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GLEICHHEIT/5428: Nato verdoppelt Streitkräfte in Osteuropa


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Nato verdoppelt Streitkräfte in Osteuropa

Von Johannes Stern
6. Februar 2015


Auf ihrem gestrigen Treffen im Nato-Hauptquartier in Brüssel beschlossen die Verteidigungsminister des Militärbündnisses die massive Aufrüstung ihrer Streitkräfte in Osteuropa. Die Entscheidung kommt einer Kriegserklärung an Russland gleich. Die imperialistischen Mächte massieren ihre Truppen und verfolgen das Ziel, Russland in die Knie zu zwingen. Sie setzen ihre geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen in Osteuropa und Asien zunehmend militärisch durch.

Die schnelle Eingreiftruppe der Nato (NRF), die aus Land-, Luft-, See- und Spezialkräften besteht, wird künftig etwa 30.000 Soldaten umfassen. Damit wird die Größe der Truppe (bislang rund 13.000 Soldaten) mehr als verdoppelt. Davon werden innerhalb eines Jahres 5000 Soldaten zu einer besonders schnell einsatzbereiten Spezialeinheit ausgebildet. Diese "Speerspitze" soll im Ernstfall binnen 48 Stunden einsatzbereit sein, die gesamte NFR innerhalb einer Woche.

Des Weiteren beschlossen die Nato-Verteidigungsminister die Einrichtung und Stationierung von sechs so genannten Kommando- und Kontrolleinheiten in den drei baltischen Staaten, sowie in Polen, Rumänien und Bulgarien. Die Stabszellen sind laut Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg "wichtige Einheiten", da sie "Übungen planen und vorbereiten und eine Schlüsselrolle dabei spielen, die nationalen Verteidigungskräfte mit verstärkenden Streitkräften der Nato zu verbinden".

Zusätzlich soll das multinationale Korps Nord-Ost im polnischen Stettin, das als Hauptquartier der Nato in Osteuropa fungiert, weiter ausgebaut werden. Ähnliche Zentren sollen im Südosten Osteuropas entstehen.

Stoltenberg lies keinen Zweifel daran, dass die Maßnahmen direkt gegen Russland gerichtet sind. Er bezeichnete die Maßnahmen als "die größte Aufrüstung der Nato seit dem Ende des Kalten Krieges".

Auf einer Pressekonferenz erklärte er: "Alles was wir zu unserer eigenen kollektiven Verteidigung tun, indem wir die schnelle Eingreiftruppe und die Speerspitze einrichten, ... ist eine Antwort auf das, was wir von Russland seit geraumer Zeit sehen. Es steht in voller Übereinstimmung mit unseren internationalen Verpflichtungen. Wir antworten damit auf das aggressive Vorgehen Russlands, das internationales Recht bricht und die Krim annektiert hat."

Deutschland, das im Zweiten Weltkrieg die Sowjetunion überfallen und einen brutalen Vernichtungskrieg in Osteuropa geführt hat, spielt eine zentrale Rolle in der Nato-Offensive. Ein Artikel in der Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) unter dem provokativen Titel "Deutsche an die Front!" dokumentiert, wie die Bundesregierung hinter dem Rücken der Bevölkerung die Aufrüstung der Bundeswehr in Osteuropa vorantreibt.

Das deutsch-niederländische Korps in Münster, das seit Mitte Januar die Landstreitkräfte der NRF anführt, wird nun ebenfalls die Führung der schnellen Eingreiftruppe übernehmen. Den Kern der "Speerspitze" bildet dabei eine Luftlandebrigade der niederländischen Armee mit etwa 3000 Mann. Die Bundeswehr stellt ein Panzergrenadierbataillon aus Marienburg in Sachsen mit 900 Soldaten, und Norwegen schickt zügig und flexibel einsetzbare Artillerie. Hinzu kommen 450 Soldaten aus dem multinationalen Hauptquartier des Korps.

Außerdem wird die Bundeswehr ihre Truppen in Stettin verdoppeln. Von dort sollen im Fall einer russischen Aggression gegen ein Nato-Mitglied bis zu 60.000 Soldaten kommandiert werden. Mit dem zusätzlichen Personal sollen die dort stationierten Truppen in die Lage versetzt werden, im Ernstfall schneller zu reagieren.

Von April an soll eine Kompanie deutscher Fallschirmjäger amerikanische Einheiten ergänzen, die bereits seit dem letzten Jahr in Osteuropa stationiert sind. Sie sollen nacheinander in Polen, Litauen und Lettland eingesetzt werden. Ab September wird sich auch die deutsche Luftwaffe wieder an der Luftraumüberwachung im Baltikum beteiligen. Bereits im letzten Jahr hatte Deutschland Eurofighter in die baltischen Statten geschickt. Sie wurden allerdings mit Jahresbeginn zunächst abgelöst.

Der Autor des F.A.Z.-Artikels, Thomas Gutschker, der als ehemaliger Journalist bei der Bundeswehr über beste Verbindungen zum Militär verfügt, gibt einen Eindruck davon, wie weit die konkreten Kriegsvorbereitungen der Nato bereits vorangeschritten sind. Er beschreibt das militärische Planungskonzept zur Führung der schnellen Eingreiftruppe, über das sich die Nato-Verteidigungsminister in Brüssel verständigt hätten:

"Der Nato-Oberbefehlshaber alarmiert die schnelle Eingreiftruppe. Die Truppenteile sammeln sich dann an einem gemeinsamen Ort, von dort werden sie in das Einsatzgebiet gebracht. Das erleichtert die Abstimmung und schafft Zeit für politische Beratungen, sowohl im Nordatlantikrat als auch in den Hauptstädten. In Deutschland müsste der Bundestag zusammenkommen. Falls Gefahr im Verzug ist, könnte die Bundesregierung auch im Alleingang Truppen entsenden. Der Bundestag hätte dann ein Rückholrecht."

Der Artikel beschreibt die logistischen Herausforderungen, mit der die Bundeswehr konfrontiert ist. Sie habe seit ihrem Einsatz in Afghanistan zwar "Erfahrung mit der Verlegung von Truppen und schwerem Gerät". Doch nun "soll alles rasend schnell gehen und es stellen sich neue Fragen: Hat die Bahn genug Flachwagen, um Schützenpanzer zu transportieren? Oder ist es einfacher, ein Schiff zu chartern, das gleichzeitig be- und entladen werden kann? Für die ganz schnellen Kräfte werden Flugzeuge gebraucht, die nur die Amerikaner haben. Im Sommer ist eine große Verlegeübung geplant, der zweite Nato-Test."

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nannte die Entscheidungen der Nato ein "Zeichen der Geschlossenheit und der Entschlossenheit" und "wichtig für die innere Stärke der Nato". In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (SZ) sang sie ein Loblied auf die schnelle Eingreiftruppe unter deutscher Führung, die "innerhalb einer Handvoll von Tagen einsatzfähig ist", und pries die Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Außenpolitik.

Wenn sie das vergangene Jahr Revue passieren lasse, dann habe Deutschland "an den großen Krisenherden verlässlich Verantwortung übernommen: sowohl im Ukraine-Russland-Konflikt als auch im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat, in Afrika, in Afghanistan. Das Gleiche gilt für unseren erheblichen Beitrag zur inneren Stärke der Nato. Wir haben das Handeln des Westens mitgeprägt, diplomatisch und militärisch. Das ist Verantwortung."

In Wirklichkeit ist die Außenpolitik der Bundesregierung und des Westens unverantwortlich, extrem rücksichtslos und gefährlich. Anfang 2014 hatten Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und von der Leyen auf der Münchner Sicherheitskonferenz das Ende der außenpolitischen Zurückhaltung Deutschlands verkündet. Nur wenige Wochen später organisierte die Bundesregierung in enger Zusammenarbeit mit Washington und gestützt auf extrem rechte und faschistische Kräfte einen Putsch in der Ukraine, um dort ein pro-westliches Regime zu installieren und Russland weiter einzukreisen. Ein Jahr später droht der vom Westen provozierte Konflikt in der Ukraine zu eskalieren und zum offenen Krieg mit der Atommacht Russland zu führen.

Parallel zum Nato-Treffen in Brüssel traf der amerikanische Außenminister John Kerry in Kiew ein, um dem ukrainischen Regime, das einen brutalen Bürgerkrieg gegen die Bevölkerung im Osten der Ukraine führt, seine Unterstützung zu versichern. Die USA würden "nicht die Augen verschließen, während russische Panzer und Kämpfer die Grenze überqueren", erklärte Kerry nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko.

Russland warnte die USA unterdessen vor der Aufrüstung der ukrainischen Regierungstruppen gegen die pro-russischen Separatisten im Osten der Ukraine. Die von den USA Anfang der Woche ins Spiel gebrachte Lieferung tödlicher Waffen an Kiew könnte "den russisch-amerikanischen Beziehungen kolossalen Schaden" zufügen, sagte der Sprecher des russischen Außenamts Alexander Lukaschewitsch.

Die europäischen Mächte, die sich Anfang der Woche gegen Waffenlieferungen aussprachen, versuchen den diplomatischen Druck auf Moskau zu erhöhen. Am Abend brachen der französische Präsident François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem Blitztrip nach Kiew und Moskau auf, um zunächst Poroschenko und dann am heutigen Freitag den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu treffen.

Vor seiner Abreise erklärte Hollande, ein Übereinkommen von Putin und Poroschenko könne eine Eskalation möglicherweise noch verhindern. "Die Option der Diplomatie kann nicht unendlich verlängert werden", warnte er. Dann fügte er mit einer Mischung aus apokalyptischem Pathos und morbidem Zynismus hinzu: "Wenn wir scheitern, kann man sagen, dass Frankreich und Deutschland als Europäer und Freunde der Ukraine und Russland alles angeboten haben, was zwei große Nationen machen konnten."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 06.02.2015
Nato verdoppelt Streitkräfte in Osteuropa
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2015

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