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GRASWURZELREVOLUTION/1340: Neues vom M31-Netzwerk - europäische Generalstreiks nach Deutschland tragen


graswurzelrevolution 380, Sommer 2013
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Neues vom M31-Netzwerk
Die europäischen Generalstreiks nach Deutschland tragen

von Leftéris Epanastátis



Zum 1. Mai 2013 wurde ein M31-Diskussionspapier zur aktiven Unterstützung eines der kommenden europäischen Generalstreiks veröffentlicht.


Unter der Überschrift "Europäische Generalstreiks sind auch unsere Sache", schlägt das Netzwerk vor, innerhalb eines halben Jahres zu einer Verständigung über die "überfällige aktive Unterstützung der in vielen europäischen Ländern stattfindenden Generalstreiks" auch in Deutschland zu gelangen. Das Ziel könne hierbei nicht die Durchführung der "x-ten Kundgebung vor dem griechischen oder spanischen Konsulat sein. Gesetzt wird auf die breite Beteiligung emanzipatorischer Menschen, die "den aktuellen Entwicklungen aktiv etwas entgegensetzen möchten, (...) kämpferische KollegInnen in Betrieben und Gewerkschaften, solidarische SchülerInnen, Studierende, Erwerbslose und politische AktivistInnen".

Am 31. März 2012 war es dem M31-Netzwerk aus anarcho-syndikalistischen und basisorientierten Gewerkschaften, antifaschistischen Gruppen aus dem antiautoritären und antikapitalistischen Spektrum gelungen, einen ersten länderübergreifenden Aktionstag zu organisieren, an dem sich Menschen in mehr als vierzig europäischen Städten beteiligten.

Die Auseinandersetzungen mit der Polizei auf der zentralen Demo in Frankfurt hatten in der Folge zu teils heftigen internen Auseinandersetzungen geführt und viele Kräfte absorbiert. Dieses Mal soll es dezentral in möglichst vielen Städten und Regionen Deutschlands zu Aktivitäten kommen. In Berlin, Frankfurt und anderen Städten wurde auf den diversen 1. Mai-Demos bzw. Anti-Nazi-Blockaden der neue Aktionsvorschlag tausendfach unter den DemonstrantInnen verteilt.

Im Text wird darauf hingewiesen, dass die Auswirkungen der kapitalistischen Krise in vielen europäischen Ländern immer katastrophaler werden. In Spanien, Griechenland und Portugal seien sie verheerend. "Dort herrscht Massenarbeitslosigkeit, Menschen wird die Existenzgrundlage entrissen, die Möglichkeit genommen ihre grundlegendsten Bedürfnisse zu erfüllen: nach physischer und psychischer Unversehrtheit, genug zum Essen, einem Dach über dem Kopf." Was in immer mehr Fällen nicht nur die massenhafte Verbreitung von Armut und Elend, sondern oft den Tod von Menschen bedeute. Sei es durch die sich ausbreitende Hoffnungslosigkeit, die Tausende in den Suizid treibe oder wie in Griechenland durch den weitgehenden Zusammenbruch des Gesundheitssystems.

Doch "auch in Deutschland, obwohl einer der Krisengewinner, wird der Klassenkampf von oben verschärft, nimmt die Spaltung zwischen arm und reich zu. Prekäre Anstellungen werden seit Jahren auch hier immer häufiger, Lohndumping ist auf der Tagesordnung, Bildung wird mehr und mehr zur reinen Zurichtung für die Verwertbarkeit auf dem Markt, bezahlbarer Wohnraum wird besonders in den großen Städten zur Mangelware, der Gang zur Arge wird mehr und mehr zum Spießrutenlaufen. KrisenverliererInnen sind hier vor allem die Menschen, die ihren Lebensunterhalt im Niedriglohnsektor verdienen müssen, der mit rund 8 Millionen Menschen fast so groß ist wie die gesamte Bevölkerung Griechenlands."

Die überdurchschnittlich vielen MigrantInnen und Frauen in diesem Sektor, seien dabei die Hauptleidtragenden.


Was passiert - und warum passiert hier nichts?

"In vielen betroffenen Ländern gab und gibt es heftigen Widerstand gegen die brutale Krisenpolitik" der eigenen Regierungen und der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF. Es wird herausgestellt, dass vielerorts Basisinitiativen entstanden sind, um die eigene politische Ohnmacht zu überwinden.

Dass jedoch auch die noch immer dominierenden Kräfte in den großen reformistischen Gewerkschaften, sich nationale kapitalistische Standortinteressen zu Eigen gemacht und allenfalls soziale Trostpflaster für die von der neoliberalen Entwicklung ausgespuckten Menschen gefordert hätten.

"Trotz einiger Versuche, sich zu vernetzen und solidarisch aufeinander Bezug zu nehmen, sind die Auseinandersetzungen und Streiks aber immer noch weitgehend isoliert und auf einzelne Länder beschränkt. Doch am 14. November 2012 geschah etwas Neues. Ausgehend von Spanien und Portugal legten GewerkschafterInnen auch in Italien, Griechenland, Frankreich und Belgien die Arbeit nieder. Auf labournet.de wurde dies wie folgt kommentiert: "In fünf EU-Staaten legen Millionen Beschäftigte die Arbeit nieder, um gegen die Folgen der EU-Krisenpolitik zu protestieren. Die KollegInnen im Krisengewinnlerstaat Deutschland schicken solidarische Grüße. (...) Während in den Krisenländern große Lernschritte hin zu grenzüberschreitender, gemeinsamer Aktionen getan werden, hat der 14. November einmal mehr gezeigt, dass es schlecht bestellt ist um die Solidarität in der Bundesrepublik, wo sie doch gerade hier gefordert wäre!"

Das M31-Netzwerk teilt "die Einschätzung, dass sich die großen Gewerkschaften weiterhin nicht zu einem solidarischen Handeln entschließen werden. Genau dort wollen wir aber hin!

Wir wollen keine nationalen Standortinteressen verteidigen, sondern einen grenzüberschreitenden Kampf gegen die Zumutungen der kapitalistischen Verhältnisse. Diese haben sich auch in der BRD in den letzten Jahren verschärft (...). Die Agenda 2010 wurde 2003 von Rot-Grün durchgesetzt. Diese Agenda wird nun in ähnlicher Form den Krisenstaaten durch die Troika aufgezwungen. Sie erzeugte hier bereits vor Ausbruch der Wirtschaftskrise für viele Beschäftigte und Arbeitslose eine permanente individuelle Misere. Da die Gewerkschaften und andere linke politische Gruppen gleichzeitig kaum in der Lage (und häufig auch nicht willens) waren und sind, Wege zu einem kollektiven, antikapitalistischen und emanzipatorischen Widerstandsprozess von unten aufzuzeigen, werden die individuellen Krisenerfahrungen weiterhin im Kreis des Privaten verhandelt und verarbeitet."


Und weiter:

"Auch wenn damit keineswegs hinreichend erklärt ist, warum der soziale Frieden in Deutschland anhält, zeigt sich, dass es dringend notwendig ist, Diskussionen darüber zu führen, wie wir gemeinsam handlungsfähig werden können und wie eine aktive Solidarität praktisch umgesetzt werden kann. Aus diesem Grund macht das M31-Netzwerk einen konkreten Vorschlag zum Handeln: Wir rufen dazu auf, sich auf betrieblicher Ebene und auf allen anderen gesellschaftlichen Ebenen an allen Orten aktiv an einem zukünftigen europäischen Generalstreik oder einem im Herbst 2013 oder Frühjahr 2014 zu erwartenden Generalstreik in Spanien zu beteiligen. (...) Die Idee ist, möglichst bundesweit, (...) den Alltagsbetrieb einen Tag mit den unterschiedlichsten Mitteln zu stören und solidarisch miteinander auf unterschiedliche Themen aufmerksam zu machen. BetriebsrätInnen können Betriebsversammlungen einberufen und diese außerhalb des Betriebs abhalten. An Unis und Fachhochschulen können Vollversammlungen und Streiks abgehalten werden. SchülerInnen-Vertretungen können zu einem Schulstreik aufrufen."

Außerdem schlägt das Netzwerk vor, dass an möglichst vielen Orten in den beteiligten Städten Aktionen stattfinden sollen. "Von Kundgebungen und Performances an öffentlichen Orten oder Verkehrsknotenpunkten, über die Präsenz vor besonders miesen Betrieben oder dem Jobcenter, bis hin zur Störung des öffentlichen Nahverkehrs durch mobile Streikposten."

Kundgebungen vor Flüchtlingsheimen seien ebenso denkbar wie die Besetzung von Häusern durch Wohnrauminitiativen.


Diskussionen

Über diese Vorschläge wollen die M31-AktivistInnen bundesweit mit unterschiedlichen Spektren diskutieren, um gemeinsam herauszufinden, welche Aktionsformen realisierbar und politisch wirksam sind. Debattiert werden soll auf Versammlungen, Kongressen, Vernetzungstreffen, in Vereinen, Communities und Initiativen. Wobei alle dazu aufgerufen sind, die Ideen weiterzuentwickeln. (1)


Kritik

Eine erste Kritik von GenossInnen der FAU-Mannheim betont zwar "die Grundidee erst mal gut zu finden", letztlich sei jedoch auch dieser Plan eher der einer militanten Massenaktion für mehr Öffentlichkeit mit den Kämpfen in Südeuropa, und "somit eine reine Soli-Aktion". Bei anderen GenossInnen überwiegt die Skepsis, dass sich ein Großteil der Betriebsräte und "linken Gewerkschafter" wahrscheinlich nicht auf Aktionsvorschläge ausgerechnet von AnarchosyndikalistInnen und Linksradikalen einlassen wird. Sei es doch gerade ein Teil derjenigen, die seit geraumer Zeit innerhalb der DGB-Gewerkschaften eine Kampagne für die Durchsetzung des Rechts auf Generalstreik in Deutschland gestartet haben, die nach der M31-Demo in Frankfurt am lautesten gegen "Linksradikale und Anarchisten" hetzten.

Berührungspunkte und genug Zeit und Raum für erste spektrenübergreifende Diskussionen boten die Blockupy-Aktionstage in Frankfurt.


Anmerkung:

(1) Der gesamte Text ist unter http://strikem31.blogsport.eu/ nachzulesen.

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Quelle:
graswurzelrevolution, 42. Jahrgang, Nr. 380, Sommer 2013, S. 7
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2013