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KAZ/134: Krise - Kampf der Großkapitalisten um die Hebel des Staatsapparats


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 328, September 2009 Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Krise: Kampf der Großkapitalisten um die Hebel des Staatsapparats(1)

Von Stephan Müller


In der zyklischen Krise zeigt sich der Grundwiderspruch der kapitalistischen Gesellschaft. Das ist keine neue Feststellung.

Die Verwertung des Kapitals kommt ins Stocken. Das gesellschaftliche Produkt, angeeignet vom Einzelkapitalisten, findet seinen Weg nicht zurück in die Geldform. Die Krise zeigt sich als Überproduktion aus Sicht des Kapitals, das keine zahlungsfähige Nachfrage findet, und Unterkonsumption aus Sicht der Arbeiterklasse. Auch das ist bekannt.

Zur zyklischen Krise kommt es, weil die Proportionen zwischen den Sektoren der Wirtschaft gestört sind. Es müssten in der gesamten Wirtschaft immer genug Löhne gezahlt werden, damit alle Waren der Abteilung der Wirtschaft, die Konsumgüter herstellt, gekauft werden können, damit fängt es an. Die Maschinen und Ausrüstungen der Fabriken müssten sich so abnützen, dass immer soviel nachgefragt wird, wie auf den Markt kommt. Der Import und der Export müssten sich anpassen, der Kredit den Planungen der Zukunft. Auch hier wird kaum jemand widersprechen.

Die zyklische Krise ist unvermeidlich, weil einerseits die Produktion des materiellen gesellschaftlichen Reichtums vergesellschaftet ist, das heißt von der Zusammenarbeit der Mitglieder der Gesellschaft abhängt, aber andererseits die Aneignung des Reichtums privat ist, d.h. er gehört den Eigentümern der Produktionsmittel, der Klasse der Kapitalisten. Die einzelnen Kapitalisten müssen, um Kapitalisten zu bleiben, in der Konkurrenz überleben. In einer Wirtschaft, in der jeder Einzelkapitalist seine Vorteile gegen die anderen durchsetzen muss, ist die gleichmäßige Entwicklung der Proportionen nicht möglich.

Hier sind wir wieder beim Grundwiderspruch, aber es wird Zwischenrufe geben. Zur Unvermeidlichkeit zyklischer Krisen im Kapitalismus gibt es seit etwa 100 Jahren zwei Meinungen in der Arbeiterbewegung, besonders in Deutschland.


Unversöhnlichkeit - oder gemeinsam mit dem Kapital zur Überwindung der Krise?

Die Gegenthese ist:

Die Krise sei nicht unvermeidlich, weil die einzelnen Wirtschaftszweige inzwischen im Wesentlichen von wenigen Kapitalgruppen beherrscht werden. Die hätten nicht nur ein gemeinsames Interesse, sondern seien auch in der Lage eine große Krise zu verhindern. Deshalb hätte auch die Arbeiterbewegung ein Interesse, gemeinsam mit der Kapitalistenklasse die entsprechenden Maßnahmen zu vereinbaren.

Die entsprechenden Maßnahmen, das wäre ein Abschwächen der Unterkonsumption durch Nachfrage, die der Staat schafft.

Dabei sollten möglichst auch die ungleichmäßigen Entwicklungen, die entstanden sind zwischen Kredit und Produktion, zwischen den Ländern und Branchen, ausgeglichen werden.

Hier soll nicht die Diskussion von 100 Jahren zwischen Marxisten wie Kautsky, Hilferding, Lenin und etwa Varga und Oelßner nachvollzogen werden. Zunächst zählen Fakten, und es ist unbestreitbar, dass der Staatsapparat Nachfrage schaffen kann. Aber gleicht er die Krisenursachen aus?

Der Flottenbau ab 1900 schuf Arbeitsplätze, aber verschärfte die internationale Krise.

Die Bewältigung der Nachkriegskrise 1918 bis 1924 durch die Währungsreform 1924 kam zustande durch die Zusammenarbeit des Bankiers Schacht mit dem Sozialdemokraten Hilferding, der Finanzminister wurde. Der überwiegende Teil der Großkapitalisten hatte von der Stabilisierung zwei Vorteile: Sie konnten sich des übermächtig gewordenen Stinnes, der auf der Inflationswelle schwamm, entledigen. Vor allem aber brauchten sie die Stabilisierung, um die aufflammende Revolution zu verhindern.

In der Krise 1929 funktionierten Staatseingriffe nicht, die Stabilisierung erfolgte erst durch die beschleunigte Aufrüstung ab 1933, was wiederum die internationale Krise hin zum 2. Weltkrieg verschärfte.

In der Zeit nach 1945 gab es Kriseneingriffe zusammen mit der SPD vor allem in den 70er Jahren. Die Nachfrage wurde auch hier im Wesentlichen durch (Wieder)-Aufrüstung geschaffen.

Das Bild der Krisenbekämpfung durch den Staat in Zusammenarbeit von Großkapital und einem Teil der Arbeiterbewegung lässt einige Muster erkennen:

Die Schärfe der Konkurrenz unter den wenigen Giganten der Märkte nimmt trotz ihrer Übersichtlichkeit zu und nicht ab. Der Kapitalbedarf, der notwendig ist, um einen Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen, wächst mit dessen Größe. Industriegruppen müssen sich mehr oder weniger eng mit großen Finanzgruppen verbinden. Sie versuchen nicht nur selbst mehr Gewinn zu machen, sondern auch durch immer gewagtere Finanzkonstruktionen dem Konkurrenten seinen Gewinn abzunehmen. Fehleinschätzungen im Hochrisikobereich der Großfinanzen haben entsprechende Folgen. Der heftig diskutierte Fall Porsche/VW ist ein Beispiel.

In der verschärften Konkurrenz platzieren die größten Kapitalgruppen ihre Leute direkt an den Schalthebeln der Staatsmacht. Das führt eher zu einem erbitterten Hauen und Stechen, als zur Zusammenarbeit. Auch hier ist Porsche ein Beispiel, wo die Kredit- und Options-Milliarden der einen Seite mit Reaktionen aus dem Staatsapparat (VW-Gesetz, kein KfW-Kredit) gekontert wurden.


Der Staat - Herr oder Spielball der Kapitalisten?

Warum kann der Staat die in der genannten Gegenthese aufgestellten Funktionen nicht wahrnehmen? Ein Ausgleich der in der Konkurrenz entstandenen Ungleichmäßigkeiten widerspricht dem Privateigentum. "Konkurrenz" heißt ja, ein Einzelkapitalist setzt seinen Profit gegen einen anderen Einzelkapitalisten durch. Nehme ich ihm den, greife ich in sein Privateigentum ein. Das wird er nicht zulassen. Hat er nicht die tatsächliche Macht zur Verteidigung seines Privateigentums, wird es ihm sowieso genommen. Einig ist die Großbourgeoisie im äußersten Notfall, wenn es um die Erhaltung des kapitalistischen Systems geht, z.B. 1924, wo man einen großen Teil der Arbeiterklasse durch die Einbeziehung Hilferdings und der SPD durch entsprechende zeitweise Zugeständnisse ruhig stellen konnte.

Der genannten Gegenthese von der Klassenzusammenarbeit wäre entgegen zu halten:

Wo die Zusammenarbeit der Klassen zu funktionieren und die Großbourgeoisie bereit zu sein scheint, Zugeständnisse zu machen, werden die Probleme nur vertagt. Bei gegebener Gelegenheit wird die Großbourgeoisie versuchen, ihre Probleme auf Kosten Anderer zu lösen, vor allem auf Kosten der Arbeiterklasse im eigenen Land und auf Kosten der Völker.

In den 70er Jahren z.B. bestand im deutschen Großkapital weitgehend Einigkeit, dass trotz Notstandsgesetz etwas getan werden musste, um Unruhen in der Arbeiterklasse wegen der wieder heftig sichtbaren Krisenhaftigkeit zu verhindern. Schließlich gab es nebenan auch eine sozialistische DDR, die ihr Ausbluten durch Schließung der Grenzen verhindert hatte. Woher sollte das Geld kommen, und wofür ausgegeben werden? Auch hier wurde nach Stärke des Kapitals entschieden: Keine Profitkürzung, sondern Staatsschulden mit Inflationsrisiko. Und wofür? Die größte Not der deutschen Großbourgeoisie war die Befreiung aus der Rüstungsvorherrschaft der USA, also floss das Geld in die Rüstung, auch um "Deutschland" und seinem Export mehr Respekt zu verschaffen. Dadurch wurden Arbeitsplätze geschaffen (was ja immer noch als respekteinflößend gilt, obwohl es doch eigentlich Ausbeutungsplätze sind), aber die Ungleichmäßigkeiten, die zwischen den exportierenden Ländern entstanden waren, wurden verschärft und nicht abgeschwächt.

Im zwischenstaatlichen Bereich nehmen die Spannungen durch die Größe der international agierenden Konzerne besonders in der Krise zu. Je größer der Konzern, desto direkter nutzt er seinen staatlichen Machtapparat in der Konkurrenz, Beispiel GM in der Opel-Diskussion.

Es lohnt sich, in der derzeitigen Krise zu verfolgen, wie die Großbourgeoisie konkret versucht, ihre Probleme zu lösen:

Auf unserem Stand von Vergesellschaftung der Produktion und Konzentration des Kapitals werden die großen Einzel-(Finanz-)Kapitale nicht nur tätig auf der Ebene der Warenmärkte und der Finanzmärkte, sondern besonders auf der Ebene des Staats. Wer sich seinen Platz an den Schalthebeln der Staatsmacht nicht sichert, kann auf den anderen Ebenen nicht mehr siegen.

Als Beispiel soll der relativ breit publizierte Kampf um den Arcandor-Karstadt-Quelle-Konzern dienen.

Interessierte Großkapitalisten sind auf Arcandor-Seite die Gründererbin Schickedanz, deren Bank Sal. Oppenheim und deren Manager Middelhof.

In der kapitalistischen Konkurrenz verlor der Konzern, wurde zunehmend von seiner Bank abhängig, die auch den Manager auf ihrer Seite hatte.

Der Manager verkaufte die Immobilien von Karstadt an einen Fonds der Oppenheim Bank, an dem er sich selbst auch beteiligen durfte.

Im Kampf um die Schalthebel der Staatsmacht mischt vor allem der Metro-Konzern mit, in dem die Kaufhauskette Kaufhof besser da steht als Karstadt. Kaufhof macht aber nicht ausreichend Gewinne für die Familie Haniel, die den Metro-Konzern kontrolliert, vertreten durch den Manager Cordes.

Haniel/Metro/Kaufhof/Cordes haben ein Interesse, dass der Konkurrent Karstadt verschwindet, und dass sie Kaufhof aus der Insolvenz-Masse, vor allem den besten Immobilien, profitabler machen.

Die Oppenheim-Bank will ihre Arcandor-Anteile und die Immobilien möglichst profitabel verwerten.

Schickedanz hofft, nicht ganz ohne Rest-Milliarden übrig zu bleiben.

Cordes ist Vizepräsident des CDU-Wirtschaftsrats. Matthias Graf von Krockow, Sprecher der Gesellschafter der Oppenheim-Bank, ist Mitglied des Landesvorstandes NRW des CDU Wirtschaftsrats.

Schickedanz muss sehen, durch Konzentration auf Quelle/Fürth in Bayern dem Berliner Interessengemenge zu entkommen, und setzt auf den bayerischen CSU-Chef und Ministerpräsidenten Seehofer.

Arcandor stellt Antrag auf Staatsbürgschaft, Cordes spricht sich öffentlich dagegen aus - in Verteidigung marktwirtschaftlicher Prinzipien. Arcandor bekommt die Bürgschaft nicht und meldet Insolvenz an.

Damit geht der Kampf um die Verwertung los, in dem die Zu- oder Absage von Staatshilfen jeweils eine entscheidende Rolle spielt.

Die jeweils hervorgezogenen Propaganda-Versatzstücke, mit denen die Eingriffe begründet werden, erreichen durchaus Satireniveau, nicht nur bei der CSU mit dem Verteidiger der (Markt-)Freiheit, zu Guttenberg zu Berlin, und dem Verteidiger der Arbeitsplätze, Volksschauspieler Seehofer, zu München.

Wer glaubt, Herr Seehofer oder seinesgleichen würden etwas für die Arbeiterklasse gegen das Interesse des Großkapitals tun, lässt sich täuschen. Bei etwas genauerem Hinsehen erwies sich eben auch der scheinbare Einsatz für die Arbeiter von Helmut Schmidt in den 70er Jahren als getrieben vom Großkapital, ebenso Gerhard Schröders Reformen und die Aktionen seines damaligen Bürochefs Steinmeier. Das Ergebnis war jedes Mal eine geschwächte Arbeiterklasse und mehr Rüstung.

Bei den Staatsaktionen gegen die Krisenerscheinungen ist es notwendig, hinter die Propaganda zu schauen, bis die Interessen bestimmter Konzerne sichtbar werden.

Der bunte Strauss der Propaganda-Feuerwerke blendet auch im Fall Opel viele Kollegen.

Was sind hier die Interessen der Konzerne? Wo werden sie in Aktionen der Staatsmacht sichtbar?

Der General Motors Konzern ist zwar Pleite, kann aber auf die volle Unterstützung des US-Staatsapparats bauen. Das Beste für GM wäre ein "Parken" von Opel bei dem Investor RHJ, bis GM mit US-Staatsgeldern, und Opel mit deutschen Staatsgeldern wieder flott gemacht ist.

Zu beobachten ist, wer in der deutschen Regierung "ein offenes Ohr" für GM bzw. die USA hat.

Der Porsche-Piech-Clan, der gerade mit Mühe die Totalübernahme von VW finanziert, ist am Untergang des Konkurrenten Opel stark interessiert.

Ford und die anderen Hersteller von Klein- und Mittelklasseautos wären natürlich über ein Verschwinden von Opel ebenfalls nicht gerade unglücklich. Auch BMW und Daimler hätten mehr "Luft". Aber VW ist der Hauptkonkurrent. Die Porsche-Piechs haben ihr Pulver bereits jetzt am Anfang der Krise bei der Übernahme von VW verschossen. Die staatliche Abwrackprämie lässt sich nicht wiederholen, die Sparkonten sind abgeräumt. Der westeuropäische Markt, auf dem Opel im Wesentlichen verkauft, stagniert schon lang und bricht nach Auslauf der Abwrackprämien ein. VW hat ca. 20% des westeuropäischen Marktes, Opel etwa 10%.

Durch einen guten Teil der Marktanteile von Opel könnten die Porsche-Piechs die Krise überstehen, ohne die Kontrolle bei VW mit anderen Großkapitalisten teilen zu müssen; wie so oft im deutschen Imperialismus geht es um alles oder nichts: Gelingt der Überlebensplan, will man an Toyota, GM und Ford vorbeiziehen und größter Automobilkapitalist der Welt werden. Zwischenstaatliche Spannungen mit Japan und vor allem den USA sind vorprogrammiert.

Die Politiker:

CSU-Guttenberg spielt am offensten die Insolvenzkarte, im Namen der Freiheit des Marktes. Er macht sich Feinde weder in den USA noch in Frankreich, weder bei BMW in München noch bei Audi in Ingolstadt, auch nicht bei Öttinger in Stuttgart oder Wulff in Hannover, allenfalls Rüttgers mag in Bochum in seiner Sozialdemagogie gestört sein.

CDU-Koch in Hessen wendet Rüsselsheim den Rücken zu, im Blick immer die Deutsche Bank. Auch er spricht sich im Namen der Marktfreiheit für die Insolvenz von Opel aus.

SPD-Steinmeier und Freunde wollen ihren Einfluss in den Gewerkschaften nicht weiter verlieren, das ist ihr Kapital im Wettbewerb der bürgerlichen Politiker um die Gunst des Großkapitals. Da riskieren sie sogar den Konflikt mit Piech, der seine Interessen immer sehr gut auch mit Hilfe "seiner" Gewerkschafter durchzusetzen wusste. Der Skandal mit Hartz und Volkerts ist an ihm abgeperlt, und es sieht leider so aus, als würde es ihm wieder gelingen, den VW-Betriebsrat für sich einzuspannen und gegen die Opel-Kollegen in Front zu bringen.

Insgesamt hat sich die Theorie, es gäbe ein gemeinsames Interesse der Großkapitalisten, die Wirtschaft krisenfrei zu lenken, und das möglicherweise zusammen mit der Arbeiterklasse, als Illusion erwiesen. Es ist eine gefährliche Illusion, weil sie uns den Blick verstellt für unsere eigenen Ziele und Aufgaben.

Wir können und müssen in unseren Gewerkschaften selbst klar formulieren, was gut für uns ist; dabei müssen wir uns darüber klar sein, dass, was gut für uns ist, für keinen einzigen Großkapitalisten gut ist: Mehr Lohn, soziale Sicherheit, Abrüstung und das Recht, diese Interessen vertreten zu können. Echte Zugeständnisse bekommen wir nur durch eigene Stärke, Organisationsstärke. Arbeitsplätze für die Rüstung sind jedenfalls weder für unsere Knochen, noch für die unserer Kinder gut.


Anmerkung:
(1) Der vorliegende Artikel aus: "Theorie und Praxis (T&P), Ausgabe 18, wurde vom Autor ergänzt.


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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 328, September 2009, S. 28-31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2009