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GLEICHHEIT/5742: Bundesregierung beschließt Teilnahme am Syrienkrieg


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Bundesregierung beschließt Teilnahme am Syrienkrieg

Von Ulrich Rippert
2. Dezember 2015


Gestern Morgen beschloss das Bundeskabinett, sich am Krieg in Syrien zu beteiligen. Es handelt sich um einen Kampfeinsatz. Daran ließen Kanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen keinen Zweifel.

Die Bundeswehr werde mit sechs Aufklärungstornados, Luftbetankung, einer Fregatte und "in Hauptquartieren eingesetztem Stabspersonal von bis zu 1.200 Soldaten" in Syrien eingreifen, heißt es im Kabinettsbeschluss. Alleine im kommenden Jahr werden für diesen größten aktuellen Auslandseinsatz der Bundeswehr 134 Millionen Euro veranschlagt.

Nie zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde ein Bundeswehreinsatz in so kurzer Zeit geplant und ohne jegliche ernsthafte Diskussion durch die parlamentarischen Gremien gepeitscht. Weder die Bundestagsfraktionen, noch der Auswärtige Ausschuss des Bundestags oder der Verteidigungsausschuss konnten sich bisher mit dem Thema gebührend befassen. Trotzdem findet bereits heute Mittag die erste Beratung im Bundestag statt. Die zweite und dritte Lesung sollen bereits am Freitagmorgen stattfinden.

Die Bundesregierung nutzt ihre Mehrheit im Parlament, um die Kriegsentscheidung in großer Eile durchzuboxen und jede Diskussion über Auswirkungen und Konsequenzen zu unterdrücken. Die Bevölkerung soll überrascht und vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Das Vorgehen der Regierung im Bündnis mit der Militärführung und einem Teil der Medien nimmt die Form einer regelrechten Verschwörung an.

Begründet wird diese Kriegsbeteiligung mit den Terroranschlägen von Paris vor knapp drei Wochen. Frankreich habe die deutsche Regierung um militärischen Beistand gebeten und es sei ein "Akt gelebter Solidarität" (Merkel), diesem Wunsch nach Unterstützung nachzukommen.

Die SPD in der Regierung unterstützt die Kriegspolitik und treibt sie maßgeblich voran. Kurz vor der Kabinettsentscheidung sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier der Bild-Zeitung: "Wir tun das, was militärisch gebraucht wird, wir am besten können und politisch verantworten können." Der Außenminister betonte, dass der Einsatz durchaus länger dauern könnte, als bisher geplant sei. "Gegen einen Gegner wie IS brauchen wir langen Atem." Bis die Terrormiliz besiegt sei, sei "noch eine gehörige Wegstrecke zu gehen", erklärte Steinmeier.

Gleichzeitig versuchte er zu beschwichtigen. Die im Syrien-Mandat der Bundesregierung genannte Zahl von 1.200 Soldaten bezeichnete Steinmeier gegenüber der Bild-Zeitung als "Obergrenze mit einem gehörigen Sicherheitspuffer". Er sagte: "Ich denke nicht, dass wir so viele Soldaten gleichzeitig im Ausland haben werden, und über den vom IS beherrschten Gebieten sowieso nur die Piloten unserer 'Tornados'."

Die Bundesregierung handle verantwortungsbewusst und sei Teil der Anti-IS-Koalition, die ein gemeinsames Ziel verfolge, erklärte Steinmeier und fügte hinzu: "Wir alle wollen den völligen Zusammenbruch des syrischen Staatswesens verhindern."

Genau das stimmt nicht. Die sogenannte Anti-IS-Koalition verfolgt höchst unterschiedliche und teils gegensätzliche Ziele, und die Bundesregierung handelt in höchstem Maße unverantwortlich. Bereits jetzt ist absehbar, dass die Entsendung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen nur den Anfang bildet. Die Kriegsbeteiligung hat eine unerbittliche Logik. Schon bald werden Forderungen nach stärkerem und umfassenderem Eingreifen folgen, bis hin zum Einsatz von Bodentruppen.

Anlässlich des 100. Jahrestags des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs wurde im vergangenen Jahr viel über den Balkan geschrieben, der damals zum Brennpunkt internationaler Konflikte und Interessengegensätze geworden war. Heute entwickelt sich im Nahen Osten eine vergleichbare Situation. In einer hochexplosiven Gemengelage wird in Syrien seit mehr als drei Jahren ein "Stellvertreterkrieg" geführt, der sich sehr schnell zu einem heißen Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und Russland entwickeln kann.

Unter der Überschrift "Das deutsche Dilemma" schrieb das Handelsblatt in der vergangenen Woche, die Situation in Syrien sei völlig unübersichtlich und von "gefährlichen Muskelspielen" geprägt: "Türkei gegen Kurden und Russland, Russland gegen IS, aber auch gegen andere Herausforderer des syrischen Diktators Baschar al-Assad, Frankreich gegen IS und Assad, der IS gegen alle - die Lage in Syrien ist vertrackt. Deutschland hat dabei das Sonderproblem, dem engsten Partner Frankreich helfen zu wollen, aber nicht jede Eskalation des sich als 'Kriegspräsident' gebenden Präsidenten François Hollande mitmachen zu können."

Aber auch innerhalb der deutschen Regierungsparteien und der herrschenden Elite gibt es deutliche Konflikte. Zu einer möglichen Allianz mit der syrischen Armee sagte Außenminister Steinmeier: "Keiner in der Bundesregierung vergisst die furchtbaren Verbrechen, für die Assad Verantwortung trägt. Richtig ist aber auch: Solange sich die syrischen Bürgerkriegsparteien nur untereinander bekriegen und abnutzen, bleibt der IS der lachende Dritte". Ähnlich argumentiert Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Es gäbe Teile der syrischen Regierungsarmee "mit denen man zusammenarbeiten könne und müsse".

Dem widersprach der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU). Er lehnt eine Beteiligung der syrischen Regierungstruppen am Anti-IS-Kampf ab. "Mit den Truppen Assads kann es sicher keine militärische Kooperation geben", sagte Röttgen der Passauer Neuen Presse. Er fügte hinzu: "Der IS-Terrorismus darf nicht mit dem syrischen Staatsterrorismus bekämpft werden. Das würde uns jede Glaubwürdigkeit nehmen."

Angesichts des Eilverfahrens, mit dem die Bundesregierung die Kriegsbeteiligung durchsetzt, meldete sich auch der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, André Wüstner, zu Wort und erklärte: "Krieg ist kein Selbstzweck." Die Kriegsziele, die Kriegsstrategie und die Frage der Bündnispartner müssten vorher geklärt sein. Er erwarte einen jahrelangen Kampf gegen den IS, sagte Wüstner: "Ich gehe davon aus, dass dieser Kampf, wenn man ihn ernsthaft betreibt, weit über zehn Jahre andauern wird." Außerdem müsse man davon ausgehen, dass sich der Krieg ausweite. Die Terrormiliz sei nicht nur im Irak und Syrien, sondern in ganz Nordafrika bis Mali präsent.

Der Sprecher des Bundeswehrverbands und andere Kritiker argumentieren nicht gegen eine deutsche Kriegsbeteiligung, sondern fordern die Bundesregierung auf, ihre Entscheidung mit allen Konsequenzen zu treffen und nicht auf halbem Wege stehen zu bleiben. Wüstners Aufforderung, die Lehren aus früheren Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu ziehen, richtet sich vor allem gegen eine weitere Unterordnung unter die amerikanische Dominanz der Nato. Auch dürfe man sich nicht von Frankreich in den Krieg rufen oder zwingen lassen, sondern müsse die eigenen Interessen verfolgen und eigenständig handeln.

Hier wird deutlich, dass das militärische Eingreifen Deutschlands im Nahen Osten seit Jahren vorbereitet wird. Die Anschläge von Paris boten lediglich den willkommenen Anlass, vorhandene Pläne in die Praxis umzusetzen.

Bereits vor zwei Jahren hatten Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen das "Ende der militärischen Zurückhaltung" erklärt. Deutschland sei "zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren", und müsse "bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen".

Diese Wiederkehr von deutscher Großmachtpolitik und Militarismus wird nun in die Praxis umgesetzt, und es gibt keine Bundestagspartei, die dem entgegentritt.

Die Grünen argumentierten sehr ähnlich wie der Bundeswehrverband und fordern eine Gesamtstrategie. Wobei ihre Orientierung stärker auf die Unterstützung der USA im Kampf gegen das Assad-Regime und Russland ausgerichtet ist.

Dietmar Bartsch, der sich als Oppositionsführer im Bundestag bezeichnet, lässt keinen Zweifel daran, dass auch die Linkspartei - trotz ihrer Opposition in Worten - mit dem militärischen Vorgehen gegen den IS übereinstimmt, ihr jedoch die Maßnahmen nicht weit genug gehen. "Wie will man die Unterstützung der sunnitischen Stämme für den IS endlich brechen? Was passiert, damit die Waffenströme, die Geldströme, aber auch die Ströme von neuen Kämpfern endlich eingedämmt werden? Wie wird der Ölhandel ernsthaft gestoppt?", fragte er provokativ in den Hauptnachrichtensendungen am Mittwochabend in der ARD und im ZDF.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 02.12.2015
Bundesregierung beschließt Teilnahme am Syrienkrieg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2015

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