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IZ3W/220: ZDF-Historiker Guido Knopp scheitert an der deutschen Kolonialgeschichte


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 319 - Juli/August 2010

Spurensuche light
ZDF-Historiker Guido Knopp scheitert an der deutschen Kolonialgeschichte


Um Klartext zu reden: Der jüngst vom ZDF zur Primetime ausgestrahlte Dreiteiler »Das Weltreich der Deutschen« ist eine einzige Enttäuschung. Was soll man von einer solchen Mischung aus angestaubtem Geschichtskitsch und Unbelehrbarkeit halten? Haben wir vieles davon nicht schon einmal gesehen, nämlich 2005, als im ZDF die TV-Dokumentation »Deutsche Kolonien« lief? Es ergaben sich jedenfalls echte Wiedererkennungseffekte, wenn etwa die Siedlerin Else Sonnenberg und deren hartes Schicksal in »Südwest« abermals in epischer Breite in Szene gesetzt werden. Selbst einer der zum deutschen Kolonialismus befragten Geschichtsprofessoren gab seine Kommentare nahezu wortgleich schon mal zu Protokoll. Originalität sieht anders aus.

Vor allem aber hat man nichts dazu gelernt. Schon vor fünf Jahren lautete der Vorwurf, einem kruden Eurozentrismus aufgesessen zu sein. Der ziemlich konventionelle Ansatz des jüngsten Dreiteilers, aus Gründen der Allgemeinverständlichkeit einzelne ProtagonistInnen in den Mittelpunkt zu stellen, wäre noch akzeptabel gewesen, wenn es sich nicht fast ausschließlich um deutsche AuswanderInnen, Kolonialmilitärs, Abenteurer etc. gehandelt hätte, deren Erlebnisse geschildert werden. Zudem vermag eine solche stur durchgehaltene Personalisierung von Geschichte nur sehr unzureichend, komplexe historische Prozesse im Medium Film angemessen aufzubereiten. Man entkommt dabei kaum der Gefahr, im biographischen Klein-Klein stecken zu bleiben. Um dem zu entgehen, reicht es auch nicht aus, einige wenige afrikanische Historiker oder Persönlichkeiten aus Samoa ein paar knappe Sätze in die Kamera sprechen zu lassen. Der notwendige Perspektivenwechsel ist damit angesichts der weitgehend germanozentrischen Erzählstruktur des Filmes nicht zu gewährleisten. Hinzu kommen die terminologischen Entgleisungen, etwa wenn unentwegt von »Eingeborenen«, »Ureinwohnern«, »Stämmen« und »Steinzeitkulturen« die Rede ist - Begrifflichkeiten, die ganz nebenbei ein evolutionistisches Geschichtsbild unterschieben.

Ist in der von ZDF-Chefhistoriker Guido Knopp zu verantwortenden Doku-Serie wenigstens eine neue Sensibilität im Umgang mit den historischen (Film-)Bildern, die so wirkmächtig unser Geschichtsbild prägen, an den Tag gelegt worden? Auch hier Fehlanzeige. Das Phänomen des »Kolonialismus der Bilder« bleibt weitgehend unreflektiert. Die visuellen Dokumente aus den kolonialen Bildarchiven kommen in dem Dreiteiler meist nur in illustrativer Funktion für den aus dem Off gesprochenen Text zum Einsatz. So reproduziert die Regie die darin eingeschriebenen Stereotype, anstatt die exotistischen Bilderwelten zu entmächtigen und zur Überwindung des kolonialen Blickes beizutragen. So wiederholt die Dokumentation die Exotisierung von Körpern und Landschaften, auch wenn dies ungewollt sein mag. Erneut blickt das »imperiale Auge« (Edward Said) Besitz ergreifend auf den Raum der Fremde, den fremd gemachten Raum.

Dabei soll keinesfalls pauschal der Vorwurf der Kolonialapologetik erhoben werden. Das Herrenmenschentum eines Carl Peters wird im »Weltreich der Deutschen« in aller Deutlichkeit angeprangert. Der deutsche Krieg gegen die Herero wird von einer Historikerin als das bezeichnet, was er war, als »Völkermord«, wenn auch ein Historikerkollege ein paar Sequenzen später dagegen hält. Die Frage, ob die Gewaltakte an der Peripherie Einzelfälle waren oder ob der Kolonialismus nicht ein permanenter Kolonialkrieg gegen die kolonisierte Bevölkerung gewesen ist, bleibt außen vor. Nur noch wegzappen konnten kritische ZuschauerInnen, als es in der Doku raunt, beim Kolonialismus habe es sich irgendwie doch um ein Fortschrittsprojekt gehandelt. Auf die Idee, dass die Kolonialherren ihre Überseegebiete nur »entwickelten«, um sie nachher umso besser ausbeuten zu können, kommen die FilmemacherInnen nicht. Schwer erträglich ist schließlich die dröhnend daherkommende und aufgeblähte Präsentation der »Menschenfresserei« der Melanesier. Sollte der Schauer angesichts der »Wilden« und ihrer Gebräuche noch einmal so richtig ausgekostet werden?

Gleichermaßen patzen Guido Knopp und sein Team beim Buch zur Serie. Im Großen und Ganzen ist das nicht falsch, was dort über die deutschen Kolonien zu lesen ist, doch wirkt das Ganze zusammengeschustert. Vieles fehlt. Wo treten die AfrikanerInnen als würdige Akteure ihrer eigenen Geschichte auf, wo wird ihre Subjektivität und Autonomie ins rechte Licht gerückt? Der Vorwurf, bei den einschlägigen Publikationen kapitelweise abgekupfert zu haben, soll hier nicht weiter verfolgt werden, zu monieren ist vor allem die Schlichtheit der Darstellung. Auch hier gilt, was gleichermaßen für den Film festzustellen ist: eine hartnäckige Ignoranz gegenüber jeglichen postkolonialen Theorieansätzen.

Wenn ZuschauerInnen und LeserInnen mehr über die Brillanz der digital generierten Filmszenerien und die Abdruckqualität der Buchillustrationen staunen, dann stimmt etwas nicht. Wer sich mehr Gedanken darüber macht, wie die Knöpfe der Kolonialuniformen originalgetreu nachzugestalten sind, aber zu wenig darüber nachsinnt, mit welchem Konzept die Epoche des Kolonialismus als Verflechtungs- und Globalgeschichte medial aufgearbeitet werden kann, der hat Gelder und Sendezeit verschwendet. Das Publikum scheint dies begriffen zu haben. Die TV-Dokumentation kam über einen mageren Marktanteil von 7,6 Prozent nicht hinaus.

Joachim Zeller arbeitet als Historiker in Berlin. Zuletzt ist von ihm erschienen: Weiße Blicke. Schwarze Körper. Afrika(ner) im Spiegel westlicher Alltagskultur, Sutton, Erfurt 2010.

Das Weltreich der Deutschen. Dokumentarfilm, BROADVIEW TV, 2010, Regie: Sebastian Dehnhardt, Ricarda Schlosshan und Manfred Oldenburg, Co-Produzent: ZDF-Redaktion Zeitgeschichte Guido Knopp.

Guido Knopp:
Das Weltreich der Deutschen.
Von kolonialen Träumen, Kriegen und Abenteuern.
In Zusammenarbeit mit Anja Greulich u.a. Pendo, München 2010.
272 Seiten, 19,95 Euro


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 319 - Juli/August 2010


Themenschwerpunkt:
Independence Cha Cha - 50 Jahre postkolonoiales Afrika

2010 ist in Afrika nicht nur wegen der Fußball-WM ein ganz besonderes Jahr: 17 afrikanische Staaten feiern den 50. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit und ziehen aus diesem Anlass eine vorläufige Bilanz der postkolonialen Ära. Doch wer glaubt, 50 Jahre Unabhängigkeit von den europäischen Kolonialisten würden in den jeweiligen Ländern durchweg euphorisch gefeiert, irrt. Zwar gibt es durchaus Versuche seitens der Regierungen, an den jeweiligen Independence Days groß angelegte Jubelfeiern zu lancieren. Doch sie schlagen fehl, da große Teile der Bevölkerung keineswegs zufrieden sind mit der Bilanz von 50 Jahren formaler Unabhängigkeit. Die postkoloniale Ära ist bis zum heutigen Tag außerordentlich bewegt. Afrika gilt als der Kontinent der failed states, der Genozide, der Warlords, der Armut und des Hungers - nicht immer zu Recht, aber auch nicht zu Unrecht.

Mit unserem Themenschwerpunkt wollen wir einige Schlaglichter auf die unvollkommen gebliebene postkoloniale Unabhängigkeit werfen - in der Hoffnung, dass die nächsten 50 Jahre zu einer Ära der Freiheit in Afrika werden.


Themen des Schwerpunkts:
Was ist neu am Neokolonialismus - Formelle und informelle Herrschaft im unabhängigen Afrika + Eine sanfte Plünderung - Gibt es einen "New Scramble for Africa"? + Mit den Füßen im Schlamm - Frankreich und seine subalternen Zöglinge + Im weißen Jeep durch Tansania - Was Entwicklungshelferinnen von der deutschen "Schutztruppe" unterscheidet + Feuer in seiner Spur - Ist die Krise in der DR Kongo eine Folge des (Neo-)Kolonialismus?+ Eine vitale Fehlkonstruktion - Nigerias Umgang mit kolonialem Erbe + Schlechte Aussichten für Autokraten - In Kenia soll eine neue Verfassung postkoloniale Strukturen überwinden + Radikalisierte Identitäten - Der Genozid in Ruanda und seine (post- )koloniale Vorgeschichte + "Not make us plenty trouble!"- Warum hängt der Tangué aus Kamerun im Münchner Völkerkundemuseum?


INHALTSÜBERSICHT

Hefteditorial: Party feiern oder Zeche zahlen?


Politik und Ökonomie

Chile: Stolz fühlen
Die Unabhängigkeitsfeiern schüren den Nationalismus
von Sebastian Sternthal

Namibia: Namibia at 20
Eindrücke von den Unabhängigkeitsfeiern
von Godwin Kornes

Iran: Eritrea: Gebrochene Versprechen
In Eritrea wurde die Hoffnung auf Freiheit enttäuscht
von Eva-Maria Bruchhaus und Gaim Kibreab

Thailand: Tumult in Thailand
Die doppelte Tragödie der oppositionellen Rothemden
von Oliver Pye

Zentralasien: Tal der Grenzen
Im Ferghana-Tal bestimmen Grenzziehungen das Alltagsleben
von Wladimir Sgibnev

Türkei: Licht im Herzen
Wie sich der türkische Staat unter Premier Erdogan seine Diaspora denkt
von Jan Keetman


DOSSIER: AFRIKA POSTKOLONIAL

Editorial: Afrika Postkolonial

Was ist neu am Neokolonialismus?
Formelle und informelle Herrschaft im unabhängigen Afrika von Reinhart Kößler

Eine sanftere Plünderung
Gibt es einen postkolonialen »New Scramble for Africa«?
von Henning Melber

Mit den Füßen im Schlamm
Frankreich und seine subalternen Zöglinge in Afrika
von Bernhard Schmid

Im weißen Jeep durch Tansania
Was EntwicklungshelferInnen von der deutschen »Schutztruppe« unterscheidet
von Wolf Kantelhardt

Feuer in seiner Spur
Ist die Krise in der DR Kongo eine Folge des (Neo-)Kolonialismus?
von Alex Veit

Eine vitale Fehlkonstruktion
Nigerias selbstbewusster Umgang mit seinem schwierigen kolonialen Erbe
von Axel Harneit-Sievers

Schlechte Aussichten für Autokraten
In Kenia soll eine neue Verfassung die verhärteten postkolonialen Strukturen überwinden
von Martina Backes

Radikalisierte Identitäten
Der Genozid in Ruanda und seine (post-)koloniale Vorgeschichte
von Kolja Lindner

»Not make us plenty trouble!«
Warum hängt der Tangué aus Kamerun im Münchner Völkerkundemuseum?
von der Gruppe »Transnationale Genealogien«


KULTUR UND DEBATTE

Postkolonialismus: Spurensuche light
ZDF-Historiker Guido Knopp scheitert an der deutschen Kolonialgeschichte
von Joachim Zeller

Film: Balkan Queer Pride
Das Frauenfilmfestival Dortmund/Köln 2010 hatte den Schwerpunkt Südosteuropa
von Ulrike Mattern

Dissidenz: Nicht immer ganz einfach
Ein »Nachruf« auf den chinesischen Aids-Aktivisten Wan Yanhai
von Dirk Reetlandt

Debatte: Der dritte Zauberkasten
Mit »Common Wealth« geben Negri/Hardt der Linken neues Futter
von Gerhard Hanloser

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Quelle:
iz3w Nr. 319 - Juli/August 2010, S. 41
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2010