Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

IZ3W/227: Editorial von Ausgabe 321 - Hurra, wir sind erwachsen!


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 321 - November/Dezember 2010

Editorial
Hurra, wir sind erwachsen!


Vierzig Jahre alt werden ist ein echter Einschnitt im Leben. Dieser Geburtstag markiert wie kein anderer die Scheidelinie zwischen dem endgültigen Erwachsenwerden und dem rasch voranschreitenden Altwerden. Woraus dann eine Midlife Crisis resultiert, mit Symptomen wie Stimmungsschwankungen, Grübeleien, innere Unsicherheit und Unzufriedenheit mit dem bisher Erreichten. Doch obwohl die vorliegende Zeitschrift in diesen Tagen ihren 40. Geburtstag begeht, bleibt die Midlife Crisis aus. Die Stimmung in der Redaktion ist prima, das Grübeln überlassen wir unseren AutorInnen, unsicher sind wir nur in finanzieller Hinsicht, und unzufrieden sind wir schon gleich gar nicht mit der Zeitschrift. Als im November 1970 erstmalig die blätter des iz3w erschienen, handelte es sich um eine von Hand zusammen getackerte Loseblattsammlung. Gesetzt wurde mit der Schreibmaschine, die Überschriften wurden mit dem Filzstift gemalt, und nur sehr vereinzelt lockerten Karikaturen oder Schaubilder die Bleiwüste auf. Alles andere als locker war auch der Schreibstil: Mit großem Ernst und zumeist staubtrocken referierte man über die Situation der »Entwicklungsländer«, die deutsche Außenpolitik und die Machenschaften deutscher Konzerne. Bei allem großen Respekt vor den Pionierleistungen der seinerzeitigen AktivistInnen: Ein bissel dröge war das alles schon, zumindest aus heutiger Sicht. Die GeburtshelferInnen der blätter des iz3w hatten aber auch gar nicht den Anspruch, eine Zeitschrift mit journalistischer und graphischer Qualität zu machen. Ihr Zauberwort hieß »Information«, und so lautete in der ersten Ausgabe die zentrale Fragestellung: »Wie gewinnt man den dringend notwendigen informatorischen Einblick in die Prozesse der E.L.-Politik, d.h. wie kommt man zu einem analytisch differenzierten, sowie permanent aktuellen Informationsstand?« Der Versuch, diese im typischen Duktus formulierte Frage praktisch zu beantworten, stieß durchaus auf Nachfrage. Aus dem Stand hatte die Loseblattsammlung 2.000 AbonnentInnen, darunter Promis wie Erhard Eppler, Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass und Ernst Bloch.

Nicht überliefert ist, wie Schriftsteller Grass die bereits im Titel deutlich werdende Vorliebe der Redaktion für Abkürzungen aller Art fand. Bei einer LeserInnenbefragung Mitte der 1970er Jahre regte sich jedenfalls Protest. Der Buchladen im Ostertor aus dem gleichnamigen Bremer Szeneviertel beschwerte sich: »Diese Scheißkürzel gehen einem wirklich auf die Nerven.« Die BuchhändlerInnen machten es sich aber auch ein wenig einfach: »Einen Titel können wir uns nicht ausdenken, das könnt ihr sicher besser!« Naja, eben nicht... Ein anderer Leser klagte: »Der Titel eurer Zeitschrift gefällt mir nicht sehr«, er bevorzuge »3. Welt im Spiegel«. Das wiederum gefiel der Redaktion nicht, stellte der Vorschlag doch eine gewisse Nähe zu einer bei Linken nur mäßig beliebten Frauenzeitschrift her. Ein Hans-Joachim aus Heidelberg schickte gleich zwölf Namensvorschläge. Am flottesten war »Terzo Mondo«, denn, wie Hans-Joachim schrieb, »italienisch klingt immer gut!« Weniger galt das für seinen Vorschlag »Die Kämpfe der Völker und Staaten der 3.Welt sind gerecht, weil sie richtig sind«. Die drei Fragezeichen hinter diesem etwas tautologisch klingenden Zeitschriftentitel deuteten aber an, dass Hans-Joachim selbst nicht so ganz überzeugt war. Wie dankenswerterweise auch die seinerzeitige Redaktion, die wohl nicht nur typographische Nachteile befürchtete.

Das Hadern mit dem kryptischen Titel ist jedenfalls so alt wie die Zeitschrift selbst. Unvergessen bleibt beispielsweise jene Leserin, die einst einen Brief an die »FR4Z« schrieb (die Post stellte ihn übrigens ebenso zuverlässig wie ungerührt zu). Überlegungen, die Zeitschrift in »Hinterhof« umzubenennen, wurden jedoch genauso über den Haufen geworfen wie die Auflösung der Abkürzung iz3w in »informationen zu weltweiten widersprüchen«. Und so leben wir nun halbwegs in Frieden mit unserem Namen. Wie das halt so ist, wenn man 40 wird.

Ein Geburtstagsfest zum 40. wird es übrigens nicht geben. Ob das doch ein kleines, aber typisches Anzeichen für eine Midlife Crisis ist? Ach was, wir haben uns der Verbreitung von Informationen verschrieben, und deshalb gönnen wir uns lieber eine umfangreiche Veranstaltungsreihe rund um die Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg«. Sie wird ab dem 5. November in Freiburg gezeigt.

die redaktion


*


Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 321 - November/Dezember 2010


Dossier:
Corpus delicti - umkämpftes Recht auf Gesundheit

Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Sie umfasst sowohl körperliches als auch psychisches und soziales Wohlbefinden. Doch das insbesondere Menschenrecht von Frauen auf Gesundheit ist stetig umkämpft und wird oft verletzt. Der Frauenkörper gilt weithin als Ware, er wird als begehrens- und besitzenswertes Objekt ge- und misshandelt. Spätestens mit Geburt des neuzeitlichen Staates war die Verwaltung und Kontrolle des Frauenkörpers auch ein wichtiges Instrument der Bevölkerungsregulierung.

Das hierarchische Verhältnis zwischen Nord und Süd kommt beim Zugriff auf Frauenkörper ebenfalls zum Tragen - in allen Aspekten wie race, class, gender, disability und identity. Das Dossier zeichnet die vielfältigen Eingriffe, Angriffe und Übergriffe auf Frauenkörper nach, präsentiert aber auch Ansätze zur Veränderung. Im Mittelpunkt steht dabei das Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit.

Themen des Schwerpunkts:
Jungfräulich, nackt, unrein - Eine Reise in die Porno-Tropen + Untergeben und erobert - Der Schwarze Frauenkörper in Südafrika + Gespendet, gehandelt, getauscht - Interview über die Globalisierung der Eizellmärkte + Kinderlos, unfruchtbar, nutzlos - Unerwünschte Kinderlosigkeit in Brasilien + Umkämpft und verteidigt - Streit um (un-)sichere Abtreibungen in Lateinamerika + Symptomatisch verkannt - Gegen Müttersterblichkeit helfen keine einfachen medizinischen Lösungen + "Weg vom Albert-Schweizer-Modell" - Interview über medizinische Entwicklungszusammenarbeit + Verletzt, verstümmelt, verkannt - Genitalverstümmelung im Nordirak + Ausgebeutet oder ausgeschlossen? - Recht auf Gesundheit im Kontext migrantischer Prostitution


INHALTSÜBERSICHT


Hefteditorial: Hurra wir sind erwachsen!


POLITIK UND ÖKONOMIE

Swaziland: Die Tyrannei des Löwen
Ein besonders repressives Patriarchat fördert die Ausbreitung von Aids
von Thomas Schmidinger

Ruanda: Kagame, wer sonst?
Tagebuchnotizen zur Präsidentenwahl in Ruanda
von Stefan Sommer

Namibia: Entlang der Roten Linie
Die Landreform ist mehr als eine Frage der Umverteilung
von Sören Scholvin

Aserbaidschan: Regiert wie geschmiert
Was bedeuten Wahlen im Erdölstaat Aserbaidschan?
von Ismail Küpeli

Zypern: Kalter Krieg im Mittelmeer
Die Lösung des Zypernkonflikts rückt in die Ferne
von Sabine Hagemann-Ünlüsoy

Ausstellung: Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg
Das iz3w präsentiert umfangreiches Begleitprogramm zur Ausstellung in Freiburg
von Jan Keetman


DOSSIER: AFRIKA POSTKOLONIAL

Editorial: "Your body is a battleground"

Was ist neu am Neokolonialismus?
Formelle und informelle Herrschaft im unabhängigen Afrika
von Reinhart Kößler

Jungfräulich, nackt, unrein
Eine Reise in die Porno-Tropen
von Alice Rombach

Untergeben und erobert
Der Schwarze Frauenkörper in Südafrika
von Rita Schäfer

Gespendet - gehandelt - getauscht
Interview mit Erika Feyerabend über die Gobalisierung der Eizellmärkte

Umkämpft und verteidigt
Streit um (un-)sichere Abtreibungen in Lateinamerika
von Kirsten Achtelik

Symptomatisch verkannt
Gegen Müttersterblichkeit helfen keine einfachen medizinischen Lösungen
von Martina Backes

»Weg vom Albert-Schweitzer-Modell«
Interview mit dem Arzt Michael Runge über medizinische Entwicklungszusammenarbeit

Verletzt - verstümmelt - verkannt
Genitalverstümmelung im Nordirak
von Arvid Vormann

Ausgebeutet oder ausgeschlossen?
Gesundheit im Kontext migrantischer Prostitution
von Veronika Ott


KULTUR UND DEBATTE

Sklaverei: Wettstreit der Erinnerungen
Ein neues Buch facht die Debatte über den arabischen Sklavenhandel an
von Simon Brüggemann

Medien: »Wir sind offen für Kontroversen«
Interview mit Tidiane Kassé über die panafrikanische Internetplattform Pambazuka News

Kunst: Die Versprechen der Moderne
Lateinamerikas abstrakte Kunst
von Katja Behrens

Film: Das »Coca-Cola der Fruchtsäfte«
Eine Doku über Jaffa-Orangen zeichnet palästinensisch-israelische Geschichte nach
von Ulrike Mattern

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


*


Quelle:
iz3w Nr. 321 - November/Dezember 2010, S. 3
Copyright: bei der Redaktion und den AutorInnen
Herausgeberin: Aktion Dritte Welt e.V. - informationszentrum 3. welt
Postfach 5328, Kronenstr. 16a (Hinterhaus)
79020 Freiburg i. Br.
Tel. 0761/740 03, Fax 0761/70 98 66
E-Mail: info@iz3w.org
Internet: www.iz3w.org

iz3w erscheint sechs Mal im Jahr.
Das Einzelheft kostet 5,30 Euro plus Porto.
Das Jahresabonnement kostet im Inland 31,80 Euro,
für SchülerInnen, StudentInnen, Wehr- und
Zivildienstleistende 25,80 Euro,
Förderabonnement ab 52,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2010