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GLEICHHEIT/5547: Drohender Staatsbankrott in Griechenland - Tsipras legt Reformplan vor


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Drohender Staatsbankrott in Griechenland: Tsipras legt Reformplan vor

Von Robert Stevens
3. Juni 2015


Am Montagabend trafen Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Francois Hollande und der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker mit dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi und der Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) Christine Lagarde in Berlin zusammen und berieten über die Krise in Griechenland.

Am vorangegangenem Abend hatten Merkel, Hollande und der griechische Premierminister Alexis Tsipras bei einer Telefonkonferenz miteinander gesprochen. Die Verhandlungen über Griechenlands Staatsschulden und das Sparprogramm dauern bereits seit fünf Monaten an. In den Tagen vor dem Treffen waren die jüngsten "technischen" Verhandlungen zwischen Athen und Vertretern der Troika aus Europäischer Kommission, EZB und IWF gescheitert.

Zu Beginn der Verhandlungen am Montagabend häuften sich Spekulationen darüber, dass jetzt das "Finale" erreicht sei. Die britische Tageszeitung Guardian schrieb: "Gerüchten zufolge wird man Athen ein allerletztes Angebot machen." Bei dem Treffen kam es zu keiner Einigung. Das Bundeskanzleramt veröffentlichte eine Stellungnahme, laut der sie sich darauf verständigt hätten, dass "nun mit großer Intensität weitergearbeitet werden müsse."

Der griechische Staat hat mehr als 300 Milliarden Euro Schulden, und seine Geldmittel sind so gut wie ausgeschöpft. Am Freitag muss Athen 300 Millionen Euro an den IWF auszahlen, in den nächsten zwei Wochen weitere 1,2 Milliarden Euro. Das Sparprogramm läuft am 30. Juni aus. Wenn in dieser Woche keine Einigung erzielt würde, so einige Regierungsvertreter, sei endgültig Schluss. Eine Bereitstellung weiterer Gelder für Griechenland müsste von den Parlamenten mehrerer Länder genehmigt werden, unter anderem von Deutschland. Dafür würde die Zeit nicht reichen.

Griechenland wartet noch immer auf die Auszahlung der letzten Kredittranche der Troika in Höhe von 7,2 Milliarden Euro. Als Bedingung für die Auszahlung hatte die Troika die Umsetzung des letzten Spardiktates gefordert, das noch von der Vorgängerregierung aus Nea Dimokratia und PASOK ausgehandelt und von Syriza im Februar akzeptiert worden war. Die Troika verweigert Griechenland seit letztem August jegliche Zahlung. Da Syriza noch keinen Weg gefunden hat, die verlangten massiven Sparmaßnahmen umzusetzen, hat sie kein weiteres Geld erhalten.

Griechenlands Banken verlieren in wachsendem Tempo Milliarden Euro an Kapitaleinlagen. Letzte Woche wurden in nur zwei Tagen Einlagen in Höhe von mehr als 800 Millionen Euro abgezogen. Seit dem Wahlkampf im Dezember wurden 31 Milliarden Euro (18,8 Prozent der Gesamteinlagen) abgehoben, so dass die Gesamtsumme der privaten Einlagen derzeit so niedrig ist wie zuletzt 2004. Der britische Economist kommentierte den prekären Zustand der Banken: "Die Lage der griechischen Banken ist fast so untragbar wie die der Regierung; die Frage ist nur, wer von beiden als erstes einknicken wird."

Juncker, der vor kurzem auf eine Einigung mit Griechenland gedrängt hatte, um Athen mehr Zeit zur Umsetzung der Sparmaßnahmen zu verschaffen, erklärte am Montag in der Süddeutschen Zeitung: "Diese Vorstellung, dass wir weniger Sorgen und Zwänge haben, wenn Griechenland den Euro abgibt, teile ich nicht." Er warnte, wenn ein Land aus dem Euro austreten sollte, "würde sich die Idee in den Köpfen festsetzen, dass der Euro eben nicht irreversibel ist."

Unter dem Eindruck der zunehmenden wirtschaftlichen und sozialen Spannungen und der politischen Instabilität in Europa fürchtet ein Teil der herrschenden Elite, zu dem Juncker gehört, einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Doch gleichzeitig fordern zahlreiche Stimmen die vollständige Kapitulation Athens. Sollten die Gespräche zwischen Merkel, Hollande und Juncker tatsächlich zu einer Einigung führen, dann würde das Abkommen nur die Bedingungen festlegen, zu denen Syriza die Waffen streckt.

Obwohl die griechische Regierung noch vor wenigen Tagen behauptet hatte, sie stehe kurz vor einer Einigung, erklärte Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag der Presse, Athen müsse einem "umfangreichen Reformpaket" zustimmen.

Der Sprecher des Bundesfinanzministeriums Martin Jäger erklärte, das Ziel dieser einzelnen Maßnahmen sei es, Griechenlands Schuldensituation wieder tragfähig zu machen.

Zuvor hatte die französische Zeitung Le Monde am Montag einen Artikel von Tsipras veröffentlicht, in dem er beklagte: "Dass bisher noch keine Einigung zustande gekommen ist, liegt nicht an der angeblich unnachgiebigen, kompromisslosen und unverständlichen Haltung Griechenlands."

Der Grund für die Verzögerung sei vielmehr "das Beharren gewisser institutioneller Akteure auf absurden Vorschlägen und deren völlige Gleichgültigkeit gegenüber der jüngsten demokratischen Entscheidung der griechischen Bevölkerung."

Diese Erklärung entlarvt Syrizas bankrotte Perspektive. Nachdem sich die Mehrheit der griechischen Bevölkerung bei der Wahl im Januar gegen den Sparkurs ausgesprochen hatte, behauptete Syriza, es sei möglich, mit der Troika eine einvernehmliche Einigung über Griechenlands Schulden auszuhandeln und so Athens Verbleib in der Eurozone zu sichern.

Wie Tsipras erklärte, wolle Syriza Schluss mit den ganzen Szenarien machen, welche "die langfristige Stabilisierung der europäischen Wirtschaft verhindern und jederzeit das Vertrauen sowohl der Bürger als auch der Investoren in unsere gemeinsame Währung schwächen können."

Griechenland habe "seinen Willen gezeigt, seinen Verpflichtungen gegenüber anderen Ländern nachzukommen und deshalb seit August 2014 mehr als siebzehn Milliarden Euro (etwa zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts) für Zinsen und Abschreibungen gezahlt, ohne jegliche externe Finanzierung."

Man sollte hinzufügen, dass Syriza den Großteil dieser Summe, mehr als dreizehn Milliarden Euro, an die Troika und die internationalen Banken gezahlt hat.

Syriza hatte Vorschläge eingereicht, um "eine Einigung zu erzielen, die einerseits das Mandat der griechischen Bevölkerung und andererseits die Regeln und Beschlüsse der Eurozone respektiert."

Auf dieser Grundlage, so Tsipras, "haben wir auch sehr detaillierte und konkrete Pläne" im Laufe der Verhandlungen angeboten, "die eine Brücke zwischen unseren unterschiedlichen Positionen schlagen konnten, die noch vor einigen Monaten weit auseinander lagen."

Unter anderem hätten die Pläne Zugeständnisse bei Rentenansprüchen, Privatisierungen und der Mehrwertsteuer gemacht. Syriza plane "Regelungen abzuschaffen, die eine ungerechtfertigte Frühverrentung erlauben und auf diesem Weg das reale Rentenalter erhöhen." Im Bezug auf Tarifverhandlungen fordere Syriza "nicht mehr als das, was in allen Staaten der Eurozone übliche Praxis ist."

Tsipras widerlegte seine eigenen Behauptungen, indem er erklärte, dass die Eurozone, "und damit die ganze EU" bereits dabei sei "auseinanderzubrechen und sich zu spalten."

Über die Entwicklung in Griechenland seit 2010 erklärte er: "Der erste Schritt in diese Richtung ist es, in der Eurozone ein Modell der zwei Geschwindigkeiten aufzubauen, in dem der 'Kern' strenge Regeln bezüglich Austerität und Anpassungsmaßnahmen setzt und einen 'Superfinanzminister' der EZ [Eurozone] mit unbegrenzten Befugnissen ernennt, der sogar befugt ist, die Haushaltspläne souveräner Staaten abzulehnen, die sich nicht den Doktrinen des extremen Neoliberalismus fügen."

Wenn es so weitergehe, "müssten in diesen Ländern [die Sparprogrammen unterworfen sind] die Wahlen abgeschafft werden. Dann müssten wir nämlich akzeptieren, dass Minister und Premierminister von den Institutionen ernannt werden und den Bürgern solange das Wahlrecht aberkennt wird, bis das Programm umgesetzt ist."

Dies bedeute, führt Tsipras aus, "die vollständige Abschaffung der Demokratie in Europa, das Ende jedes Anscheins von Demokratie und der Beginn einer nicht hinzunehmenden Spaltung und Desintegration des vereinten Europas."

Jedem, der diesen Kurs ablehnt, werden "harte Strafen" drohen. "Die Pflicht zur Austerität. Und, noch schlimmer, noch mehr Einschränkungen des Kapitalflusses, Disziplinarstrafen, Bußgelder und sogar eine Parallelwährung. Angesichts der derzeitigen Umstände hat es den Anschein, als würde diese neue europäische Macht aufgebaut werden, und Griechenland ist ihr erstes Opfer."

Syriza repräsentiert Teile der griechischen herrschenden Elite und besser gestellter Schichten des Kleinbürgertums. Sie lehnt es entschieden ab, die Arbeiterklasse in Griechenland, Europa und weltweit in einem Kampf für den Sturz des Kapitalismus auf der Grundlage einer sozialistischen Perspektive zu mobilisieren.

Stattdessen schlägt Tsipras vor, dass ihm Merkel, Hollande und alle anderen Befürworter der Sparpolitik in Europa zu Hilfe kommen! Er bekennt sich offen zu Syrizas prokapitalistischer Orientierung: "Nach den weitgehenden Zugeständnissen der griechischen Regierung liegt die Entscheidung jetzt nicht in den Händen der Institutionen, die - mit Ausnahme der Europäischen Kommission - nicht von der Bevölkerung gewählt und ihr keine Rechenschaft schuldig sind, sondern in den Händen der europäischen Regierungschefs." [Hervorhebung hinzugefügt]

Die Europäische Kommission reagierte auf Tsipras' verzweifelte Bitten nur mit einer brüsken Stellungnahme von Junckers Sprecherin Mina Andreeva: "Konkrete Reformvorschläge sind wichtiger als Kolumnen."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 03.06.2015
Drohender Staatsbankrott in Griechenland: Tsipras legt Reformplan vor
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2015

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