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IZ3W/249: Editorial von Ausgabe 325 - Das Leuchtturmministerium


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 325 - Juli/August 2011

Hefteditorial
Das Leuchtturmministerium


»Wir wünschen euch eine gute Entwicklung da unten«. Mit diesen Worten hat Bundespräsident Heinrich Lübke einst auf einer Afrikareise allgemein verständlich zusammengefasst, auf welche Weise der tradierte kolonial-rassistische Paternalismus in der Bundesrepublik fortlebt. Seinen guten Wunsch teilt, wer weiß: Oben ist, wo die gute Entwicklung herkommt.

Erfolgreich zum Exportgut gemacht hat die Entwicklung insbesondere das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Und das seit nunmehr fünf Jahrzehnten. 50 Jahre Gutes tun, das will belohnt sein. Deshalb feiert das BMZ sich jetzt selbst, und zwar mit »Leuchtturm-Veranstaltungen 2011«. Wer rätselt, was das soll, wird vom BMZ so aufgeklärt: Ein »Leuchtturm« ist eine Veranstaltung, bei der Lehren aus der Vergangenheit gezogen und Fragen zur Zukunft der deutschen Entwicklungspolitik diskutiert werden. Die Homepage des BMZ lädt mit einer Grafik, die einer steilen Wachstumskurve gleicht, zu insgesamt 14 Leuchttürmen ein. Höhepunkt der Kampagne ist ein hochkarätiges ProminentInnen-Forum, das in den Jubiläumsfestakt mit dem Bundespräsidenten mündet.

Die Ziele der Leuchtturmveranstaltungen klingen fortschrittlich: Das BMZ will »als lernende Organisation über sich hinausdenken«, sieht sich als »internationaler Impulsgeber und Zukunftsdenker«. Man würdigt, dass »Wälder auch spirituelle Bedeutung haben«. Und man will mit »dem ersten Menschenrechtskonzept des BMZ« »die Arbeit an den Menschen ausrichten, nicht an den Regierungen«.

Man hat ja schließlich aus früheren Fehlern gelernt. Das begann spätestens 1985, als ein kritisches Buch erschien, das sich nicht einfach als Werk notorischer NörglerInnen abtun ließ: Brigitte Erler, ehemals Referentin des BMZ und SPD-Bundestagsabgeordnete, kam von einer Projektbesichtigungsreise nach Bangladesch mit der Erkenntnis zurück, dass die gängige Entwicklungspolitik eine »Tödliche Hilfe« fabriziere: »Die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher«. Internationalistische Gruppen hatten dies zwar schon seit Anfang der 1970er Jahre behauptet, fanden aber im Gegensatz zu Erler kaum Resonanz.

Die BMZ-Führung wies damals jede Schuld von sich. Dennoch machten sich deutsche EntwicklungsstrategInnen daran, die Entwicklungshilfe weiterzuentwickeln. Heute gibt es nur noch »Entwicklungszusammenarbeit«, was natürlich viel besser klingt, denn: Wir alle leben ja in der Einen Welt und sind PartnerInnen. Die Hilfe diente fortan der Selbsthilfe, denn Abhängigkeit ist schlecht für die Entwicklung. Die alten Patentrezepte sollten nicht mehr übergestülpt werden. Keine Großtechnologie für Kleinbauern, denn: Small is beautiful. Bauer, bleib bei deiner Harke. Man ist ja kultursensibel. Die da »unten« brauchen angepasste Technologien. Wie praktisch, dass Deutschland Exportweltmeister auch für »saubere« Technologien ist.

In der Leuchtturmidee flackert auch etwas jüngere Geschichte nach. Ein wichtiger Einschnitt war sicher Erhard Epplers Amtszeit. Mit Unterstützung durch Willy Brandt sozialdemokratisierte die Lichtgestalt Eppler das BMZ so grundlegend, dass nicht mal die CSU-Minister der Kohl-Ära ganz davon abrücken konnten. Helmut Schmidt klagte einst über Eppler, er habe »gesponnen«, weil ihm die armen Länder mehr am Herzen lägen als es die politische Nüchternheit gebiete. Die Sozialdemokratisierung wurde spätestens seit den 1990ern begleitet von einer marktkonformen Sozialtechnokratisierung: Hilfe erhält, wer sich als Mikrokredit-KleinunternehmerIn auf dem Markt der Möglichkeiten seine Überlebensnische erkämpft. Kritik am Selbsthilfe- und am Mikrokreditmodell wurde aufgefangen mit dem Hinweis, man wolle doch nur das »Empowerment« der Armen erreichen. Das leuchtete auch den KritikerInnen ein, denn das Wort bedient die Perspektive derjenigen, die sich mit den Marginalisierten solidarisieren. Ausgeblendet wurde freilich, dass es bei Empowerment nicht um Powersharing geht, denn die Entwicklungsziele und -Strategien werden immer noch vom BMZ gesetzt. Beispielsweise soll den armen Menschen vor Ort geholfen werden, damit sie nicht als »Asylanten« die deutschen WutbürgerInnen zum Pogrom provozieren.

Doch von derlei hässlichen Dingen will man im Jubiläumsjahr nichts wissen. Mit glanzvollen Leuchtturmveranstaltungen wie der Verleihung des Walter-Scheel-Preises für verdiente EntwicklungshelferInnen soll normative Orientierung geboten werden. Geehrt wird beispielsweise Ulrich Wickert für sein strahlendes Lächeln als Patenonkel von Plan international. Oder Michael Otto, weil »das Angebot von Mode aus 'Cotton made in Africa' im OTTO-Versand kontinuierlich ausgeweitet werden« soll. Solches Engagement, so prognostiziert es der amtierende Minister Dirk Niebel, könne »Entwicklungspolitik zurück zu ihren Wurzeln führen«. Damit hat er zweifelsohne Recht.

die redaktion


Der Themenschwerpunkt »Globalisierungskritik« in der letzten Ausgabe 324 war von der Stiftung Umverteilen! gefördert worden, ohne dass wir einen Förderhinweis im Heft unterbringen konnten. Wir danken der »Umverteilen! - Stiftung für eine, solidarische Welt« herzlich für die Unterstützung.


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 325 - Juli/August 2011


Chinas roter Kapitalismus

Vorsicht Baustelle!

China gibt sich fortschrittlich. Mit einem Wirtschaftswachstum von neun Prozent und 30 Prozent Anteil an der weltweiten IT-Kontraktfertigung ist China zu dem "mächtigen sozialistischen Industrieland" geworden, das Mao 1956 vorhersagte. Was er nicht wusste: In China werden unter entgarantierten Arbeitsbedingungen und Billiglöhnen Markenprodukte für den kapitalistischen Norden produziert.

Auch sonst kann von einer befreiten Gesellschaft keine Rede sein: Wer als unpatriotisch gilt, kann verprügelt, inhaftiert, gefoltert oder hingerichtet werden. Dabei wird China, anders als etwa Mubaraks Ägypten, von ideologisch sattelfesten PolitikerInnen regiert.

Der Themenschwerpunkt widmet sich den gesellschaftlichen Entwicklungen in der Volksrepublik, die mitbestimmt sind von Umweltproblemen und Arbeitskämpfen, von der Integration der Wirtschaft in den Weltmarkt, einer innerchinesischen Auseinandersetzungen über Menschenrechte und einem starken Nationalismus.

INHALTSÜBERSICHT


Editorial: Das Leuchtturmministerium


POLITIK UND ÖKONOMIE

»Ignoranz gegenüber den BewohnerInnen«
Interview mit Karl Rössel über atomaren Kolonialismus in Ozeanien

Uganda: Ein Präsident lacht, das Volk weint
Proteste wegen grassierender Inflation
von Lydia Koblofsky und Johannes Maaser

Kolumbien: Der Frieden des Patrón
Das Gewaltmonopol in Medellin bleibt umkämpft
von David Graaff

Syrien: Der Anfang vom Ende?
Das Assad-Regime steht mit dem Rücken zur Wand
von Erik Mohns

Ägypten: »Wir leben in einer Militärdiktatur«
Die Protestbewegung hat mit vielen Rückschlägen zu kämpfen
von Juliane Schumacher

Tunesien: »Es geht nie mehr zurück«
Ein Tagebuch über die brüchige Aufbruchstimmung
von Alice Rombach

Costa Rica: Eine Oase inmitten von Ananas
Ein kleines Dorf entzieht sich erfolgreich dem Druck der Agroindustrie
von Fabian Kern


KULTUR UND DEBATTE

Film: Die Krise im Film
Kühne Frauen und globale Probleme beim Internationalen Frauenfilmfestival
von Ulrike Mattern

Debatte: Arabische Täter, afrikanische Opfer
Eine Kritik an Tidiane N'Diayes Buch »Der verschleierte Völkermord«
von Maike Jakusch

Nur die halbe Wahrheit
Eine Replik zu Maike Jakusch
von Winfried Rust

Rezensionen

Szene/Tagungen

Leserbrief

Impressum


DOSSIER: CHINA

Editorial

»In der Revolution wurden aus Bauern Chinesen«
Interview mit Detlev Claussen über den chinesischen Nationalismus

»Jeder Sinologe hat zwei Hüte auf«
Interview mit Nora Sausmikat über die Konfuzius-Institute

Ein leidiges Thema
Menschenrechtspositionen in der VR China
von Kristin Kupfer

Beschirmte Unabhängigkeit
Chinesische NGOs sind trotz staatlicher Gängelung partiell erfolgreich
von Nora Sausmikat

Die Freiheit der Chinesin
Einige Schlaglichter auf die Lage der Frauen
von Astrid Lipinsky

Aufstand der zweiten Generation
Die jungen »Bauern-ArbeiterInnen« lassen sich ihre Ausbeutung nicht mehr gefallen
von Felix Wemheuer

Brot und Rosen auf chinesisch
Das Ende der Aufopferung in der neuen Topographie der Wanderarbeit
von Christa Wichterich

Keine Industrie ohne Hinterland
Chinas Landwirtschaft im Dienst der Industrialisierung
von Uwe Hoering

Niemand hat gefragt
Wie Wiederaufbau mit Ethnotourismus wetteifert
von Wolf Kantelhardt

Maos Medium für die Massen
Die Evolution chinesischer Comics von Lianhuanhua zu Manhuas
von Alexander Sancho-Rauschel

China - Service


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Quelle:
iz3w Nr. 325 - Juli/August 2011, S. 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2011