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IZ3W/206: Unter liberaler Führung macht sich das Entwicklungsministerium unwichtig


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 317 - März / April 2010

Ein zufälliger Treppenwitz
Unter liberaler Führung macht sich das Entwicklungsministerium unwichtig

Von Paul Freude


»42 Prozent der deutschen Bevölkerung sprechen sich für eine Erhöhung der Mittel für Entwicklungspolitik aus - trotz der bestehenden Finanzkrise. Dies ist eines der Ergebnisse einer aktuellen repräsentativen Umfrage von Infratest dimap. (...) 62 Prozent aller Befragten ist das Bundesentwicklungsministerium bekannt.« So ließ das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Dezember stolz verlauten. Doch die Umfrageergebnisse lassen sich auch anders lesen: 58 Prozent der Deutschen sind nicht für eine Erhöhung der Mittel für Entwicklungspolitik - trotz Klimakatastrophen und einer Milliarde hungernder Menschen. 38 Prozent aller Befragten ist das BMZ nicht einmal bekannt. Dessen Selbstbewusstsein muss stark lädiert sein, wenn es die Deutschen befragen lässt, wer überhaupt von seiner Existenz weiß; sehr stark, wenn es sich darüber freut, dass nicht mal zwei Drittel es kennen.

Vor der Bundestagswahl wollte die FDP das BMZ ins Auswärtige Amt (AA) integrieren und damit abschaffen. Dass dies nicht geschah, war kein Bekenntnis zum Politikfeld Entwicklungspolitik, sondern eine Frage der Zahl an MinisterInnen und der Ansprüche aus dem Wahlergebnis. Es war Zufall, Treppenwitz und Shit-happens zugleich, dass ausgerechnet die FDP das Ressort erhielt.

Die Übernahme des BMZ lässt sich dabei durchaus als strategischer Coup der FDP deuten. Denn sie führt fortan beide wirtschaftspolitisch relevanten Ministerien: das Ministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und eben das für Entwicklung. Und sie leitet fortan zwei der drei außenpolitisch relevanten Ministerien: das Auswärtige Amt und eben das für Entwicklung. (Das dritte - das Verteidigungsministerium - will sie gar nicht haben, denn dort ist gerade kein Prestige zu gewinnen. Soll sich doch der zu Guttenberg in Afghanistan verschleißen.) In diesem Reigen der Ministerien ist das BMZ einflussreicher als sein Ruf vermuten lässt: Mit einem Jahresetat von 5,8 Millarden Euro (2009) ist es fast doppelt so gut ausgestattet wie das AA und fast genauso gut wie das BMWi. Im BMZ sind durchaus einflussreiche Posten zu vergeben, man denke nur an die ExekutivdirektorInnen in über 30 Entwicklungsbanken. Das BMZ ist also weit mehr als nur ein altruistisches Menschheitsbeglückungsinstitut.

Bisher sind weder Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel noch seine neuen StaatssekretärInnen Gudrun Kopp und Hans-Jürgen Beerfeltz durch fachliche Kompetenz aufgefallen - aber immerhin auch nicht negativ. Ihren Vorstellungen zufolge soll die Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern künftig mehr von der Einhaltung der Menschenrechte und »guter Regierungsführung« (in den Entwicklungsländern wohlgemerkt) abhängen. Außerdem soll die Entwicklungspolitik stärker mit der Außenpolitik (China), der Verteidigungspolitik (Afghanistan) und Wirtschaftspolitik (der deutsche Mittelstand) verzahnt werden. Zwischen AA, BMZ und BMWi entstehen also liberale Synergien, werden Reibungsverluste vermieden und Konzepte abgestimmt. Im Koalitionsvertrag heißt das »Kohärenz, Komplementarität und Subsidiarität.« Das dürfte zum Beispiel folgendes meinen: Die erste Forderung Niebels (FDP) als Bundesentwicklungsminister war, China keine Entwicklungshilfe mehr zu gewähren; die erste Auslandsreise von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) führte nach China.

Jede/r MinisterIn kämpft um die Erhöhung seines/ihres Haushalts. Nicht so Niebel. Er ist zufrieden mit dem, was er hat: 2010 mit 5,88 Mrd. EUR fast das Gleiche wie im Vorjahr. Die Erfüllung des ODA-Stufenplans, laut dem bis 2010 0,51 Prozent und bis 2015 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt werden sollen, ist mit diesem Haushalt nicht möglich (Deutschland steht mit derzeit 0,38 Prozent im internationalen Vergleich nicht allzu gut da).

Umso größeren Stellenwert in der Rhetorik der Entwicklungs-FDP hat das Werben um die Nichtregierungsorganisationen. Zivilgesellschaftliches Engagement und Spendenbereitschaft werden von den Liberalen als Politik der kleinsten Einheit begrüßt. Faktisch werden die NRO als Lückenbüßer sich selbst begrenzender liberaler Gestaltungsmöglichkeiten benötigt. Immerhin bekommt das BMZ viel gute und dazu noch kostengünstige Öffentlichkeit durch die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen, die im Inland und Ausland Entwicklungsprojekte durchführen.

Mittelabflusszwänge bei den PR-Abteilungen des Bundes zum Jahresende führten zu einer skurrilen Anbiederung an diese Zivilgesellschaft: Am 19. Dezember schaltete das BMZ in allen großen Tageszeitungen eine große Anzeige, eine Art vorweihnachtlicher Spendenbrief unter der Überschrift »Haben Sie auch manchmal das Gefühl, die Welt wäre besser, wenn man Sie mal ranlassen würde?« Da ist der Agentur die männliche Phantasie wohl ein wenig durchgegangen. Weiter heißt es: »Nichtregierungsorganisationen, Kirchen, Vereine, Städtepartnerschaften, Eine-Welt-Läden und Initiativen verschiedenster Art leisten großartige Arbeit.«

Wie man diese Arbeit unterstützen kann, erfahre man auf der »Sonderseite zum Thema Engagement« des BMZ (www.bmz.de/de/themen/Engagement). Dort grüßt der Minister: »Veränderungen fangen bei uns selbst an: Was wir in Deutschland einkaufen, was wir essen, was wir anziehen, wie wir zur Arbeit fahren und verreisen. All das hat Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Menschen in Entwicklungsländern. In unserem Alltag können wir ganz konkret diese Lebensbedingungen, die von Armut und Mangel geprägt sind, verbessern: Durch den bewussten und sparsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen wie Wasser und Energie, durch den Kauf von fair gehandelten Waren, durch eine lokal nachhaltige Politik oder durch die zahlreichen Eine-Welt-Initiativen in Deutschland.«

Das ist also das Credo des liberalen BMZ: Verzichten und Sparen anstatt politisch Handeln, fairer Handel anstatt andere Welthandelsstrukturen. Weil das so oder ähnlich auch die Mehrheit der entwicklungspolitisch engagierten Zivilgesellschaft in Deutschland will, wird sich aus ihrer Sicht die Entwicklungszusammenarbeit unter der FDP nicht verschlimmern.

Das BMZ tut derweil alles dafür, in vier Jahren noch weniger als 62 Prozent der deutschen Bevölkerung bekannt zu sein. Dann wäre es endgültig reif für die freundliche Übernahme - allerdings ehrlicherweise durch das Wirtschaftsministerium.


Paul Freude ist freier Autor und lebt in Berlin.


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 317 - März / April 2010


Themenschwerpunkt:
No he can't - US-Außenpolitik in alten Mustern


INHALTSÜBERSICHT

Hefteditorial: Ein harter Winter


Politik und Ökonomie

Entwicklungspolitik: Ein zufälliger Treppenwitz
Unter liberaler Führung macht sich das BMZ unwichtig
von Paul Freude

Kuba: Reis und Bohnen
Wohin führen Raúl Castros Reformen den kubanischen Sozialismus?
von Sören Scholvin

Klimapolitik: No Gender
Der Klimagipfel versagte auch bei der Geschlechtergerechtigkeit
von Ulrike Röhr

Guinea: Ein militärischer Ohnmachtsbeweis Guinea zwischen Furcht vor Gewalt und Hoffnung auf Demokratisierung
von Joschka Philipps

Antisemitismus: Völkische Projektionen
Antisemitismus in der ethnologischen Afrikaforschung
von Florian Eisheuer


Schwerpunkt: US-Außenpolitik

Editorial: US-Außenpolitik

Quicker on the Trigger
Obamas Außenpolitik oszilliert zwischen Dialog und Drohnen
von Richard Gebhardt und Jannis Kompsopoulos

Immer auf der Kippe
Die USA und ihr wechselhaftes Verhältnis zu Israel
von Michael Hahn

Ein smarter Hinterhof
Lateinamerika hegt gegenüber Obamas Politik keine großen Hoffnungen mehr
von Tobias Lambert

Yes we might
Obamas Entwicklungs- und Afrikapolitik verharrt in Warteposition
von Jan Bachmann

Vereint gegeneinander
Konkurrenz und Kooperation der Weltmächte USA und China
von Sören Scholvin

»Der Obama-Effekt untergräbt die Linke«
Interview mit Peter Hudis und Kevin Anderson über US-Außenpolitik


Kultur und Debatte

Debatte: So einfach ist es nicht
Eine Replik auf die Kritik der Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg«
von Christian Stock und Udo Wolter

Kunst: Ich bin wer
Das postkoloniale Fotoprojekt Stagings Made in Namibia
von Dag Henrichsen

Rassismus: Tatortbesichtigung
Postkoloniales und Rassistisches in der sonntäglichen Krimiserie
von Stephan Cohrs

Gender: Trans-Formiert!
Das erste Festival für Transgender-Identitäten in Buenos Aires
von Daphne Ebner

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Quelle:
iz3w Nr. 317 - März / April 2010, S. 4
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2010