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GLEICHHEIT/6225: Nein zum Schlichterspruch im hessischen Busfahrerstreik!


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Nein zum Schlichterspruch im hessischen Busfahrerstreik!

Von Marianne Arens
7. Februar 2017


Der Schlichterspruch im hessischen Busfahrerstreik, der seit Freitag 3. Februar vorliegt, muss abgelehnt werden. Er enthält eine Schlichtungsklausel, auf die sich Verdi und der Landesverband Hessischer Omnibusunternehmer (LHO) geeinigt haben und die darauf abzielt, Busfahrer künftig am Streiken zu hindern. Auch beinhaltet der Spruch nur äußerst geringe Lohnzuwächse, und die Busfahrer bleiben Geringverdiener.

Der Spruch, den die Gewerkschaft Verdi jetzt in einer "Mitgliederbefragung" zur Annahme empfiehlt, sieht gerade einmal einen Lohnzuwachs von fünfzig Cent pro Stunde ab dem ersten Februar 2017 vor. Damit verdienen die Fahrer 12,50 Euro die Stunde, rund achtzig Euro mehr als bisher im Brutto-Monatsgehalt. Zwar gibt es einen zusätzlichen Urlaubstag; auch dürfen Kurzpausen von weniger als zehn Minuten nicht mehr abgezogen werden. Aber für die vergangenen neun Monate seit Ende des letzten Tarifvertrags gehen die Busfahrer leer aus.

Auf alle weiteren Zugeständnisse im Schlichterspruch müssen die Fahrer lange warten. Große Teile des Vertrags treten erst in einem Jahr in Kraft. Ab Januar 2018 soll der Stundenlohn auf dreizehn Euro und ab Dezember 2018 dann auf 13,50 Euro steigen. Die Pausenzeiten werden ab Dezember 2017 geringfügig verbessert, wenn von der Schicht eines Tages statt einem Achtel nur noch ein Neuntel als unbezahlte "Wendezeit" abgezogen wird. Nach wie vor rauben die so genannten "gesplitteten Dienste" Zeit und Nerven. Die Fahrer sind oft viel mehr Stunden unterwegs, als sie effektiv bezahlt bekommen.

Viele Vorschusslorbeeren erhält in der Presse jetzt die Ankündigung einer betrieblichen Altersversorgung. Doch auch diese Betriebsrente soll erst ab Dezember 2018 eingeführt werden und ist - ohne konkret vereinbarte Einzelheiten - vorderhand wenig mehr als eine Luftnummer.

Die Laufzeit des Vertrags dauert bis März 2019, was praktisch bedeutet, dass die Busfahrer auf zweieinhalb Jahre hinaus auf Streik verzichten. Hinzu kommt die "Schlichtungsklausel", der beide Parteien zugestimmt haben. Demnach kann eine der beiden Tarifparteien schon nach dem dritten Verhandlungstag die Schlichtung anrufen. Dieser Punkt, den Verdi in ihrem Flugblatt zur Mitgliederbefragung bewusst verschweigt, könnte sich als Zwangsschlichtung herausstellen.

Die Busfahrer müssen diesen Schlichterspruch zurückweisen: Für ein solches Ergebnis haben sie nicht gekämpft. Wenn sie der Empfehlung von Verdi und der Tarifkommission folgen und dem Spruch zustimmen, geben sie ihr wichtigstes Kampfmittel freiwillig aus der Hand: die Möglichkeit, den Arbeitskampf wieder aufzunehmen.

Der Spruch hat die begeisterte Zustimmung der Regierung gefunden. Am Freitag lobte ihn der hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) und erklärte, "besonders erfreulich" sei die Schlichtungsklausel. Damit werde "ein wochenlanger Ausfall des Busverkehrs wie zu Beginn des Jahres hoffentlich in Zukunft verhindert".

Am 31. Januar hatte Al-Wazir den Omnibusunternehmern im Landtag günstigere Konditionen in Aussicht gestellt. Demnach sollen die Kommunen und öffentlichen Auftraggeber künftig die Entwicklung der Personalkosten bei den Busbetrieben berücksichtigen und sogenannte "Preisgleitklauseln" in die Verträge aufnehmen. Janine Wissler (Die Linke) unterstützte dieses Vorhaben ausdrücklich. Es bedeutet, dass die Ticket-Preise erhöht werden und die Fahrgäste bluten sollen.

Der Arbeitskampf der hessischen Busfahrer [1] beinhaltet wichtige Lehren. Als er Anfang Januar begann, hatte ihn die Gewerkschaft auf zwei Tage ausgelegt, um "Dampf abzulassen". Aufgrund der Kampfbereitschaft der Busfahrer musste sie den Streik jedoch immer wieder verlängern, bis er schließlich zwei Wochen dauerte. Die Busfahrer wollten endlich einmal eine grundsätzliche Verbesserung ihrer Bedingungen erkämpfen. Sie erfuhren große Unterstützung und auch Solidaritätsstreiks von andern Fahrern in Darmstadt, Hanau und Gießen.

Um eine wirkliche Verbesserung der Bedingungen zu erreichen, wäre es jedoch notwendig gewesen, den Kampf der Busfahrer mit dem anderer Arbeiter des öffentlichen Dienstes zu vereinen und auszuweiten. Das war sogar naheliegend: Noch während der Busstreik lief, wurden Tarifverhandlungen für 2,2 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst der Länder eröffnet. In Hessen begannen die Verhandlungen für etwa 45.000 Landesbeschäftigte eine Woche später, am 27. Januar.

Ab dem 8. Februar sind Warnstreiks der Angestellten im hessischen Landesdienst angekündigt, und in andern Bundesländern finden schon seit Tagen Warnstreiks der Lehrer, des Klinikpersonals, der Straßenarbeiter [2] und in andern Bereichen statt. Überall sind die Betroffenen wütend und unzufrieden mit ihren Bedingungen.

Für Verdi war die Möglichkeit einer Ausweitung des Streiks ein rotes Tuch: Es ist das Letzte, was die Gewerkschaft will. Sie isoliert alle Konflikte sorgfältig voneinander und würgt jeden Streik ab, bevor der nächste beginnt.

So auch mit dem Busfahrerstreik. Sobald klar wurde, dass er möglicherweise mit den Warnstreiks um den Tarifvertrag des Nahverkehrs (TV-N) zusammenfallen könnte, wobei Busfahrer, Straßenbahn- und U- und S-Bahn-Fahrer gemeinsam gestreikt hätten, erklärte Verdi-Verhandlungsführer Jochen Koppel (der auch im Aufsichtsrat der Frankfurter Verkehrsgesellschaft VGF sitzt): "So wurde uns klar, dass nur noch der Weg der Schlichtung bleibt."

Verdi vertritt nicht die Interessen ihrer Mitglieder, sondern agiert als Dienstleitungsunternehmen für die öffentlichen und privaten Arbeitgeber. Sie hilft ihnen, den Widerstand gegen die sozialen Angriffe unter Kontrolle zu halten. Das hat sich in dieser Schlichtung deutlich gezeigt.

Beide Schlichter gehören einer Schicht von hochbezahlten Berufspolitikern, Gewerkschafts- und Verbandsfunktionären an, die für den Umbau des öffentlichen Dienstes verantwortlich sind. Volker Sparmann, der Schlichter der LHO, war Gründer und langjähriger Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbunds GmbH (RMV) und ist heute "Mobilitätsbeauftragter der hessischen Landesregierung" im Verkehrsministerium. Er sitzt auch im Aufsichtsrat der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG). Verdi-Schlichter Rudolf Hausmann ist seit dreißig Jahren SPD-Politiker, Gewerkschaftsfunktionär und zuletzt Verdi-Verkehrsexperte.

Die Verdi-Funktionäre werden auch künftig Hand in Hand mit dem Unternehmerverband LHO, der Regierung und den Kommunen zusammenarbeiten. So sagte der Verdi-Vertreter Ronald Laubrock der Presse am Freitag, die Verhandlungen seien keineswegs beendet, sondern dies sei erst der Anfang eines Prozesses. Er sei überzeugt, "dass wir einen tollen Weg beschreiten werden".

Voll bestätigt hat sich die Erklärung "Unterstützt den Streik der hessischen Busfahrer" [3] der Partei für Soziale Gleichheit, in der es heißt: "Die Busfahrer sind nicht nur mit dem Arbeitgeber LHO konfrontiert ... Ein viel größeres Problem sind die Gewerkschaft Verdi und die Parteien, mit denen sie eng verbunden ist: die SPD, die Linke und die Grünen. Die Verwandlung des öffentlichen Diensts in einen Niedriglohnsektor wäre ohne ihre tatkräftige Unterstützung nicht möglich gewesen. Und jetzt sehen sie ihre Aufgabe darin, jeden Widerstand dagegen aufzufangen, zu isolieren und abzuwürgen."


Anmerkungen:
[1] http://www.wsws.org/de/search.html?phrase=Busfahrer
[2] http://www.wsws.org/de/articles/2017/02/04/tvod-f04.html
[3] http://www.wsws.org/de/articles/2017/01/20/aufr-j20.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 07.02.2017
Nein zum Schlichterspruch im hessischen Busfahrerstreik!
http://www.wsws.org/de/articles/2017/02/07/hbus-f07.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2017

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