Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

IZ3W/163: Rezension zu "Die Revolution ist keine Parteisache"


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 310 - Januar/Februar 2009

Die Revolution ist keine Parteisache

Rezension von Anton Harper


Der im vergangenen Jahr verstorbene Cajo Brendel war der letzte große Vertreter der holländischen Schule des Marxismus. Diese heute allgemein als Rätekommunismus bekannte, dissidente Strömung der Arbeiterbewegung ist vor allem durch die beiden niederländischen Theoretiker Anton Pannekoek und Herman Gorter begründet worden. Cajo Brendels Denken ist folglich auch durch die Theorien dieser Beiden maßgeblich geprägt worden. Noch im hohen Alter reiste Brendel umher und pries unerschütterlich die Ideen des Rätekommunismus. Nun ist im Unrast-Verlag, als Band 2 in der Reihe Dissidenten der Arbeiterbewegung, eine Sammlung von Texten von und über Cajo Brendel erschienen.

Neben Nachrufen und persönlichen Erinnerungen von Wegbegleitern wie Henri Simon, Geert und Dik van der Meulen sowie Marcel van der Linden finden sich einige kleinere autobiographische Texte von Cajo Brendel. Den Schwerpunkt bilden aber, natürlich, die politischen Texte. Diese zentrieren sich, und dies macht zugleich die Essenz des Rätekommunismus aus, um zwei Punkte: Einerseits die Kritik an den etatistischen Strömungen der Arbeiterbewegung, sei es nun sozialdemokratischer, leninistischer oder maoistischer Spielart, und anderseits die Betonung der autonomen Kämpfe der Arbeiterklasse, jenseits von Gewerkschaft und Partei.

Als Beispiele für die Kritik am Etatismus sind etwa die Texte "N. Lenin als Stratege der bürgerlichen Revolution" und die "Thesen über die chinesische Revolution" abgedruckt, in denen Brendel ausführt, dass die Umwälzungen in Russland und China nur die historisch notwendigen Voraussetzungen für die kapitalistische Entwicklung dieser unterentwickelten Länder schufen. Die Kommunisten dort waren also nur die unfreiwilligen Wegbereiter des Kapitalismus. Demgegenüber stellt Cajo Brendel die Kämpfe der Arbeiterklasse in den Metropolen, in denen sich die Kämpfenden selbsttätig die Organe ihres Kampfes schaffen, die schon auf die Organisation der befreiten Gesellschaft hindeuten: die Räte. Diese Organisationsform bedeutet die umfassende Selbstverwaltung und Selbstbestimmung aller Lebensbereiche durch diejenigen, die davon betroffen sind. Also die Verwaltung der Fabriken durch die ArbeiterInnen, die Stadtteile durch ihre BewohnerInnen usw.

Diese antiautoritären Überlegungen, die fatale Entwicklungen wie im "Realexistierenden Sozialismus" vermeiden sollten, waren die historische Leistung des Rätekommunismus. Seine Schwächen bringt Marcel van der Linden zur Sprache: "Cajos Weltbild war [...] recht mechanistisch. Der Marxismus habe klare Gesetze für die menschliche Geschichte formuliert, denen niemand, mit welcher kollektiver Kraftanstrengung auch immer, entkommen kann. Die Folge dieser Einseitigkeit war, dass seine Analysen niemals überraschten. Wer sein theoretisches Muster kannte, konnte Cajos Standpunkte zu zahllosen Fragen voraussagen. Nicht zufällig wies er regelmäßig darauf hin, dass sich seine Auffassungen seit den späten dreißiger Jahren nicht mehr geändert hätten."

Phänomene wie die Herausbildung des Wohlfahrtstaates und die Entstehung der Kulturindustrie sind von den Rätekommunisten nicht mehr in den Blick genommen worden. Auch zum Verständnis des Nationalsozialismus konnten sie nichts Substantielles beitragen. Es blieb anderen dissidenten Strömungen, wie der Kritischen Theorie oder den Situationisten, vorbehalten, dafür Erklärungsansätze zu bieten. Trotzdem bleiben die rätekommunistische Kritik an Staat, Parteien und Gewerkschaften und das Beharren auf einer basisdemokratischen Alternative die Grundlage für jeden ernsthaften Versuch, die Gesellschaft der Freien und Gleichen zu errichten. In diesem Sinne bietet das Buch wertvolle Grundlagen.

Cajo Brendel:
Die Revolution ist keine Parteisache
Ausgewählt und herausgegeben von Andreas Hollender, Christian Frings und Claire Merkord
Unrast Verlag, Münster 2008. 320 Seiten, 18,- Euro


*


Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 310 - Januar/Februar 2009


Die Politik des Hungers - Ernährung in der Krise

Produktionssteigerung, Grüne Revolution, Saatgutverbesserung, Brot für die Welt, Ökolandbau in den Tropen, Ernährungssouveränität: Die Konzepte gegen den Hunger sind so widersprüchlich wie die Interessen ihrer jeweiligen AkteurInnen.

Dabei haben sie alle dazu beigetragen, dass fast doppelt so viel Nahrung produziert wird, als für die Abschaffung des Hungers nötig wäre. Trotzdem ist der Hunger in der Welt ein Leiden, das rund ein Sechstel der Weltbevölkerung betrifft. Der aktuelle Themenschwerpunkt der iz3w fragt: Wo liegt das Problem?


Heft - Editorial: Beredtes Verschweigen

Politik und Ökonomie

Kongo: Nachwachsende Warlords
Die Rebellen von der CNDP stellen sich als Opposition dar
von Alex Veit

Gender: Gegen sexualisierte Gewalt
Der Frauenrechtsgipfel in Kapstadt
von Rita Schäfer

Welthandel I: Globales Europa
"WTO plus"-Politik für europäische Konzerne
von Peter Fuchs, Manuel Melzer und Michael Reckordt
No Gender in Global Europe
von Judith Krane

Welthandel II: "Eine neue Form der Plünderung"
Interview mit Raúl Moreno über das EU-Assoziierungsabkommen mit Zentralamerika

(Post-)Kolonialismus: "Eine perfekte Brücke"
Portugal vermischt postkoloniale Identität mit Geostrategie
von Nikolai Brandes

Grenzen I: Im Grenzbereich
Eine Reise nach Costa Rica und Nicaragua führt an die Ränder des amerikanischen Kontinents
von Stefanie Kron und Pablo Hernández

Grenzen II: Umkämpfte Territorien
Die Politisierung von Grenzräumen in Nicaragua, Costa Rica und der Karibik
von Pauline Bachmann, Sophie Esch und Jan Wörlein

Grenzen III: Nica-Ticos
Geschichten aus dem transnationalen Alltag
von Claudia Jaekel, Lisanne Kindermann und Matthias Schreiber


Schwerpunkt: Politik des Hungers

Editorial zum Themenschwerpunkt

Es ist angerichtet
Vorerst behält die Hungerpolitik die Oberhand über Strategien gegen den Hunger
von Martina Backes

Aufplustern am Leid
Die Agrarindustrie festigt mit der Ernährungskrise ihre Stellung
von Rudolf Buntzel

Aus dem Elfenbeinturm
Der UN-Rahmenaktionsplan zur globalen Hungerbekämpfung
von Roman Herre

Ausdauernd und resistent
Agrarkonzerne wollen den Hunger mit Gentechnologie bekämpfen
von Christof Potthof

Europa global - Hunger egal
Warum die Agrarpolitik der EU Nahrungskrisen verschärft
von Armin Paasch

Schöne neue Warenwelt
Die Ausbreitung von Supermärkten in Tunesien und Marokko
von Annalena Edler

Gerissene Spekulanten, arglose Bauern?
Über Terminbörsen für Agrarrohstoffe zirkulieren einige Mythen
von Stefan Frank

Boom, Bust und Biosprit
Die Sorge um den Weltmarkt ist größer als die Kritik an der Agrarproduktion
von Thomas Fritz


Kultur und Debatte

(Post-)Kolonialismus I: Geschichte der Gewalt
Eine Diskussion über Genozide, Kolonialkriege und den Nationalsozialismus
von Birthe Kundrus, Jürgen Zimmerer u.v.m

(Post-)Kolonialismus II: Die Vergangenheit stets präsent
Eine Begegnung mit den Herero in Mahalapye
von Johann Müller

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


*


Quelle:
iz3w Nr. 310, 310 - Januar/Februar 2009, S. 47
Copyright: bei der Redaktion und den AutorInnen
Herausgeberin: Aktion Dritte Welt e.V. - informationszentrum 3. welt
Postfach 5328, Kronenstr. 16a (Hinterhaus)
79020 Freiburg i. Br.
Tel. 0761/740 03, Fax 0761/70 98 66
E-Mail: info@iz3w.org
Internet: www.iz3w.org

iz3w erscheint sechs Mal im Jahr.
Das Jahresabonnement kostet im Inland 31,80 Euro,
für SchülerInnen, StudentInnen, Wehr- und
Zivildienstleistende 25,80 Euro,
Förderabonnement ab 52,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2009