens niederwerfen. "Gegen den Linksextremismus", heißt es im Wahlmanifest der Kongresspartei, "wird hart durchgegriffen. Wir werden unsere Sicherheitskräfte in den betroffenen Gebieten durch bessere Ausrüstung, Infrastruktur und Personal stärken".

Vertreter der Kongresspartei geißeln die BJP für ihre reaktionären kommunalistischen Aufrufe, und nennen ihre Politik sogar "faschistisch". Dabei hat die Kongresspartei den Aufstieg der kommunalistischen Reaktion begünstigt. Gelegentlich hat sie dabei auch stillschweigend die reaktionäre Kampagne von Hindu- und RSS-Kräften (die RSS ist eine faschistische Miliz), auf dem Gelände der Babri-Moschee in Avodhya einen Hindu-Tempel zu bauen, unterstützt.

Wie ihre Rivalen von der BJP, hat auch die Kongresspartei den Konflikt mit Pakistan angeheizt, um die soziale Unzufriedenheit umzulenken und die Opposition in der Bevölkerung gegen den raschen Ausbau der indischen Streitkräfte in Schach zu halten. Nach den grausamen Terroranschlägen von Mumbai 2008 haben Kongresspartei und BJP gemeinsame Sache bei der Verabschiedung drakonischer "Antiterror"-Gesetze gemacht.

Dass die Kongresspartei in der "heiligen Stadt" der Hindus, Varanasi (Benares), ein ehemaliges BJP-Mitglied, das in gesetzgeberischer Funktion tätig war, als Kandidat gegen Modi aufgestellt hat, entspricht ganz der Art, in der die Kongresspartei gegen die BJP "kämpft". Nach den Pogromen gegen die Muslime in der Provinz Gujarat 2002, die von Modi und seiner Provinzregierung initiiert und begünstigt wurden, verfolgten die Abgeordneten der Kongresspartei in der Provinz Gujarat eine kommunalistische Politik, die selbst die wirtschaftsfreundlichen Medien als "Hindu-Nationalismus light" verspotteten.

Die Gleichgültigkeit und Feindseligkeit, mit der die Kongresspartei der Verteidigung demokratischer Rechte gegenübersteht, zeigt sich am deutlichsten daran, dass die Partei weiterhin die illegalen Aktionen einer geheimen Armeeeinheit vertuscht, die der frühere Armeechef V. K. Singh schuf und leitete.

Diese geheime Einheit hat Vertreter des Verteidigungsministeriums abgehört und versucht, die gewählte Regierung des Bundesstaats Jammu und Kaschmir zu stürzen. Doch die Kongresspartei ist entschlossen, die Öffentlichkeit über diese Machenschaften weiterhin völlig im Dunkeln zu lassen, und das indische Volk daran zu hindern, einen Einblick in das Treiben ultrareaktionärer Kräfte zu gewinnen, die in der indischen Armee ihren Nährboden haben. Der Grund: Die Kongresspartei, wie die gesamte herrschende Klasse, sieht das Militär als entscheidende Kraft, um ihr Ziel zu erreichen, Indien zu einer Großmacht zu machen, und, was noch wichtiger ist, als Schutzwall für Indiens krisengeschüttelte kapitalistische Gesellschaftsordnung, in der die Ungleichheit ständig anwächst..

*

Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: psg[at]gleichheit.de

Copyright 2014 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten

*

Quelle:
World Socialist Web Site, 10.05.2014
Indien: Kongresspartei propagiert "Wachstum für alle", um Wahldebakel abzuwenden
http://www.wsws.org/de/articles/2014/05/10/kong-m10.html
Partei für Soziale Gleichheit,
Sektion der Vierten Internationale (PSG)
Postfach 040 144, 10061 Berlin
Telefon: (030) 30 87 27 86, Telefax: (032) 121 31 85 83
E-Mail: psg[at]gleichheit.de
Internet: www.wsws.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2014