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GLEICHHEIT/5273: Über 700 Schiffbrüchige im Mittelmeer ertrunken


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Über 700 Schiffbrüchige im Mittelmeer ertrunken
Viele sind Kriegsflüchtlinge aus dem Nahen Osten

Von Bill Van Auken
17. September 2014



Über 700 Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und aus Afrika könnten in den letzten Tagen bei mehreren Schiffshavarien im Mittelmeer ertrunken sein. Das befürchtet die größte globale Flüchtlingsagentur IOM (Internationale Organisation für Migration).

Diese tragischen Todesfälle hängen unmittelbar mit den Militärinterventionen zusammen, die der US-Imperialismus und seine Verbündeten angerichtet haben. Sie haben den Nahen Osten und große Teile Afrikas ins Chaos gestürzt und Millionen Menschen in obdachlose Flüchtlinge verwandelt.

Die schlimmste dieser maritimen Katastrophen hat sich offenbar am vergangenen Wochenende ereignet, wie zwei palästinensische Flüchtlinge berichteten. Sie wurden aus dem Wasser gezogen, nachdem sie sich anderthalb Tage lang an Rettungsringe geklammert hatten. Nach ihrem Bericht waren etwa 500 Migranten auf dem Schiff, die aus den Palästinensergebieten, aus Syrien, Ägypten und dem Sudan stammten. Am vergangenen Mittwoch war das Schiff gesunken, weil die Schlepper es nach einer gewalttätigen Auseinandersetzung absichtlich gerammt hatten.

Am Sonntag kenterte ein Schiff mit weiteren 250 Flüchtlingen vor der libyschen Küste. Nur 36 Menschen konnten gerettet werden. Man muss davon ausgehen, dass die restlichen Passagiere ertrunken sind.

Der Streit, der zum Tod der 500 Migranten führte, soll sich daran entzündet haben, dass die Schlepper versuchten, die Flüchtlinge zum Verlassen des Schiffs zu bewegen, das sie vor dem ägyptischen Hafen Damietta bestiegen hatten. In der Nähe von Malta sollten sie es gegen einen völlig heruntergekommenen, seeuntüchtigen Kahn tauschen. Als die Migranten sich weigerten, wurde ihr Schiff so lange gerammt, bis es sank.

Die Palästinenser wurden von einem in Panama registrierten Containerschiff gerettet. Die maltekische Navy und ein anderes Boot zogen sieben weitere Überlebende aus dem Wasser. Demselben Schiff unter der Flagge Panamas, das die Palästinenser rettete, gelang es letzte Woche, weitere 380 Flüchtlinge zu bergen, deren Boot ebenfalls im Mittelmeer Schiffbruch erlitten hatte.

"Sollte sich diese Geschichte bestätigen, die die Polizei gerade untersucht, dann wäre dies der schlimmste Fall der letzten Jahre. Es handelt sich nicht um einen Unfall, sondern um Massenmord, verübt von skrupellosen Kriminellen, die keinerlei Respekt vor dem menschlichen Leben haben", schreibt die IOM in ihrer Erklärung von Montag.

Die IOM begnügte sich jedoch nicht damit, die unmittelbaren Täter dieses Verbrechens zu beschuldigen. In dem Statement der Agentur heißt es weiter: "Die einzige Möglichkeit, diese kriminellen Organisationen zu neutralisieren, besteht darin, in Europa legale Zutrittskanäle für all jene Männer, Frauen und Kinder zu öffnen, die auf der Suche nach Schutz aus ihren Ländern flüchten."

Die Politik der Europäischen Union namens "Festung Europa" verfolgt diametral entgegengesetzte Ziele und dient im Wesentlichen dem Zweck, den Kontinent von der Flüchtlingsflut abzuschotten.

In einer Erklärung über diese Katastrophe beschuldigt Amnesty International die EU-Politik, sie sei für den tragischen Massentod direkt verantwortlich. "Die Reaktion der EU-Mitgliedstaaten auf die Flüchtlingskrise im Nahen Osten und in Nordafrika ist schändlich", erklärte John Dalhuisen, der Zuständige für Europa und Zentralasien bei Amnesty International, am Montag.

Er fügte hinzu: "Die europäischen Spitzenpolitiker wollen um jeden Preis verhindern, dass Menschen nach Europa kommen. Sie zwingen die verzweifelten Menschen dazu, immer riskantere Routen zu wählen."

"Es ist ohne jeden Zweifel das tödlichste Wochenende aller Zeiten im Mittelmeer", sagte Carlotta Sami, Sprecherin für das Büro des UN-Flüchtlingshochkommissariats, am Montag. Sie fügte hinzu, die UN-Agentur versuche, bis zu fünf Schiffshavarien in der Region allein in den letzten paar Tagen zu bestätigen.

Durch diese jüngsten Havarien ist das Jahr 2014 jetzt schon das Jahr mit den meisten toten Migranten im Mittelmeer. Es sind bisher fast 3.000 Todesfälle. Damit haben mehr als viermal soviele Flüchtlinge wie das ganze letzte Jahr in der Meerespassage den Tod gefunden. Ohne Zweifel unterschätzen diese Zahlen, die nur behördlich bestätigte Todesfälle erfassen, den wirklichen Blutzoll noch erheblich.

Der Zunahme an Migranten, welche die riskante Überfahrt wagen, ist das direkte Ergebnis der mehrfachen Krisen, die durch die imperialistischen Interventionen in der Region ausgelöst wurden.

Der sektiererische Bürgerkrieg, den die Washingtoner Regierung und ihre Verbündeten unterstützen, um einen Regimewechsel in Syrien zu erreichen, hat über drei Millionen Syrer zu Flüchtlingen gemacht und weitere 6,5 Millionen zu Vertriebenen im eigenen Land.

Millionen weitere Menschen werden vertrieben, seitdem der Irak nach fast zehn Jahren US-Besatzung im Bürgerkrieg versunken ist. Libyen, von wo aus viele der Flüchtlingsboote in See stechen, zerfällt nach dem Krieg der USA und der Nato von 2011, und der Sturz des Regimes von Muammar Gaddafi hat blutige Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen ausgelöst. Dies zwingt sowohl afrikanische Flüchtlinge in diesem Land, als auch Libyer selbst bis heute, die Flucht zu ergreifen, um das bloße Leben zu retten.

Die Regierung in Washington hat in den ersten zehn Monaten des Fiskaljahres 2014 gerade mal 63 syrische Flüchtlinge in den Vereinigten Staaten aufgenommen. In dieser Zeit ist die Zahl der syrischen Flüchtlinge und Vertriebenen um mehrere Millionen angewachsen. Und die Europäische Union ist, was die Aufnahme von Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten angeht, nicht viel besser.

Ohne jeden Zweifel wird der neue große Krieg, den die USA und ihre Verbündeten unter dem Vorwand des Kampfs gegen die Organisation Islamischer Staat (IS) entfesseln, die humanitäre Katastrophe nur vertiefen und zu einem noch größeren Flüchtlingsstrom führen.

Die bisher schlimmste Flüchtlingstragödie auf der Mittelmeerpassage nach Europa ereignete sich im Oktober 2013 vor der italienischen Insel Lampedusa. Dort forderte der Untergang eines Migrantenbootes das Leben von fast 400 Flüchtlingen, von denen die meisten aus Afrika stammten.

Italien reagierte darauf, indem es die Operation Mare Nostrum (Unser Meer) aufnahm. Dieser Name wurde zuvor vom faschistischen Benito-Mussolini-Regime verwendet, um die imperialen Ambitionen Italiens zu verdeutlichen. Obwohl die Operation zurzeit als humanitäre Such- und Rettungsmission hingestellt wird, besteht das wichtigste Ziel dieses Programms der Kriegsmarine darin, Flüchtlinge zu stoppen und zurückzuschicken. So werden zahlreiche Aufgegriffene summarisch in ihr Herkunftsland oder nach Libyen abgeschoben, wo sie im Gefängnis oder in Folterlagern landen.

Diese italienische Operation soll jedoch Ende November auslaufen, wenn die EU-Grenzkontrollagentur Frontex es durch ein Verhinderungsprogramm namens Frontex Plus ersetzen wird.

Frontex beteiligt sich auch am italienischen Programm, indem sie Informationen ihres Aufklärungsdienstes zur Verfügung stellt, die von Satelliten und Drohnen der EUROSUR, dem EU-Grenzüberwachungssystem, gewonnen werden. Dadurch können Flüchtlingsschiffe rasch aufgegriffen, in vielen Fällen zur Umkehr nach Libyen gezwungen oder beschlagnahmt werden, wobei die Passagiere in Lager auf dem italienischen Festland gebracht werden. Dort müssen sie den Asylprozess abwarten, der in den meisten Fällen zu ihrer Abschiebung führt.

Die Ziele der Frontex-Operation wurden vor ein paar Wochen schon deutlich ausgesprochen, als der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europaparlaments neue Regeln für die Seegrenzen herausgab. Diese Regeln sprechen den Grenzagenturen das Recht zu, Schiffe mit Flüchtlingen gewaltsam zu stoppen und zurückzuschicken. Damit wird der völkerrechtliche Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement) verletzt, der Bestandteil der Genfer Flüchtlingskonvention ist und die Rückführung von Personen in Staaten untersagt, in denen ihnen Menschenrechtsverletzungen drohen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 17.09.2014
Über 700 Schiffbrüchige im Mittelmeer ertrunken
Viele sind Kriegsflüchtlinge aus dem Nahen Osten
http://www.wsws.org/de/articles/2014/09/17/mitt-s17.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2014