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GLEICHHEIT/5381: Rubel verliert aufgrund von wachsenden sozialen und politischen Spannungen stark an Wert


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Russland:
Rubel verliert aufgrund von wachsenden sozialen und politischen Spannungen stark an Wert

Von Andrea Peters
18. Dezember 2014



Der russische Rubel ist diese Woche auf einen historischen Tiefstand im Vergleich zum Dollar und dem Euro gesunken. Analysten und Regierungsvertreter sprechen von der schlimmsten Krise entweder seit 2008-2009 oder dem russischen Staatsbankrott 1998. Der Wechselkurs für die Landeswährung ging am Dienstag auf bis zu 80 Rubel für einen Dollar und 100 Rubel für einen Euro herunter - ein Wertverlust von zehn Prozent an einem einzigen Tag.

Die Versuche der Zentralbank am Dienstag, den Rückgang einzudämmen, sind gescheitert. Nachdem sie die Zinssätze von 10,5 auf siebzehn Prozent erhöht hatte, gewann der Rubel kurzzeitig einen Teil seines Wertes zurück, setzte jedoch seine Abwärtsspirale fort. Einige Experten behaupten, die dramatischen Schritte der Zentralbank hätten die Lage nur verschlimmert, indem sie ein Gefühl von Panik ausgelöst hätten.

Am Dienstag versuchten die USA, die Krise des Rubel durch die Ankündigung des Weißen Hauses zu verschärfen, laut der Präsident Obama bis Ende der Woche einen Gesetzentwurf unterzeichnen werde, der ihn dazu ermächtigt, härtere Wirtschaftssanktionen gegen Moskau zu verhängen und der Ukraine "tödliche" Militärhilfe zu liefern.

Letzten Monat gab die Zentralbank den Rubel in der Hoffnung frei, dass dies die Situation stabilisieren würde.

Russlands Wirtschaft wird gleichzeitig von den Auswirkungen der westlichen Sanktionen wegen des Ukraine-Konfliktes und vom Niedergang des weltweiten Ölpreises getroffen, auf dem die Wirtschaft des Landes basiert. Die russische Regierung ging bei der Planung ihres Haushalts von einem Ölpreis von nicht weniger als 90 Dollar pro Barrel aus, momentan liegt der Rohölpreis jedoch bei weniger als 60 Dollar pro Barrel.

Investoren ziehen rapide ihr Kapital aus Russland ab. Im vierten Quartal des Jahres hat die Kapitalflucht laut Angaben der Zentralbank 49 Milliarden Dollar überschritten. Für das Gesamtjahr 2014 wird mit einer Kapitalflucht von 134 Milliarden Dollar gerechnet, mehr als doppelt so viel wie im letzten Jahr.

Sergeij Schwezow, der erste stellvertretende Gouverneur der Bank von Russland, erklärte am Dienstag bei einem runden Tisch zum Thema Finanzmärkte: "Die Lage ist ernst. Glauben Sie mir, die Direktoren der Zentralbank mussten sich zwischen einer sehr schlechten und einer noch schlechteren Alternative entscheiden." Er deutete an, dass sie weitere Versuche unternehmen werde, die Finanzlage zu stabilisieren.

Die Abwertung des Rubels geht mit einer starken Erhöhung der Inflation einher. Laut der staatlichen Statistikbehörde Rosstat sind die Preise seit Beginn des Jahres um 8,9 Prozent gestiegen. Der Vorsitzende der Moskauer Handels- und Dienstleistungsbehörde sagte der staatlichen Nachrichtenagentur Interfax, in Moskau, einer der teuersten Städte der Welt, sei der Warenkorb der grundlegenden Güter im Vergleich zum letzten Jahr um zehn Prozent teurer geworden.

Vor allem die Lebensmittelpreise sind seit Anfang 2014 stark um zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent angestiegen. Nachrichtenagenturen sagen einen weiteren Anstieg um fünfzehn Prozent im neuen Jahr voraus.

Die Preise für Lebensmittel aus dem In- und Ausland steigen, da russische Produzenten für die Herstellung ihrer Produkte oft Materialien aus dem Ausland brauchen, die mit Dollar und Euro bezahlt werden. Die Allrussische Vereinigung kleiner und mittelständischer Unternehmen (OPORA) hat an das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung appelliert, in Läden und Regierungsverträgen Bezahlung in Euro zu erlauben und betonte, die Unternehmen würden ohne eine solche Änderung hohe Verluste erleiden.

Vizepremierminister Olga Golodez erklärte in einem Interview mit ITAR-TASS, die Reallöhne würden unter der Inflation leiden und die Armut würde steigen. "Zum Jahresende haben wir 15,7 Millionen Arme. Angesichts der Inflation wird diese Zahl jedoch unweigerlich steigen, vor allem unter Familien mit Kindern", erklärte Golodez und wies darauf hin, dass Haushalte mit Kindern von achtzehn Monaten bis drei Jahren am meisten bedroht seien.

"Alle sind aufgeregt, weil sie verstehen, dass die Entwertung des Rubel die Bevölkerung betrifft und eine soziale Explosion auslösen könnte," erklärt ein Regierungsbürokrat in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Forbes.

Die Vorhersagen für Russlands wirtschaftliche Aussichten im nächsten Jahr verschlechtern sich weiter. Die Regierung hatte für das dritte Quartal dieses Jahres zunächst ein Wachstum von 0,7 Prozent vorgesehen, für das erste Quartal 2015 rechnet sie mit einem Rückgang von 0,8 Prozent. Wie das russische Onlinemedium RBK meldet, schätzt die Bank von Russland jetzt, dass das russische Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2015 um 4,5 bis 4,8 Prozent sinken wird, wenn der Ölpreis bei 60 Dollar pro Barrel bleibt. Am 15. Dezember erklärte der Energieminister der Vereinigten Arabische Emirate, der Ölpreis könnte auf 40 Dollar pro Barrel sinken.

Am Dienstag berief der russische Premierminister Dmitri Medwedew ein Treffen zwischen dem Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und dem Finanzministerium sowie der Zentralbank ein, um eine Reihe von "Anti-Krisen-Maßnahmen" auszuarbeiten. Es wurden noch keine Details bekanntgegeben.

Zwei Vertreter des Finanzministeriums deuteten gegenüber Forbes an, dass bisher noch keine Klarheit darüber herrscht, was die Regierung zu tun vorhat. Finanzminister Anton Siluanow erklärte, sein Ministerium erwäge nicht die Einführung von Währungskontrollen.

Es wird darüber spekuliert, ob der Kreml ein ähnliches Rettungspaket wie 2008-2009 vorbereitet - damals rettete er den Finanzsektor und andere Segmente des Großkapitals mit riesigen Geldspritzen. Laut Forbes erklärte ein Funktionär, die Regierung habe im Haushaltsplan für 2015 Gelder im Gegenwert von 160 Milliarden Dollar für staatliche Eingriffe in die Wirtschaft und zum Leihen von Geld von diversen staatlichen Finanzinstitutionen bereitgestellt.

Der Minister für wirtschaftliche Entwicklung Alexej Uljukajew erklärte rückblickend, die Zentralbank hätte die Zinsen früher erhöhen sollen. Das sind Anzeichen für entstehende Spannungen innerhalb der Regierung. Er fügte hinzu: "Es ist sehr wichtig, dass die Bank von Russland und die Regierung gemeinsam handeln."

Der russische Ölkonzern Rosneft, der von dem Kreml-Insider Igor Setschin geleitet wird, der enge Beziehungen zu Präsident Wladimir Putin hat, wurde beschuldigt, Mitverantwortung für die Krise zu tragen. Letzte Woche überflutete das Unternehmen den Markt mit Anleihen im Wert von 625 Milliarden Rubel. Setschin wies Vorwürfe, Rosneft würde die russische Wirtschaft schwächen, als "Provokation" zurück.

Obwohl die herrschende Elite Russlands verzweifelt versucht, einen Ausweg aus der unmittelbaren Situtation zu finden, wächst die Erkenntnis, dass die wirtschaftliche Katastrophe, die das Land ergreift, das Ergebnis der eskalierenden geopolitischen Konfrontation mit dem Westen und vor allem den Vereinigten Staaten ist. Der Direktor der Analyseabteilung des Investmentunternehmens REGION sagte der Zeitung RIA Nowosti, dass die Entwertung des Rubel eng mit Spekulationsangriffen auf die Währung von "Nichteinwohnern" zusammenhänge, sodass der Einsatz der Zinssätze zur Bewältigung der Krise durch die Zentralbank wirkungslos werde.

Ein Regierungsinsider beschrieb die Stimmung in der Regierung in einem Interview mit Forbes als nahe an Panik und deutete an, dass der Zerfall der russischen Wirtschaft mit Versuchen des Westens einhergehe, in Russland einen Regimewechsel herbeizuführen. "Alle verstehen, dass die derzeitige Wirtschaftskrise eine Folge der politischen Krise wegen Putins Rückkehr in den Kreml ist. Das bedeutet, keine finanziellen oder wirtschaftlichen Maßnahmen gegen die Krise werden die Lage ändern," erklärte er.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 18.12.2014
Russland:
Rubel verliert aufgrund von wachsenden sozialen und politischen Spannungen stark an Wert
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2014


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