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GRASWURZELREVOLUTION/1283: Interview - Libertäre Orientierungsprozesse im Ya-Basta-Netz


graswurzelrevolution 372, Oktober 2012
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Langsam gehen, um weit zu kommen

Ein Interview von Luz Kerkeling mit Armin Titze, Lehmbauer und Aktivist im Ya-Basta-Netz, über libertäre Orientierungsprozesse



GRASWURZELREVOLUTION: Was und wer ist das Ya-Basta-Netz?

ARMIN TITZE: Wir nennen das Ya-Basta-Netz ein Netzwerk für Solidarität und Rebellion.

Es ist ein Netz der Freundschaften und Widerständigkeiten. Am Anfang dieser Vernetzung stand das 1. Intergalaktische Treffen 1996 in Chiapas, bei dem 3.000 Menschen aus aller Weit zusammengekommen sind.

Aus der Vor- und Nachbereitung dieses Treffens ist hierzulande das Ya-Basta-Netz entstanden.

Es hat eine wechselvolle Geschichte erlebt, war aber immer ein politisches Zuhause für viele Menschen. Zur Zeit sind ca. 90 Gruppen und Einzelpersonen in unserem Netz organisiert.

Wir agieren selten als Netz. Wir verstehen es mehr als ein Myzel, ein Wurzelgeflecht, das unter der Erde wächst und Fruchtkörper ausbildet, die dann und wann und an verschiedenen Orten an der Oberfläche sichtbar werden. Es entstehen Wohnprojekte, Genossenschaften, Bücher und Filme.

Wir sind manchmal gemeinsam sichtbar, zum Beispiel auf der EXPO 2000 oder beim Ya-Basta-Barrio bei den Anti-G8-Protesten in Heiligendamm 2007. Und auf unseren Treffen, die alle drei Monate stattfinden.

Die Treffen sind eigentlich öffentlich, wir machen aber keine Werbung dafür. Bei Soli-Aktionen für Menschen in Chiapas treten wir auch als Netz auf.

Wir sind da schon bekannt und werden als Netz besser wahrgenommen als Einzelgruppen. Viele von uns sind seit Jahrzehnten in der autonomen Bewegung aktiv. Wir kämpfen an verschiedenen Orten und mit den verschiedenen Mitteln und KeineR wird blöd angemacht. Wir respektieren und schätzen uns gegenseitig und ich behaupte mal, dass im Ya-Basta-Netz schön heute eine Welt der vielen Welten existiert.

GRASWURZELREVOLUTION: Welche Ideen stehen hinter der Organisation des Rebellischen Zusammentreffens? Ihr betont ja, dass es nicht nur um Kritik und "Antis" geht, sondern auch um den Aufbau von Alternativen...

ARMIN TITZE: Auf jeden Fall müssen wir die Welt neu erschaffen (1). Dafür brauchen wir viele und vielfältige Experimente. Projekte, in denen wir unsere Vorstellungen einer solidarischen Welt erlernen, erproben, verwerfen, weiterentwickeln und reifen lassen. Wir müssen noch eine ganze Menge lernen. Damit meine ich jetzt nicht nur praktische Fähigkeiten. Es gibt auch eine Menge Bretter vorm Kopf zum durchbohren. Als Netz haben wir uns die Verbreitung zapatistischer Politikansätze vorgenommen. Das sind keine aus der Ferne importierten Prinzipien, sondern welche, die es in allen Gegenden der Welt schon lange gibt. Selbstorganisierung hat auch hier eine lange Tradition. Die Konsequenz, mit der die Zapatistas das betreiben, ist aber schon ziemlich einzigartig und beeindruckend. Sie hat uns Mut gemacht und inspiriert uns. Ein wesentlicher Punkt ist das Zusammenkommen, das Reden und Zuhören. Das Entwickeln von gemeinsamen Ideen und Ausprobieren neuer Wege. Wir leben hier nicht in einem befreiten Gebiet, sondern verstreut und zum Teil auch vereinzelt.

Unsere Rebellischen Treffen bieten Raum für verschiedene Intentionen. Es gibt keine dogmatische Vorgabe. Ich weiß auch, dass schon allein innerhalb des Netzes ganz verschiedene Intentionen da sind. Manche kommen, um eine Woche Urlaub zu machen, Kraft zu tanken, sich Mut und Hoffnung machen zu lassen und das entspannte selbstorganisierte Leben zu genießen. Andere wollen Erfahrungen austauschen, ihre eigenen Wege reflektieren oder MitstreiterInnen für ihr Projekt finden. Wir bringen unsere Ideen und Fähigkeiten mit, um sie mit anderen zu Teilen.

GRASWURZELREVOLUTION: Wo siehst Du Probleme? Ist das Treffen nur eines von vielen linken Sommercamps ohne kontinuierliche Prozesse im Nachfeld?

ARMIN TITZE: Für mich ist das Rebellische ein besonderes Treffen. Aber das liegt an der Betrachtung von innen. Für mich war es ein Wegpunkt in der kontinuierlichen Arbeit des Netzes und ich bin mir sicher, dass dieser Prozess noch viele Jahre weiter geht.

Ich hoffe, wir können mit unserer Kontinuität anderen Menschen Mut machen. Zeigen, dass es sich lohnt langfristig zu arbeiten. Dass es Spaß macht, wir daran wachsen und es auch Erfolge gibt.

Für mich ist das Rebellische Zusammentreffen ein Camp mit großer thematischer Vielfalt, das macht es spannend und mit einer besonders herzlichen und warmen Atmosphäre. Ich sehe eine Menge Herausforderungen. Ein Punkt, wo die Kontinuität sichtbar wird, ist unsere Kampagne gegen die GIZ (2) und deren Biopiraterie-Vorhaben in Mexiko. Sie hat viele neue MitstreiterInnen gefunden, die weiter an der Sache arbeiten.

Kontinuität und Prozess klingt mir zu linear. Ich sehe das Ganze lieber als Puzzle. Das Rebellische war und bleibt eine Momentaufnahme beim Puzzeln. Da liegen viele komische bunte Dinger herum und manchmal finden ein paar zusammen. Wir konnten für einen Moment im Sommer Puzzleteile zusammenbringen, die der Wind jetzt wieder auseinander gewirbelt hat. Als Teil dieses Puzzles weiß ich jetzt, dass es die Anderen gibt und dass wir zusammen passen und irgendwann wieder zusammenfinden zu einem großen bunten Bild, dass den grauen Tisch bedeckt.

GRASWURZELREVOLUTION: 2012 hat bereits das III. Rebellische Zusammentreffen stattgefunden. Das Wendland, wo das Treffen stattfand, ist eine für hiesige Verhältnisse rebellische Region. Hat sich das auf das Klima und die Aktivitäten und Diskussion währen des Treffens ausgewirkt?

ARMIN TITZE: Auf jeden Fall. Das haben schon Menschen bei der Anreise erlebt. Manche, die zum Camp getrampt sind, wurden von WendländerInnen vor die Tür gefahren, obwohl das ein Umweg für die FahrerInnen war. So was gibt es nicht oft.

Das Treffen ist auch durch die gute Infrastruktur vor Ort erst möglich geworden und konnte so gut vorbereitet werden. Toll waren die Streifzüge durch den wendländischen Widerstand.

Daraus können andere Zusammenhänge eine Menge lernen und eine Einschätzung der aktuellen Atompolitik mitnehmen. Am Sonntag haben wir das Camp vor die Tore des Atomklos verlegt, um den Betrieb zu blockieren. Es war uns wichtig zu zeigen, dass wir uns auch praktisch in den Widerstand einbringen. Es gab auf dem Camp auch viel Besuch von Leuten aus dem Wendland, die einfach mal einen Tag da verbracht haben.

GRASWURZELREVOLUTION: Wie soll es weiter gehen im libertären Organisationsprozess für eine solidarische Gesellschaft, trotz all der autoritären, ausbeuterischen, militärischen und diskriminierenden Realitäten, mit denen wir alle konfrontiert sind? Ein Ziel der Rebellischen Zusammentreffen war ja die Vernetzung bereits existenter Projekte im Aufbau...

ARMIN TITZE: Du kannst ja Fragen stellen!
Geduld und noch mehr Geduld. Wir werden einen langen Atem brauchen. Ob wir zu unseren Lebzeiten hier noch so etwas wie eine Revolution erleben werden, ist ja schwer vorher zu sehen. Das kann schon nächstes Jahr passieren. Aber was wäre dann? Haben wir eine Ahnung oder die Fähigkeit oder einen Organisationsgrad, der uns ermöglichen würde, nicht nur alte Eliten gegen neue zu tauschen?

Ich glaube nicht. Wir müssen noch sehr viel üben. Vor allem müssen wir viel deutlicher zeigen, dass mensch auch ganz anders Leben kann. Uns nicht der herrschenden Politik ausliefern. Viel mehr Widerstand im Alltag leisten. Nicht auf das Gute von Oben warten.

Wir sind klug genug, unser Zusammenleben selbst zu organisieren und unsere Regeln dafür selber aufstellen. Wir sind auf einem guten Weg. Es gibt so viele Ansätze und ständig entwickeln sich neue Solidarprojekte.

Wir sollten daran arbeiten, dass die anderen Welten, die wir erschaffen, sichtbarer werden.

Uns nicht verstecken, sondern offensiver mit unseren Ideen werben. Das geht immer und überall.

Vor allem sollten wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass wir den Weg kennen und nur schnell genug rennen müssen, um als erste ins Ziel zu kommen. Wir müssen langsam gehen, weil wir weit kommen wollen. Wir brauchen die Zeit, um auch die Ausbeuter, Soldaten, Sexisten und Rassisten in unseren eigenen Köpfen loszuwerden.

Es muss viel gelacht werden um die Welt zu verändern, sagen die Zapatistas. Ich finde, es muss auch geweint werden dürfen.


Weitere Infos:
www.va.basta-netz.de.vu

Anmerkungen:
(1) Anspielung auf einen Spruch von Subcomandante Marcos: Es ist nicht notwendig, die Welt zu erobern. Es reicht sie neu zu schaffen. Durch uns. Heute.
(2) GIZ: Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit.

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Quelle:
graswurzelrevolution, 41. Jahrgang, Nr. 372, Oktober 2012, S. 16
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
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Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
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Internet: www.graswurzel.net
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2012